Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation

Göttinger Hochdruck-Turbulenz-Anlage

Autoren
Bodenschatz, Eberhard
Abteilungen

Hydrodynamik, Strukturbildung und Nanobiokomplexität (Prof. Dr. Eberhard Bodenschatz)
MPI für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen

Zusammenfassung
Fortschritte in ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen, wie denen der Energieerzeugung, des Klimawandels und der Umweltverschmutzung, werden durch ein fehlendes Verständnis turbulenter Strömungen behindert. Turbulenz tritt auf, wenn die Reibungskräfte in einer Strömung klein gegenüber den treibenden Kräften sind. In der Praxis gilt dies für alle makroskopischen natürlichen und technologischen Strömungen. Um die universellen Eigenschaften der Turbulenz zu untersuchen, ist es essentiell, höchste Turbulenzgrade im Labor unter kontrollierten Bedingungen zu erzeugen, was erstmals in der Göttinger Turbulenzanlage ermöglicht wird.

Was ist Turbulenz?

Die Turbulenz in einem Fluid – sei es ein Gas oder eine Flüssigkeit – ist ein sehr komplexes Phänomen. Bewegungsenergie wird auf großen Skalen in das Fluid eingebracht und dann auf kleinsten Skalen durch Reibung in Wärme umgewandelt. Dies ist schematisch in Abbildung 1 dargestellt. Man spricht von einer Kaskade, bei der ein großer Wirbel in kleinere aufbricht und dabei seine Bewegungsenergie an die kleineren Wirbel abgibt. Dieser Prozess wiederholt sich, bis die Wirbel so klein sind, dass die Viskosität des Fluids diese „aufreibt“ und dabei die Bewegungsenergie in Wärme umgewandelt wird. Vereinfacht gesagt kommt es also zu einer Skalenseparation: Bis zu einer kleinsten Längen- bzw. Zeitskala ist die Kaskade durch den Energietransfer ε von großen nach kleinen Skalen bestimmt, also die Energie pro Sekunde und Kilogramm. Nachdem große Wirbel kontinuierlich durch den Antrieb generiert werden und alle Wirbel nichtlinear miteinander wechselwirken, entsteht so eine Strömung mit sehr großen Fluktuationen. Dies bedeutet, dass die Geschwindigkeit sehr stark schwanken kann. In einem mit Wasser gefüllten 100-Liter-Fass etwa, dessen Inhalt bei einer Motorleistung von 1 kW mit Propellern umgerührt wird, können die Beschleunigungen der Wasserteilchen bis zu 2.000-mal so groß sein wie die Erdbeschleunigung [1]. Dies trifft natürlich auch auf Teilchen zu, die sich in der Flüssigkeit befinden, wie zum Beispiel ein Wasserfloh im Fass, eine Mücke im Wind [1], Plankton im Ozean, ein Wassertröpfchen in einer Wolke oder ein Treibstofftropfen im Zylinder eines Verbrennungsmotors. Es ist eine der Herausforderungen der Turbulenzforschung, diese statistischen Fluktuationen und deren Auswirkungen zu verstehen. Eines der wichtigsten, noch ungelösten Probleme dabei ist etwa das der Zweiteilchendispersion. Hier stellt sich die Frage, wie sich zwei Flüssigkeitsteilchen, die sich anfangs nahe beieinander befanden, im Mittel in einer turbulenten Strömung auseinander bewegen. Zum Verständnis der Mischungseigenschaften der Turbulenz ist dies essentiell [2].

Je größer die Stärke der Turbulenz (also je größer die Reynoldszahl), desto ausgedehnter ist die Kaskade und damit die Skalenseparation. Ist die Stärke der Turbulenz groß genug, erwartet man, dass die statistischen Eigenschaften der Turbulenz universell werden, also unabhängig davon, wie die Turbulenz erzeugt wurde. Es gibt also streng genommen nur eine Turbulenz. Wenn beispielsweise ein Flugzeug von der Turbulenz herumgeschüttelt wird, dann sind dafür die Geschwindigkeitsschwankungen der turbulenten Strömung und nicht die „Turbulenzen“ verantwortlich. Auf der Erde können räumliche und zeitliche Skalenbereiche der Turbulenz sehr groß sein. Die stärkste Turbulenz findet man in der Atmosphäre und in den Ozeanen. In einer Wolke ist der größte Wirbel ca. 100 m und der kleinste 1 mm groß. Die typischen Zeitskalen, auf denen sich die Strömung ändert, sind 100 bis 0,1 Sekunden. Auf anderen Planeten und auch auf Sternen, wie der Sonne, können die Turbulenzen deutlich stärker sein. Natürliche Strömungen haben also sehr hohe Turbulenzstärken und lassen sich zudem nur schwer experimentell untersuchen. Deshalb ist es eine große Herausforderung an die Wissenschaft, diese hohen Turbulenzgrade im Labor zu verwirklichen.

Ein großes Rätsel der Klassischen Physik

Seit mehr als 150 Jahren arbeiten Strömungsforscher, Ingenieure, Mathematiker und Physiker daran, die Turbulenz, wie sie in der Natur und in technologischen Anwendungen auftritt, zu verstehen. Bahnbrechende Ansätze (allen voran Prandtl, aber auch von Kármán, Kolmogorov, Onsager, von Weizsäcker, Heisenberg, Obukhov, Yaglom, Taylor, Batchelor, Kraichnan und andere) haben die Bewegungen der strömenden Flüssigkeit in drei Skalenbereiche eingeteilt (Abb. 1). Die Forscher vermuteten, dass die Nichtlinearitäten der Hydrodynamik dazu tendieren, den Fluss mit kleiner werdenden Skalen zu isotropisieren. Dies unterstützte die idealisierte Annahme der universellen, statistisch homogenen und isotropen Turbulenz, auf der die beeindruckenden theoretischen Durchbrüche der vergangenen 70 Jahre beruhen. Dieser sehr vereinfachende Zugang leidet jedoch daran, dass er nicht die wahre Physik der Turbulenz berücksichtigt. Diese beinhaltet Scherungen, Unterschiede in den Mechanismen, die die Turbulenz generieren und weitere Vorgänge, die Anisotropie und Inhomogenität verursachen. Die Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre zeigen, dass der Ansatz der Skalenseparation möglicherweise nicht ausreichend ist, um die relevanten Eigenschaften realer Turbulenz zu verstehen. In der Tat bewirkt die Nichtlokalität des Druckterms in den Strömungsgleichungen, dass prinzipiell die Eigenschaft der Strömung im Ganzen betrachtet werden muss. In den vergangenen fünf Jahren wurde dies zu einer zentralen Fragestellung in der Turbulenzforschung. Das Verständnis der Kopplung größter und kleinster Skalen und der exakten Rolle der starken Fluktuationen ist damit eine der großen Herausforderungen der Turbulenzforschung.

Numerische Modelle zur Simulation praktischer Anwendungen sind heute weit fortgeschritten. Jedoch war es dabei notwendig, die kleinsten Skalen der Turbulenz zu modellieren. Bis heute können diese Modelle viele wichtige, experimentell gefundene Eigenschaften der Turbulenz nicht reproduzieren. Ein großer Fortschritt wurde auch auf dem Gebiet der Direct Numerical Simulation (DNS) der Navier-Stokes-Gleichung erzielt. Die volle Komplexität wirklichkeitsnaher turbulenter Strömungen mit komplexen Randbedingungen macht jedoch eine DNS bis auf weiteres nicht möglich. Noch komplizierter ist die Situation, wenn man Turbulenz in mehrkomponentigen Fluiden mit Phasenübergängen oder Reaktionen (wie in einer Wolke oder bei der Verbrennung) betrachtet. Deshalb bleiben Experimente weiterhin das wichtigste Handwerkszeug des Turbulenzforschers.

Warum ist Turbulenz wichtig?

Das Phänomen Turbulenz ist überall auf der Welt allgegenwärtig. Aus Platzgründen wird hier auf eine umfassende Abhandlung verzichtet. Stattdessen werden einige Beispiele aus unserem täglichen Leben genannt.

1. Umwelt

Atmosphärische und ozeanische Strömungen weisen sehr starke Turbulenz mit Reynoldszahlen bis 1010 auf. Turbulenz ist zudem entscheidend für die Ausbreitung von Schadstoffen, Aerosolen und Biowirkstoffen in der Biosphäre. Unser derzeitiges Verständnis dieser Vorgänge ist sehr beschränkt. So lässt sich etwa nicht quantitativ vorhersagen, wie sich eine Schadstoffwolke in Abhängigkeit von ihrer anfänglichen Größe und der Turbulenzstärke ausbreitet. Unklar ist auch, wie die Turbulenz die Dynamik von Teilchen in Abhängigkeit von Teilchendichte, Größe und Konzentration beeinflusst und wie die Teilchen bei hoher Dichte auf die Turbulenz zurückwirken. Dies hat direkte Auswirkungen auf das Albedo von marinen Stratocumulus-Wolken, die eine entscheidende Rolle sowohl bei der Vorhersage des Klimas als auch bei der Wettervorhersage spielen. Dabei ist es insbesondere wichtig, konvektive Strömungen zu verstehen, die durch Dichteänderungen (Temperatur, Kondensation, Verdampfen) getrieben werden.

2. Energie

Für eine energieeffiziente Verbrennung ist es erforderlich, dass sich die Brennstoffe und die Verbrennungsgase turbulent durchmischen. Neue stochastische Modelle des turbulenten Transports werden benötigt, um bessere, hocheffiziente und saubere Verbrennungstechnologien zu entwickeln. Die Grundlage hierfür können Teilchenverfolgungsexperimente bei hohen Turbulenzstärken sein.

Turbulente Strömungen bestimmen auch den Energieübertrag bei Wärmetauschern. Die Entwicklung besserer Methoden hängt von einem quantitativen Verständnis konvektiver Strömungen bei hohen Rayleigh’schen Zahlen und der turbulenten Grenzschicht ab.

Bei der Nutzung der Windkraft gewinnt man die Energie mithilfe gigantischer Propeller. Bei hohen Windgeschwindigkeiten ist der Wind hochturbulent und seine Geschwindigkeit variiert erheblich. Mit jetziger Technologie ist es nicht möglich, die turbulenten Fluktuationen im Design effizient zu berücksichtigen. Ein besseres Verständnis von turbulenten Strömungen und ihrer Wechselwirkung mit Windanlagen würde die Technologie vorantreiben.

Göttinger Hochdruck-Turbulenz-Anlage

Die Erforschung von fundamentalen Gesetzmäßigkeiten der Turbulenz erfordert Strömungen mit hohen Reynoldszahlen unter reproduzierbaren Bedingungen. Die verwendete Messtechnik muss dabei in der Lage sein, die größten und kleinsten Skalen sowohl zeitlich als auch räumlich zu erfassen. Eine Möglichkeit, hohe Reynoldszahlen zu erreichen, besteht in der Verwendung von Heliumgas bei tiefsten Temperaturen. Für Experimente werden dann Heliumkühlanlagen benötigt, wie sie zum Beispiel am CERN beim Large Hadron Collider (LHC) im Einsatz sind. Damit lassen sich sehr große Reynoldszahlen erreichen. Für die Messtechnik benötigt man in diesem Fall wegen der tiefen Temperaturen allerdings neue Ansätze.

Eine zweite Möglichkeit, hohe Reynoldszahlen unter Laborbedingungen zu erzeugen, bietet die Kompression eines Gases. Dabei wird die kinematische Viskosität erniedrigt und somit die Reynoldszahl erhöht. Wählt man zudem ein schweres Niederdruckgas, wie Schwefelhexaflourid (SF6), dann erreicht man bereits bei moderatem Druck und bei Raumtemperatur sehr hohe Reynoldszahlen. Um gleichzeitig messbare Dissipationsskalen (kleinste Skalen) zu verwirklichen, sind Turbulenzapparaturen mit einem Durchmesser von einigen Metern erforderlich. Dies wurde in Göttingen am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) erstmalig in einer Großanlage realisiert. Dazu wurde eine neue Experimentierhalle errichtet (Abb. 2A), die neben zahlreichen Laboren den 18 m langen und 6 m hohen Turbulenzwindkanal und einen 5 m langen und 2,5 m hohen Druckzylinder mit 1,5 m hohem Dom (U-Boot) beherbergt. Diese sind schematisch in Abbildung 2 gezeigt. Zur Anlage gehört auch eine Gasverflüssigungs- und Handhabungsstation mit einem Tanklager, das 13 t SF6 aufnimmt.

Das Hauptanliegen der beiden Druckgeräte ist die Erforschung turbulenter Strömungen bei sehr hohen Reynoldszahlen und turbulenter Konvektion bei sehr hohen Rayleighzahlen. Ein erster Schwerpunkt bildet die Untersuchung von Lagrangeschen Statistiken turbulenter Strömungen. Es ist vorgesehen, die Strömung mit passiven oder Inertialteilchen zu versehen und sowohl einzelne Trajektorien als auch die Interaktion mehrerer Teilchen zeitlich und räumlich hochaufgelöst zu verfolgen. Weiterhin erlaubt die Anlage eine Vielzahl anderer Experimente. Außer für Wissenschaftler des MPIDS besteht auch für externe Wissenschaftler die Möglichkeit, die Anlage im Rahmen einer Kollaboration für die Untersuchungen von Turbulenzphänomenen bei hohen Reynolds- und Rayleighzahlen zu nutzen.

Der Windkanal (Abb. 3) mit seinen zwei langen, geraden Messstrecken dient unter anderem der Verfolgung von Teilchenbahnen in der turbulenten Strömung hinter aktiven Gittern. Es handelt sich um eine geschlossene, aufrecht stehende Röhre. Die geraden Abschnitte haben einen Durchmesser von 1,8 m und bilden die beiden Messstrecken von 6,8 m bzw. 7,8 m Länge und einem Querschnitt von 2 m2. Die mechanische Antriebsleistung beträgt 210 kW. Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit ist kontinuierlich einstellbar zwischen 0,5 m/s und 5 m/s (SF6, 15 bar). Wird ein aktives Gitter verwendet, lassen sich im Kanal unter kontrollierten Bedingungen ähnliche Reynoldszahlen erreichen wie bei der atmosphärischen Turbulenz. Die Reynoldszahlen sind also vergleichbar mit den größten, die auf der Erde vorkommen. Die kostengünstige Benutzung der Anlage ist dadurch gewährleistet, dass alle Messgeräte innerhalb der Apparatur zum Einsatz kommen. Für die Experimente stehen Hitzdraht-, Laser-Doppler- und 3D-Particle-Tracking-Messsysteme zur Verfügung. Letztere sind auf einem Schlitten montiert, der sich mit der mittleren Strömungsgeschwindigkeit bewegt. Der Antrieb des Schlittens erfolgt durch magnetisch gekoppelte Linearmotoren auf besonders steifen optischen Bänken.

Der Druckzylinder (U-Boot) dient der Erforschung von Mischprozessen und turbulenten thermischen Konvektionsströmungen. Er besteht aus einer 5,3 m langen, horizontalen Röhre mit einem Durchmesser von 2,5 m und einem aufgesetzten Dom mit einer Höhe von 1,5 m und einem Durchmesser von 1,2 m (Abb. 4). Das U-Boot wird – genau wie der Windkanal – wahlweise mit SF6 oder Luft zwischen 1 mbar und 15 bar befüllt. Mit diesem Aufbau können nicht nur Experimente zur Untersuchung hochentwickelter Turbulenz durchgeführt werden. Auch Rayleighzahlen bis zu 1015 lassen sich bei der thermischen Konvektion erreichen. Erste Experimente im U-Boot haben bereits interessante Ergebnisse geliefert.

Die Göttinger Hochdruck-Turbulenz-Anlage wurde durch großzügige Unterstützung der Max-Planck-Gesellschaft und der Volkswagenstiftung ermöglicht. Dank gilt auch den Mitarbeitern der Abteilung, insbesondere Herrn Dr. H. Nobach, der den Bau der Anlage betreut. Herr Dr. H. Nobach, Herr Dr. H. Xu und Herr Prof. Dr. S. Luther waren zudem bei dem Grunddesign der Anlage behilflich. Größter Dank gilt auch der Bauabteilung der Max-Planck-Gesellschaft (insbesondere Frau D. Wurst , Herrn A. Schmucker und Herrn D. Grömling), dem Architekten Herrn H.J. Schwieger, den Bauplanern, Herrn S. Maier und Frau B. Kasemann für die Koordination. Herr S. Maier hat den Bau der Anlage über 5 Jahre hinweg aufs tatkräftigste und mit bestem Rat unterstützt.

Originalveröffentlichungen

A. La Porta, G.A. Voth, A.M. Crawford, J. Alexander, E. Bodenschatz:
Fluid Particle Accelerations in Fully Developed Turbulence.
Nature 409, 1017-1019 (2001).
M. Bourgoin, N.T. Ouellette, H. Xu, J. Berg, E. Bodenschatz:
The role of Pair Dispersion in Turbulent Flow.
Science 311, 835-838 (2006).
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