Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH

Strukturbildung und Korrosion – Der Einsatz von Synchrotronlicht zur in-situ Röntgenbeugung

Autoren
Renner, Frank Uwe; Rohwerder, Michael; Borissov, Dimitar; Pareek, Aparna; Ankah, Genesis; Vogel, Dirk
Abteilungen

Grenzflächenchemie und Oberflächentechnik (Prof. Stratmann) (Prof. Dr. Martin Stratmann)
MPI für Eisenforschung GmbH, Düsseldorf

Zusammenfassung
Synchrotronstrahlung entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten zu einer wichtigen Methode der Materialwissenschaften. Von großem Vorteil für die Korrosionswissenschaften ist die Möglichkeit, auch die atomare Struktur von niederdimensionalen Objekten zu erhalten. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit von in-situ- Experimenten. Mit neuen Ergebnissen zur selektiven Auflösung einer Edelmetalllegierung und zur Zinkabscheidung aus ionischen Flüssigkeiten werden zwei Beispiele gegeben.

Einleitung

Ein Verständnis von Korrosion ist wichtig für die Archivierung von Kulturgegenständen, in der Architektur und Bauphysik, bei der Materialauswahl für Alltagsgegenstände, in der Mikroelektronik wie im Fahrzeugbau, in der Petrochemie wie im Kraftwerksbau. Korrosion zu bändigen ist eine der großen Herausforderungen auf dem Weg zu besseren Wirkungsgraden, also auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Studien zufolge gehen dem Gemeinwesen jedes Jahr über 3% der Wirtschaftsleistung durch Korrosion verloren [1]. Das Gebiet der Korrosionswissenschaft ist ein komplexes Zusammenspiel von Chemie und Physik (oft auch von Mikrobiologie). Dass die Passivität von Metallen durch extrem dünne Oxidschichten verursacht wird, wurde erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts nachgewiesen [2]. Diese schützenden Oxide sind oft nur wenige Nanometer, also wenige Atomlagen, dick. Solche Strukturen und die Abweichungen von der Idealstruktur (Defekte) nachzuweisen und Erklärungen und Mechanismen für das Voranschreiten der Korrosion zu erkennen, stellt auch heute noch eine große Herausforderung dar. Seit den ersten Versuchen von Knipping, Friedrich und von Laue 1912 ist Röntgenbeugung eine wichtige Methode zur Strukturanalyse kristalliner Materialien. Das Bragg’sche Gesetz (2d sinθ = λ, Abb. 1a) erklärt die Beugung mit dem Beugungswinkel 2θ als konstruktive Interferenz von an atomaren Ebenen mit Abstand d reflektierten Strahlen der Wellenlänge λ.

Warum Forschung mit Synchrotronlicht?

Die Oberflächenwissenschaft, in die Korrosion (und auch die Problematik der heterogenen Katalyse) einzuordnen ist, hat in den vergangenen Jahren besonders von neuen Methoden profitiert, die in der Lage sind, die atomare Struktur unter Prozessbedingungen (in-situ) zu erforschen. Besonders hervorzuheben ist hier die Erfindung des Rastertunnelmikroskopes, die mit dem Nobelpreis für Physik 1986 gewürdigt wurde. Der Erfolg ist auch an der Verleihung des Nobelpreises für Chemie an Gerhard Ertl im Jahr 2007 abzulesen.

Synchrotronstrahlung bietet mit ihren Wellenlängen im Bereich der Atomabstände in Materie für die Oberflächenwissenschaft ähnliche Möglichkeiten. Diese sind zum Rastertunnelmikroskop oft komplementär. Die Strahlung wird an Großforschungslaboratorien erzeugt (aus historischen Gründen „Synchrotrons“ genannt) und ist deshalb weit weniger leicht verfügbar. Es gibt jedoch mittlerweile eine Vielzahl solcher Zentren [3]. Die extrem hohe Intensität (man könnte mit dem direkten Synchrotron-Röntgenstrahl (sic!) sogar schweißen) und die relativ einfach einzustellende, frei wählbare Energie des Lichtes hoch bis zu 100 keV und mehr (Wellenlängen von 0,1 bis 0,01 nm, sogenannte harte Röntgenstrahlen) haben auch der Materialforschung ungeahnte Möglichkeiten gegeben.

Zu nennen ist hier zum einen die Tatsache, dass Strahlung solch hoher Energie leicht in Materie eindringt und so nicht nur die Oberfläche selbst (also die oberste Atomlage) beleuchten kann, sondern auch die Region in der Nähe der Oberfläche (buried structures, interfaces, etc.). Synchrotronstrahlung ist also in der Lage unter die Oberfläche zu schauen. Die hohe Eindringtiefe bedingt auch, dass eine Oberfläche auch studiert werden kann wenn sie in Kontakt mit einer Gasatmosphäre ist oder unter einer Flüssigkeitsschicht verborgen ist. Das heißt, in-situ-Experimente sind möglich. Da sich ultradünne Schichten während eines Prozesses oder bei einer Änderung der Umgebung leicht ändern können, ist dies eine äußerst nützliche und oft unabdingbare Eigenschaft. Zum anderen ermöglicht die hohe Intensität auch, das schwache Signal einer Oberfläche oder von ultradünnen Schichten und Objekten in der Größenordnung von Nanometern zu messen.

Ein typisches in-situ- Röntgenbeugungsexperiment ist in Abbildung 1b skizziert. Der einfallende Röntgenstrahl wird nach dem Bragg’schen Gesetz unter bestimmten Winkeln gebeugt und ein ausfallender Strahl kann mit einem Detektor gemessen werden. Es lassen sich so Kristallstruktur, Objektgröße und Orientierung von entstehenden dünnen Schichten bestimmen. Gezeigt ist eine Dünnschichtzelle, bei der eine Polyesterfolie einen sehr dünnen Elektrolytfilm über der Probe einschließt. Zwei Beispiele aus der aktuellen Forschung sollen im Folgenden die beschriebenen Möglichkeiten illustrieren.

Selektive Auflösung einer Legierung

Die alltägliche Korrosion von Metallen findet im Kontakt mit Flüssigkeiten oder Feuchtigkeit statt und ist als elektrochemischer Prozess zu verstehen. Metalle werden fast ohne Ausnahme immer als Legierungen verwendet. Da das Auflösungsverhalten und die Deckschichtbildung von verschiedenen Elementen im Allgemeinen sehr unterschiedlich sind, kann es zu selektiver Auflösung kommen. Ein Modellsystem, das schon seit den Anfängen der Korrosionswissenschaft studiert wird [4], ist die binäre Edelmetalllegierung von Kupfer und Gold. In sauren Lösungen wie verdünnter Schwefelsäure bilden sich keine Kupferoxidschichten aus, und Kupfer geht oberhalb des Nernstpotenzials direkt in Lösung. Das zurückbleibende Gold passiviert die Oberfläche, bis es ab einem bestimmten Potenzial (kritisches Potenzial) zum Zusammenbruch der Passivschicht und zu massiver Kupferauflösung kommt. Dabei bildet sich poröses Gold. Ein solcher Prozess wurde übrigens schon im antiken Ägypten zur Oberflächenveredlung von Goldlegierungen verwendet [5] und unabhängig davon im präkolumbischen Amerika zu hoher Blüte entwickelt.

Vorhergehende Untersuchungen haben gezeigt, dass sich im Potenzialbereich der Passivität auf Cu3Au(111) zuerst eine ultradünne, goldreiche Schicht ausbildet, die im Vergleich zum Substrat einen Stapelfehler der parallel zur Oberfläche verlaufenden {111}-Ebenen der kubisch-flächenzentrierten Struktur aufweist [6, 7]. Man spricht von ABC- bzw. CBA-Abfolge. Der Grund für diese Umkehr liegt in der niedrigeren Grenzflächenenergie bei der Ausbildung der entsprechenden Heterophasen-Grenzfläche. Bei leicht höheren Potenzialen bilden sich dann dickere Goldinseln mit demselben Stapelfehler. Erst in der Nähe des kritischen Potenzials verschwindet diese „verkehrte“ Oberflächenstruktur und die entstehende poröse Goldschicht ist dann wie das Ausgangssubstrat orientiert. Die Beugungsreflexe der beteiligten Strukturen sind in einem Ausschnitt des reziproken Raumes in Abbildung 2a skizziert. Eine ultradünne Schicht zeigt dabei ein sehr breites Maximum.

Neuere Untersuchungen haben jetzt den Einfluss einer ganzen Reihe von zusätzlichen Beimischungen unterschiedlicher Ionen und Moleküle (Additive) bestimmt. Getestet wurden Zusätze von Chlorid, Bromid, Jodid und eine Modifizierung der Oberfläche mit Ethanthiolen (Thiole sind Kohlenwasserstoffketten mit einem Schwefelatom an einem Ende, welches eine sehr gute Bindung zu Gold eingehen kann). Die Abbildungen 2b und c zeigen Intensitätsverteilungen entlang der L-Richtung bei H≈2 und K=0 (Vergleiche Skizze). Das breite Maximum ist ein Zeichen für die erwähnte ultradünne, goldreiche Schicht auf der Oberfläche. Durch das Maximum bei L≈2 ist der Stapelfehler zu erkennen (Ein Stapelfehler CBA/ABC entspricht hier einer Drehung der Schicht um 180º um die Oberflächennormale, vgl. Skizze). Für die Thiol-modifizierte Oberfläche ist zu erkennen, dass die ursprüngliche ultradünne Passivschicht auch bei höheren Potenzialen noch stabil ist und nur langsam wächst. Völlig anders das Verhalten bei Zugabe von Jodid: Sehr schnell bilden sich die beschriebenen dickeren Goldinseln aus (mit einem schmaleren Maximum bei L≈2) und dann auch die poröse Goldschicht (mit einem Maximum bei L≈1). Das unterschiedliche Verhalten kann mit einem unterschiedlichen Einfluss auf die Oberflächenmobilität erklärt werden. Während die Thiole mit ihrer starken Bindung zum Metall und ihrer Kohlenwasserstoffkette die Bewegungsmöglichkeiten an der Oberfläche einschränken, sind Halogenionen bekannt für eine Erhöhung der Mobilität. Sehr anschaulich wird hier die Wirkungsweise eines Inhibitors und eines Korrosionsbeschleunigers deutlich.

Zink-Abscheidung aus einer ionischen Flüssigkeit

Beschichtungen aus Zink sind weit verbreitet als Korrosionsschutz. Elektrochemische Metallabscheidung, auch Elektrodeposition oder Elektroplattieren genannt, geschieht meist unter Verwendung von wässrigen Elektrolytlösungen. Sie haben den Vorteil einer guten elektrischen Leitfähigkeit und hoher Ionenbeweglichkeit bei einem niedrigen Preis. Der Nachteil ist jedoch, dass Wasser sich leicht zersetzen lässt. Kathodisch entsteht so Wasserstoff und bei anodischer Polarisation Sauerstoff. Der Beginn solcher, eine Abscheidung störenden, Zersetzungsreaktionen bestimmt das sogenannte „elektrochemische Fenster“ des Elektrolyten. Das Nernstpotenzial relativ edler Metalle wie zum Beispiel Kupfer, Silber oder Nickel liegt innerhalb des elektrochemischen Fensters von wässrigen Lösungen und eine Abscheidung ist damit gut möglich. Anders jedoch liegt der Fall für unedle Metalle. Zink-Abscheidung ist unter Verwendung von speziellen Zusätzen (Additiven) zur Unterdrückung der Wasserstoffentwicklung gerade noch möglich. Zur Abscheidung von Aluminium oder Magnesium gelingt dies schon nicht mehr. Nun sind aber gerade Beschichtungen mit Legierungen von Zink mit Magnesium oder Aluminium sehr interessant als Korrosionsschutz. Organische Lösungen mit einem entsprechend verschobenen und erweiterten elektrochemischen Fenster sind eine Alternative. Wegen der leichten Brennbarkeit der Lösungsmittel ist diese Alternative jedoch sehr bedenklich für die Arbeitssicherheit.

Einen Ausweg bieten organische Salzlösungen, die bei Raumtemperatur flüssig sind. Diese „ionischen Flüssigkeiten“ bestehen rein aus Ionen und besitzen daher einen extrem niedrigen Dampfdruck, d.h. sie sind nur sehr schwer entzündlich. Abbildung 3 zeigt den Stabilitätsbereich von Wasser zusammen mit Strom-Spannungskurven für die Abscheidung von Zink aus einer ionischen Flüssigkeit und Magnesium aus einer organischen Lösung. Eine weitere Konsequenz des extrem niedrigen Dampfdruckes ist die Möglichkeit mit ionischen Flüssigkeiten im Vakuum zu arbeiten. Dies ermöglicht sehr saubere und wohl definierte Experimente, die dann allerdings auch technisch aufwendiger sind. Abbildung 4 zeigt einen Messaufbau für in-situ-Röntgenbeugung, der auf einer tragbaren Vakuumkammer aufbaut [8]. Durch leichtes Erhitzen kann die ionische Flüssigkeit von Restfeuchtigkeit gereinigt werden, was oft essentiell ist. Der eigentliche Kontakt mit einem Flüssigkeitstropfen findet dann in einer trockenen Inertgasatmosphäre statt.

In Abbildung 5 sind erste Ergebnisse von Untersuchungen zur Zink-Abscheidung aus einer ionischen Flüssigkeit (1-Butyl-3-Methylimidazolium-chlorid mit ZnCl2) dargestellt. Die ersten beiden Teile (a, b) der Abbildung zeigen Ausschnitte aus den (H0L)- und (0KL)-Ebenen des reziproken Raumes mit einem Gold-Einkristall als Substrat für die Zink-Abscheidung. Zusätzlich zu den kubisch flächenzentrierten Bragg-Reflexen des Goldes sind deutlich die Reflexe der hexagonalen Zinkstruktur zu erkennen; zwischen beiden liegen weitere Reflexe von hexagonalem Zn8Au. Die Reflexe der hexagonalen Strukturen befinden sich in den beiden gezeigten Ebenen an den gleichen Stellen, während die Gold-Reflexe verschoben sind. Die Entstehung dieser Schichten wurde dabei in-situ während der Abscheidung verfolgt (Abb. 5c): Es bildet sich zuerst eine reine (einkristalline, epitaktische) Zinkschicht und erst dann entsteht, vermutlich durch Interdiffusion, die einkristalline Legierung. Eine weitere Zinkschicht wurde im Labor auf einer (texturierten) Goldschicht abgeschieden und nach mehreren Tagen mit Röntgenbeugung untersucht (Abb. 5d). Es ist eine völlig andere Textur und Zusammensetzung der Schicht zu erkennen. Sowohl Zink als auch die kubische Phase Zn3Au liegen, deutlich sichtbar an den Beugungsringen, als polykristalline Schicht vor. Ob dies der Endzustand einer anfänglich einkristallinen Zinkschicht ist, muss an dieser Stelle noch bestätigt werden. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie nützlich es sein kann, Abläufe von Prozessen in-situ zu verfolgen und nicht nur das Endergebnis zu betrachten.

Originalveröffentlichungen

G. H. Koch, M. P. H. Brongers, N. G. Thompson, Y. P. Virmani, J. H. Payer:
Corrosion Cost and Preventive Strategies in the United States.
Report FHWA-RD-01-156 (Report by CC Technologies Laboratories, Inc. to Federal Highway Administration (FHWA), Office of Infrastructure Research and Development, McLean, 2001).
U. H. Evans:
The passivity of metals. Part I. The isolation of the protective film.
Journal of the Chemical Society 127, 1020-1040 (1927).
Light Source Communications:
www.lightsources.org.
G. Tammann:
Zum Gedächtnis der Entdeckung des Isomorphismus vor 100 Jahren. Die chemischen und galvanischen Eigenschaften von Mischkristallreihen und ihre Atomverteilung.
Zeitschrift für Anorganische und Allgemeine Chemie 107, 1-239 (1919).
L. B. Hunt:
The oldest metallurgical handbook.
Gold Bulletin 9, 24-31 (1976).
F. U. Renner, A. Stierle, H. Dosch, D. M. Kolb, T.-L. Lee, J. Zegenhagen:
Initial corrosion observed on the atomic scale.
Nature 439, 707-710 (2006).
F. U. Renner, A. Stierle, H. Dosch, D. M. Kolb, T. L. Lee, J. Zegenhagen:
In-situ x-ray diffraction study of the initial dealloying and passivation of Cu3Au(111) during anodic dissolution.
Physical Review B 77, 235433 (2008).
F. U. Renner, Y. Gruender, J. Zegenhagen:
Portable chamber for the study of UHV prepared electrochemical interfaces by hard x-ray diffraction.
Review of Scientific Instruments 78, 33903 (2007).
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