Forschungsbericht 2005 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Perspektiven des Gemeinschaftsmarkensystems

Autoren
Knaak, Roland
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Das Gemeinschaftsmarkensystem ist einer der gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht. Im Rahmen dieser Arbeiten werden Grundsatzfragen behandelt, die für andere Gemeinschaftsrechte des geistigen Eigentums Modellcharakter haben könnten.

Aufgabe des Gemeinschaftsmarkensystems

Markenrechte sind Rechte des geistigen Eigentums. Sie gewähren ein ausschließliches Recht zur Benutzung der Marke für bestimmte, markenrechtlich geschützte Waren oder Dienstleistungen. In einer auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaftsordnung haben Marken die Aufgabe, die Unverfälschtheit dieses Wettbewerbs zu sichern. Waren oder Dienstleistungen, die mit Marken gekennzeichnet werden, müssen die Gewähr bieten, einem bestimmten Unternehmen zugeordnet werden zu können. Markenprodukte sollen einen bestimmten Ursprung garantieren. In dieser Funktion dienen Marken zugleich der Förderung und Vermarktung technischer und kreativer Leistungen, die durch das Patentrecht, Urheberrecht und die anderen Rechte des geistigen Eigentums geschützt werden.

Bis vor zehn Jahren war das Markenrecht ausschließlich ein nationales Rechtsinstrument. Marken mussten von Land zu Land unter Schutz gestellt werden und waren nach dem für alle Rechte des geistigen Eigentums geltenden Territorialitätsprinzip auch nur von Land zu Land geschützt. Eine markenrechtliche Harmonisierungsrichtlinie aus dem Jahre 1989, durch die die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in den wichtigsten materiellrechtlichen Fragen des Markenrechts angeglichen wurden, hatte daran nichts ändern können. Mit der im Jahre 1996 in Kraft gesetzten Gemeinschaftsmarkenverordnung ist erstmals die Grundlage für ein Markenrecht entstanden, das die nationalen Grenzen überwindet. Die Gemeinschaftsmarke ist ein vom Gemeinschaftsgesetzgeber geschaffenes einheitliches supranationales Markenrecht. Es ist im gesamten Territorium der Europäischen Gemeinschaft, in allen fünfundzwanzig Mitgliedstaaten, geschützt und existiert neben den nationalen Markenrechten. Aufgabe der Gemeinschaftsmarke ist es, zur Verwirklichung des Binnenmarktes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft beizutragen.

Entstehung und Entwicklung des Gemeinschaftsmarkensystems

Die Entstehung der Gemeinschaftsmarkenverordnung reicht bis in die Anfänge der 1970er-Jahre zurück, als die Europäische Gemeinschaft noch aus sechs Mitgliedstaaten bestand. Die Grundzüge des Gemeinschaftsmarkenrechts wurden damals in einem kleinen Kreis internationaler Experten ausgearbeitet, an dem auch das damalige Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht beteiligt war. Als die Gemeinschaftsmarkenverordnung im Jahre 1994 in Kraft trat, zählte die Gemeinschaft bereits zwölf Mitgliedstaaten. Und bei der eigentlichen Eröffnung des Gemeinschaftsmarkensystems am 1. April 1996 war sie auf fünfzehn Mitgliedstaaten angewachsen.

Heute, knapp zehn Jahre nach Inkraftsetzen des Systems, sind mehr als 300.000 Gemeinschaftsmarken bei einem dafür errichteten Markenamt der Europäischen Gemeinschaft, dem Harmonisierungsamt in Alicante, eingetragen. Weitere knapp 200.000 Gemeinschaftsmarken sind angemeldet. Binnen weniger Jahre hat das Gemeinschaftsmarkensystem damit Dimensionen angenommen, die an das seit über hundert Jahren bestehende internationale System der Markenregistrierung heranreichen, das von der Weltorganisation für Geistiges Eigentum in Genf, einer Unterorganisation der UNO, verwaltet wird. Im Gegensatz zu Gemeinschaftsmarken werden diese internationalen Marken aber wie nationale Marken nach nationalem Recht von Land zu Land geschützt. Es handelt sich um Bündel nationaler Rechte, die lediglich in einem vereinheitlichten internationalen Registrierungsverfahren unter Schutz gestellt werden.

Mit der Gemeinschaftsmarkenverordnung hat das Markenrecht eine Vorreiterrolle bei der Rechtsvereinheitlichung in Europa übernommen. Es gibt kein anderes Rechtsgebiet des geistigen Eigentums, in dem der Integrationsprozess so weit fortgeschritten ist. Diese Entwicklung ist durch die Harmonisierungsrichtlinie von 1989 zusätzlich beschleunigt worden. Inzwischen erlässt der Europäische Gerichtshof auf keinem anderen Rechtsgebiet so viele Urteile wie im europäischen Markenrecht und stellt damit die Weichen für den Markenschutz in der Gemeinschaft.

Probleme des Gemeinschaftsmarkensystems

Ein das gesamte Gebiet der Gemeinschaft umspannendes einheitliches Schutzrecht führt teilweise zu völlig neuen Rechtsfragen. Dieses Neuland ist bisher nur unzureichend erkundet worden. Markenschutz ist seinem Wesen nach ein Schutz, der weitgehend von der Auffassung der Marktteilnehmer abhängig ist. Sein Inhalt und seine Reichweite werden von der Auffassung der für die Marke relevanten Personenkreise bestimmt. Die Stärke einer Marke im Markt und ihr Schutz vor gleichen oder ähnlichen Zeichen von Wettbewerbern kann deshalb selbst bei identischer Rechtslage von Land zu Land variieren, wenn die Verkehrsauffassung nicht die gleiche ist. Wie solche Schwankungen in einem fünfundzwanzig Mitgliedstaaten umfassenden Schutzgebiet einer Gemeinschaftsmarke aufzulösen sind, ist bislang ungeklärt. Die Frage, ob die einzelnen Parameter des Gemeinschaftsmarkenschutzes stets einheitlich für die gesamte Gemeinschaft zu beurteilen sind, ist offen. Der Europäische Gerichtshof hat sich damit noch nicht befasst.

Besondere Schwierigkeiten bereitet das Gemeinschaftsmarkensystem ferner dadurch, dass in der Gemeinschaftsmarkenverordnung einige wesentliche Fragen, die zu einem vollständigen markenrechtlichen Schutzsystem gehören, ausgeklammert worden sind. Insbesondere ist kein umfassendes gemeinschaftsrechtliches Sanktionensystem vorgesehen, das die Rechtsfolgen bei Verletzungen von Gemeinschaftsmarken festlegt. Ebenso wenig gibt es eine eigenständige gemeinschaftsrechtliche Gerichtsbarkeit für Verfahren wegen Verletzung einer Gemeinschaftsmarke. Und es fehlt auch ein vollständiges Netz gemeinschaftsrechtlicher Schutzbestimmungen, das die Lücken der markenrechtlichen Harmonisierungsrichtlinie schließt. Die Gemeinschaftsmarkenverordnung verweist zu diesen Punkten auf die Vorschriften des nationalen Rechts und des internationalen Privatrechts der Mitgliedstaaten. Sie überträgt im Übrigen den Gerichten der Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für Verfahren, die Verletzungen von Gemeinschaftsmarken betreffen. Diese Regelungstechnik führt zu unerwünschten territorialen Grenzziehungen zwischen den Mitgliedstaaten. Über die Bestimmungen der Harmonisierungsrichtlinie sind Gemeinschaftsmarken außerdem in die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten eingebunden. Dadurch kann aus älteren nationalen Rechten gegen Gemeinschaftsmarken vorgegangen werden. Zu diesen nationalen Rechten gehören nicht nur die durch die Harmonisierungsrichtlinie geregelten eingetragenen Marken, sondern auch nichteingetragene Marken, Handelsnamen und sonstige Kennzeichenrechte, deren Schutz in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht harmonisiert ist. Diese fehlende Harmonisierung kann ebenfalls unerwünschte Schutzhindernisse für Gemeinschaftsmarken zur Folge haben.

Laufende und künftige Forschungsarbeiten am Gemeinschaftsmarkensystem

Einige dieser Fragen und Probleme, die mit dem Gemeinschaftsmarkensystem zusammenhängen, sind vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht bereits vor Jahren aufgegriffen worden. Ausgangspunkt der Forschungsarbeiten war dabei die Verzahnung des Gemeinschaftsmarkenrechts mit dem nationalen Recht. In einer 2006 veröffentlichten Studie ist das Gemeinschaftsmarkensystem unter dem Blickwinkel des einheitlichen gemeinschaftsweiten Schutzterritoriums der Gemeinschaftsmarke und im Hinblick auf seine Schnittstellen zum nationalen Recht untersucht worden [1]. Rechtsvergleichend ist jener Bereich des Rechts der fünfzehn alten Mitgliedstaaten dargestellt worden, der mit dem Gemeinschaftsmarkenrecht verknüpft ist. Die fünfzehn Beiträge zu den Rechtsordnungen dieser Mitgliedstaaten zeigen die unterschiedlichen nationalen Rechte auf, die dem Schutz einer Gemeinschaftsmarke entgegenstehen können. Darüber hinaus behandeln sie das internationale Privatrecht und das nationale Sanktionenrecht, das durch die Verweisungen in der Gemeinschaftsmarkenverordnung auf das nationale Recht zur Anwendung kommen kann.

Die weiteren Forschungsarbeiten des Instituts am Gemeinschaftsmarkensystem, die die Rechtsordnungen der zehn neuen Mitgliedstaaten einbeziehen, sollen die gemeinschaftsrechtlich offen gebliebenen Teile daraufhin analysieren, ob sie durch tragfähige Lösungen auf Gemeinschaftsebene ausgefüllt werden können. Insbesondere die fehlende gemeinschaftsrechtliche Gerichtsbarkeit für Verletzungen von Gemeinschaftsmarken, das in der Gemeinschaftsmarkenverordnung nicht vorhandene Sanktionensystem und die noch fehlende gemeinschaftsrechtliche Kodifikation des internationalen Privatrechts erschweren die Rechtsanwendung im gegenwärtigen System des Gemeinschaftsmarkenrechts. Ob und wie das Gemeinschaftsrecht hier Abhilfe schaffen kann, ist Gegenstand weiterer Untersuchungen. Die Arbeiten an den internationalprivatrechtlichen Fragen werden durch Aktivitäten des Instituts im Zusammenhang mit dem ROM II-Projekt unterstützt. Dieses Projekt der Europäischen Gemeinschaft zielt auf eine Vereinheitlichung der Normen für das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. Ferner sollen die nichtharmonisierten nationalen Kennzeichenrechte, die einer Gemeinschaftsmarke entgegengehalten werden können, auch für die zehn neuen Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre Schutzvoraussetzungen und ihren Schutzinhalt rechtsvergleichend analysiert werden. Auf diesen Grundlagen wird das Institut mit Blick auf den Ausbau des Gemeinschaftsmarkensystems Perspektiven für die weitere Rechtsvereinheitlichung und Harmonisierung in Europa entwickeln.

Originalveröffentlichungen

G. Schricker, E.-M. Bastian, R. Knaak:
Gemeinschaftsmarke und Recht der EU-Mitgliedstaaten.
Beck, München 2006.
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