Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Experimente mit extrem kalten Gasen

Autoren
Prof. Dr. Rempe, Gerhard; Dr. Dürr, Stephan
Abteilungen

Quantendynamik (Prof. Dr. Gerhard Rempe)
MPI für Quantenoptik, Garching

Zusammenfassung
An kalten Gasen mit Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt lässt sich eine Vielzahl von quantenmechanischen Effekten untersuchen, die bei höheren Temperaturen aufgrund der Wärmebewegung der Teilchen nicht zu beobachten sind. Dazu gehört die Bose-Einstein-Kondensation genauso wie reversible chemische Reaktionen und zahlreiche Effekte in optischen Gittern.

Kälte bedeutet nichts anderes als das Fehlen von Wärme. Bereits im 17. Jahrhundert entstand eine Theorie der Wärme, deren Grundzüge auch nach dem heutigen Stand der Wissenschaft noch gelten. Danach ist Wärme das Ergebnis der zufälligen Bewegungen der mikroskopischen Teilchen, aus denen eine Substanz besteht. Je wärmer eine Substanz ist, desto schneller bewegen sich die Teilchen. Aus diesem Modell ergeben sich interessante Konsequenzen. Kühlt man nämlich eine Substanz immer weiter ab, so kommt die zufällige Wärmebewegung irgendwann völlig zum Erliegen und die Substanz kann nicht mehr kälter werden. Diesen Punkt nennt man den absoluten Nullpunkt der Temperaturskala. Der französische Physiker Guillaume Amontons gab im Jahre 1702 als Erster einen groben Wert für die minimale Temperatur an: -240°C. Er lag damit bereits recht nahe am heutigen Wert von -273,15°C.

Traditionelle Methoden zur Erzeugung sehr geringer Temperaturen beruhen auf Wärmekraftmaschinen, deren Funktionsweise zumindest im Prinzip der eines handelsüblichen Kühlschranks ähnelt. Damit lassen sich Temperaturen erreichen, die dem absoluten Nullpunkt sehr nahe kommen. Ein neuer revolutionärer Kühlmechanismus, die „Laserkühlung“, wurde in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts für atomare Gase entwickelt [1]. Hier werden Atome aus sechs Raumrichtungen mit Laserstrahlen beschossen, deren Frequenz etwas unterhalb der Anregungsenergie liegt. Auf diese Weise absorbieren die Teilchen immer dann Licht, wenn sie sich auf den Strahl zu bewegen – dann sind sie aufgrund des Dopplereffekts in Resonanz – und werden dabei in dieser Richtung abgebremst. Auf ein einzelnes Atom angewandt bedeutet der Begriff Abkühlung also, dass dem Teilchen immer mehr Bewegungsenergie entzogen wird. Bei diesem Verfahren, mit dem man sich dem absoluten Nullpunkt bis auf 0,00001°C nähern kann, verbleibt die gekühlte Materie stets in der Gasphase, wohingegen sie bei herkömmlichen Kühlverfahren mit abnehmender Temperatur flüssig oder fest wird.

Bose-Einstein-Kondensation und Feshbach-Resonanzen

Im Jahre 1905 stellte Walther Nernst den dritten Hauptsatz der Thermodynamik auf. Dieser impliziert, dass die allgemeine Zustandsgleichung, die ein „ideales Gas“ beschreibt, bei sehr geringen Temperaturen nicht mehr gültig sein kann. Dieser Sachverhalt wurde unter dem Namen „Gasentartung“ diskutiert. 1925 präzisierte Albert Einstein die in diesem Zustand auftretenden physikalischen Prozesse. Aufbauend auf einer Abhandlung des indischen Physikers Satyendranath Bose sagte er voraus, dass in einem extrem kalten Gas ein überraschend großer Anteil der Teilchen den Zustand niedrigster Energie besetzen sollte. Dieses Phänomen wird Bose-Einstein-Kondensation genannt und konnte erstmals 1995 unter Verwendung von Laserkühlung experimentell realisiert werden [2]. Ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC) ist kein normaler gasförmiger Zustand mehr. Vielmehr verhalten sich die Teilchen im Gas ähnlich wie die Lichtteilchen in einem Laser; sie haben alle identische Eigenschaften, sind also ununterscheidbar. Aufgrund dieser Analogie wird ein Bose-Einstein-Kondensat auch als Atomlaser bezeichnet. Die Untersuchung dieser besonderen Materiezustände ist ein rasch wachsendes Forschungsgebiet, das heute von über 100 experimentellen Gruppen weltweit bearbeitet wird.

Einsteins Modell berücksichtigte noch nicht die Tatsache, dass die Teilchen in einem Gas kollidieren können. Diese Wechselwirkung der Teilchen untereinander spielt aber in der Praxis eine große Rolle, da sie viele Eigenschaften eines Bose-Einstein-Kondensats, z. B. seine räumliche Ausdehnung, seine Energie und sogar seine Stabilität beeinflusst. Es ist daher für viele Experimente wünschenswert, die Stärke der Wechselwirkung einstellen zu können. Dies gelingt für besondere Atomarten, die durch äußere Magnetfelder beeinflusst werden. Bei speziellen Werten der Magnetfeldstärke treten Resonanzen in den Streuprozessen auf, die zu Ehren des amerikanischen Physikers Herman Feshbach als „Feshbach-Resonanzen“ bezeichnet werden. Über diese Resonanzen lässt sich z. B. steuern, ob die Teilchen in einem Gas sich gegenseitig anziehen oder abstoßen, und wie stark sie dies tun. Die erste Beobachtung einer Feshbach-Resonanz in einem Bose-Einstein-Kondensat gelang 1998 [3].

Erzeugung kalter Molekülgase

Auf Gase aus Molekülen ließ sich die Laserkühlung bisher noch nicht anwenden. Allerdings ist es in den letzten Jahren gelungen, Paare von lasergekühlten Atomen durch eine chemische Reaktion dauerhaft in Moleküle umzuwandeln [4]. Normalerweise würde bei einer solchen chemischen Reaktion Wärme freigesetzt werden, was im Vergleich zur sehr geringen Anfangstemperatur eine dramatische Erwärmung bedeuten würde. Dies wird vermieden, wenn die Moleküle über eine Feshbach-Resonanz erzeugt werden: Sie sind dann so kalt wie die einzelnen Atome vor der Reaktion. Feshbach-Resonanzen haben also zwei verschiedene Anwendungen für kalte Gase: Sie können entweder die Stärke der Wechselwirkung verändern oder die Molekülerzeugung so steuern, dass dabei keine Wärme freigesetzt wird.

Doch damit nicht genug. Die chemische Reaktion wird durch den Einsatz der Feshbach-Resonanz auch noch von außen zeitlich steuerbar und reversibel. Dies kann man auf zwei Arten nachweisen. Eine Möglichkeit besteht darin, – ähnlich wie bei der Suche nach Sendern in einem Radio – das Magnetfeld langsam durch die Feshbach-Resonanz zu fahren. Dadurch werden Moleküle erzeugt. Fährt man zu einem späteren Zeitpunkt das Magnetfeld wieder zurück, so wird die Resonanz nochmals in Gegenrichtung durchfahren. Dabei werden die Moleküle wieder in Atompaare zerlegt [5]. Eine andere Möglichkeit ist, das Magnetfeld plötzlich genau auf den Resonanzwert zu stellen. In diesem Fall beginnt die Population zwischen dem Molekülzustand und dem Atompaarzustand zu schwingen (Abb. 1). Diese zeitliche Oszillation beruht auf einer quantenmechanischen Überlagerung der beiden Zustände [6].

Optische Gitter

Ein weiterer Aspekt, der Bose-Einstein-Kondensate sehr interessant macht, ist die Möglichkeit, sie sehr definiert zu präparieren, um andere physikalische Systeme in idealisierter Form nachzubilden. Viele physikalische Systeme, wie etwa Festkörper, zeigen nämlich ein äußerst komplexes Verhalten, dessen theoretisches Verständnis oft dadurch erschwert wird, dass sich die Wechselwirkung der Teilchen aufgrund der relativ hohen Dichten sehr stark bemerkbar macht. Solche Systeme werden oft nur mit groben Näherungen für theoretische Ansätze zugänglich. Selbst diese vereinfachten Modelle sind zum Teil noch so kompliziert, dass das Verhalten des Systems auch mit Großrechnern nicht innerhalb vernünftiger Zeitspannen beschrieben werden kann. An dieser Stelle können Bose-Einstein-Kondensate als Modellsysteme dienen, mit deren Hilfe sich eine idealisierte Version des ursprünglichen Systems im Labor realisieren und dessen Verhalten beobachten lässt. Ein solches Vorgehen nennt man Quantensimulation. Oft ist es auch möglich, im Modellsystem noch andere Parameter als im ursprünglichen System zu messen oder gezielt zu verändern und damit zusätzliche Informationen zu gewinnen.

Ein Standardwerkzeug solcher Quantensimulationen sind so genannte optische Gitter. Hier erzeugen mehrere Laserstrahlen ein periodisch geformtes Lichtfeld, das die Gitterstruktur von Festkörperkristallen simuliert. Die so erzeugte „Potenzialfläche“ ähnelt einem Eierkarton, in dessen Vertiefungen sich die Atome des kalten Gases bevorzugt niederlassen. Ein Beispiel für einen Effekt aus der Festkörperphysik, der mit einem Bose-Einstein-Kondensat in einem optischen Gitter realisiert wurde, ist der Phasenübergang von einem Suprafluid zu einem Mott-Isolator [7]. Im suprafluiden Zustand befinden sich die Atome an den periodisch angeordneten Minima des Potenzials, können aber ungehindert von einem Minimum zum nächsten hüpfen. Erhöht man die Barriere, die beim Springen überwunden werden muss, so arrangieren die Teilchen sich so, dass jeder Gitterplatz exakt gleich viele Teilchen enthält. Dieser Zustand wird Mott-Isolator genannt, nach dem englischen Physiker Neville Mott. Besetzt man in diesem System jeden Gitterplatz mit genau zwei Atomen, so kann man anschließend eine Feshbach-Resonanz nutzen, um die Atompaare in Moleküle umzuwandeln. Damit gelingt es einen Quantenzustand zu erzeugen, bei dem sich an jedem Gitterplatz genau ein Molekül befindet (Abb. 2) [8].

Stöße zwischen Molekülen

Ähnlich wie Atome können auch Moleküle kollidieren. In den meisten Fällen ist ein Stoß zwischen zwei Molekülen „unelastisch“, das heißt beim Stoß wird Energie freigesetzt. Dadurch werden die beteiligten Moleküle so schnell, dass sie aus dem Beobachtungsvolumen herausfliegen. Der Stoß führt also zu Teilchenverlusten.

Dies lässt sich mithilfe optischer Gitter vermeiden. Wie in Abbildung 2 dargestellt, befindet sich an jedem Platz eines dreidimensionalen Gitters genau ein Molekül, weshalb sich keine Stöße ereignen können. Nun wird die Gittergeometrie so geändert, dass die resultierende Potenziallandschaft röhrenförmige Minima hat. Entlang dieser Röhren können sich die Moleküle im Prinzip frei bewegen and daher auch kollidieren. Doch kurioserweise verhalten sich die Moleküle ganz anders: Statt unelastisch Stöße zu vollführen und dadurch aus dem Gitter zu fliegen, gehen sie sich gegenseitig aus dem Weg. Die Ursache für dieses Verhalten, das zu einer erheblichen Reduzierung der Teilchenverluste führt, liegt in einem außergewöhnlichen quantenmechanischen Vielteilchenzustand [9]. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass die Moleküle versuchen, möglichst großen Abstand voneinander zu halten. Man spricht von einem korrelierten Zustand.

Ausblick
Langfristige Perspektiven für die Anwendung von Experimenten mit kalten Gasen gibt es in verschiedenen Gebieten. Ein bereits erwähntes Beispiel sind Quantensimulationen von Fragestellungen aus der Festkörperphysik, wobei man sich beispielsweise ein besseres Verständnis von Effekten wie Magnetismus oder Supraleitung erhofft. Außerdem besteht die Möglichkeit, Probleme aus Feldtheorien zu simulieren, wie sie z. B. in der Kosmologie oder der Elementarteilchenphysik auftreten. Darüber hinaus gibt es Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Präzisionsmessungen, in denen mögliche zeitliche Veränderungen der Naturkonstanten erforscht werden.

Originalveröffentlichungen

W.D. Phillips:
Nobel lecture: Laser cooling and trapping of neutral atoms.
Reviews of Modern Physics 70, 721-741 (1998).
M.H. Anderson, J.R. Ensher, M.R. Matthews, C.E. Wieman, E.A. Cornell:
Observation of Bose-Einstein condensation in a dilute atomic vapor.
Science 269, 198-201 (1995).
S. Inouye, M.R. Andrews, J. Stenger, H.-J. Miesner, D.M. Stamper-Kurn, W. Ketterle:
Observation of Feshbach resonances in a Bose-Einstein condensate.
Nature 392, 151-154 (1998).
T. Köhler, K. Góral, P.S. Julienne:
Production of cold molecules via magnetically tunable Feshbach resonances.
Reviews of Modern Physics 78, 1311-1361 (2006).
S. Dürr, T. Volz, A. Marte, G. Rempe:
Observation of molecules produced from a Bose-Einstein condensate.
Physical Review Letters 92, 020406 (2004).
N. Syassen, D.M. Bauer, M. Lettner, D. Dietze, T. Volz, S. Dürr, G. Rempe:
Atom-molecule Rabi oscillations in a Mott insulator.
Physical Review Letters 99, 033201 (2007).
M. Greiner, O. Mandel, T. Esslinger, T.W. Hänsch, I. Bloch:
Quantum phase transition from a superfluid to a Mott insulator in a gas of ultracold atoms.
Nature 415, 39-44 (2002).
T. Volz, N. Syassen, D.M. Bauer, E. Hansis, S. Dürr, G. Rempe:
Preparation of a quantum state with one molecule at each site of an optical lattice.
Nature Physics 2, 692-695 (2006).
N. Syassen, D.M. Bauer, M. Lettner, T. Volz, D. Dietze, J.J. García-Ripoll, J.I. Cirac, G. Rempe, S. Dürr:
Strong dissipation inhibits losses and induces correlations in cold molecular gases.
Science 320, 1329-1331 (2008).
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