Forschungsbericht 2008 - Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut

Piazza e monumento: Ein kunsthistorisches Projekt zur Erforschung der Stadt

Autoren
Jöchner, Cornelia
Abteilungen
Zusammenfassung
Plätze verweigern sich dem dichten baulichen Gefüge der Stadt. Dennoch sind sie nicht leere Fläche, Vakuum oder Gefäß, sondern Räume, die in einer Vielzahl gestalterischer Beziehungen entstehen. Als räumlicher Ausdruck der Stadt wirken Plätze auf diese zurück. Besonders in der westlichen Tradition ist damit auch die Vorstellung vom Platz als einem „öffentlichen Raum“ verbunden, durch den sich politische und gesellschaftliche Handlungen vermitteln. Für die Kunstwissenschaft ergibt sich daraus die Aufgabe, Plätze in ihrer Gestaltetheit wie auch in ihrer Wirkung für die Stadt zu analysieren.

Platz und Stadt: Ein historisches Wechselverhältnis

Eine Projektgruppe am Kunsthistorischen Institut Florenz (Max-Planck-Institut), geleitet von Alessandro Nova und Cornelia Jöchner, untersucht seit März 2007 die Wechselwirkung von Platz und Stadt. Ziel ist eine Raumgeschichte europäischer Plätze, die deren gestalterische Leistung für die Stadt zeigen soll. Den Platz generell als „Mitte der Stadt“ anzunehmen, würde jedoch die vielfältigen Funktionen des Platzes verschleiern. Mit den fürstlichen Platzanlagen zu Beginn der Neuzeit wurde versucht, die Stadt auf den Palast auszurichten, wobei das Herrscherdenkmal eine zentrierende Funktion hatte. Die hier entwickelten Instrumente der Raumzentrierung (Monument) und Raumüberwindung (Axialität) erlaubten es, dass der Platz vor allem im 17. und 18. Jahrhundert höchst unterschiedliche Aufgaben auch abgelöst von einer Palastfassade wahrnahm [1]. Er wurde zur Anschlussstelle für Stadterweiterungen, diente als Übermittlung ins außerstädtische Territorium, war Denkmals- oder Erschließungsplatz. Die Platzanlage kann also nicht als feststehende Größe gelten, sie ist vor allem den Veränderungen unterworfen, die kennzeichnend sind für den Soziotop Stadt.

Geplante und ungeplante Kontexte

Das stellt auch der Kunsthistoriker Wolfgang Lotz fest, wenn er im Max-Planck-Jahrbuch 1968 über italienische Plätze des 16. Jahrhunderts schreibt [2]: „Die Form der Plätze unserer alten Städte, mag sie bereits bei der Stadtgründung festgelegt oder durch den Abbruch vorhandener Bauten entstanden sein, unterliegt nicht weniger dem Wandel der Zeit als die der den Platz umstehenden Gebäude.“ Was Lotz ansprach, war die Veränderlichkeit des Platzes als „Werk“: nur selten nach einem festen concetto oder Plan errichtet, kennzeichnen ihn Überformung, Anstückung, Nachjustierung, bricolage. Die prozessuale Struktur des Platzes ist der Forschung vertraut, doch wird sie selten als methodische Anforderung verstanden. Das hängt mit der Geschichte der Kunstgeschichte zusammen, die wie viele wissenschaftliche Disziplinen durch Vereinzelung und Isolierung ihrer Forschungsgegenstände entstand. Auch der Platz wurde häufig nicht als integrative Gestalt verstanden, sondern zunehmend in Einzelbestandteile wie Reiterdenkmal, Architektur oder Brunnen etc. aufgegliedert. Die Platzanlage als räumliche Ausstrahlung dieser Objekte verschwand unter dieser Prämisse oft gänzlich [3]: „Wenn wir in der Kunstgeschichte von Ortsbindung des Kunstwerks, von Ensembles sprechen, denken wir meist an Komplexe ‚aus einem Guss‘, an integrale und intentionale Kontexte. Das ist der Ideal-, aber nicht der Regelfall, vielleicht nicht einmal der interessantere.“

Umso wichtiger sind jene zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Studien, die die Kategorie des Raumes als eine Voraussetzung für die Erforschung des Platzes verstehen [4]. Eine Auseinandersetzung mit den hier entstandenen Ressourcen, wie sie das Florentiner Projekt betreibt, schließt nicht nur die Stadt als politischen und sozialen Raum ein. Sie berücksichtigt auch, dass die Gestalt des Platzes oft das Resultat eines langwierigen Umgangs mit räumlichen Grundkonstellationen ist (longue durée).

Zwischen Grenze und Zentrum: Piazza del Popolo, Rom

Oft sind Plätze komplexe Systeme, die sowohl Kontinuität als auch abrupte Veränderung zeigen. Die Erforschung dieser Prozesse [5] gibt Einblick in die komplizierte Funktionsweise der Stadt. Raumgrenzen für soziale Einheiten wirken dabei lange nach, wie das Beispiel der Piazza del Popolo (Rom) schlaglichtartig belegt [6]. Die heutige Gestalt der Piazza geht auf den italienischen Architekten Giuseppe Valadier zurück (1816–1824). Durch eine Querachse, deren beiden Pole je ein gestrecktes Oval bilden, erhielt der Platz ein neues räumliches Gefüge (Abb. 1). Dieses verlieh dem Eingang in die Stadt die Funktionen des Aufenthaltes, der Erholung (Abb. 2, 4). Das Stadttor Porta del Popolo hatte Rom über Jahrhunderte an die wichtigste Fernstraße von Norden (Via Flaminia) angebunden. Stadtmauer und Tor waren Elemente der Grenze, über die der Soziologe Georg Simmel sagt, dass sie bezüglich sozialer Einheiten eine ähnliche Funktion hat wie der Bilderrahmen: zu verkünden, dass sich innerhalb dessen Normen eine ihm eigene Welt befindet, die in die übrige nicht einbezogen ist.

Neben der konstanten Größe der Mauer war es die Verbindung in die Innenstadt, welche die Entwicklung des Platzes prägte. Zunehmender Personen- und Warenverkehr, vor allem Pilger, machten aus dem „campus“ [7] innerhalb der halb zerfallenen antiken Stadtmauer im 16. Jahrhundert einen Verkehrsknotenpunkt. Der Dreistrahl an Straßen (tridente), 1534 angelegt, schuf eine zweite Erschließung zusätzlich zu jener vom Vatikan her. Auf der freien Fläche zwischen Porta del Popolo und Stadt wurde 1589 ein Obelisk errichtet. Dieser gehörte zu einer Art „Verkehrsleitsystem“, das Papst Sixtus V. errichtete. Vor den sieben Hauptkirchen Roms ließ er Obelisken aufstellen, verknüpft durch Fahrstraßen, sodass Sichtachsen über weite Strecken hinweg entstanden. Waren die Obelisken vor den Kirchen jeweils an eine Fassade gebunden, bildete der Obelisk hinter der Piazza del Popolo ein freistehendes Monument, das die Pilger begrüßte und verabschiedete. Er wirkte als Blickpunkt (point de vue) für den Dreistrahl, der von hier in die unterschiedlichen Teile der Stadt oder zum Ausgang führte. Ging es bei diesen urbanistischen Maßnahmen um Zentrierung und Raumüberwindung, betonte das 17. Jahrhundert die Übergänge: Die Innenseite des Tores wurde von Bernini mit Sprenggiebel und Aufsatz sowie dem Chigi-Wappen Papst Alexander VII. versehen, am Eingang zu beiden Seiten des Corso baute Carlo Rainaldi die Zwillingskirchen S. Maria di Montesanto und S. Maria dei Miracoli (1662–1679), mit denen eine Art zweites Tor entstand (Abb. 3).

Valadier zerstörte die alten Momente der Raumtrennung (Mauer) und Raumüberwindung (Straße) nicht. Er legte ein Netz neuer Beziehungen darüber, das die bisher ungestalteten Platzseiten einbezog: Zwei seitliche Exedren (nischenartige Flächen) setzten der barocken Tiefenachse des Platzes ein retardierendes Moment entgegen. Entscheidend war jedoch die Verbindung der weiten, durch Architekturen verpflockten Anlage: gekoppelt mit dem Aufstieg zum Hügel des Pincio, wurde dieser gleichzeitig zur Aussichtsplattform in Richtung St. Peter umgestaltet (Abb. 4). Was sich nun in der Piazza del Popolo zeigt, ist das moderne, bürgerliche Rom des Embellissement, einer verschönerten Stadt. Durchgesetzt hatte dies die napoleonische Besetzung, so wie plötzliche Veränderung in Rom immer politisch motiviert ist und punktuell bleibt. Eingebunden waren jedoch auch hier die antike und die christliche Stadt.

Originalveröffentlichungen

K. Bek:
Achse und Monument. Zur Semantik von Sicht- und Blickbeziehungen in fürstlichen Platzkonzeptionen der Frühen Neuzeit.
Marburger Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte, Band 8. Weimar 2005.
W. Lotz:
Italienische Plätze des 16. Jahrhunderts.
In: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. (Hg.) Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. MPG: München 1968, 41–61.
W. Kemp:
Kontexte. Für eine Kunstgeschichte der Komplexität.
Texte zur Kunst 2(97), 89–101(1991).
C. Jöchner:
Plätze als städtische Räume. Die kunsthistorische Forschungsliteratur.
Art-Dok. Publikationsplattform Kunstgeschichte. URN: urn:nbn:de:bsz:16-artdok-4090; URL: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2008/409
J. Schmidt:
Städtebau und evolutiver Struktur- und Gestaltwandel. Überlegungen zur Modellierung von Veränderungsprozessen in der gebauten Umwelt.
Europäische Hochschulschriften, Reihe 37: Architektur, 7. Frankfurt a.M. 1990.
C. Jöchner:
Die Weite am Rande der Stadt. Zwei Platzanlagen Rom und Turin.
In: Bilder, Räume, Betrachter. Festschrift für Wolfgang Kemp. (Hg.) S. Bogen, W. Brassat und D. Ganz. Berlin 2006, 272–287.
C. Thoenes:
Römische Plätze: Planung und Nicht-Planung.
In: Opus incertum. Italienische Studien aus drei Jahrzehnten. C. Thoenes. Eingeführt von A. Beyer, H. Bredekamp und P. Cornelius Claussen. München 2002, 343–379 (366).
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