Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion

Radikalhaltige Komplexe als funktionelle Modelle für metalloenzymatische Katalyse

Radical Complexes as functional models for metalloenzymatic catalysis

Autoren
Chaudhuri, Phalguni; Wieghardt, Karl; Weyhermüller, Thomas; Bothe, Eberhard; Bill, Eckhard
Abteilungen

Bioanorganische Chemie (Prof. Dr. Karl Wieghardt)
MPI für bioanorganische Chemie, Mülheim an der Ruhr

Zusammenfassung
Ausgehend von in der Natur katalytisch essentiellen, redoxaktiven Aminosäureresten wurden einige radikalhaltige Übergangsmetallkomplexe synthetisiert und deren katalytische Reaktivität gegenüber organischen Substraten untersucht. Die synthetisierten iminosemichinonhaltigen Verbindungen wurden als Katalysator für die Luftoxidation von Substraten wie o-Aminophenol, Aminen und Alkoholen benutzt, um die katalytischen Reaktionen von kupferhaltigen Metalloenzymen, z.B. Phenoxazinon-Synthase (PHs), Amin-Oxidasen (AO) und Galactose-Oxidase (GO), im Labor nachzuahmen. Kinetische Untersuchungen haben gezeigt, dass der „On-Off“-Mechanismus der beteiligten Radikale häufiger vorkommt als bisher angenommen, meistens ohne Redox-Beteiligung der jeweiligen Metallzentren.
Summary
Significant efforts were directed towards the design and testing of phenol-containing ligands for synthesizing radical-containing transition metal complexes as potential candidates for oxidative catalysis of organic substrates like alcohols, amines and 2-aminophenol with oxygen from air. Functional models for different copper-oxidases, such as Galactose Oxidase (GO), Amine Oxidases (AO) and Phenoxazinone Synthase (PHs) are reported. In most of the cases, an "on-off" mechanism of the radicals without redox participation from the metal centers seems to be operative in the catalysis involving such metal-iminosemiquinone radical complexes.

Vor allem die leicht oxidierbaren Aminosäuren wie Tyrosin, Tryptophan, Cystein- und Glyzin gehören zu den essentiellen, redoxaktiven Aminosäureresten in der Natur. In einigen Enzymen treten Tyrosinreste in Verbindung mit Metallen auf: Die eisenhaltige Ribonukleotid-Reduktase und die Prostaglandin H-Synthase zählen dazu, sowie die Galactose-Oxidase (GO) und die Glyoxal-Oxidase mit jeweils einem aktiven Kupferzentrum. Das pflanzliche photosynthetische Reaktionszentrum PSII mit dem wasserspaltenden Manganzentrum enthält ebenfalls ein Tyrosylradikal, das häufig vorkommend und zurzeit das am besten charakterisierte Proteinradikal ist.

Für die Wirkungsweise dieser metallhaltigen Biomoleküle werden in der Literatur Mechanismen vorgeschlagen, in denen das Übergangsmetallion mit der redoxaktiven Tyrosingruppe reagiert. Dabei soll Disauerstoff für die Bildung des Tyrosylradikals (bzw. Aminosäureradikals) verantwortlich sein, die mit einer Änderung der Redoxstufe des Metallzentrums einhergeht. Das metallhaltige aktive Zentrum des Enzyms ist an der Erzeugung und Stabilisierung des Aminosäureradikals, das wiederum die Katalyse durch die Abstraktion eines Wasserstoffatoms vom Substrat initiiert, entscheidend beteiligt.

Durch synthetische biomimetische Koordinationsverbindungen werden biologische Metallzentren nachgeahmt, um die Wirkungsweise der metalloenzymatischen Katalyse verstehen zu können und um sie z.B. für neue aktive oder für spezifische technische Katalysatoren weiterzuentwickeln. Die Zusammenschau von Ergebnissen zu chemischen Vorgängen in der Natur und an geeigneten Modellbildungen in der Anorganischen Chemie führt zu wechselseitigen Anregungen, Forschungsvorhaben und zu der Gewinnung und Weiterentwicklung von Ergebnissen. Ziel ist es, die einzigartigen chemischen Leistungen eines Metalloproteins auf molekularer Basis zu verstehen und sie auch in anderen Bereichen nutzbar zu machen.

Schwerpunktmäßig wurde die katalytische Oxidation der organischen Substrate mit Luftsauerstoff verfolgt. Für die Darstellung funktionaler Modelle wurden als Biomoleküle die Phenoxazinon-Synthase (PHs), die Amin-Oxidasen (AO) und die Galactose-Oxidase (GO) ausgewählt. Diese Oxidasen enthalten Kupfer im Aktivzentrum.

Es hat sich gezeigt, dass verschiedene synthetisierte Komplexe mit „nicht unschuldigen“ („non-innocent“) Liganden mit mehreren verfügbaren Redoxzuständen katalytisch effizient organische Substrate mit Luftsauerstoff oxidieren können. Diese neue Art der Substrat-Oxidation durch Liganden als Elektronenreservoir wird weiter untersucht.

Katalytische Luftoxidation von o-Aminophenol

Die Phenoxazinon-Synthase (PHs), eine Multi-Kupfer-Oxidase, katalysiert die 6-Elektronen-Oxidativkopplungsreaktion von einer o-Aminophenol-Einheit zum Phenoxazinon-Chromophor von Actinomycin D. Die in vivo biochemische Reaktion ist in der folgenden Gleichung dargestellt.

Nach einer Kristallstrukturanalyse (Abb. 1) mit einer Auflösung von 2,3 Å besteht das Enzym aus (4+1)-Kupferzentren. Die Tetra-Kupfer-Einheit enthält unterschiedliche Kupfertypen: den Typ I (blaues Kupfer), den Typ II (normales Kupfer) und den Typ III (antiferromagnetisch gekoppelte Dikupferzentren).

Der gerade in unserem Institut synthetisierte Metallkomplex (Komplex 1) ist ein vierkerniger Cu(II)-Komplex mit vier koordinierten Imonosemichinonradikalen (Abb. 2).

Der dreizähnige Ligand [L]3- wird leicht zum dianionischen Radikalligand [L]2- oxidiert. Diese Radikalform koordiniert mit einzelnen Cu(II)-Zentren, wobei [CuII4(L)4] (Komplex 1) entsteht. In Abbildung 2 ist diese verzerrte Cuban-Struktur zusammen mit den Liganden schematisch dargestellt. Der Neutralkomplex [CuII4(L)4] wird in Form grün-schwarzer Kristalle isoliert und weist einen diamagnetischen Grundzustand (St = 0) auf, der durch die intramolekulare antiferromagnetische Kopplung (JCu-Cu = -32.2 cm-1, JCu-R = -39.7 cm-1; SCu = 1/2, SR = 1/2) zustande kommt. Dieser Komplex katalysiert die Oxidation von o-Aminophenol zu 2-Aminophenoxazin-3-one mit Luftsauerstoff bei Raumtemperatur und ist daher ein gutes funktionelles Modell für PHs.

Auf der Grundlage kinetischer, elektrochemischer und verschiedener spektroskopischer Untersuchungen wurde für die katalytische Oxidation des Substrats o-Aminophenol mit Luftsauerstoff der in Abbildung 2 dargestellte Mechanismus vorgeschlagen. Vier Radikale und zwei Cu(II)-Zentren nehmen 6 Elektronen vom Substrat auf; anschließend oxidiert Luftsauerstoff das entstandene Reduktionsprodukt zum aktiven Katalysator zurück („Ping-Pong“-Mechanismus).

PHs ist ein kupferhaltiges Enzym. Als Ergänzung wurde eine Mangan(IV)-Monoradikal-Verbindung [Et3NH][MnIV(LA)(LA)] (Komplex 2) synthetisiert, charakterisiert und auf katalytische Eigenschaften untersucht. Die Röntgenstrukturanalyse von 2, [MnIV(LA)(LA)]- ist in Abbildung 3 gezeigt und belegt, dass das Mn(IV)-Ion einen vollständig deprotonierten dreizähnigen [LA]3--Liganden und einen radikalischen, dianionischen [LA]2--Liganden koordinativ in einer pseudo-oktaedrischen N2O4-Umgebung bindet.

2 weist einen St = 1 Spingrundzustand auf, der durch eine intramolekulare, stark antiferromagnetische Kopplung des Radikalspins (SLA• = 1/2) mit dem Spin des MnIV-Ions (SMn = 3/2) zustande kommt. Dieser Komplex hat sich als ein guter Katalysator für die Luftoxidation von 2-Aminophenol erwiesen. Der Katalysator nimmt in diesem Fall drei Elektronen vom Substrat auf. Dabei entsteht die reduzierte Verbindung [MnII(LA)(LA)]4-. Dieser Vorgang konnte durch kinetische, verschiedene spektroskopische (EPR, UV-vis) und Sauerstoff-Aufnahme-Messungen bei Raumtemperatur und bei -25 oC (H2O2 nachgewiesen) belegt werden. Der Mechanismus für die Katalyse einer Luftoxidation des Substrats, o-Aminophenol, der mit allen von uns gewonnenen Daten übereinstimmt, ist im unteren Teil der Abbildung 3 dargestellt.

Katalytische Luftoxidation von Aminen

Untersuchungen zur Oxidation verschiedener Amine haben ergeben, dass der Mn(IV)-Komplex, 2, auch ein guter Katalysator für die Oxidation von Aminen mit zwei α-H-Atomen ist, mit einer Ausbeute von etwa 35%. Es konnte keine Oxidation von Sekundäraminen oder von Aminen mit nur einem α-H-Atom beobachtet werden.

Mit dem selektiv deuterierten Substrat PhCD2NH2 wurde ein kinetischer Isotopieeffekt kH/kD von ca. 1 erhalten. Die H-Abstraktion des α-C-Atom vom Amin ist hier offensichtlich nicht der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Katalyse. Wahrscheinlich ist die Wasserstoffbrückenbindung zwischen dem Substrat und dem Katalysator die treibende Kraft; sequentiell folgt der Protonen- und Elektronentransfer. Diese katalytische Reaktivität des Komplexes 2 ähnelt der Katalyse von radikalhaltigen Kupfer-Enzymen – den Amin-Oxidasen. Diese katalysieren die 2-Elektronen-Luftoxidation primärer Amine gemäß der Reaktion

Folglich ist die Mn(IV)-Monoradikal-Verbindung 2 ein funktionelles Modell für die Amin-Oxidasen.

Obwohl der dargestellte mangan(IV)haltige Katalysator 2 keine strukturelle Ähnlichkeit mit den aktiven Zentren der Enzyme-Amin-Oxidasen und der Phenoxazinon-Synthase aufweist, zeigt er dennoch entsprechende enzymatische Reaktivitäten. Die beiden grundsätzlichen Voraussetzungen für die Reaktivitäten der Enzyme werden vom Katalysator 2 erfüllt: i) eine Metall-Radikal-Einheit, und ii) gespeicherte Oxidationsäquivalente in den Metallen und den Radikalen (siehe Abb. 3).

Luftoxidation von Alkoholen

Es konnte gezeigt werden, dass verschiedene Komplexe mit so genannten „non-innocent“-Liganden mit mehreren verfügbaren Redoxzuständen katalytisch effizient Alkohole mit Luftsauerstoff oxidieren können und damit als funktionelle Modelle für die Galactose-Oxidase (GO) angesehen werden.

Ein Cu(II)-Diradikal-Katalysator [CuII(LCF3)2]0, 3, vermag Alkohole, sogar Methanol, mit Luftsauerstoff zu Aldehyden mit guter Ausbeute umzuwandeln.

Diese Reaktivität entspricht den Vorgängen in der Aktivform der Galactose-Oxidase. GO enthält im aktiven Zentrum im Gegensatz zu dem Cu(II)-bis(Iminosemichinon)-Katalysator 3 ein Cu(II)-Ion und ein koordinativ gebundenes Tyrosylradikal. Das Aktivzentrum der GO ist in Abbildung 4 dargestellt.

Der Katalysator 3 wurde strukturell, spektroskopisch und elektrochemisch untersucht (Abb. 5). 3 weist einen Dublett-Spin-Grundzustand (St = 1/2) auf, der durch intramolekulare antiferromagnetische Kopplung des CuII-Ions (SCu = 1/2) mit den zwei Radikalspins (SLCF3 = 1/2 x 2) zustande kommt. Es ist zu beobachten, dass die antiferromagnetische Kopplung zwischen den Radikalspins stärker ist als zwischen dem Cu(II) und dem Radikal. Demgemäß kann die Spinorientierung folgendermaßen dargestellt werden: ↑(R)↓(Cu)↓(R). Untersuchungen des Mechanismus sprechen dafür, dass die zwei Oxidationsäquivalente der Radikale für die Katalyse genutzt werden; die Cu(I)-Oxidationsstufe spielt keine Rolle. Der vorgeschlagene Mechanismus ist in Abbildung 5 dargestellt. Durch EPR, UV-vis und elektrochemische Untersuchungen konnte das stark reduzierend wirkende Intermediat [CuII(L2-CF3)2]2- (in Abb. 5 blau dargestellt) nachgewiesen werden.

Die H-Abstraktion vom α-C-Atom des koordinierten Alkoholkations ist hier – wie bei der GO – der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Katalyse. Im Gegensatz zur GO behält das Kupferion während der Luftoxidation des Alkohols die Oxidationsstufe bei.

Die vorliegenden Forschungsergebnisse belegen, dass neue Katalysatoren, die keine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Aktivzentrum eines bestimmten Enzyms aufweisen, dennoch entsprechende Funktionsweisen zeigen. Die durch diese Untersuchungen gewonnenen neuen Erkenntnisse zu Radikalen, insbesondere zu Metall-Radikalen, kann man in der Weise zusammenfassen, dass der „On-Off“-Mechanismus der Radikale ohne Redox-Beteiligung der Metalle ein sehr verbreiteter Prozess zu sein scheint.

Die hier beschriebenen Katalysatoren können auch im Hinblick auf potenzielle Anwendungen interessant sein. Die synthetisierten radikalhaltigen Komplexe sind besser handhabbar als die Enzyme. Der Verlauf der Katalyse lässt sich an diesen funktionellen Modellen besser untersuchen.

Ziel derartiger Forschungsprojekte ist es, komplexe Vorgänge in der Natur (hier: die katalytische Wirkung von Enzymen) zu modellieren und biochemische Reaktionen im Labor nachzuahmen, um so zu einem besseren Verständnis der natürlichen Vorgänge zu kommen.

Zur Redakteursansicht