Forschungsbericht 2005 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Steuersystem und Unternehmenskontrolle

Taxation and corporate governance

Autoren
Mayer, Stefan; Friese, Arne; Link, Simon
Abteilungen

Rechnungslegung und Steuern (Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Steuersystem und Corporate Governance sind zwei Bereiche unserer Rechtsordnung, die in vielfältiger Weise interagieren. Aus der Vergangenheit liegen zu diesen Wechselwirkungen in der internationalen Diskussion noch keine systematischen Analysen vor. Auch sind erhebliche Verschiebungen in der Diskussion zu beobachten. Während früher die Frage im Mittelpunkt stand, wie sich die Steuern auf die Unternehmensleitung auswirken, geht es heute vornehmlich um Auswirkungen, welche die Änderungen in der Praxis der Unternehmensleitung im Gefolge spektakulärer Unternehmenszusammenbrüche auf die steuerliche Rechtslage haben.
Summary
Taxation and corporate governance interact in various ways. Until now, no systematic analysis of these interactions has been carried out. Insofar as authors have dealt with separate aspects, the focus is now less on the question how tax law influences corporate governance, and more on effects changes in the practice of corporate governance in the wake of spectacular corporate breakdowns have on taxation.

Steuern und Unternehmenskontrolle: Die Interaktion zwischen zwei grundlegend verschiedenen Systemen

Unternehmenskontrolle oder Corporate Governance befasst sich, in einer weiten Definition, mit „de[m] rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens“ [1].Wichtigster Aspekt ist hierbei, dass in Kapitalgesellschaften die Trennung von Eigentumsrechten an den Unternehmen und direkter Einflussnahme auf das Unternehmen zu Interessenkonflikten führen kann. Insbesondere in börsennotierten Aktiengesellschaften ist dies der Fall, weil die Geschäftsführer hier nicht nur im Interesse der Anteilseigner handeln. Obwohl schon Adam Smith im Jahr 1776 diesen Konflikt beschrieb [2], wurden die wichtigsten theoretischen Grundlagen der heutigen Corporate-Governance-Diskussion erst 1932 von Berle und Means gelegt [3]. Seine heutige Bedeutung hat der Begriff erst in den Jahren zwischen 1970 und 1990 erlangt. Inzwischen gehört die Corporate Governance zu den zentralen Forschungsfeldern für Unternehmensjuristen und Ökonomen.

Dennoch gibt es bis heute keine Arbeit, die umfassend die Wechselwirkungen zwischen Corporate Governance und dem Steuersystem analysiert. Es wurden vielmehr verschiedene Einzelaspekte dieser gegenseitigen Einflüsse dargestellt. Grundsätzlich können diese Wirkungen in zwei Richtungen stattfinden: Einerseits kann das Steuerrecht sowohl gewollte als auch ungewollte Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie börsennotierte Unternehmen geführt werden und wie das Verhältnis zwischen Anteilseignern und dem Management von Unternehmen gestaltet ist. Andererseits wird auch das Steuersystem durch die Corporate Governance beeinflusst: Sie bestimmt, in welcher Weise und durch welche Personen steuerlich relevante Entscheidungen in Unternehmen getroffen werden und damit auch in welcher Form die Steuerverwaltungen am effektivsten das Verhalten von Unternehmen beeinflussen können.

Ungewollte Einflüsse des Steuersystems auf die Unternehmensleitung

Eine wesentliche allgemeine Folge der Besteuerung von Unternehmen ist, dass sie Anreize für intransparente Unternehmensstrukturen und Berichte schafft. Es wäre im Sinne einer effektiven internen und externen Unternehmenskontrolle, wenn die Tätigkeiten der Unternehmen transparent und in einer Weise strukturiert wären, die sich an ökonomischen Erwägungen orientiert. Tatsächlich werden Unternehmen und Transaktionen wie Umstrukturierungen oder Unternehmensverkäufe jedoch oft in rechtlich sehr komplizierter Form vorgenommen, um die Steuerbelastung möglichst gering zu halten. Beispiele für solche Fälle sind das Zwischenschalten von Gesellschaften in Niedrigsteuerländern oder die steuerlich bedingte Aufspaltung von eigentlich einfachen Umstrukturierungen in mehrere Schritte.

Steuerliche Erwägungen können auch die Entscheidung beeinflussen, ob und in welcher Höhe erwirtschaftete Gewinne an die Anteilseigner ausgeschüttet werden und dadurch eventuell rentabler investiert werden können oder ob sie innerhalb des Unternehmens reinvestiert werden und damit die Handlungsspielräume der Unternehmensleitung bei geringeren Einflussmöglichkeiten für die Anteilseigner erweitert werden.

Gezielte steuerliche Maßnahmen zur Beeinflussung der Unternehmensleitung

Eine Frage, die vor allem die US-amerikanische Literatur in den vergangenen Jahren stark beschäftigte, war, wie effektiv steuerliche Regelungen sind, die gezielt bestimmte, von Gesetzgebern unerwünschte Verhaltensweisen unterbinden oder weniger attraktiv machen sollen. So gibt es im Internal Revenue Code der Vereinigten Staaten Vorschriften, die als zu hoch empfundene Geschäftsführervergütungen im Allgemeinen oder besondere Zahlungen an Geschäftsführer, die für den Fall der Übernahme der Gesellschaft durch eine andere vereinbart werden (Golden Parachutes), mit steuerlichen Sanktionen belegen. Insgesamt erweisen sich diese und ähnliche Regelungen als wenig wirksame Mittel, um die Unternehmensleitung zu kontrollieren, da sie entweder von den Unternehmen schlicht ignoriert oder durch besondere Gestaltungen umgangen werden.

Änderungen bei der Behandlung von steuerlichen Verpflichtungen in Unternehmen

In den letzten Jahren haben spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche wie die von „Enron“ oder „Parmalat“ dazu geführt, dass der Frage der Corporate Governance verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt wurde. So wurden in Gesetzen wie dem amerikanischen Sarbanes Oxley Act die gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Anforderungen an die Transparenz und Lauterkeit in der Berichterstattung und Unternehmensführung verschärft. Außerdem haben in zahlreichen Ländern Expertenkommissionen in Corporate-Governance-Kodices neue Standards aufgestellt, die die Qualität der Unternehmensleitung besonders bei großen börsennotierten Kapitalgesellschaften verbessern sollen.

Diese veränderten Rahmenbedingungen verändern auch die Anforderungen, die an solche Unternehmen hinsichtlich ihrer Pflichten als Steuerzahler gestellt werden. So beinhaltet die Pflicht nach Abschnitt 404 des Sarbanes Oxley Act über die interne Berichterstattung auch die Anforderung, über steuerliche Risiken zu berichten. Dies wird zu einer besseren internen Kontrolle und Transparenz der Steuerplanung führen. Soweit ersichtlich, haben zumindest größere Unternehmen inzwischen Maßnahmen ergriffen, um die effiziente Erfassung und Darstellung von steuerlichen Risiken zu gewährleisten. Auch scheint sich die Ansicht durchzusetzen, dass wesentliche Entscheidungen im Bereich der Steuerplanung nicht mehr nur innerhalb der Steuerabteilung behandelt werden können, sondern auch höheren Leitungsorganen wie etwa dem Finanzvorstand vorgelegt werden sollten.

Eine noch recht junge Entwicklung stellen die Erwägungen vor allem größerer Kapitalgesellschaften und Konzerne dar, auch nach außen die Leitlinien ihrer Unternehmenspolitik im Bereich der Steuern (Corporate Tax Policy) darzustellen.

Steuerumgehung und die Sicht der Steuerverwaltungen auf Unternehmenskontrolle

Solche Maßnahmen werden notwendig, weil die Trennung von Unternehmensleitung und Eigentumsrechten, die für nicht inhabergeführte Unternehmen gerade charakteristisch ist, sich auch auf die Weise auswirkt, wie Unternehmen ihre steuerlichen Pflichten wahrnehmen. Einzelunternehmer oder kleine eigentümergeführte Kapitalgesellschaften nehmen die Zahlung von Steuern auch als eine staatsbürgerliche Pflicht wahr, und bei der Steuerplanung oder -umgehung werden ihnen durch potenzielle soziale (zum Beispiel persönlicher Ansehensverlust) und rechtliche Sanktionen Schranken gesetzt. Im Gegensatz dazu stellen Steuern für große, besonders auch international tätige Unternehmen weitgehend einen Kostenfaktor wie jeden anderen dar. Im internationalen Wettbewerb um Kapital und im Interesse der Anteilseigner an möglichst hohen Renditen sehen sich daher die Führungen dieser Unternehmen vor allem in der Pflicht, die Steuerlast so weit als möglich zu verringern. Da andererseits die verantwortlichen Personen meist nicht von negativen Sanktionen für zweifelhafte Steuerminderungsstrategien oder gar Steuerhinterziehung wie Zinsen oder Strafzahlungen betroffen sind, besteht hier ein besonders großes Potenzial für eine aggressive Steuerplanung. Allerdings kann sich eine aggressive Steuerplanung auch negativ auf den Unternehmenserfolg auswirken. Dies geschieht etwa wenn das Ansehen von Unternehmen beeinträchtigt ist, von denen besonders augenfällige Steuervermeidungsstrategien bekannt werden oder die trotz hoher handelsrechtlicher Gewinne keine oder geringe Steuern bezahlen.

Auch für die Steuerverwaltungen ist es wichtig, sich noch stärker darauf einzustellen, dass sich große Kapitalgesellschaften als Steuerzahler anders verhalten als Einzelunternehmer oder kleinere Gesellschaften. Ansätze hierzu sind beispielsweise in Australien erkennbar, wo die Steuerverwaltung nichtkooperative Unternehmen mit aggressiven Steuerplanungsstrategien in einer gezielten Eskalationsstrategie häufigen Außenprüfungen unterzieht. Dies erhöht für die Unternehmen den Druck, mit der Steuerverwaltung zusammenzuarbeiten, weil sonst zusätzliche Befolgungskosten entstehen, Betriebsabläufe gestört werden und verstärkt rechtliche Sanktionen für aufgedeckte Steuerminderungen drohen.

Fazit

Das Steuersystem beeinflusst die Mechanismen, wie und mit welchem Ergebnis Entscheidungen in börsennotierten Unternehmen getroffen werden. Andererseits haben auch die Regelwerke, die die organisatorische Struktur solcher Unternehmen bestimmen, einen Einfluss darauf, wie, in welchem Umfang und wo Steuern bezahlt werden. Es wäre für die Unternehmen selbst, für den Gesetzgeber, für die Verwaltungsorgane und für die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften wünschenswert, diese Überschneidungen zwischen Steuerrecht und Corporate Governance noch eingehender und systematischer als bisher zu untersuchen. Schon jetzt kann festgehalten werden, dass in letzter Zeit vor allem die Folgen der Änderungen der Rahmenbedingungen für die Leitung börsennotierter Unternehmen auf die Erfüllung von steuerlichen Verpflichtungen im Mittelpunkt des Interesses standen. Dagegen wurden früher vor allem die ungewollten Auswirkungen des Steuerrechts auf die Unternehmensleitung beschrieben und einzelne steuerrechtliche Lenkungsnormen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Unternehmen bewertet. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft die steuerlichen Aspekte auch in der breiteren Corporate-Governance-Diskussion stärker in den Vordergrund treten werden.

Originalveröffentlichungen

H.-M. Ringleb, T. Kremer, M. Lutter, A v. Werder:
Deutscher Corporate Governance Kodex. Kommentar. 2. Auflage. Vorbemerkung Rn 1.
Beck, München 2005.
T. Abeltshauser:
Corporate Governance – Standort und Dimensionen.
T. Abeltshauser, P. Buck (Hrsg.), Corporate Governance. Heymanns, Köln 2004, S. 5.
A. Berle, C.G. Means:
The Modern Corporation and Private Property.
MacMillan, New York 1932.
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