Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung

Eine Schatzsuche unter wilden Gersten: Wie die Biodiversität der Gerste zur Züchtung von Elitesorten verwendet wird

Autoren
Schmalenbach, Inga; Pillen, Klaus
Abteilungen

Unabhängige Forschergruppen
MPI für Pflanzenzüchtungsforschung, Köln

Zusammenfassung
Die Kulturgerste ist die viertwichtigste Getreideart der Welt. Sie ist vor etwa 10000 Jahren aus Wildgersten hervorgegangen. Untersucht wird die genetische Diversität zwischen Kultur- und Wildgersten mit neuen Werkzeugen der Genomforschung. Die neuen Erkenntnisse werden zum einen in der modernen Pflanzenzüchtung umgesetzt und sie helfen zugleich, die genetische Regulation der Wachstums- und Entwicklungsprozesse einer Nutzpflanze aufzuklären.

Gerste als genetische Ressource

Die Kulturgerste ist nach Mais, Reis und Weizen die viertwichtigste Getreideart der Welt. Laut Angaben der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAOSTAT) wurden im Jahr 2005 weltweit 141 Mio. Tonnen Gerste im Wert von 12,9 Mrd. € geerntet. Die Gerste wächst in den gemäßigten Breiten der Erde einjährig als Sommergerste oder überjährig als Wintergerste. Das Signal zur Blütenbildung erfolgt umweltabhängig als Reaktion auf die Veränderung der Tageslänge oder auf einen Kältereiz. Während die Gene Ppd-H1 und Ppd-H2 auf die Tageslänge reagieren, kontrollieren die Gene Vrn-H1, Vrn-H2 und Vrn-H3 die Umsetzung des Kältereizes in einen Blühimpuls. In der neueren Literatur werden die Gerstenchromosomen entsprechend ihrer sehr guten Übereinstimmung zu den Weizenchromosomen mit 1H bis 7H bezeichnet. Das Gerstengenom umfasst etwa 5,3 Mrd. DNA-Nukleotide. Es ist damit etwa 40-mal größer als das Genom von A. thaliana und fast doppelt so groß wie das Genom des Menschen.

Das Entstehungsgebiet der Kulturgerste liegt in der Region des so genannten fruchtbaren Halbmondes, der sich von Israel über Syrien und die Türkei bis zum Irak und Iran erstreckt. Als direkter Vorfahr der Kulturgerste gilt die Wildgerste Hordeum vulgare ssp. spontaneum. Ihre Domestikation erfolgte vor etwa 10.000 Jahren. Die Gerste gehört damit neben Einkorn, Emmer, Lein, Erbsen und Linsen zu den ältesten Kulturarten der Menschheit. Während Wildgerste die für Wildgetreide typische Spindelbrüchigkeit der Ähre aufweist, zeichnen sich die ersten Kulturgersten durch einen festen Spindelsitz aus. Die Spindelbrüchigkeit ist ein dominantes Merkmal und wird durch die beiden eng gekoppelten Gene Brt1 und Brt2 vererbt. Im Laufe der weiteren Domestikation traten auch sechszeilige Gerstenformen gegenüber den ursprünglich zweizeiligen Formen sowie nacktsamige Gersten gegenüber den normalerweise bespelzten Gersten auf. Die Zweizeiligkeit und das bespelzte Korn werden durch die dominanten Gene Vrs1 und Nud kontrolliert. Die Gattung Hordeum umfasst etwa 30 Wildarten. Wildgersten tragen zahlreiche wertvolle Gene für Resistenzen gegen Pathogene (beispielsweise gegen die Erreger von Mehltau, Zwergrost oder Blattflecken) und für Toleranzen gegen abiotischen Stress (zum Beispiel Trockenheit, Frost oder Salzgehalt [1]). Ein Teil der genetischen Variation der Gattung Hordeum wird in Form von Samen in Genbanken gelagert. Man schätzt, dass gegenwärtig etwa 370.000 Hordeum-Muster weltweit gesammelt und in Genbanken konserviert sind.

Die Genomforschung an Gerste

In Deutschland wird die Genomforschung an Pflanzen im besonderen Maße durch die Pflanzengenomforschungsinitiative (GABI) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Webseite: http://www.gabi.de). Neben der Modellpflanze Arabidopsis thaliana bildet die Kulturpflanze Gerste, Hordeum vulgare ssp. vulgare, die zweite Hauptsäule vieler GABI-Projekte. Seit der Wiederentdeckung der Mendel’schen Vererbungsgesetze wurde die Gerste als experimenteller Modellorganismus der Genetik genutzt. Ihre Vorzüge liegen in der diploiden, selbstbefruchtenden Fortpflanzung, den relativ großen, leicht unterscheidbaren Chromosomen, der ausgesprochen engen Verwandtschaft mit der komplexeren Getreideart Weizen, dem hohen Grad an natürlicher oder künstlich erzeugter Variation, der leichten Kreuzbarkeit, dem relativ kurzen Generationszyklus von ungefähr 15 Wochen und der Adaptionsfähigkeit an extreme Klimate. Neben den aufgeführten klassischen Merkmalen zeichnet sich die Gerste auch durch die Verfügbarkeit von zahlreichen Werkzeugen der modernen Genomforschung aus. Zu erwähnen sind die einfache Erzeugung von reinerbigen Doppelhaploiden aus männlichen Gameten, die Möglichkeit der Erzeugung von transgenen Gersten durch Agrobacterium tumefaciens vermittelten Gentransfer sowie die Existenz von künstlich induzierten Mutantenkollektionen. Letztere stellen ein wertvolles Instrument der Genomforschung dar, um durch das Ausschalten oder die Überexpression eines Gens Informationen über die Funktion des Genproduktes zu gewinnen. Weiterhin wurden zahlreiche genomische DNA-Bibliotheken, die Insertionen von mehr als 100000 DNA-Nukleotiden in Bakterienchromosomen tragen, als so genannte Bacterial artifical chromosome (BAC) Bibliotheken erstellt. Diese bilden das Rückgrat sowohl für die Isolierung einzelner Gene mit bekanntem Phänotyp durch die Technik der Genkarten gestützten Klonierung als auch für die DNA-Sequenzierung des kompletten Gerstengenoms. In der öffentlichen Datenbank der DNA-Sequenzen des National Center for Biotechnology Information (NCBI) sind bisher etwa 500.000 exprimierte Gerstengene archiviert, die aus verschiedenen Geweben der Gerste und zu verschiedenen Entwicklungsstadien der Pflanze isoliert wurden. Aus dieser Datenbank wurde ein repräsentativer Satz von 21.000 Genen der Gerste selektiert, welche nun, auf Mikrochips gebunden, zur Charakterisierung der Genexpression in Gerstenpflanzen verwendet werden. Mithilfe dieses Gersten-Mikrochips kann die spezifische Genaktivität in unterschiedlichen Geweben und Entwicklungsstadien qualitativ und quantitativ verglichen und daraus Rückschlüsse auf die Ausprägung eines Phänotyps, wie der Abwehr einer Krankheit, gezogen werden. Die Gerstendatenbank wurde weiterhin verwendet, um hochauflösende Genkarten der Gerste mit mehreren Tausend DNA-Markern zu erstellen. Diese enthalten auch single nucleotide polymorphism (SNP) Marker, welche Einzelbasenaustausche in der DNA anzeigen und in multiparallelen Hochdurchsatzverfahren zur genetischen Charakterisierung von Kultur- und Wildgersten Verwendung finden [2]. Mit Hilfe der vorhandenen Genomressourcen wurde bereits eine Reihe von Resistenzgenen der Gerste kloniert und ihre molekulare Funktion näher beleuchtet. So konnten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung die Funktion des rassenspezifischen Resistenzgens Mla [3] als auch des rassen-unabhängigen mlo-Gens [4] charakterisieren: Beide Gene vermitteln Resistenz gegen den Mehltaupilz Blumeria graminis f. sp. hordei.

Die Verfügbarkeit der bereits erwähnten umfangreichen BAC-Bibliotheken der Gerste sowie neue Sequenziertechnologien wie die 454-Sequenzierung [5] lassen die Genomsequenzierung der Gerste in naher Zukunft wahrscheinlich werden. Ein internationales Konsortium zur Gerstengenomsequenzierung wurde bereits unter der Leitung von Andreas Graner vom Leibniz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben, ins Leben gerufen (Webseite: http://www.barleygenome.org). Ausgehend von einer physikalischen Karte der Gersten-BACs sowie einer genetischen Karte der BAC-Enden sollen die linear geordneten BACs sequenziert und wie in einem Puzzle zu einem Gesamtgenom zusammengeführt werden.

Anwendung der Genomforschung in der praktischen Gerstenzüchtung

Die möglichen Anwendungen der Genomsequenzinformation sind vielfältig. Die Suche nach Genvariationen durch die vergleichende Sequenzierung von Kultur- und Wildgersten erlaubt es zum Beispiel, neue Varianten einer Gensequenz, die auch als Allele bezeichnet werden, in den Wildgersten zu identifizieren. Die agronomischen Effekte der Wildallele können danach durch Assoziationsstudien in Rückkreuzungspopulationen oder in Wildpopulationen geprüft werden. Brauchbare Alleleffekte der Wildart können anschließend in den Genpool der modernen Elitesorten überführt werden, um gezielt verbesserte Gerstensorten zu züchten.

Diese Idee ist im Prinzip nicht neu. Seitdem der russische Genetiker Nikolaj Ivanovič Vavilov in den 1920er-Jahren das Konzept der Konservierung genetischer Ressourcen der modernen Nutzpflanzen in die Tat umgesetzt hat, wurden weltweit Saatgut-Kollektionen der Wildarten in Genbanken gelagert und auf die Existenz phänotypisch sichtbarer Geneffekte hin überprüft. In Gerste wie in anderen Kulturarten konnten dadurch zahlreiche Wildallele, die monogene Resistenzen gegen Pathogene und monogene Toleranzen gegen abiotische Stressoren vermitteln, identifiziert und durch eine Rückkreuzungszüchtung in den Elitepool überführt werden. Das Hauptaugenmerk bei der agronomischen Bewertung einer modernen Nutzpflanzensorte liegt jedoch auf quantitativen Eigenschaften wie dem Ertrag, der Ertragsstabilität und dem Gehalt an wertgebenden oder wertmindernden Inhaltsstoffen, welche meist polygen, das heißt durch das synchrone Zusammenspiel vieler Gene, bestimmt werden. Diese Eigenschaften konnten bis in die 1990er-Jahre nicht oder nur sehr unzureichend genetisch charakterisiert werden, da die Werkzeuge dazu fehlten. Erst die Entwicklung von DNA-Markern in ausreichender Zahl sowie die aus den Gen- und Genomsequenzierungen resultierende Möglichkeit der multiparallelen Untersuchung der allelischen Variation in einer Population erlauben es heutzutage, die genetischen Faktoren, welche die Expression eines quantitativen Merkmals determinieren, durch genetische Kopplung als quantitative trait locus (QTL) zu lokalisieren und durch die Genkarten gestützte Klonierung mittels BACs zu isolieren.

Das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung arbeitet seit langem intensiv an der Untersuchung der allelischen Genvariation in Wildgersten und seit neuestem auch an ihrer Nutzung. Zunächst wurden durch Rückkreuzungszüchtung Populationen erstellt, die Teile des Genoms der Wildgerste in kleinen Introgressionen tragen (Abb. 1). Danach wurden diese Rückkreuzungslinien mit Hilfe von DNA-Markern genetisch charakterisiert [6] und parallel deren agronomische Leistungsfähigkeit in Kooperation mit deutschen Gerstenzüchtern in Feldversuchen geprüft (Abb. 2).

Die statistische Auswertung beider Datensätze erlaubte es, QTLs in Genregionen zu lokalisieren, welche die Ausprägung quantitativer Merkmale maßgeblich kontrollieren (vgl. [7]). Darüber hinaus konnten Allele der Wildgersten in den Populationen identifiziert werden, die gegenüber dem Kulturallel mit einer agronomischen Verbesserung des Merkmals verbunden waren. Die gleichen QTL-Effekte der Wildgerstenallele wurden anschließend in reinen Introgressionslinien, die nur noch einen einzelnen Chromosomenabschnitt der Wildgerste im genetischen Hintergrund der Kulturgerste trugen, erneut geprüft (Abb. 3). Dabei wurden zahlreiche Alleleffekte der Wildgerste bestätigt. So konnten beispielsweise vorteilhafte Wildallele verifiziert werden, die die Reduktion der Pflanzenhöhe (Abb. 4), die Resistenz gegen Mehltau und die Steigerung des Ertrags oder einzelner Ertragskomponenten induzierten.

Die Introgressionslinien werden aktuell in zwei Richtungen genutzt. Die kooperierenden Züchter benutzen die Linien, um die vorteilhaften QTL-Allele der Wildgerste in ihr eigenes Zuchtmaterial zu überführen. Mittels einer DNA-Marker gestützten Selektion werden daraus neue, verbesserte Elitesorten der Gerste gezüchtet. Zum anderen werden die Introgressionslinien als Startpunkte zur Genkarten gestützten Klonierung derjenigen Gene benutzt, die diese QTL-Effekte auslösen. Am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung werden dafür zurzeit hochauflösende Kartierungspopulationen erstellt. Diese werden zur Feinkartierung der QTL-Regionen verwendet, um die Identität der Gene mittelfristig mithilfe der physikalischen BAC-Karten und der generierten Genomsequenz der Gerste aufzuklären.

Wie das vorgestellte Beispiel der Nutzung von Wildgersten zeigt, kommt die eingangs erwähnte Idee von Vavilov, den Schatz der genetischen Variation von Wildformen nutzbar zu machen, einer Realisierung ein gutes Stück näher. Pflanzenwissenschaftler arbeiten derzeit weltweit mit Erfolg daran, den genetischen Schatz von Wildformen mithilfe der Werkzeuge der Genomforschung zu heben.

Originalveröffentlichungen

P. Piffanelli, L. Ramsay, R. Waugh, A. Benabdelmouna, A. D'Hont, K. Hollricher, J. H. Jorgensen, P. Schulze-Lefert, R. Panstruga:
A barley cultivation-associated polymorphism conveys resistance to powdery mildew.
Nature 430, 887-891 (2004).
N. Rostoks, L. Ramsay, K. MacKenzie, L. Cardle, P. R. Bhat, M. L. Roose, J. T. Svensson, N. Stein, R. K. Varshney, D. F. Marshall, A. Grainer, T. J. Close, R. Waugh:
Recent history of artificial outcrossing facilitates whole-genome association mapping in elite inbred crop varieties.
Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 103, 18656-18661 (2006).
Q. H. Shen, Y. Saijo, S. Mauch, C. Biskup, S. Bieri, B. Keller, H. Seki, B. Ulker, I. E. Somssich, P. Schulze-Lefert:
Nuclear activity of MLA immune receptors links isolate-specific and basal disease-resistance responses.
Science 315, 1098-1103 (2007).
M. von Korff, H. Wang, J. Leon, K. Pillen:
Development of candidate introgression lines using an exotic barley accession (Hordeum vulgare ssp. spontaneum) as donor.
Theoretical and Applied Genetics 109, 1736-1745 (2004).
M. von Korff, H. Wang, J. Leon, K. Pillen:
AB-QTL analysis in spring barley: II. Detection of favourable exotic alleles for agronomic traits introgressed from wild barley (H. vulgare ssp. spontaneum).
Theoretical and Applied Genetics 112, 1221-1231 (2006).
T. Wicker, E. Schlagenhauf, A. Graner, T. J. Close, B. Keller, N. Stein:
454 sequencing put to the test using the complex genome of barley.
BioMed Cental Genomics 7, 275 (2006).
F. J. Zeller:
Improving cultivated barley (Hordeum vulgare L.) by making use of the genetic potential of wild Hordeum species.
Journal of Applied Botany 72, 162-167 (1998).
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