Forschungsbericht 2005 - Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut

Digitales Archiv zur Kunsttopographie italienischer Städte

Autoren
Simane, Jan; Wolf, Gerhard; Haug, Henrike
Abteilungen
Zusammenfassung
Ausgewählte historische Quellen zur Kunsttopographie italienischer Städte können mithilfe neuester Datentechnologie voll recherchierbar digitalisiert werden. Durch deren Einbindung in eine vielfältige Netzstruktur weiterführender Informationen innerhalb einer vereinheitlichten Konsultationsumgebung entsteht ein Forschungsinstrument, das zugleich neue historische wie kunsthistorische Erkenntnisse und Interpretationen ermöglicht. In einer ersten Projektphase wird die im Kunsthistorischen Institut vorhandene Guiden- und Inventarliteratur des 16. bis 18. Jahrhunderts sowie die Sammlung gezeichneter Florentiner Wappen erschlossen.

Der Standort des Kunsthistorischen Instituts ist seit dessen Gründung auch Programm: Neben vielfältigen Forschungsaufgaben und -projekten widmet es sich mit großer Intensität der Erschließung und Interpretation der für die Kunst- und Kulturgeschichte der Stadt Florenz relevanten Quellen. Dieses in lokalen Archiven, Bibliotheken, Sammlungen und nicht zuletzt in den eigenen Beständen aufbewahrte Material bildet die Grundlage für jegliche historische Forschung. Entsprechend hoch ist das Interesse der internationalen Forschergemeinschaft an einem ungehinderten Zugang zu diesen Quellen wie an deren wissenschaftlichen Erschließung. Diesem Desiderat folgend, geht das Kunsthistorische Institut in einem längerfristig angelegten Projekt nun über die traditionellen Quelleneditionen wie gedruckte Kompendien, Nachdrucke oder Faksimiles hinaus. Mithilfe innovativer Datentechnologie wird relevantes Material nicht nur in umfassend recherchierbarer Weise digitalisiert, sondern zugleich in einer komplexen Netzstruktur mit Bildern, begleitenden Informationen und Literatur verknüpft. Daraus resultierende Fragestellungen münden unter anderem in Forschungsprojekte am Kunsthistorischen Institut in Wechselwirkung mit der Fortentwicklung des Digitalen Archivs.

Der Gegenstand des hier beschriebenen Projekts ist die digitale Aufbereitung ausgewählten historischen Quellenmaterials zur Topographie italienischer Städte, wobei zunächst die Stadt Florenz im Mittelpunkt steht. Die arbeitsorganisatorische Binnenstruktur des Projekts basiert auf einem modularen Konzept, das es erlaubt, einzelne Themenblöcke parallel zu entwickeln. Die Module sollen auch außerhalb des Kunsthistorischen Instituts auf der Grundlage von Kooperationen mit geeigneten institutionellen Partnern entwickelt und zuletzt in eine vereinheitlichte Konsultations- und Navigationsumgebung integriert werden. Die gegenwärtige erste Projektphase umfasst die digitale Aufbereitung zweier Materialkomplexe: Historische Guiden- und Inventarliteratur (ca. 1500 bis ca. 1800, Abb. 1) sowie Wappen Florentiner Familien, Bruderschaften und Hospitäler.

Historische Guiden- und Inventarliteratur

Die Genese der kunsthistoriographisch-literarischen Gattung des Reiseführers im Sinne eines Itinerars, das sich an den kunstinteressierten Besucher einer Stadt wendet, hat in Florenz ihren Ursprung. Florenz war in der frühen Neuzeit die erste europäische Metropole, die sich dieser Form der tendenziell zelebrativen Autodeskription bediente. Sie sollte dem Fremden die Schönheit und Bedeutung des Stadtbildes mit allen baulichen und künstlerischen Errungenschaften vor Augen führen. Gleichzeitig entwickelte sich die den Guiden verwandte Form des Inventars, das in systematischer Weise die Kunst- und Bauwerke der Stadt beschreibt, ohne der Logik eines Itinerars folgen zu wollen. In ihrer inhaltlichen und didaktischen Konzeption erlauben beide Gattungen Einblicke in die komplexen Systeme der Wahrnehmung von Kunstwerken und der Formung von Maßstäben für ihre Bewertung. Das gilt auch für die in beiden Gattungen enthaltene Beurteilung von Kunst- und Bauwerken, die sich an die zur selben Zeit in Florenz entstehende Kunsthistoriographie und Künstlerbiographik anlehnt. Die Untersuchung dieser Aspekte im Zusammenhang mit der Guiden- und Inventarliteratur ist ein Forschungsziel, das das Kunsthistorische Institut neben der Digitalisierung des relevanten Materials verfolgt. Die Gruppe der zur Diskussion stehenden Werke umfasst zwölf Titel unterschiedlichen Umfangs, wobei in mehreren Fällen verschiedene Auflagen einbezogen werden müssen, welche die fortwährende Arbeit an der städtischen Selbstdarstellung dokumentieren (Abb. 2).

Neben der Volltextdigitalisierung und Transkription der Quellentexte, für die eine bereits weit entwickelte und probate technische Basis existiert, soll geeignete Software zur Editionen vergleichenden Analyse geprüft und an die projektspezifischen Anforderungen angepasst werden. Das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, das auf dem Gebiet der digitalen Edition historischer Quellentexte reiche Erfahrungen vorweisen kann, berät das Projekt und hat auch Interesse gezeigt, an der Entwicklung eines Instruments zur Visualisierung editionsbedingter Variationen eines historischen Textes mitzuwirken.

Die wissenschaftliche Konzeption des Projekts wurde im Laufe des Jahres 2005 in enger Kooperation mit dem international renommierten Spezialisten für italienische Kunstliteratur der Neuzeit, Thomas Frangenberg (University of Leicester), abgestimmt und fixiert. Das relevante Quellenmaterial für die erste Projektphase befindet sich bis auf sehr wenige Ausnahmen im Besitz des Kunsthistorischen Instituts. Anhand einer ausgewählten Gruppe von Werken sollen prototypisch die funktionalen und kommunikativen Optionen erprobt werden. Diese Werke wurden im Institut gescannt und durch die Agentur „Formax“ (Beijing, China) transkribiert. Mithilfe des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte wird die Verlinkung der Transkriptionen mit Sekundärressourcen (Wörterbücher, Lexika und Ähnliches) vorgenommen. Außerdem wird die Vernetzung mit bibliographischen Informationen wie dem Online-Katalog des Kunsthistorischen Instituts und mit Abbildungsmaterial vorbereitet.

Das Projekt ist dezidiert als interinstitutionelles Unternehmen angelegt. Auch wenn die Anfangsphase in der Obhut des Kunsthistorischen Instituts liegen wird, sind bereits im Vorfeld intensive Gespräche mit der Scuola Normale Superiore in Pisa geführt worden. Mit ausgesuchten Bibliotheken und Forschungsstätten (etwa jener der Bibliotheca Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, oder der Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze) wird eine fallweise noch zu präzisierende Zusammenarbeit angestrebt. Deren Bestände sollen das Quellenkompendium um weitere Segmente bereichern und das Projekt auf eine breitere Grundlage stellen.

Wappen Florentiner Familien, Bruderschaften und Hospitäler

Die seit 1909 im Besitz des Kunsthistorischen Instituts befindliche Wappenkartei besteht aus mehr als 2.800 Zeichnungen von Wappen hauptsächlich Florentiner Familien (Abb. 3). Diese einzigartige, umfangreiche Sammlung wurde in mühsamer Kleinarbeit offenbar von einem einzigen anonymen Zeichner des späten 19. Jahrhunderts geschaffen. Sie ist ein häufig konsultiertes Instrument zur Identifizierung von Wappen, die sich etwa an Palastfassaden, Grabmälern oder Altarbildern befinden können.

Die erste Phase des 2005 begonnenen Projekts umfasst die Digitalisierung des Konvoluts an Wappenzeichnungen sowie eine internationalen Standards der Heraldik entsprechende Beschreibung der Wappen (Blasonierung).

Die auf diese Weise entwickelten Begriffe werden zusammen mit den Familiennamen und weiteren Informationen indiziert und in eine Datenbank integriert, die als Grundlage für eine entsprechende Recherche dienen wird (Abb. 4). Harald Drös, Leiter der Forschungsstelle „Deutsche Inschriften“ an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und international renommierter Heraldikspezialist, konnte als Partner für das Projekt gewonnen werden. Die Konzeption der Datenbank baut bereits bestehende hauseigene und in jahrelangem Einsatz erprobte Strukturen der Photothek des Kunsthistorischen Instituts auf. Darüber hinaus hat auch das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte (Bildarchiv Foto Marburg) Bereitschaft signalisiert, das Projekt zu unterstützen.

In Zusammenarbeit mit dem Istituto di Scienza e Tecnologia dell’Informazione (ISTI) des Consiglio Nazionale di Ricerca (CNR) in Pisa wird ein Instrument entwickelt, das über bisherige Navigationsmöglichkeiten in Bilddatenbanken hinausgeht: die computergestützte Bilderkennung als Suchoption. Neben der verbalen Indexierung, die das Auffinden der Wappen in der Datenbank unter vielfältigen inhaltlichen Kategorien ermöglicht, wird die im Bereich der Pressephotographie experimentell eingesetzte Software zur Bilderkennung für das Wappenprojekt angepasst. Sie zerlegt die digitalisierten Bilder automatisch in dezidierte Bildfelder, die anschließend mithilfe eines Algorithmus mit ähnlichen Feldern anderer Bilder abgeglichen werden. Als Ergebnis erhält man ein Ranking der höchsten Ähnlichkeit. Ein für Testzwecke geeigneter, an die Wappendatenbank angepasster Prototyp wird im ersten Quartal 2006 vorliegen.

Die Kooperation mit den Kollegen vom ISTI bedeutet für beide Seiten eine wichtige Bereicherung. So versprechen sich die IT-Spezialisten in Pisa aus der Zusammenarbeit wichtige Erkenntnisse, die sie zu neuen Fragestellungen bei ihren Forschungsaktivitäten leiten werden. Das Kunsthistorische Institut wiederum wird auf der Grundlage dieser neuen Variante der visuellen Analyse von Bildern die eigenen Forschungen in geeigneten Fällen entsprechend ausrichten und neue Forschungsfelder überhaupt erst erschließen können. Die mithilfe der elektronischen Analyse ermittelte Kongruenz und Standardisierung von formalen Elementen berührt Fragen des Werkprozesses und der Tradition gestalterischer Prinzipien in der bildenden Kunst allgemein.

Analog zu dem in Punkt 1 beschriebenen Projektmodul (Historische Guiden) ist eine optionale Vernetzung mit ausgewählten Ressourcen (Text- und Abbildungsmaterial) sowie mit weiterführenden Referenzen (Lexika, Bibliographien, Literaturdatenbanken) in Vorbereitung. Darüber hinaus werden in der gegenwärtigen Initialphase die Verlinkung der beiden ersten Module und eine simultane Recherche erprobt.

Die Mitarbeiter der Forschungsstelle „Die Kirchen von Siena“ am Kunsthistorischen Institut haben als eigenes Arbeitsinstrument eine handgezeichnete Sammlung von Wappen Sieneser Familien aufgebaut, die der Florentiner Wappenkartei ähnelt, auch wenn sie deutlich jünger ist (seit 1977 entstanden, Abb. 5) . Daher ist geplant, auch diese Sammlung von Wappenzeichnungen in die Datenbank aufzunehmen und sukzessive weitere italienische Städte heraldisch zu erschließen. Auch diese Option ist auf Kooperation mit ausgesuchten Partnern angelegt.

Das im Entstehen begriffene Digitale Archiv zur Kunsttopographie italienischer Städte versteht sich nicht als statische Akkumulation von Daten. Vielmehr ist es ein Forschungsinstrument, das mit neuen digitalen Recherche- und Verknüpfungswegen zugleich neue historische wie kunsthistorische Erkenntnisse und Interpretationen ermöglicht (und vice versa). Diese können im Archiv zugänglich gemacht und für dessen weitere Entwicklung genutzt werden.

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