Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Ein Wegweiser aus Licht für Elektronen

A guiding light for electrons

Autoren
Kremer, Manuel; Fischer, Bettina; Moshammer, Robert; Feuerstein, Bernold; Ullrich, Joachim
Abteilungen

Experimentelle Vielteilchenquantendynamik (Prof. Dr. Joachim Ullrich)
MPI für Kernphysik, Heidelberg

Quantendynamik (Prof. Dr. Christoph Keitel)
MPI für Kernphysik, Heidelberg

Zusammenfassung
Mithilfe ultrakurzer Laserimpulse lässt sich die einfachste chemische Reaktion, der Aufbruch eines H2+-Molekülions in ein Proton und ein neutrales H-Atom, so steuern, dass das Elektron vorzugsweise mit einem der Protonen in eine gewählte Richtung emittiert wird. Zusätzlich erlaubt der Einsatz eines Reaktionsmikroskops die vollständige Vermessung der Dynamik dieser Reaktion einschließlich des freigesetzten Elektrons. Die Methode beruht auf einem reinen Quanteneffekt und ist ein wichtiger Schritt hin zu einer kontrollierten Manipulation von chemischen Reaktionen.
Summary
Ultrashort laser pulses enable to steer the simplest chemical reaction, i. e. the breakup of an H2+ molecular ion, into a proton and a neutral H atom such that the electron is preferably emitted with one of the protons in a specific direction. In addition, the application of a reaction microscope allows for a complete determination of the reaction dynamics including the emitted electron. The method is based on a pure quantum effect and marks an important step towards controlled manipulation of chemical reactions.

Ist es möglich, aus einem Molekül gezielt einzelne Bruchstücke abzutrennen ähnlich wie man bei einem Puzzle einzelne Teile ganz bewusst entfernen kann? Bisher ist das leider ein noch unerfüllter Traum vieler Physiker und Chemiker. Ein möglicher Ansatz ist die Kontrolle der Bewegung des Elektrons, welches die jeweilige Bindung erzeugt. Als Beispiel hierzu wird im Folgenden das einfachste aller Moleküle, H2+, das aus nur einem Elektron und zwei Protonen besteht, betrachtet: Was geschieht, wenn die Bindung im H2+ gelöst wird, und an welchem der beiden auseinander laufenden Protonen lagert sich das Elektron dann an? Bis vor einigen Jahren war bei allen Experimenten und unabhängig vom Mechanismus dieses Aufbruchs die Wahrscheinlichkeit, das Elektron entweder an dem einen oder an dem anderen Kern zu finden, immer „fifty-fifty“. Durch Einstrahlung intensiver und nur wenige Femtosekunden (1 fs = 10–15 s) langer Laserimpulse mit zudem noch wohldefiniertem Verlauf des elektrischen Laserfeldes, gelang es vor einigen Jahren am Münchener MPI für Quantenoptik (MPQ), für das aus dem schweren Wasserstoffisotop Deuterium bestehende D2+-Molekülion diese Symmetrie zu brechen [1]. Bei einem horizontal polarisierten Laserimpuls bedeutet dies, dass mehr neutrale Atome nach „links“ emittiert werden als nach „rechts“, das Elektron sich also vorzugsweise zugunsten eines der beiden Kerne entscheidet. Allerdings war der beobachtete Effekt recht klein und obwohl dies einen wichtigen Schritt in Richtung einer Quantenkontrolle darstellte, blieben noch einige Fragen offen, die im Folgenden näher diskutiert werden.

Gerade und ungerade Elektronenwolken

Was geschieht eigentlich, wenn ein Wasserstoffmolekül einem intensiven Laserimpuls ausgesetzt wird? Zunächst befindet sich das System im Grundzustand des neutralen Moleküls (H2), dargestellt in Abbildung 1 durch die Gesamtenergie als Funktion des Kernabstandes R. Im Gleichgewicht (Energieminimum) beträgt dieser etwa 1,4 atomare Längeneinheiten (1 a.u. = 0,053 nm). Wird nun eines der beiden Elektronen des Moleküls im Laserlicht durch Feldionisation freigesetzt (senkrechter Pfeil nach oben in Abb. 1), erhält man ein H2+-Molekülion – ebenfalls in seinem Grundzustand, der die Bezeichnung 1sσg trägt. Das „g“ steht für „gerade“ und gibt die Symmetrie der zugehörigen Wellenfunktion des Elektrons an, die an beiden Kernen, links wie rechts, das gleiche Vorzeichen hat (siehe Abb. 2a). Da der Gleichgewichtsabstand im Ion größer ist als im neutralen H2, beginnen sich die Kerne auseinander zu bewegen, wobei mit zunehmendem R die Energiedifferenz zum darüber liegenden angeregten Zustand mit der Bezeichnung 2pσu immer kleiner wird. Das „u“ steht hier für „ungerade“ Symmetrie der elektronischen Wellenfunktion, die hier links und rechts ein entgegengesetztes Vorzeichen hat (Abb. 2b). Wendet man nun die quantenmechanische Regel an, wonach das Betragsquadrat der Wellenfunktion die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons angibt, so erhält man in beiden Fällen eine „fifty-fifty“-Verteilung dafür, das Elektron entweder am rechten oder am linken Kern zu finden (Abb. 2c,d).

Wie lässt sich nun das Elektron lokalisieren oder gar bewegen, d. h. an welcher Stelle kommt eine Zeitabhängigkeit ins Spiel? Die Antwort gibt wiederum die Quantenmechanik, indem sie erlaubt, beide Zustände zu überlagern, d.h. das Elektron befindet sich in beiden zugleich. Mathematisch gesprochen werden die beiden Wellenfunktionen im einfachsten Fall addiert bzw. subtrahiert. Im Ergebnis liefern die unterschiedlichen Vorzeichen auf der einen Seite eine Auslöschung, die gleichen auf der jeweils anderen Seite aber eine Verstärkung der Wellenfunktion: Das Elektron ist also (je nach Wahl des Vorzeichens der Überlagerung) links oder rechts lokalisiert (Abb. 2e,f). Hinzu kommt noch die intrinsische Zeitabhängigkeit jeder Wellenfunktion. Liegt eine Überlagerung vor, so kommt es zu Schwebungen, deren Frequenz proportional zur Energiedifferenz der Zustände ist: Anschaulich gesprochen schwingt die Elektronenwolke zwischen den beiden Kernen hin und her. Mit zunehmendem Abstand wird somit die Schwingung immer langsamer, bis sie schließlich zum Erliegen kommt und das Elektron mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an diesem oder jenem Kern lokalisiert bleibt. Die Überlagerung der beiden Zustände kann durch das Laserfeld induziert werden, welches die beiden Zustände (1sσg und 2pσu) dann am effektivsten „koppelt“, wenn die Schwebungsfrequenz der schwingenden Elektronenwolke resonant mit der Laserfrequenz wird. Dies geschieht bei einem Abstand von einigen a.u. und führt dazu, dass das Molekülion durch die Beimischung des 2pσu-Zustands, der kein energetisches Minimum aufweist und somit antibindend ist, auseinanderbricht. Aufgrund der Bewegung der Kerne kommt an dieser Stelle der genaue zeitliche Verlauf des Laserfeldes ins Spiel.

Gerade und ungerade Laserimpulse

Laserimpulse von wenigen fs Dauer umfassen bei einer Wellenlänge von 800 nm nur etwa zwei Zyklen des elektrischen Feldes der Lichtwelle. Dabei ist der Verlauf des elektrischen Laserfeldes vom zeitlichen Versatz zwischen der Einhüllenden des Pulses und der Trägerwelle abhängig, der sogenannten CE-Phase Φ („Carrier Envelope Phase“ – Abb. 3a). Fällt das Maximum der Einhüllenden mit einem Maximum der oszillierenden Trägerwelle zusammen (gerade Symmetrie), so spricht man von einem „cosinusförmigen“ Impuls, fällt es auf einen Nulldurchgang, von einem „sinusförmigen“ (ungerade Symmetrie). Es liegt nahe, dass unter diesen Bedingungen die CE-Phase als Kontrollparameter dienen könnte, um die Emissionsrichtung der neutralen Atome zu steuern, also eine „Rechts/Links“-Asymmetrie zu erzeugen, wie es schon in einer theoretischen Arbeit von Roudnev und Esry [2] vorhergesagt wurde. Das Aufbrechen der chemischen Bindung führt hier vorzugsweise zu recht kleinen Energien der Fragmente. Im Gegensatz dazu wurde die (schwache) Asymmetrie in D2+ [1] vor allem bei höheren Energien beobachtet.

Das Elektron als Bumerang

Aus vielen früheren Untersuchungen zur Elektronendynamik in intensiven Laserimpulsen ist bekannt, dass die geladenen Teilchen vom elektrischen Feld des Lasers hin- und hergetrieben werden und unter bestimmten Voraussetzungen mit ihrem Mutterion wie ein Bumerang kollidieren. In einem solchen Elektronenstoß kann das im Molekül verbliebene Elektron in den 2pσu-Zustand angeregt werden. Dies geschieht recht schnell innerhalb eines optischen Zyklus (ca. 2 fs), also bei kleineren R, sodass mehr Energie bei der Fragmentation frei wird (Abb. 1). Da auch das freie Elektron vom zeitlichen Verlauf des Lichtfeldes gesteuert wird, kann man sich vorstellen, dass hier ebenfalls eine Abhängigkeit von der CE-Phase besteht und als Folge der Rekollision die Asymmetrie des freien Elektrons die Lokalisierung des gebundenen Elektrons mitprägt, wie es unter anderem in [1] diskutiert wurde. In einer späteren Arbeit am MPQ [3] wurde das isotopengemischte Molekül HD untersucht und auch bei kleineren Energien eine schwache Asymmetrie gefunden. Es blieb aber unklar, ob hier Rekollision oder die Kopplung durch das Lichtfeld überwiegt. Sollte die Rekollision eine Rolle spielen, so müsste sich dies in einer Korrelation der Asymmetrie des freigesetzten Elektrons mit der Asymmetrie der Fragmente manifestieren.

Mit dem Reaktionsmikroskop der Moleküldynamik auf der Spur

Um die oben angesprochene Frage zu klären, müssen die Fragmente in Koinzidenz mit dem Elektron nachgewiesen werden. Hinzu kommt eine vollständige Bestimmung der Impulse aller freigesetzten Teilchen. Diese Anforderungen erfüllt ein sogenanntes Reaktionsmikroskop, das am MPI für Kernphysik für die Untersuchung von Atomen und Molekülen in intensiven Laserfeldern weiterentwickelt wurde [4]. In einer Ultrahochvakuumkammer werden Laserimpulse von 5 fs Dauer auf einen Überschall-Gasstrahl aus H2 fokussiert. Die Lichtintensität von einigen 1014 W/cm2 reicht sowohl aus, das Molekül zu ionisieren als auch die Zustände 1sσg und 2pσu des Molekülions zu koppeln. Die aus der Reaktion entstehenden Ionen und Elektronen werden mit elektrischen und magnetischen Feldern auf großflächige ortsempfindliche Detektoren abgebildet, und aus dem gemessenen Auftreffort und der Flugzeit lassen sich die Emissionsrichtungen sowie die kinetischen Energien der Teilchen rekonstruieren. Bei den Messungen konnte die CE-Phase der Laserimpulse gezielt zwischen 0 und 2π eingestellt werden. Ein wichtiger und vollkommen neuer Aspekt war die Möglichkeit, erstmals Kern- und Elektronendynamik gleichzeitig zu vermessen und mögliche Kopplungen zwischen beiden zu untersuchen.

Fingerabdrücke quantenmechanischer Überlagerung

Abbildung 3b zeigt das experimentelle Ergebnis [5]. Dargestellt ist die gemessene Asymmetrie A = (NrechtsNlinks) / (Nrechts + Nlinks) für die Anzahl N der jeweils rechts und links beobachteten Protonen als Funktion sowohl der CE-Phase als auch der kinetischen Energie, mit der die beiden Bruchstücke auseinander laufen. Ein positiver Wert von A (rote Bereiche in Abb. 3b) ist gleichbedeutend mit einer bevorzugten Emission nach „rechts“, negative Werte (blau) entsprechen einer Emission nach „links“. Mit zunehmender Energie der Protonen wird die Schwingung der Elektronenwolke zeitlich früher unterbunden. In Abbildung 3 äußert sich das in schrägen Streifen für die Asymmetrie. Dieses Verhalten konnte mit eigenen Rechnungen reproduziert werden [5]. Im Vergleich mit den früheren Arbeiten zu HD und D2 ergibt sich ein klarer Isotopentrend der Asymmetrie, welche bei kleinen Energien mit zunehmender Molekülmasse abnimmt. Dies stützt die Interpretation der Kopplung im Feld, denn je schwerer, also langsamer die Kerne sind, umso weniger stark ist das Laserfeld noch, wenn sie den Abstand resonanter Kopplung erreichen. Zudem konnte in den aktuellen Messdaten keine Korrelation zwischen der Asymmetrie der Kerne und jener der Elektronen gefunden werden.

Suche nach gekoppelten Wellenpaketen

Die neuen Resultate haben zu einem besseren Verständnis der Quantenkontrolle mittels phasenstabiler Laserimpulse beigetragen, wobei nur die Wechselwirkung mit Einzelimpulsen betrachtet wurde. Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass die Kerne von Wasserstoff-Molekülionen, die nicht auseinanderbrechen, eine komplizierte Wellenpaketsdynamik zeigen [6, 7], die im Prinzip mit beiden Elektronen verschränkt ist. In Pump-Probe-Experimenten, die zwei zeitlich variabel versetzte Laserimpulse verwenden, könnten mögliche, bisher unbeobachtete Korrelationen der Kern- und Elektronendynamik mit dem Reaktionsmikroskop aufgedeckt werden.

Originalveröffentlichungen

M. F. Kling, Ch. Siedschlag, A. J. Verhoef, J. I. Khan, M. Schultze, Th. Uphues, Y. Ni, M. Uiberacker, M. Drescher, F. Krausz, M. J. J. Vrakking:
Control of electron localization in molecular dissociation.
Science 312, 246-248 (2006).
V. Roudnev, B. D. Esry:
HD+ in a short strong laser pulse: Practical consideration of the observability of carrier-envelope phase effects.
Physical Review A 76, 023403 (2007).
M. F. Kling, Ch. Siedschlag, I. Znakovskaya, A. J. Verhoef, S. Zherebtsov, F. Krausz, M. Lezius, J. J. Vrakking:
Strong-field control of electron localisation during molecular dissociation.
Molecular Physics 106, 455-465 (2008).
V. L. B. de Jesus, A. Rudenko, B. Feuerstein, K. Zrost, C. D. Schröter, R. Moshammer, J. Ullrich:
Reaction microscopes applied to study atomic and molecular fragmentation in intense laser fields: non-sequential double ionization of helium.
Journal of Electron Spectroscopy and Related Phenomena 141, 127-142 (2004).
M. Kremer, B. Fischer, B. Feuerstein, V. L. B. de Jesus, V. Sharma, Ch. Hofrichter, A. Rudenko, U. Thumm, C. D. Schröter, R. Moshammer, J. Ullrich:
Electron localization in molecular fragmentation of H2 by carrier-envelope phase stabilized laser pulses.
Physical Review Letters 103, 213003 (2009).
Th. Ergler, B. Feuerstein, A. Rudenko, K. Zrost, C. D. Schröter, R. Moshammer, J. Ullrich:
Quantum-phase resolved mapping of ground-state vibrational D2 wave packets via selective depletion in intense laser pulses.
Physical Review Letters 97, 103004 (2006).
A. Rudenko, Th. Ergler, B. Feuerstein, K. Zrosta, C. D. Schröter, R. Moshammer, J. Ullrich:
Real-time observation of vibrational revival in the fastest molecular system.
Chemical Physics 329, 193-202 (2006).
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