Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Wenn Licht das Dunkel bringt – Wie das Gen stardust bei der Taufliege die Ausbildung ihrer Sehzellen steuert und eine lichtinduzierte Degeneration verhindert

When light brings the dark: The Genetic Complexity of Drosophila stardust During Photoreceptor Morphogenesis and Prevention of Light-Induced Degeneration

Autoren
Knust, Elisabeth
Abteilungen

Knust: Die Rolle des Crumbs-Proteinkomplexes für die Polarität von Epithelzellen und die Verhinderung von lichtinduzierter Retinadegeneration in der Taufliege (Prof. Dr. Elisabeth Knust)
MPI für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden

Zusammenfassung
Im sich entwickelnden Embryo der Taufliege Drosophila melanogaster bildet das Protein Stardust gemeinsam mit Crumbs und DPATJ einen Protein-Komplex, der für die Ausbildung der polaren Struktur von Epithelzellen im Fliegenembryo notwendig ist. Sind die Proteine Crumbs, Stardust oder DPATJ defekt, so behindert dies auch die fehlerfreie Ausbildung der Photorezeptoren, der Sehzellen im Fliegenauge, und führt zu einer Degeneration der Netzhaut, welche durch Licht ausgelöst wird – die Fliegen erblinden. Die Arbeitsgruppe von Elisabeth Knust hat gezeigt, dass Stardust ein hochkomplexer Genlocus ist, der die Information für mehrere Proteine kodiert und somit auch in seiner Auswirkung sehr facettenreich ist: manche dieser Proteine werden nur im Embryo, andere nur im Auge gebildet, was den Schluss nahe legt, dass die von Stardust organisierten Proteinverbände in ihrer Zusammensetzung sehr dynamisch sein können. Darüber hinaus haben diese Ergebnisse noch weiterreichende Bedeutung: Alle Proteine des Komplexes gibt es auch im Menschen und sie werden dort ebenfalls in den Lichtsinneszellen gebildet. Der Verlust von CRB1, einem menschlichen Verwandten des Drosophila crumbs-Gens, führt bei Betroffenen zur vollständigen Erblindung im Alter von etwa 20 Jahren.
Summary
In the developing embryo of the fruitfly Drosophila melanogaster the protein Stardust forms a complex with the proteins Crumbs and DPATJ, which is required to maintain epithelial polarity and integrity. In addition, mutations in these genes impair morphogenesis of photoreceptor cells and result in light-dependent retinal degeneration – the flies get blind. The group of Elisabeth Knust has shown that the gene stardust is a genetically complex locus, which encodes several proteins, which may exert different functions. Some of these proteins are only expressed in the embryo, while others can be found only in the eye. These results suggest that Stardust-based protein scaffolds are dynamic, which is not only mediated by multiple interaction partners, but in addition by various forms of the Stardust protein itself. These results have further implications. All proteins of the complex are conserved in human and are expressed in the photoreceptor cells. Loss of CRB1, the homologue of the Drosophila crumbs gene, results in blindness of the affected people.

Damit ein Organismus im Laufe seiner Entwicklung Gewebe und Organe fehlerfrei bilden kann, müssen Zellen in Verbänden nicht nur Informationen über ihre Position im Gewebe haben, sondern sie müssen auch wissen, wo Oben und Unten oder Innen und Außen ist. Dies gilt besonders für Epithelzellen, die Abschlussgewebe bilden, also den Organismus nach außen hin abgrenzen. Sie sind deutlich polarisiert, haben also eine nach außen gewandte, apikale Seite (beispielsweise im Darm dem Lumen zugewandt) und eine basale Seite, die mit dem darunterliegenden Gewebe in Kontakt steht. Diese Polarität ist die essentielle Vorbedingung für das reibungslose Funktionieren von Epithelzellen: Nach außen müssen sie den Organismus vor einem aggressiven, teils gefährlichen Milieu abschirmen, nach innen in Richtung Organismus aber dennoch durchlässig für Informationen und Nähr- oder Signalstoffe sein. Entsprechend dieser unterschiedlichen Aufgaben ist auch die Plasmamembran von Epithelzellen in eine apikale, nach außen gewandte und eine basale Domäne unterteilt.

Wie diese Polarität ausgebildet und aufrechterhalten wird, ist nur zum Teil bekannt. Die apikal-basale Ausrichtung wird durch die Verteilung mehrerer, der Membran angelagerter Protein-Komplexe festgelegt. Allen Epithelzellen ist die so genannte zonula adherens (ZA) gemeinsam, eine gürtelförmig die Zelle umfassende Haftzone, die benachbarte Zellen zusammenhält. Diese Zone beherbergt das Adhäsions- oder Klebeprotein E-Cadherin. Dessen Funktionieren und fehlerfreie Organisation ist grundlegende Vorbedingung für Zellpolarität, Zelladhäsion (also Verbindungskontakte zwischen Zellen) sowie für die richtige Zellform. Damit spielt E-Cadherin eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Epithelien und bei der Morphogenese, der Ausbildung bestimmter Strukturen und Formen eines Organismus während seiner Entwicklung.

Im sich entwickelnden Embryo der Taufliege Drosophila melanogaster arbeiten drei Protein-Komplexe mit komplizierten Namen eng zusammen, um die zonula adherens herzustellen und dann auch aufrechtzuerhalten: Proteine des Komplexes „Bazooka (Baz)/DPar-6/atypical protein kinase C (DaPKC)“ spielen eine wichtige Rolle dabei, Polarität zu initiieren. Der „Crumbs (Crb)/Stardust (Sdt)/PALS-1-associated TJ protein (DPATJ)“-Komplex hält die ZA und die Epithelstruktur des Gewebes aufrecht, indem er gegen die Aktivität eines anderen Komplexes arbeitet, nämlich „Discs-large (Dlg)/Lethal giant larvae (Lgl)/Scribble (Scrib)“. Wenn in einem Fliegenembryo einzelne Bestandteile dieser hochkomplexen Protein-Verbünde fehlen, dann geht die polare Struktur der betroffenen Zellen verloren und die meisten Epithelgewebe werden zerstört, was letztendlich zu einem weit ausgedehnten Absterben von Zellen führt.

Neueste Untersuchungen haben nun gezeigt, dass einige der Proteine, die die polare Struktur von Epithelzellen im Fliegenembryo initiieren und steuern, auch eine Rolle bei der Entwicklung ihrer Sehzellen (Lichtsinneszellen) spielen. Diese Lichtsinneszellen, auch Photorezeptoren genannt, besitzen ebenfalls eine polare Struktur und entwickeln sich aus Epithelzellen der so genannten Augen-Imaginalscheibe, der Vorstufe des späteren Auges (Abb. 1). Dabei durchlaufen diese Zellen einen komplizierten morphogenetischen Prozess: Die apikale Seite der Zelle nimmt eine seitliche Lage ein und wird in zwei Bereiche aufgeteilt: in einen Stiel, der apikal zur ZA liegt, sowie in einen Mikrovillisaum, auch Rhabdomer genannt, welches das lichtempfindliche Sehpigment Rhodopsin beherbergt – wegen seiner roten Farbe auch Sehpurpur genannt. Die Ausbildung dieser Rhabdomere geht mit einer starken Verlängerung der Zelle einher. Fliegenaugen, denen das Protein Crumbs, DPATJ oder Stardust fehlt, zeigen deutliche Fehlentwicklungen: die Gestalt der Photorezeptoren ist fehlerhaft, die Rhabdomere werden nicht richtig ausgebildet und die Stielmembranen sind verkürzt. Weder Crumbs, Stardust, noch DPATJ werden aber für die Aufrechterhaltung der apikal-basalen Polarität von Sehzellen benötigt. Diese Funktion erfüllt das Protein Bazooka. Zusätzlich ist zu beobachten, dass das Fehlen von Crumbs oder DPATJ im Auge der Taufliege Drosophila zu einer fortschreitenden Degeneration der Photorezeptoren führt, die durch Licht induziert wird. Die Arbeiten der Gruppe von Elisabeth Knust haben nun erstmals gezeigt, dass auch Mutationen von Stardust eine Degeneration der Retina zur Folgen haben können. Die Ergebnisse stufen Stardust als ein hochkomplexes Gen ein, dessen Mutationen je nach Ausprägung entweder die Zellpolarität von Epithelzellen im Fliegenembryo beeinflussen, die Ausbildung der Photorezeptoren stören oder das Licht-induzierte Absterben der Netzhaut hervorrufen.

Diese Entdeckungen legen den Schluss nahe, dass der Verband aus den Proteinen Crumbs, Stardust und DPATJ in seiner Zusammenstellung je nach Entwicklungsstand der Fliege unterschiedlich ist, zumindest, was Stardust angeht: Dieses Protein tritt in mehreren Protein-Isoformen auf, zeigt sich also in unterschiedlichen Versionen. Die Daten machen auch deutlich, dass bei einem kompletten Ausbleiben der Expression des Stardust-Proteins ein vollkommener Funktionsverlust der Photorezeptoren stattfindet, was sich in morphogenetischen Defekten und einer durch Licht ausgelösten Degeneration der Retina auswirkt (Abb. 2).

Das Vorhandensein solcher Protein-Isoformen als Ergebnis von gewebespezifischen Spleißvarianten ist für Proteine der MAGUK-Familie, zu der auch Stardust gehört, nicht unüblich. Es ist gerade diese Charaktereigenschaft in Verbindung mit ihren vielfachen Domänen für Proteininteraktionen, die die MAGUK-Proteine befähigt, die Zusammensetzung von membranassoziierten Protein-Verbänden zu modulieren.

Die Ergebnisse der Forscher um Elisabeth Knust [1] stellen eine gute Basis dar, um die Funktion des Crumbs/Stardust-Proteinverbunds in verschiedensten Zellarten weiter zu erforschen, speziell in den Sehzellen. In der Maus bzw. dem Menschen sind alle Proteine des Komplexes ebenfalls vorhanden. Das Stardust-Ortholog Pals1/Mpp5 ist gemeinsam mit CRB1/CRB2/CRB3 an der äußersten Grenz-Membran (outer limiting membrane) von Photorezeptoren zu finden. Beim Menschen führen Mutationen in CRB1 zur Auflösung der Netzhaut: Sie leiden an Retinitis pigmentosa 12 (RP12), einer Krankheit, die zur Erblindung im Alter von etwa 20 Jahren führt. Die Konservierung dieser Proteinkomplexe durch die Evolution hinweg lässt vermuten, dass sie eine für das Überleben der Lichtsinneszellen wichtige Funktion ausüben. Es ist zu erwarten, dass weitere Einsichten in die Funktion von Stardust in der Taufliege auch zu neuen Erkenntnissen über die Rolle dieser Proteinverbände im Zusammenhang mit Epithel- und Sehzellen in anderen Säugetieren, den Menschen eingeschlossen, führen.

Originalveröffentlichungen

S. Berger, N. Bulgakova, F. Grawe, K. Johnson, E. Knust:
Unraveling the Genetic Complexity of Drosophila stardust During Photoreceptor Morphogenesis and Prevention of Light-Induced Degeneration.
Genetics 176 (4), 2189-2200 (2007).
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