Forschungsbericht 2009 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Strategien zur Neuorientierung des internationalen Schutzes von Immaterialgüterrechten

Strategies for a new Approach Towards International Protection of Intellectual Property Rights

Autoren
Kur, Annette
Abteilungen

Munich Intellectual Property Law Center (MIPLC) (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die Ausdehnung des Schutzes von Immaterialgüterrechten auf internationaler Ebene stößt zunehmend auf Kritik. Als Reaktion darauf wird unter anderem erwogen, Vorschriften einzuführen, die Inhalt und Umfang des gewährten Schutzes international verbindlich begrenzen. Da die internationalen Konventionen bisher dem Grundsatz der Mindestregelungen folgen, würde mit einem solchen Ansatz Neuland beschritten. Die damit zusammenhängenden Fragen sind noch weitgehend ungeklärt.
Summary
The expansion of protection for intellectual property rights on the international level is increasingly met with criticism. As a reaction, it is considered to impose mandatory limits to the scope and contents of protection. As the international Conventions until now are based on the principle of minimum rights, such an approach is venturing into largely unchartered territory, raising a number of unsettled issues.

Das TRIPS-Abkommen als Wendepunkt?

Mit dem TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) von 1994 wurde das Niveau des international vorgeschriebenen Mindestschutzes für Immaterialgüterrechte stark angehoben. Während die Befürworter eines solchen Schutzes dies mit gewissem Recht als Durchbruch feiern, mehren sich zugleich die Anzeichen dafür, dass TRIPS auch einen Wendepunkt anderer Art markiert. So ist die Skepsis gegenüber dem Schutzsystem in Entwicklungsländern noch gestiegen, und auch in Deutschland werden Schutzrechte von der breiteren Öffentlichkeit oft als „gefährlich“ (soweit es um den Patentschutz für neue Technologien geht) oder als störend erlebt (soweit sie die durch digitale Technologien eröffneten Kommunikationsmöglichkeiten einschränken).

Die Politik hingegen propagiert die Verstärkung des Schutzes noch oft als primäres Ziel. Dies betrifft vor allem die Rechtsdurchsetzung: Anders als erhofft, hat TRIPS nicht die Piraterieproblematik verringert. Effizientere Durchsetzungsmaßnahmen, aber auch Aspekte des materiellen Rechts, die nach Auffassung der Industrieländer in TRIPS noch nicht „optimal“ geregelt wurden, sind daher verstärkt zum Gegenstand bilateraler Handelsverträge geworden. Während sich somit auf der einen Seite die Spirale des Schutzes weiter nach oben dreht, nehmen auf der anderen Seite die Widerstände und die Verbitterung derjenigen zu, die sich – häufig vergeblich – gegen eine weitere Vereinheitlichung und Verschärfung der Schutzstandards aussprechen.

Neujustierung des Schutzsystems – grundlegende Fragestellungen

Die Abteilung Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht erforscht die Ursachen für das zunehmende Auseinanderfallen von politischer Agenda und allgemeinem Problembewusstsein und erarbeitet Vorschläge, um diese Kluft zu überwinden.

In diesem Zusammenhang steht das Kooperationsprojekt „Intellectual Property Rights in Transition (IPT)“, das mit dem Institut für Immaterialrecht und Marktrecht an der Universität Stockholm sowie weiteren Wissenschaftlern aus Dänemark, Finnland und der Schweiz durchgeführt wurde. Ziel des Projekts war es, die Grundprinzipien eines internationalen Schutzsystems festzulegen, das nicht einseitig durch die Interessen der Rechtsinhaber und die von diesen wahrgenommenen Schutzdefizite gesteuert wird, sondern in dem die Interessen der Nutzer einen gleichberechtigten Platz einnehmen [1].

Vorschläge zur Änderung des TRIPS-Abkommens

Die Ergebnisse des Projekts werden als Entwurf von Vorschlägen zur Änderung des TRIPS-Abkommens präsentiert. Unabhängig von den voraussichtlich geringen politischen Erfolgsaussichten solcher Vorschläge geht es dabei vor allem darum, die „Fehlstellen“ innerhalb des Abkommens in seiner jetzigen Fassung sichtbar zu machen. Diese Art der Präsentation in ihrer plakativen, leicht zu erfassenden Form soll einen möglichst großen Kreis von Personen, auch außerhalb spezialisierter Gremien, erreichen.

Ziel der Vorschläge ist, einen besseren Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen zu schaffen. Dazu werden die „Objectives and Principles“ (Art. 7 und 8 TRIPS) inhaltlich aufgewertet und ergänzt; ferner wird durch entsprechende Formulierungen sichergestellt, dass sie bei der Auslegung der materiellen Vorschriften im zweiten Teil des Abkommens berücksichtigt werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Vorschläge liegt bei den Schrankenbestimmungen: In Anlehnung an Wortlaut und Struktur des Drei-Stufen-Tests, der derzeit für die einzelnen Rechtsgebiete die Grenzen möglicher Einschränkungen der Schutzrechte vorgibt, wird eine für alle Rechtsgebiete gleichermaßen geltende Vorschrift formuliert. Diese berechtigt die Mitgliedstaaten und verpflichtet sie zugleich dazu, die Interessen von Rechtsinhabern und Nutzern bei der Schaffung von Schrankenbestimmungen umfassend gegeneinander abzuwägen. Neben dem Ziel, eine in ihren Grundzügen einheitliche, am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientierte Betrachtung herbeizuführen, soll die Formulierung des Vorschlags Probleme ausräumen, die sich bei der Anwendung des Drei-Stufen-Tests in seiner derzeitigen Form offenbart haben [2, 3]. An die Stelle der jetzigen Fassungen des Drei-Stufen-Tests treten gebietsspezifische Regelungen, die für die jeweiligen Rechte die Aufnahme konkreter Schranken verbindlich festschreiben. Als weitere Besonderheit ist hervorzuheben, dass die Vorschläge eine verbindliche Kontrolle der Ausübung und Wirkungen von Schutzrechten unter dem Aspekt der Wettbewerbsfreiheit vorschreiben.

Maximalregeln als neues Konzept im internationalen Immaterialgüterrecht

Mit den beiden zuletzt genannten Elementen – der Vorgabe verbindlicher Schrankenbestimmungen sowie zwingender wettbewerbsrechtlicher Kontrolle – wird ein Bereich betreten, der im internationalen Recht des geistigen Eigentums noch weitgehend Neuland ist. Die immaterialgüterrechtlichen Konventionen beruhen bisher fast ausschließlich auf dem Prinzip des Mindestschutzes; verbindliche Schranken – wie etwa das Zitatrecht in Art. 10 Abs. 1 der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) – sind die große Ausnahme. Aufgrund der eingangs geschilderten Entwicklungen gibt es in jüngerer Zeit verstärkt Überlegungen, Bestimmungen einzuführen, die der Ausdehnung des Schutzes eine international verbindliche Obergrenze setzen. So zählen (verbindliche) Schrankenbestimmungen zu den gegenwärtig vom Ständigen Urheberrechtsausschuss (SCCR, Standing Committee on Copyright and Related Rights) der WIPO (World Intellectual Property Organization) behandelten Themen. Diesem Ausschuss liegt ferner ein konkreter Vorschlag für ein internationales Abkommen vor, das zwingende Regelungen enthält, die den Zugang blinder oder sehbehinderter Personen zu urheberrechtlich geschützten Werken erleichtern soll. Andere Vorschläge befinden sich in der Diskussion, darunter ein relativ weit gehender Text, der (möglichst) freien Zugang zu wissensbasierten Inhalten sicherstellen soll. Im Patentrecht finden sich Vorschläge für zwingende Regelungen im Zusammenhang mit der Patentierung von Erfindungen, die genetische Ressourcen nutzen; angesichts der technologischen Herausforderungen des Klimawandels sind weitere Diskussionen zu erwarten.

Die Einführung von Maximalbestimmungen soll eine weitere Aufwärtsbewegung des Schutzes in den einzelnen Ländern stoppen; zugleich „immunisiert“ sie Handelspartner gegenüber dem Druck, der sonst in bilateralen Verhandlungen ausgeübt werden könnte. Beides erscheint grundsätzlich als plausibel und rechtfertigt es, sich vertieft mit Inhalt und Wirkungsweise solcher Regelungen auseinanderzusetzen. Es besteht jedoch kein Grund, allzu hohe Erwartungen an ihr Funktionieren zu richten. Zu beachten ist etwa der Einwand, dass es verfehlt wäre, wenn der viel kritisierte Ansatz von TRIPS, ohne Rücksicht auf nationale Besonderheiten einheitliche Mindeststandards einzufordern, in derselben Weise bei der Einführung von Maximalstandards fortgeführt würde („One size does not fit all“). Den damit verbundenen Gefahren kann man letztlich nur dadurch begegnen, dass die Flexibilität nationaler Gesetzgebungen weitgehend bewahrt wird und zwingende Bestimmungen nur dort vorgesehen werden, wo sie für das Funktionieren des Systems unerlässlich sind.

Forschungsperspektiven

Dass die im Zusammenhang mit der möglichen Neuorientierung des internationalen Schutzsystems anstehenden Probleme noch keineswegs gelöst sind, liegt auf der Hand; in dieser Richtung bedarf es daher noch weiterer Forschungsanstrengungen. Neben den bereits erfolgten [4, 5] oder geplanten [6] Veröffentlichungen zu diesem Thema wurde im Mai 2009 als weiterer Schritt auf diesem Weg ein Symposium zum Thema „Enough is Enough – Ceilings in International IP Law“ in Zusammenarbeit mit der New York University veranstaltet. Dort kamen auch Mechanismen zur Sprache, die unterhalb der Schwelle verbindlicher Regelungen zu einer gemeinschaftsverträglichen Anwendung internationaler Rechtsnormen des geistigen Eigentums führen können. Ein Beispiel dafür ist die vom Institut in Zusammenarbeit mit dem Queen Mary College der University of London formulierte „Declaration on a Balanced Interpretation of the Three-Step-Test“, die in ihrem Grundanliegen mit den Vorschlägen des IPT-Projekts zur Neuformulierung des Drei-Stufen-Tests weitgehend übereinstimmt [7]. Auch auf dieser Ebene lassen sich weitere Schritte unternehmen; eine entsprechende Initiative zum Patentrecht ist derzeit in Vorbereitung.

Originalveröffentlichungen

M. Levin:
Intellectual Property Rights in Transition: Legal Structures and Concepts in Adaptation to Technological Changes – Towards an IP System for the 21st Century. A Nordic-European Research Programme.
Scandinavian Studies in Law 42, 83–95 (2002).
C. Geiger:
The Three-Step Test – A Threat to a Balanced Copyright Law?
IIC – International Review of Intellectual Property and Competition Law 37, 683–699 (2006).
A. Kur:
Of Oceans, Islands, and Inland Water – How Much Room for Exceptions and Limitations Under the Three-Step Test?
Max Planck Institute for Intellectual Property, Competition & Tax Law Research Paper Series No. 08-04, http://ssrn.com/abstract=1317707.
A. Kur, H. Große Ruse-Khan:
Enough is Enough – The Notion of Binding Ceilings in International Intellectual Property Protection.
Max Planck Institute for Intellectual Property, Competition & Tax Law Research Paper Series No. 09-01, http://ssrn.com/abstract=1326429.
A. Kur:
International Norm-Making in the Field of Intellectual Property – a Shift Towards Maximum Rules?
WIPO Journal, no. 1 (inaugural issue), 27 (2009).
A. Kur, M. Levin (Eds.):
Intellectual Property in a Fair Trade World.
Edward Elgar Publishers 2010.
R. Hilty, Ch. Geiger, J. Griffiths:
Declaration. A Balanced Interpretation of the “Three-Step Test” in Copyright Law.
ami – Tijdschrift voor auteurs-, media- & informatierecht 1, 8–11 (2009).
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