Forschungsbericht 2005 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Welche Auswirkungen haben moderne Informations- und Kommunikationsmittel auf das Patentrecht?

Autoren
Klicznik, Alexander
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien wirken sich in zweierlei Hinsicht auf den Patentbereich aus. Zum einen hat das Aufkommen elektronischer Datenbanken neue Möglichkeiten bei der Patentrecherche eröffnet. Zum anderen brachte das Internet mit dem WWW, dem USENET oder der E-Mail neue Wege mit sich, technische Lehren zu offenbaren. Diese neuen Offenbarungsmittel stellen Gerichte und Patentbehörden vor das Problem einer angemessenen rechtlichen Bewertung und werfen Beweisschwierigkeiten auf.

Voraussetzung für die Erteilung eines Patents für eine Erfindung ist unter anderem, dass die Erfindung vom Stand der Technik weder vorweggenommen (Neuheit) noch nahegelegt ist (erfinderische Tätigkeit). Der Stand der Technik umfasst hierbei alles, was vor dem Anmeldetag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist (Artikel 54(2) des Europäischen Patentübereinkommens – EPÜ; Paragraf 3(1), S. 2 des Deutschen Patentgesetzes – DPatG).

Patentrecherche

Das breite Angebot an elektronischen Recherchewerkzeugen lässt annehmen, dass die Patentbehörden heute besser denn je in der Lage sind, den aus Patentdokumenten und Fachliteratur bestehenden Stand der Technik – also schriftliche Beschreibungen – zu recherchieren. Leistungsfähige elektronische Recherchewerkzeuge stehen jetzt aber auch der Allgemeinheit entgeltlich oder in großem Umfang sogar unentgeltlich zur Verfügung. Zudem haben die Allgemeinheit und die Prüfer auch Zugang zum unerschöpflichen Informationsreservoir des World Wide Web (WWW). Statistische Daten des Europäischen Patentamts zeigen, dass die Prüfer in zunehmendem Maße auch von dieser Zugangsmöglichkeit Gebrauch machen. Eine Recherche im WWW bietet die Möglichkeit, Hinweise auf mündliche Beschreibungen – etwa auf einer Konferenz gehaltene Vorträge oder Vorbenutzungen – zu erhalten. Allerdings wird der Stellenwert des WWW als Recherchewerkzeug im Vergleich zu den Spezialdatenbanken weiterhin eine untergeordnete Bedeutung haben.

Angesichts der gegenwärtigen Struktur des WWW, der wechselhaften Qualität der hier aufgefundenen Informationen und der Zeitvorgaben, denen ein Prüfer unterworfen ist, ist nicht zu erwarten, dass sich die Chancen, mündliche Beschreibungen und Vorbenutzungen bereits im Prüfverfahren aufzufinden, spürbar verbessern werden. Somit bleibt es im Hinblick auf den Stand der Technik bei der derzeit bestehenden Diskrepanz: Im Prüfverfahren wird überwiegend auf Patentliteratur und Artikel aus Fachzeitschriften zurückgegriffen, Vorbenutzungen und mündliche Beschreibungen werden hingegen erst im Rahmen eines Rechtsbestandsverfahrens entgegengehalten.

Das WWW gibt daher in erster Linie den Einsprechenden oder Nichtigkeitsklägern ein zusätzliches – im Erteilungsverfahren regelmäßig wenig beachtetes – Instrumentarium an die Hand, um ein Patent zu Fall zu bringen. Zum einen können im WWW aufgefundene Informationen unmittelbar als Entgegenhaltung verwandt werden. Zum anderen können sich hier aber auch Hinweise auf mündliche Beschreibungen oder Vorbenutzungen finden, denen dann weiter nachgegangen werden kann.

Internetveröffentlichungen als Zugänglichmachung in sonstiger Weise

Im Hinblick auf Veröffentlichungen im WWW stellt sich zunächst die Frage, ob hierin schriftliche Beschreibungen oder Zugänglichmachungen in sonstiger Weise zu sehen sind. Während diese Einordnung für den Bereich des Patentrechts ohne Folgen bleibt, ergeben sich für das deutsche Gebrauchsmusterrecht handfeste Implikationen. Denn insoweit finden im Stand der Technik lediglich schriftliche Beschreibungen und Vorbenutzungen Berücksichtigung, aber keine mündlichen Beschreibungen und Zugänglichmachungen in sonstiger Weise.

Internetveröffentlichungen sollten nicht als schriftliche Beschreibungen im Sinne des Gebrauchsmustergesetzes eingeordnet werden. Zum einen hat sich der Gesetzgeber bei der Angleichung der Definition des Standes der Technik an den im Patentgesetz benutzten Sprachgebrauch bewusst dafür entschieden, mündliche Beschreibungen und Zugänglichmachungen in sonstiger Weise nicht in die Vorschrift aufzunehmen. Beweggrund hierfür waren gerade auch die erwarteten Beweisschwierigkeiten, die mit solchen Offenbarungen einhergehen können. Derartige Beweisschwierigkeiten sind aber auch bei Offenbarungen im Internet zu erwarten. Zum anderen bestehen grundlegende Unterschiede zwischen elektronischen Dokumenten wie etwa Webseiten und herkömmlichen schriftlichen Dokumenten. Webseiten stellen Daten dar, die auf einer Festplatte eines Webservers abgelegt sind und auf Anfrage eines so genannten Client-Rechners an diesen übertragen werden. Während herkömmliche schriftliche Dokumente der unmittelbaren Betrachtung zugänglich sind, erfordern elektronische Dokumente, die auf einem Datenträger abgespeichert sind, Geräte zur Auslesung und zur Darstellung des Inhalts. Um auch nach Jahren den Inhalt einer solchen elektronischen Offenbarung erfassen zu können, muss auch noch – zusätzlich zum Datenträger – eine entsprechende Hardware und Software verfügbar sein. Binäre Daten sind darüber hinaus in einer spezifischen Ordnung abgelegt, so dass schon eine geringe Anzahl zerstörter Bits dazu führen kann, dass das gesamte digitale Dokument nicht mehr lesbar ist. Außerdem sind Manipulationen hier weniger leicht zu erkennen als bei einem herkömmlichen Dokument, das der unmittelbaren Betrachtung durch das Auge zugänglich ist.

Öffentliche Zugänglichkeit von Internetdokumenten

Eine Analyse der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zum Begriff der „öffentlichen Zugänglichkeit“ zeigt, dass eine nur theoretische Möglichkeit der Kenntnisnahme – anders als mancherorts behauptet – auch nach der Position des Europäischen Patentamts nicht bereits zur Bejahung der öffentlichen Zugänglichkeit ausreicht. Ein Unterschied zur Position des Bundesgerichtshofes, sollte er überhaupt bestehen, kann sich daher nur in einem marginalen Bereich abspielen. Da also mehr als nur eine theoretische Möglichkeit der Kenntniserlangung gefordert wird, kann es nicht als ausreichend erachtet werden, wenn eine Datei lediglich auf einem Webserver abgelegt wurde und formal unter Eingabe der entsprechenden Internetadresse (URL) auch abrufbar wäre. Vielmehr muss die URL in der ein oder anderen Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein. Hierbei ist insbesondere an eine Indizierung durch eine Suchmaschine, aber auch an die Veröffentlichung der URL in einer Zeitschrift zu denken.

Implikationen für die Person des Durchschnittsfachmanns

Große Bedeutung kommt im Patentrecht der Person des Durchschnittsfachmanns zu. Insbesondere bestimmt sich der Gehalt einer Offenbarung aus der Perspektive des Durchschnittsfachmanns, der bereits über ein allgemeines Fachwissen im jeweiligen Fachgebiet verfügt. Fortschritte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien haben aber auch Implikationen für die Person des Durchschnittsfachmanns und – damit verbunden – für die Frage, welcher Offenbarungsgehalt einem Offenbarungsmittel beizumessen ist. Hat sich das griffbereite Wissen des Fachmanns früher auf das beschränkt, was in Standardlehrbüchern und Nachschlagewerken enthalten war, so wird der „moderne“ Durchschnittsfachmann immer öfter auch auf elektronische Datenbanken zurückgreifen. Diese können sehr viel umfangreicher sein als herkömmliche Nachschlagewerke und dennoch mit effizienten Werkzeugen in kurzer Zeit recherchierbar sein. Dem Durchschnittsfachmann ist daher nun mehr zuzutrauen, wodurch das Erfordernis des Einzelvergleichs im Rahmen der Neuheitsprüfung eine Relativierung erfährt. Das Erfordernis des Einzelvergleichs besagt, dass die Neuheit einer Erfindung nur dann verneint werden kann, wenn sich sämtliche Merkmale der Erfindung aus einem einzigen Element des Standes der Technik – etwa einem einzigen Dokument – ergeben.

Implikationen für die erfinderische Tätigkeit

Welche Auswirkungen ergeben sich für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit? Ob eine Erfindung nahegelegen hat, beurteilt sich wiederum aus der Perspektive des Durchschnittsfachmanns. Zu beantworten ist die Frage, ob der Durchschnittfachmann zum Gegenstand der Erfindung gelangt wäre, hätte man ihn mit der Lösung der durch die Erfindung gelösten Aufgabe beauftragt. Hier ist festzustellen, dass die in der Fachwelt genutzten Datenbanken nicht nur umfangreicher, sondern in zunehmendem Maße auch fachgebietsübergreifend sind. Soweit dies der Fall ist, kann die erfinderische Tätigkeit nicht mehr damit begründet werden, dass die Lösung der Aufgabe in einem entfernt liegenden Sachgebiet aufgefunden wurde. Zur Annahme einer Übertragungserfindung besteht dann kein Anlass mehr.

Neue Arten der missbräuchlichen Erlangung von Informationen

Den neu entstandenen Arten der Offenbarung mittels moderner Informations- und Kommunikationstechnologie stehen spiegelbildlich auch neue Möglichkeiten, missbräuchlich an Informationen zu gelangen, gegenüber. Unter den Voraussetzungen des Artikel 55 des Europäischen Patentübereinkommens stehen solche missbräuchlich an die Öffentlichkeit gelangte Informationen der Patentierung einer Erfindung nicht entgegen. Das Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht wird einige dieser Möglichkeiten exemplarisch erörtern und unter Artikel 55 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) subsumieren.

Beweisfragen

Augenmerk ist weiter auf eine Analyse des Beweisrechts des Europäischen Patentamts gerichtet. Neben Fragen der Beweislast und des zu fordernden Beweismaßstabes steht die Frage im Vordergrund, welche Beweismittel zum Beweis einer Internetveröffentlichung in Betracht kommen und welcher Beweiswert einem solchen Beweismittel beigemessen werden sollte. Dabei rücken zwei Entscheidungen des 17. Senats des Bundespatentgerichts in den Blickpunkt, nach denen Veröffentlichungen im Internet regelmäßig keinen geeigneten Stand der Technik darstellen. Das Institut wird diese beiden Entscheidungen und eine vorläufige Stellungnahme einer Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die sich ebenfalls mit Stand der Technik aus dem Internet befasst, analysieren.

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