Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe

Harte Röntgen-Photoelektronenspektroskopie: neue Möglichkeiten für die chemische und physikalische Analyse

Autoren
Tjeng, Liu Hao; Weinen, Jonas
Abteilungen
MPI für Chemische Physik fester Stoffe, Dresden
Zusammenfassung
Forscher des Forschungsbereichs „Physik korrelierter Materie“ am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe in Dresden bauen ein neues Spektrometer an der Synchrotron-Forschungseinrichtung Spring8 in Japan auf, um Photoemissonsmessungen mit harter Röntgenstrahlung durchzuführen. Aufgrund der hohen kinetischen Energien der emittierten Photoelektronen wird eine größere Untersuchungstiefe der Proben ermöglicht, weshalb diese Technik der Photoelektronenspektroskopie für die Chemische Analyse für viele Materialien interessant ist.

Die Elektronenspektroskopie für die Chemische Analyse (ESCA) ist eine gut eingeführte und vielfach genutzte Technik, um Substanzen auf ihre chemische Zusammensetzung sowie der Wertigkeit ihrer chemischen Elemente zu untersuchen [1,2]. In den Standard-ESCA-Laborgeräten werden die Photoelektronen durch Röntgenstrahlen mit einer Energie von 1256 eV (Mg-Kα-Strahlung) oder 1486 eV (Al-Kα-Strahlung) erzeugt. Hierbei ist die Aussagekraft der gewonnenen Spektren begrenzt und stark von der Oberflächenbeschaffenheit abhängig. Mit einer Untersuchungstiefe von 5–15 Angström (bei entsprechender Anregungsenergie) wird nur die Oberfläche analysiert, und diese kann ganz andere Eigenschaften besitzen als der Großteil der Probe, z. B. durch oberflächliche Oxidation oder durch adsorptierte Verunreinigungen aus der Umgebung. Nur wenn die Oberfläche im Ultrahochvakuum entsprechend vorbehandelt und von diesen Anhaftungen befreit wird, liefern die Messungen aussagekräftige Spektren.

Aber in den letzten Jahren eröffnete der Fortschritt bei den Messinstrumenten und besonders die Verfügbarkeit hochenergetischer Synchrotonstrahlung für die Erzeugung eines intensiven harten Röntgenstrahls mit noch nie da gewesener hoher Photonenenergie-Auflösung neue Möglichkeiten für die Photoelektronenspektroskopie und damit speziell für die Chemische Analyse. Es können jetzt HAXPES-Messungen (Hard X-ray Photoemisson Spectroscopy) mit Photoelektronen durchgeführt werden, die eine Energie von 6–10 keV besitzen und zudem mit Zählraten und Auflösungen aufwarten, die vergleichbar sind mit denen von Standard-ESCA-Geräten. Der große Vorteil bei der Nutzung höherer Anregungsstrahlung liegt darin, dass die Photoelektronen eine viel höhere Energie und damit entsprechend eine größere inelastische freie Weglänge [3] besitzen. Abhängig vom Material sind dann Untersuchungstiefen von 50–200 Angström möglich, also etwa das 10-fache im Vergleich zu den Standard-ESCA-Geräten.

Das wiederum ermöglicht es, sehr gute und damit aussagekräftige Spektren von Oberflächen zu erhalten, auch wenn diese nicht bis in den atomaren Bereich sauber sind, d. h. aufwendige Reinigungen im Ultrahochvakuum können entfallen. Abbildung 1 zeigt ein HAXPES-Valenzbandspektrum von einem Silberfilm auf einem MgO-Substrat, aufgenommen mit einer Photonenenergie von 7,6 keV. Die Probe wurde unter Normalbedingungen, also ohne in-situ- Behandlung im Ultrahochvakuum, im Spektrometer platziert und gemessen. Sehr deutlich ist das normale Valenzbandspektrum des Elements Silber zu erkennen, ungeachtet davon, dass die Oberfläche mit adsorbierten Fremdatomen bzw. -molekülen aus der Umgebung bedeckt ist. Diese Beobachtung zeigt, dass die Untersuchungstiefe tatsächlich so groß ist, dass die Fremdpartikel auf der Oberfläche im Spektrum so gut wie nicht sichtbar sind.

Ein anderer interessanter Aspekt der Photoelektronenspektroskopie mit höheren Photonenenergien ist in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2(a) zeigt das Standardvalenzspektrum eines Zinkoxid-Einkristalls (ZnO), aufgenommen mit einer Photonenenenergie von 1486 eV (Al-Kα-Strahlung). Zu erkennen sind die tief liegenden 3d Zustände des Zinks mit Bindungsenergien von 10–12 eV und die höher liegenden 2p-Bänder des Sauerstoffs im Energiebereich zwischen 4 und 9 eV. Der Vergleich mit quantenchemischen Berechnungen zeigt eine sehr gute Übereinstimung zwischen Experiment und Theorie, ebenfalls in dieser Abbildung dargestellt.

Bei HAXPES-Messungen unter Verwendung von Photonen mit einer Energie von 7,6 keV ändert sich das Aussehen des Spektrums völlig (Abb. 2(b)), obwohl das Spektrum wie bei der Standardmessung mit Photoelektronen aufgenommen wurde, die parallel zum Polarisationsvektor des Lichts detektiert wurden (E parallel zu ek). Grund dafür ist die Erhöhung der Photoionisation (cross-section) des 4s Bandes von Zink im Vergleich zu den Zn 3d und O 2p Orbitalen. Durch die Erhöhung der Anregungsenergie von 1254 eV auf 7,6 keV wird dieses Orbital bevorzugt angeregt [4–6] und damit im Spektrum sichtbar. Somit bietet sich die Möglichkeit, die Beteiligung der Zn 4s Zustände an der Bindung zwischen Zink und Sauerstoff zu identifizieren, die vorrangig durch die Hybridisierung zwischen den Zn 4s und O 2p Zuständen geschieht. Gleichzeitig können Aussagen über die Energien der beteiligten Zustände getroffen werden. Mit anderen Worten, der Vergleich zwischen Standard-ESCA- und HAXPES-Spektren ermöglicht – bei dieser Art von Oxiden – direkte Einblicke in die Bindungssituation.

Im derzeitigen HAXPES-Experimentaufbau können nach entsprechendem Umbau auch Photoelektronen detektiert werden, die senkrecht zum Polarisationsvektor des Lichts abgestrahlt werden – E senkrecht zu ek (Abb. 2(c)). Der Vergleich mit dem Spektrum, bei dem Photonen parallel zum Polarisationsvektor eingestrahlt werden (Abb. 2(b)), zeigt ganz klare Unterschiede auf. Das Spektrum gleicht vielmehr dem Standardspektrum, in dem aber die Zn 4s-Zustände kaum sichtbar sind. Trotzdem, oder gerade deshalb, ist es konsistent zu den Berechungen des Wirkungsquerschnittes zur Photoionisation [4–6], die vorhersagen, dass die Intensität für 4s-Elektronen bei dieser experimentellen Geometrie fast vollständig verschwinden sollte. So zeigt der Intensitätsvergleich zwischen Abbildung 2(b) und 2(a) direkt die Beteiligung der 4s-Zustände an der Bindung.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die stark gesteigerte Untersuchungstiefe durch HAXPES ermöglicht die Untersuchung der elektronischen Struktur und die Chemische Analyse für eine große Anzahl von Materialien, ohne dass diese einer aufwendigen in-situ- Oberflächenbehandlung bzw. -reinigung unterzogen werden müssen. Abgedeckte Grenzflächen wie auch Pulverproben können nun mit dieser Messtechnik untersucht werden. Wird außerdem die Abhängigkeit der Spektren von der Polarisation genutzt, so sind Aussagen über die Art der chemischen Bindung in den Substanzen möglich, speziell über die Rolle der 4s-, 5s- und 6s-Orbitale bei Verwendung der Geometrie E parallel ek. Bei den stark korrelierten Elektronensystemen, also Materialien mit 3d-, 4d-, und 4f-Zuständen ist man dagegen auf die s-unsensible Geometrie E senkrecht ek angewiesen.

Die Mitarbeiter des Forschungsbereichs „Physik korrelierter Materie“ arbeiten zurzeit an der Verbesserung des Spektrometers, indem das Gerät mit einem zweiten Elektron-Energieanalysator ausgestattet wird. Damit entfällt der sonst aufwendige Umbau und HAXPES-Messungen können im Routinebetrieb nicht nur mit beiden Geometrien durchgeführt werden, sondern bei Bedarf auch gleichzeitig. Diese Option macht das Spektrometer einzigartig auf der Welt.

In naher Zukunft werden damit folgende Forschungsvorhaben (teilweise in Zusammenarbeit mit den drei weiteren Forschungsbereichen am Institut) verfolgt: Die Untersuchung der elektronischen Struktur im Festkörper von (1) neuen intermetallischen Verbindungen, von (2) Hoch-Temperaturphasen von Übergangsmetallverbindungen und von (3) Materialien mit hohen Oxidationsstufen.

Die große Untersuchungstiefe von HAXPES ist allerdings unerlässlich, sollen Spektren erhalten werden, die eine überzeugende Aussage über den elektronischen Zustand im Festkörper zulassen.

Die vorliegenden Forschungsergebnisse resultieren aus einer Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden, der Universität zu Köln (T. Koethe, H. Fujiwara, C. Schlüßler-Langeheine, R. Chang, J. Gegner, A. Aimon, L. Hamden), dem Laboratorio Nazionale TASC in Trieste (G. Panaccione, F. Offi, P. Lacovig) und dem National Synchrotron Radiation Research Center in Taiwan (Ku-Dong Tsuei, C.- C. Chen, C.-Y. Huang, Y. Q. Cai, C.-Y. Liu, H. Ishii, N. Hiraoka, K.-L. Tsang, C. T. Chen, K. S. Liang).

Originalveröffentlichungen

J. F. Moulder, W. F. Stickle, P. E. Sobol, K. D. Bomben:
Handbook of X-ray Photoelectron Spectroscopy.
Physical Electronics, Inc., USA (1995); J. Chastain, R. C. King Jr. (Ed.). ISBN: 0-9648124-1-X, Library of Congress Catalog Card Number: 95-071385.
S. Hüfner:
Photoelectron Spectroscopy: Principles and Applications.
3rd Edition, Springer Verlag, Berlin (2003).
C. Powell:
NIST Standard Reference Database 71, NIST Electron Inelastic-Mean-Free-Path Database: version 1.1.
National Institute of Standard and Technology, Surface and Microanalysis Science Division, Gaithersburg, MD 20899-2310, USA.
M. B. Trzhaskovskaya, V. I. Nefedov, V .G. Yarzhemsky:
Photoelectron angular distribution parameters for elements Z=1 to Z=54 in the photoelectron energy range 100-5000 eV.
Atomic Data and Nuclear Data Tables 77, 97–159 (2001).
M. B. Trzhaskovskaya, V. I. Nefedov, V. G. Yarzhemsky:
Photoelectron angular distribution parameters for elements Z=55 to Z=100 in the photoelectron energy range 100-5000 eV.
Atomic Data and Nuclear Data Tables 82, 257–311 (2002).
M. B. Trzhaskovskaya, V. I. Nefedov, V. G. Yarzhemsky:
Photoelectron anguluar distribution parameters for elements Z=1-100 in the photoelectron energy range 1-10 keV.
Atomic Data and Nuclear Data Tables 92, 245–304 (2006).
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