Forschungsbericht 2005 - Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft

Heterogene Katalysatoren: Ein Zwischenbericht

Autoren
Schlögl, Robert
Abteilungen

Anorganische Chemie (Prof. Dr. Robert Schlögl)
Fritz-Haber-Institut der MPG, Berlin

Zusammenfassung
Die Erforschung von Wirkungsweise und Materialeigenschaften heterogener Katalysatoren ist eine zentrale abteilungsübergreifende Fragestellung im Fritz-Haber-Institut. Im vergangenen Jahr wurde an dieser Stelle über die Fortschritte bei der Funktionsaufklärung von nanostrukturierten Modellsystemen berichtet. Dieses Mal wird von der Konstitution so genannter „Realkatalysatoren“ und von den Herausforderungen berichtet werden, die sich bei der Aufklärung ihrer Funktionen stellen.

Was ist heterogene Katalyse?.

Katalyse ist die Wissenschaft und Technologie der Beeinflussung des zeitlichen Ablaufes chemischer Reaktionen (Kinetik) durch Zugabe von Funktionsmaterialien (den Katalysatoren) in das Reaktionsgemisch. Diese Materialien können die gleiche Phase wie die Reaktanden aufweisen (homogene Katalyse) oder sie können verschiedenen Phasen angehören, was man als heterogene Katalyse bezeichnet.

Entsprechend einer historischen Definition von Berzelius sind Katalysatoren Materialien, welche durch ihre bloße Gegenwart und ohne an der gewünschten Reaktion teilzunehmen, die Geschwindigkeit dieser Reaktion verändern könnten. Daher benötigt man nur eine geringe Stoffmenge von Katalysatoren im Vergleich zur Stoffmenge der Reaktanden. Heute wissen wir, dass Katalysatoren sehr wohl an der Reaktion, die sie beeinflussen teilnehmen, dass sie aber die Fähigkeit besitzen sich zu regenerieren und daher in katalytischen Zyklen vielfach die identische Reaktion ausführen und immer wieder ihre Ausgangsstruktur zurückbilden. Katalysatoren sind also dynamische Materialien deren Funktion auch darin besteht, sich an die Reaktionsumgebung in ihrer Struktur anpassen zu können. Diese Eigenschaft bringt die enorme Herausforderung mit sich, die Untersuchung der Funktion unter Bedingungen chemischer Reaktionen ausführen zu müssen. Darauf hat sich die Abteilung Anorganische Chemie des Fritz-Haber-Instituts spezialisiert (Abb. 1).

Warum studiert man Katalysatoren?

Katalyse ist die Schlüsseltechnologie der chemischen Industrie. 90% aller Produkte dieser Industrie, die etwa 18% des Welt-Brutto-Sozialproduktes hervorbringt, werden durch Katalyse gewonnen. Ohne diese Produkte gäbe es keine modernen Technologien und die Menschheit könnte nicht mehr ernährt werden: Treibstoffe, Düngemittel, Kunststoffe, Farbstoffe, Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel sowie Hilfsstoffe für die Lebensmittelindustrie und für die Elektro- und Halbleiterindustrie sind wesentliche Bereiche, die durch Katalyse erst möglich werden. Der überwiegende Teil der etwa 25.000 mengenmäßig großen Prozesse der Industrie werden heterogen katalytisch ausgeführt. Heterogene Katalysatoren schützen die Umwelt in Abgasreinigungsanlagen mobiler („Autokatalysator“) und stationärer Quellen (Rauchgasreinigung in Kraftwerken). Katalytische Prozesse ermöglichen das Leben („Biokatalyse“) und tragen wesentlich zu Klimaprozessen bei (Ozonloch, Sommersmog). Zukünftige Energieversorgungssysteme und Speicherprozesse funktionieren nur mit heterogener Katalyse (Brennstoffzelle, Wasserstoffwirtschaft). Diesem Zukunftsthema ist eine institutsübergreifende Forschungsinitiative zwischen den Abteilungen Anorganische Chemie und Theorie des Fritz-Haber-Instituts und den Max-Planck-Instituten für Kolloid- und Grenzflächenforschung, für Polymerforschung, für Festkörperforschung und für Kohlenforschung gewidmet, in der grundlegende Arbeiten zu neuen Katalysatoren und zu Batteriesystemen durchgeführt werden.

Alle nicht-natürlichen Katalyseprozesse funktionieren nur mit einer deutlich geringeren Wirksamkeit als thermodynamisch möglich wäre. Es wird geschätzt, dass optimale Katalysatoren bis zu 50% des Energieaufwandes der chemischen Industrie einsparen könnten. Neben der wissenschaftlichen Neugier, einen so wichtigen Prozess wie Katalyse grundsätzlich zu verstehen, gibt es massive praktische Gründe, die Grundlagenforschung der Katalyse so weit zu entwickeln, dass man von empirischen Reihenversuchen bei der Katalysatorentwicklung zu planvollen Konstruktionsprozessen übergehen kann. Von diesem „design“ von Katalysatoren sind wir heute sehr weit entfernt und helfen uns mit der Entwicklung robotischer Testverfahren (Hochdurchsatzverfahren), um den Entwicklungsprozess zu forcieren.

Wie funktionieren heterogene Katalysatoren grundsätzlich?

Die physikalische Chemie hat in den letzten 50 Jahren das Funktionskonzept entschlüsselt. Katalysatoren erniedrigen die Energiebarrieren, welche die Umwandlung molekularer Strukturen steuern. Sie tun dies dadurch, dass die Reaktandenmoleküle auf der Grenzfläche Katalysator-Reaktionsatmosphäre adsorbiert werden. Danach werden sie durch den Bruch chemischer Bindungen aktiviert, die Fragmente reagieren zu neuen Molekülen und diese desorbieren von der Oberfläche zurück in den Reaktandenraum. Transportprozesse mit kritischen Dimensionen im Nanometerbereich und die elektronische Struktur der Oberfläche am Ort der Reaktion bestimmen dabei das Geschehen (Abb. 2). Das Brechen und Knüpfen chemischer Bindungen geschieht über den zeitweisen Austausch von Elektronen zwischen Katalysator und Reaktand: hier müssen sehr genaue Übereinstimmungen der gebenden und nehmenden elektronischen Zustände vorliegen, damit eine effektive Reaktion (Aktivität) ablaufen kann. Es darf aber auch weder Verarmung noch Blockierung der reaktiven Zentren mit der richtigen Elektronenstruktur (und damit mit einer hochspezifischen geometrischen Struktur) auftreten, sonst beobachtet man keine dauerhafte Aktivität. Daher spielen Transportprozesse von Reaktanden und Energie auf mehreren Längenskalen eine sehr wichtige Rolle, welche die katalytische Aktivität ebenso sehr bestimmen wie die atomaren Details des Systems. Der Katalysezyklus wird dadurch geschlossen, dass das reaktive Zentrum wieder die gleiche geometrische und elektronische Struktur erhält, die es zu Beginn der Reaktion aufwies.

Was nützt das Verständnis von Katalysatoren?

Die elementaren Prozesse werden an Modellsystemen studiert, welche wohl definierte Oberflächen zur Verfügung stellen. Nur an solchen Systemen können die modernen theoretischen und experimentellen Methoden zur Strukturbestimmung eingesetzt werden. Mit ihnen beantwortet man Fragen nach der Natur, Struktur und der Energetik von Elementarreaktionen. Von besonderer Bedeutung ist derjenige Schritt im Prozess, welcher am langsamsten verläuft. Dieser bestimmt die Gesamteffektivität der Reaktion. Das „design“ von Katalysatoren würde eine systematische Verbesserung dieses Schrittes durch geeignete Modifikation der geometrischen und elektronischen Struktur bedeuten. Bis heute hat man noch keine Methoden gefunden, aktive Zentren zu identifizieren oder gar sichtbar zu machen. Daher ist auch nicht bekannt, wie viele aktive Zentren pro Oberflächeneinheit auf einem Katalysator vorliegen, was neben der Funktionsaufklärung die Bestimmung der Aktivität sehr erschwert.

Die Daten über Elementarprozesse (Natur und Anzahl, Geschwindigkeitskonstanten und Energiebarrieren) können heute zusammen mit einer genauen quantenchemischen Beschreibung der hypothetischen Struktur der aktiven Zentren zu kinetischen Modellen kombiniert werden, welche die Produktivität von Katalysatoren in einer Reaktion als Funktion der Bedingungen von Zusammensetzung des Reaktandengemisches, der Temperatur und des Druckes unabhängig von experimentellen Daten über den Katalysator vorhersagen und damit die Grundlage für eine Prozessentwicklung liefern. Dies muss als eine enorme Leistung angesehen werden, da die Modellexperimente weder an realen Katalysatoren noch unter realen Bedingungen stattfinden und die Vorhersage einen enormen Wertebereich von etwa 10 Größenordnungen in den Reaktionsbedingungen umfasst.

Leider funktioniert diese Kombination aus Theorie und Modellexperiment nur bei sehr wenigen Reaktionen so gut, dass sich praktische Konsequenzen für die Katalysatorentwicklung im Rahmen dieses „rationalen Ansatzes“ ableiten lassen. Diese kinetisch „anspruchslosen“ Reaktionen wie die Oxidation von CO (Abb. 3) oder die Synthese von Ammoniak nach dem Haber-Bosch-Verfahren sind zwar wichtig, lassen sich aber nicht als Modelle für kinetisch anspruchsvolle Reaktionen benutzen. Katalysatoren für diese extrem bedeutsamen Prozesse müssen trotz des enormen Wissens, das heute vorliegt, immer noch nach dem „empirischen Ansatz“ durch Intuition und Erfahrung entwickelt werden.

Warum funktioniert der rationale Ansatz so oft nicht?

Zur Umsetzung des rationalen Ansatzes müssen einige schwerwiegende Vereinfachungen des Systems aus Katalysator und Reaktanden gemacht werden. Nur so lassen sich Modellsysteme mit ausreichender struktureller Definition gewinnen. Die Modelle stellen im Paradigma der Katalyseforschung die funktionalen Extrakte der viel komplexeren „Realkatalysatoren“ dar. Diese Extraktion gelingt nur sehr unvollständig, und die Vereinfachungen schränken die Übertragung des allgemein sehr gut verstandenen Prinzips der Katalyse auf komplexere Probleme stark ein. Zu diesen Vereinfachungen zählen:

•Reines Einskalensystem: Modellsysteme sind zweidimensional, transportfrei und operieren unter Bedingungen minimalen Umsatzes. Damit werden wesentliche Aspekte realer Systeme bewusst ausgeschlossen, allerdings werden auch die von ihnen ausgehenden Einflüsse auf die Natur des Katalysators vernachlässigt. Die Anzahl der aktiven Zentren wird in Modellsystemen mit der Anzahl aller oder eines durch Strukturanalyse bestimmbaren Bruchteils der Oberflächenatome gleichgesetzt.

•Keine Volumenchemie. Modellkatalysatoren sind nur wohl definiert, wenn Prozesse auf ihrer Oberfläche stattfinden. Unter realen Bedingungen wird allerdings auch das Volumen durch Wechselwirkung mit Reaktanden verändert (Einbau von Atomen aus den Reaktanden, Oxidation, Reduktion, Segregation, Sinterung). Diese Prozesse sind an Modellen bewusst ausgeschaltet, bestimmen aber oft entscheidend die Funktion. Es entsteht die Materiallücke zwischen Modell- und Realsystemen. Zu dieser Lücke zählt auch, dass die Anzahl der aktiven Zentren, die sich durch Wechselwirkung von Reaktand und Katalysator meist erst bilden („Aktivierung“) sehr klein gegenüber der Gesamtzahl von reaktiven Zentren ist. Auf Modellsystemen werden sie in vielen Fällen gar nicht gebildet.

•Minimale strukturelle Komplexität: Auch ohne Kopplung der Chemie von Katalysator und Reaktanden sind Realsysteme durch ihre Realstruktur (die Summe aller Defekte) wesentlich komplexer als Modellsysteme. Eine wichtige Eigenschaft der Modelle ist eine durch Periodizität beschreibbare Struktur aus Terrassen und Stufen, welche mit vielfältigen Maßnahmen zu hoher Perfektion präpariert wird. Dadurch sind die geometrischen Orte aller Atome im Volumen und an der Oberfläche so gut zugänglich, dass ihre elektronische Struktur experimentell und theoretisch mit hoher Präzision beschrieben werden kann, was eine zentrale Voraussetzung für die Modellbildung ist.

•Keine strukturelle Dynamik: Modelle müssen strukturell statisch sein, damit die Wechselwirkungen von Atomen der Reaktanden und des Katalysators genau bestimmbar sind. Unter „realen“ Bedingungen verändern sich die Struktur und die Chemie von Katalysatoren in Raum und Zeit; die zyklische Chemie der aktiven Zentren und eine langsamere Umwandlung der notwendigerweise metastabilen Katalysatoren in stabile Phasen greifen stark in das funktionale Geschehen ein, werden aber in Modellprozessen kaum abgebildet.

Die Forschungsstrategie (Abb. 4)

Diese Defizite des Modellansatzes führten zu pauschalen Vorurteilen über die unzureichende Relevanz der Modellsysteme für die „Realchemie“ und fördern die Ansicht, dass statistische, nicht auf Wissen basierte Verfahren der Katalyseforschung mit genetischen Algorithmen und evolutionären Strategien der überlegene Forschungsansatz sei. Die Abteilung Anorganische Chemie setzt auf einen modifizieren wissensbasierten Ansatz, da nur dieser eine nachhaltige Entwicklung neuer Prozesse mit einer effektiven Überwindung der Dimensionsprobleme und der Skalierung von atomistischen Erkenntnissen in ingenieurmäßige Realisationen zulässt. Wir befinden uns immer noch im Stadium des Erkennens der wahren Komplexität des Vorhabens, entwickeln geeignete Beobachtungsmethoden und fügen die Elemente des Ansatzes für einige Prozesse zusammen.

Die Beispiele in den Abbildungen zeigen punktuelle Entwicklungen im Portfolio unserer Reaktionen, die sich zumeist mit der Kontrolle der Selektivität von Reduktions- und Oxidationsreaktionen an kleinen Kohlenwasserstoffmolekülen befassen. Es wird noch geraume Zeit dauern, bis unser Netzwerk aus analytischen Methoden und kontrollierten Herstellverfahren zu einer allgemein anwendbaren Strategie für die Entwicklung von Katalysatoren wird, welche über ein gesamtes Projekt von der Konzeption bis zur technischen Realisierung effektiver als die heutigen Vorgehensweisen sind. Der Zwischenbericht zeigt, dass eine belastbare Analyse der Ursachen der gegenwärtigen Schwierigkeiten in diesem Forschungsfeld erreicht ist und wesentliche Methodenentwicklungen vorangetrieben wurden, um das Forschungskonzept wirksam umzusetzen.

Neben den wissenschaftlichen Berichten über unsere Arbeit überprüfen wir die Relevanz unserer Erkenntnisse durch die Entwicklung neuer Herstellverfahren für Katalysatoren und in der Präparation neuartiger katalytischer Materialien derzeit vor allem auf der Basis nanostrukturierter Kohlenstoffe. Diese Aktivitäten führen direkt in die Anwendung und werden daher, wenn möglich, in Industriekooperationen realisiert. Auf diese Weise sichern wir einen effizienten Fluss der gewonnen Erkenntnisse von Grundlagenforschung in die anwendende Industrie.

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