Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Was uns Gesichter erzählen können: Zielorientierungen im Lebensverlauf

Autoren
Ebner, Natalie; Riediger, Michaela
Abteilungen

Entwicklungspsychologie (Lindenberger) (Prof. Dr. Ulman Lindenberger)
MPI für Bildungsforschung, Berlin

Zusammenfassung
Jüngere und ältere Menschen unterscheiden sich in der selbst berichteten Orientierung ihrer persönlichen Ziele. Eine Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat untersucht, ob sich diese Altersgruppenunterschiede auch in den generellen Orientierungen junger und älterer Erwachsener über Zielorientierungen im jungen und höheren Erwachsenenalter widerspiegeln.

Die Pläne einer Person für die eigene Zukunft werden auch als persönliche Ziele bezeichnet. Aus früheren, am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durchgeführten Studien ist bekannt, dass sich jüngere und ältere Personen in der expliziten – also von ihnen selbst berichteten – Orientierung ihrer persönlichen Ziele unterscheiden: Jüngere Erwachsene (18 bis 30 Jahre) geben an, dass ihre persönlichen Ziele primär auf die Verbesserung eines Funktionszustandes ausgerichtet sind, wohingegen ältere Erwachsene (65 bis 85 Jahre) ihre Ziele stärker auf Erhaltung und Verlustvermeidung orientieren. Erhaltungsorientierung geht bei Älteren mit positivem Wohlbefinden einher, während Verlustvermeidung bei Jüngeren mit negativem Wohlbefinden zusammenhängt.

Verbesserung oder Bewahrung

Eine Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ging nun der Frage nach, ob sich diese Altersgruppenunterschiede in der persönlichen Zielorientierung auch in den generellen Erwartungen junger und älterer Erwachsener über Zielorientierungen im jungen und höheren Erwachsenenalter widerspiegeln. Werden also Orientierungen auf Verbesserung vornehmlich mit dem jungen Erwachsenenalter und Orientierungen auf Verlustvermeidung vorwiegend mit dem höheren Erwachsenenalter verknüpft? Zur Beantwortung dieser Frage entwickelte die Forschergruppe eine Serie von Aufgaben, bei denen Gesichter zugeordnet und wiedererkannt werden sollten. In einer ersten Studie wurden 24 jüngeren (20 bis 29 Jahre) und 24 älteren Versuchsteilnehmern (71 bis 85 Jahre) 160 Fotografien von Gesichtern junger und älterer Personen am Computerbildschirm dargeboten. Die Aufgabe der Studienteilnehmer bestand darin, jedes Gesicht einer von zwei Zielorientierungen (Orientierung auf Verbesserung oder Orientierung auf Verlustvermeidung) selbst zuzuordnen. Es zeigte sich, dass junge und ältere Probanden Zielorientierungen in Richtung auf Verbesserung eher mit Gesichtern junger und Zielorientierungen in Richtung auf Verlustvermeidung eher mit Gesichtern älterer Personen verknüpften.

Alterstypische Verknüpfungen

In einer nächsten Studie gingen die Forscher dann der Frage nach, ob diese alterstypischen Erwartungen über Zielorientierungen das Verarbeiten neuer Verknüpfungen zwischen Zielorientierung und Lebensalter beeinflussen. Dazu wurden den Versuchsteilnehmern wiederum Fotografien von Gesichtern junger und älterer Personen am Computerbildschirm gezeigt. Jedes der 32 dargebotenen Gesichter wurde dabei zusammen mit einer Zielorientierung präsentiert: Die dargestellte Person verfolgte entweder ein Ziel in Richtung auf Verbesserung oder in Richtung auf Verlustvermeidung. In einer zweiten Testsitzung, die eine Woche später stattfand, wurden die Studienteilnehmer dann gebeten, die in der ersten Testsitzung dargebotenen Personen wiederzuerkennen und sich an die jeweilige Zielorientierung zu erinnern. An dieser Studie nahmen 59 junge Erwachsene (19 bis 31 Jahre) und 60 ältere Erwachsene (69 bis 79 Jahre) teil. Wieder zeigte sich, dass junge und ältere Probanden Zielorientierung in Richtung auf Verbesserung eher mit dem jungen Erwachsenenalter und Zielorientierung in Richtung auf Verlustvermeidung eher mit dem höheren Erwachsenenalter verknüpfen. Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass dieses „altersstereotype“ Schema die Erinnerungsleistung für neue Verknüpfungen zwischen Zielorientierung und Lebensalter beeinflusst. Wenn sich die Teilnehmer in der Wiedererkennung und Zuordnung irrten, so entsprach der Irrtum alterstypischen Verknüpfungen. Interessanterweise war diese Tendenz bei den Älteren besonders stark ausgeprägt – die Erklärung liegt wohl darin, dass ältere Menschen sich stärker an Bekanntem orientieren und Schwierigkeiten haben, bereits vorhandene Assoziationen zu überwinden. Die Ergebnisse beider Studien lassen also vermuten, dass junge und ältere Erwachsene allgemeine Erwartungen über Altersgruppenunterschiede in Zielorientierungen haben, welche sich auf die Behaltensleistung neuer Informationen zu Lebensalter und Zielorientierung auswirken, und zwar besonders bei älteren Erwachsenen.

Die Rolle von Emotionen

In einer dritten Studie waren die Forscher schließlich daran interessiert, die Rolle von Emotionen für die Verknüpfung von Zielorientierung und Lebensalter zu untersuchen. Dazu wurden 94 jungen Erwachsenen (18 bis 31 Jahre) und 93 älteren Erwachsenen (68 bis 81 Jahre) nicht wie bislang neutrale Gesichter gezeigt, sondern 48 fröhliche beziehungsweise traurige Gesichter junger und älterer Erwachsener, und zwar erneut in Kombination mit den Zielorientierungen Verbesserung und Verlustvermeidung. In einer zweiten Testsitzung, eine Woche später, sollten die Studienteilnehmer die gezeigten Personen wiedererkennen und sich sowohl an die jeweilige Zielorientierung als auch an den jeweiligen Gesichtsaudruck erinnern. In dieser zweiten Testsitzung wurden die Gesichter nicht mit einem emotionalen, sondern mit einem neutralem Gesichtsausdruck dargeboten. Die Analysen lassen vermuten, dass vor allem ältere Erwachsene dazu neigen, eine Verbesserungsorientierung mit dem fröhlichen Gesichtsausdruck einer jungen Person und eine Orientierung auf Verlustvermeidung mit dem traurigen Gesichtsausdruck einer älteren Person in Verbindung zu bringen, und zwar unabhängig von der Zielorientierung und dem Gesichtsausdruck, mit dem die Person ursprünglich dargeboten wurde.

Neue Gesichterdatenbank

Bevor diese Untersuchung beginnen konnte, musste eine neue Gesichterdatenbank aufgebaut werden, die neben fröhlichen und traurigen Gesichtern junger Männer und Frauen auch fröhliche und traurige Gesichter älterer Personen umfasst. Zu diesem Zweck wurden 58 19- bis 31-jährige, 56 39- bis 55-jährige und 57 69- bis 80-jährige Komparsen in das Fotostudio des Instituts eingeladen. Das Forscherteam trainierte sie darin, nacheinander sechs verschiedene Emotionen (neutral, traurig, angeekelt, ärgerlich, ängstlich und fröhlich) mit dem entsprechenden Gesichtsausdruck darzustellen. Ein Berufsfotograf machte zu jedem der sechs Gesichtsausdrücke zahlreiche Aufnahmen. Anhand eines standardisierten Auswahlverfahrens wurden die zwei besten Bilder pro Person und Gesichtsausdruck für die Gesichterdatenbank ausgewählt. Die Datenbank soll demnächst zusammen mit Angaben zu Attraktivität, Alter, Gesichtsausdruck und weiteren Normdaten einer Stichprobe von Erwachsenen jungen, mittleren und höheren Alters veröffentlicht werden, um sie für Forscherinnen und Forscher im In- und Ausland zugänglich zu machen.

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