Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie

Dichtung oder Wahrheit: sexuelle Signale bei Vögeln

Truth or dare: honesty of avian sexual signals

Autoren
Peters, Anne
Abteilungen

Vogelwarte Radolfzell (Dr. Wolfgang Fiedler)
MPI für Ornithologie, Seewiesen

Zusammenfassung
Farbenfrohe Ornamentierung ist häufig ein Kriterium der Partnerwahl bei Vögeln. Die Weibchen bevorzugen stets Männchen mit der höchsten Ausprägung dieser Merkmale. Dass die gelbe Schnabelfarbe verlässlich, also "ehrlich" ist im Hinblick auf Immunkompetenz und Fruchtbarkeit, konnten Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Ornithologie jüngst an Stockerpeln zeigen. Sie fanden einen Abgleich (Trade-off) mit Immunfunktionen, der theoretisch die Ehrlichkeit sexueller Signale gewährleisten kann, zum einen durch Testosteron, welches die Ausprägung sexueller Merkmale fördert, aber Immunität unterdrückt, zum anderen durch Karotinoide, Farbstoffe, die in Ornamenten verwendet werden können oder Immunfunktionen unterstützen.
Summary
Trade-offs with immunity can theoretically enforce honesty on sexual signals through testosterone, that stimulates sexual traits but also suppresses immunity, and/or carotenoids, that can be used in ornaments or support immune functions. Recently, researchers at the Max Planck Institute for Ornithology found evidence for such trade-offs in male mallards.

Kommunikation durch Signale

Bei der Verständigung zwischen Tieren kommt der Ehrlichkeit eines Signals besondere Bedeutung zu: Ist die übertragene Information zwischen Sender und Empfänger verlässlich und wenn ja, worauf beruht diese Verlässlichkeit? Die visuelle Verständigung zwischen Tieren kennt eine große Bandbreite von „Signalen“ mit häufig übertriebenen Merkmalen, die nicht direkt verfügbare Informationen über den Sender vermitteln. Eines der bekanntesten Beispiele ist die sexuelle Ornamentierung im Prachtkleid der Vögel, das ein Signal für die Qualität eines potenziellen Partners oder Rivalen darstellt. Ornamente, also Verzierungen wie glänzendes oder farbenfrohes Gefieder sind häufig ein entscheidendes Kriterium bei der Partnerwahl durch die Weibchen. Dabei scheinen diese eine Präferenz für besonders auffällige Ornamente zu besitzen, denn sie bevorzugen stets Männchen mit der höchsten Ausprägung eines bestimmten Merkmals. Ein Männchen mit irrelevanten ornamentalen Merkmalen zu wählen, wäre für ein Weibchen ohne direkten Nutzen. Denn die Ornamente gelten als Signale bestimmter männlicher Qualitäten, beispielsweise zukünftiger Brutpflege durch das Männchen oder guter genetischer Qualität. Oft haben Sender und Empfänger nicht dieselben Interessen und das System ist anfällig für betrügerische oder unehrliche Signale. Andererseits sollten Signale vom evolutionären Standpunkt aus generell verlässlich sein, weil andernfalls das Signalsystem im Sinne der Evolution nicht stabil wäre. Daher muss es aus evolutionärer Sicht Mechanismen geben, die die Ehrlichkeit sicherstellen und dafür sorgen, dass die individuelle Ebene der Signalisierung angemessen über individuelle Qualität informiert – trotz der Vorteile des Betrügens (d. h. ein größeres Ornament zu produzieren als der Qualität angemessen wäre).

Für Merkmale, die als Qualitätsindikatoren dienen, spielen die Produktionskosten des Signals eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung dieser Ehrlichkeit, indem sie betrügerische Merkmalsübertreibungen limitieren. In dieser Hinsicht besonders rätselhaft für Evolutionsbiologen sind scheinbar willkürliche Qualitätssignale wie farbenfrohe Flecken oder Verzierungen, die weitreichende Auswirkungen auf den Fortpflanzungserfolg haben können, zugleich aber keine „wirklichen“ Kosten zu verursachen scheinen.

Ein Durchbruch wurde mit der Erkenntnis erzielt, dass derartige Ornamente als Signale für Krankheitsresistenzen fungieren können und dass physiologische Prozesse die Verbindung zwischen Signalproduktion und Immunqualität bilden können. Zwei Abgleiche (engl. Trade-offs) zwischen den Optionen Immunfunktion und sexuelle Signale wurden vorgeschlagen: Konkurrenz um Karotinoide [1] und Testosteron-induzierte Immunsuppression [2].

Sicherstellung der Ehrlichkeit durch Karotinoide

Die meisten roten, gelben und orangefarbenen sexuellen Ornamente, die von Weibchen bei der Partnerwahl besonders bevorzugt werden, enthalten Karotinoide. Tiere können diese Pigmente nicht selbst produzieren und müssen sie über ihre Nahrung aufnehmen. Damit begrenzt die Aufnahme von Karotinoiden letztlich die Ausprägung des Ornaments – wobei dies jedoch noch nicht die ganze Geschichte ist. Karotinoide finden nämlich nicht nur in Ornamenten Verwendung, sondern stellen auch wichtige Antioxidantien dar, also hochwirksame Vernichter freier Radikale. Letztere sind schädliche Moleküle, die während normaler physiologischer Prozesse entstehen können und für beträchtliche oxidative Schäden im Gewebe sorgen („Oxidativer Stress“). Freie Radikale werden in besonders hohen Konzentrationen in stark stoffwechselaktiven Geweben und während Immunreaktionen gebildet [1]. Auf diese Weise machen ihre antioxidativen Eigenschaften die Karotinoide zu wirksamen Immunstimulanzien und es gibt umfassende Hinweise darauf, dass die zusätzliche Gabe von Karotinoiden die Immunabwehr stärkt. So kann die Konkurrenz um verfügbare Karotinoidbestände zwischen Ornamenten und Immunabwehr die Ehrlichkeit der Signale sicherstellen, die auf Karotinoiden beruhen.

Sicherstellung der Ehrlichkeit durch Testosteron

Ein direkter Trade-off zwischen Immunabwehr und Testosteron ist das zentrale Thema einer der meistdebattierten Hypothesen über die funktionelle und evolutionäre Bedeutung übertriebener ornamentaler Merkmale [2]. Die Ausbildung vieler sekundärer Geschlechtsmerkmale hängt vom Steroidhormon Testosteron ab. Die Erkenntnis, dass Testosteron auch das Immunsystem unterdrücken kann, führte zur Aufstellung der Immunkompetenz-Handicap-Hypothese. Diese Hypothese besagt, dass Immunsuppression als unvermeidbarer Kostenfaktor Testosteron-abhängiger Merkmale sicherstellen würde, dass sich nur Männchen mit einem überlegenen Immunsystem hohe Testosteronwerte leisten können, die zu stärker ausgeprägten sexuellen Signalen führen. Dieser immunsuppressive Effekt von Testosteron wurde auch zur Erklärung herangezogen, warum Männchen generell eine schwächere Immunität zeigen als Weibchen. Die immunsuppressive Charakteristik von Testosteron wird derzeit als vielversprechender genereller Mechanismus zur Sicherstellung der Ehrlichkeit bei einer großen Bandbreite männlicher Signale untersucht. Einige wenige gute Beispiele für den Mechanismus sind mittlerweile bekannt geworden – hauptsächlich aus Untersuchungen an Vögeln.

Stockenten als Modell

Kürzlich fanden Wissenschaftler des MPI für Ornithologie Hinweise für beide Typen von Trade-offs bei Stockenten-Erpeln. Für diese Untersuchungen setzten sie Stockerpel einer experimentellen Immunreaktion aus, einer Immunisierung mit einem nicht-replizierenden Antigen, das eine humorale Immunreaktion auslöst. Die Stärke dieser Reaktion kann durch Messung der Antikörpermengen im Blut quantifiziert werden.

Trade-offs zwischen Investition ins Immunsystem und Testosteron

Die Wissenschaftler zeigten, dass Stockerpel tatsächlich mit einem direkten Kompromiss zwischen der Investition in die Immunabwehr und der Erhaltung von Testosteron konfrontiert werden. Sie fanden, dass Testosteron durch Investieren in das Immunsystem beeinflusst wird: Die Testosteronwerte sanken deutlich, wenn die Männchen mehr Antikörper produzierten [3], siehe Abbildung 1. Da Weibchen letztlich Männchen mit hohen Testosteronwerten bevorzugen, kann der Rückgang des Testosteronspiegels in Zusammenhang mit verstärkter Antikörperproduktion nennenswerte Kosten der Immunabwehr verursachen.

In dieser Untersuchung wurden die Erpel während der herbstlichen Paarungszeit immunisiert, wenn Testosteron-abhängige männliche Merkmale eine wichtige Rolle bei der Partnerwahl spielen. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Balzaktivitäten und natürlichen Testosteronwerten, und die Zugabe von Testosteron erhöht die Balzhäufigkeit der Männchen. Weibchen zeigen eine klare Bevorzugung für Männchen mit mehr Balzverhalten. Hinsichtlich einer derart starken sexuellen Selektion auf erhöhte Testosteronwerte im Herbst kann eine deutliche Reduktion im Zusammenhang mit hoher Antikörperproduktion hohe Kosten bedeuten. Außerdem fanden die Forscher, dass ein bemerkenswertes sexuelles Signal bei Stockenten – der gelbe Schnabel – ebenso ein Trade-off gegenüber Investition in das Immunsystem darstellt. Zuvor wurde jedoch dessen Signalfunktion genauer untersucht.

Schnabelfarbe, Karotinoide und Immuninvestition

Stockentenerpel in Brutstimmung haben einen leuchtend gelben Schnabel und ein farbenfrohes Brutkleid (Abb. 2). Sie werden im Sommer braun und wechseln im Herbst, wenn Balz und Paarbindung stattfinden, wieder in ihr Prachtkleid. Während die Gefiederqualität den Paarungserfolg nur wenig zu beeinflussen scheint, zeigen Weibchen eine starke Präferenz für Männchen mit leuchtend gelbem Schnabel. Zuerst bestätigten die Wissenschaftler, dass der gelbe Schnabel eingelagerte Karotinoide (vor allem Lutein und Zeaxanthin) enthält. Dann zeigten sie, dass die Schnabelfarbe – gemessen als die Mengen reflektierten Lichtes über den Wellenlängenbereich, den ein Vogel sehen kann (Abb. 3) – mit der Menge der im Blutplasma zirkulierenden Karotinoide zusammenhängt. Zusätzlich fanden sie heraus, dass die Reflexion des männlichen Schnabels, insbesondere die Varianz im UV-Bereich, mit Männchenqualitäten in Zusammenhang steht, die für die Partnerwahl der Weibchen eine Rolle spielen.

Wie von einem möglichen qualitätsanzeigenden Merkmal mit Karotinoiden als kostenintensivem, mechanistischem Verbindungsglied zu erwarten, hängt die Schnabelfarbe mit der Immunkompetenz zusammen. Im Einzelnen ist eine geringere relative UV-Reflexion (= "gelbere" Farbe) mit einer stärkeren Immunreaktion (Antikörperproduktion nach Immunisierung mit einem nicht-pathogenen Antigen) verbunden. Darüber hinaus lässt sich aufgrund einer geringeren relativen UV-Reflexion während der herbstlichen Paarungszeit eine höhere Beweglichkeit der Spermien voraussagen [5]. Wie am MPI für Ornithologie nachgewiesen wurde, ist Spermiengeschwindigkeit ein wichtiger Aspekt für die Spermienqualität und stellt einen entscheidenden Einflussfaktor für die Fruchtbarkeit bei Stockenten und anderen Vogelarten dar [4]. Spermien produzierendes Gewebe ist durch hohe Stoffwechselaktivität ausgezeichnet, dadurch hochempfindlich für oxidativen Stress, und so bedarf es in besonderem Maße des Schutzes vor Antioxidantien. Oxidativer Stress während der Spermienproduktion kann die Qualität der Spermien stark beeinträchtigen; daher wurde die Existenz einer auf Karotinoiden basierenden Verbindung zwischen Befruchtungsfähigkeit und sexuellen Signalen als wahrscheinlich angenommen.

Diese Untersuchung hat nun bei Vögeln erste Belege dafür geliefert, dass ein auf Karotinoiden aufbauendes Ornament männliche Sexualkompetenz signalisieren könnte.
Zusammenfassend zeigten diese Untersuchungen, dass weibliche Stockenten die Schnabelreflexion dazu verwenden könnten, Informationen über sexuelle Qualitäten und Immunkompetenz der Männchen zu erhalten, und dass es sich um ein wichtiges sexuelles Signal bei dieser Vogelart handeln könnte [5]. Darüber hinaus gibt es in der Tat einen Trade-off des Signals mit der Immuninvestition [3].

Durch Verwendung derselben experimentellen Immunisierung, die den Trade-off mit Testosteron aufzeigte, konnte das Team um Anne Peters außerdem zeigen, dass Karotinoide und Schnabelfarbe auch im Hinblick auf Antikörperproduktion einen Kompromiss eingehen müssen. Nach der Immunisierung verschwanden die Plasmakarotinoide proportional zur Antikörperproduktion aus dem Blutkreislauf (Abb. 4, Teil A). Der gefundene lineare Zusammenhang mit dem Rückgang der Karotinoide steht in Übereinstimmung damit, dass Karotinoide durch Aufnahme freier Radikale zerstört werden, die wiederum während der Antikörperproduktion – und vermutlich proportional zu dieser – gebildet wurden.

Ebenso war eine höhere Antikörperproduktion mit einer Zunahme relativer UV-Reflexion verbunden (Abb. 4, B), was als eine Abnahme der Schnabelfarbe interpretiert wurde, da eine geringere UV-Reflexion mit größerer Spermien- und Immunkompetenz in Zusammenhang steht (siehe oben). Dies deutet darauf hin, dass Investition in bessere Immunabwehr auf Kosten sexueller Signale geht und dass dies die sexuellen Signale „ehrlich“ macht.

Künftige Ausrichtungen

Die gegenwärtige Forschung am MPI für Ornithologie soll klären, inwieweit diese physiologischen Hypothesen über ehrliche Signalgebung auch für andere Merkmale gelten. Beispielsweise haben viele Pigmente antioxidative Wirkungen analog zu denen der Karotinoide. Bestehen hier ebensolche mechanistischen Verbindungen zwischen Signalgebung und Immuninvestition? Eine andere Frage zielt auf die Gefiederfärbung ab, die ein wesentlich beständigeres Merkmal darstellt als ein auf lebendem Gewebe basierendes Ornament wie der Schnabel. Die Mehrzahl der Vögel zeigt ein oder mehrere ornamentale Gefiedermerkmale und unser Verständnis für evolutive Prozesse rührt vielfach von der Untersuchung bunter Gefiederornamente her. Nichtsdestotrotz sind Prozesse, die Ehrlichkeit bei diesem sehr häufigen sexuellen Signal bei Vögeln erzwingen könnten, erstaunlich schlecht verstanden. Am MPI für Ornithologie untersuchen die Wissenschaftler nun, welche Effekte Testosteron und die Verfügbarkeit von Antioxidantien in der Nahrung auf die Gefiederentwicklung und auf Immunfunktionen haben. Letztendlich soll geklärt werden, wie und warum Ornamente bei Vögeln als Kennzeichen verborgener Qualitäten fungieren können.

Originalveröffentlichungen

T. von Schantz, S. Bensch, M. Grahn, D. Hasselquist, H. Wittzell:
Good genes, oxidative stress and condition-dependent sexual signals.
Proceedings of the Royal Society of London Series B-Biological Sciences 266, 1-12 (1999).
I. Folstad, A. J. Karter:
Parasites, bright males, and the immunocompetence handicap.
American Naturalist 139, 603-622 (1992).
A. Peters, K. Delhey, A. G. Denk, B. Kempenaers:
Trade-offs between immune investment and sexual signaling in male mallards.
American Naturalist 164, 51-59 (2004a).
A. G. Denk, A. Holzmann, A. Peters, E. L. M. Vermeirssen, B. Kempenaers:
Paternity in mallards: effects of sperm quality and female sperm selection for inbreeding avoidance.
Behavioral Ecology 16, 825-833 (2005). Journal of Evolutionary Biology 17, 1111-1120 (2004a)
A. Peters, A. G. Denk, K. Delhey, B. Kempenaers:
Carotenoid-based bill colour as an indicator of immunocompetence and sperm performance in male mallards.
Journal of Evolutionary Biology 17, 1111-1120 (2004b).
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