Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Blaue Sterne um das supermassereiche Schwarze Loch von M31

Autoren
Bender, Ralf; Saglia, Roberto P.
Abteilungen

Optische und Interpretative Astronomie (Prof. Dr. Ralf Bender)
MPI für extraterrestrische Physik, Garching

Zusammenfassung
Mit dem Hubble Space Telescope konnte gezeigt werden, dass die Andromeda Galaxie ein massereiches Schwarzes Loch von 140 Millionen Sonnenmassen beherbergt. Die neuen Daten schliessen astrophysikalische Alternativen zu einem Schwarzen Loch aus. Das Schwarze Loch ist von einer kleinen Scheibe junger Sterne umgeben, deren Ursprung ungeklärt ist.

Jede Galaxie hat ein supermassereiches Schwarzes Loch

Eine der wichtigsten astrophysikalischen Entdeckungen der letzten Dekade war die Erkenntnis, dass wahrscheinlich alle Galaxien mit „Bulges“, d.h. zentralen Sphäroiden, auch zentrale supermassereiche Schwarze Löcher (SMSLs) besitzen. Ihre Masse, die mehrere Milliarden Sonnenmassen erreichen kann, beträgt unabhängig von ihrer Größe etwa 0.15% der Masse der „Bulge“-Komponente. Wir glauben nun, dass die Entstehung und das Wachstum von SMSLs eng mit der Entstehung und Entwicklung ihrer Wirtsgalaxien verknüpft ist. Die Keime der gigantischen SMSLs, die wir heute beobachten, wurden vor langer Zeit, möglicherweise bereits wenige Millionen Jahre nach dem Urknall, gebildet. Vermutlich entstanden sie zusammen mit den ersten Sternen. Sie haben sich vielleicht direkt aus kollabierenden, primordialen Gas oder in den finalen Explosionen der ersten, sehr massereichen Sterne gebildet. Letztere könnten die Entstehung von Schwarzen Löchern mit bis zu 200 Sonnenmassen verursacht haben. Von diesem Zeitpunkt an wuchsen diese primordialen Schwarzen Löcher zusammen mit den sie beherbergenden Galaxien. SMSLs akkretieren wahrscheinlich einen Teil des interstellaren Gases, das - hervorgerufen durch Scheibeninstabilitäten oder heftigen Galaxienverschmelzungen – ins Galaxienzentrum fällt. In dieser Akkretionsphase werden SMSLs „aktiv“, d.h. sie wandeln einen Teil der Gravitationsenergie der akkretierten Materie in elektromagnetische Energie um. Dieser Mechanismus erzeugt die so genannten „Quasare“, die leuchtkräftigsten Objekte des fernen Universums. Bei Galaxienverschmelzungen konnten SMSLs auch einfach durch das Verschlucken des Schwarzen Lochs des Verschmelzungspartners wachsen. Sehr wahrscheinlich hatte die Aktivität der SMSLs auch einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Wirtsgalaxien. Das starke Strahlungsfeld eines akkretierenden Schwarzen Lochs ionisiert das interstellare Gas und kann daher die Bildung von Sternen, die aus kaltem Gas erfolgt, regulieren bzw. unterbinden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass SMSLs eine entscheidende Rolle im Leben einer jeden Galaxie spielen. Es ist daher von grundsätzlicher Bedeutung ihre physikalischen Eigenschaften und Beziehungen zu ihrer Umgebung auf solider empirischer Grundlage zu charakterisieren. Nicht zuletzt haben ist zu zeigen, dass das, was wie ein Schwarzes Loch aussieht, tatsächlich auch eines ist. Obwohl die Indizien für Schwarze Löcher gut sind, müssen mögliche Alternativen, wie sehr kompakte Haufen aus Neutronensternen oder Weißen Zwergen, zumindest in einigen repräsentativen Fällen ausgeschlossen werden.

Das Schwarze Loch in M31

Das beste Labor, um diese Tests durchzuführen, ist natürlich das Zentrum unserer eigenen Galaxis, wo in der Tat ein SMSL mit drei Millionen Sonnenmassen von Reinhard Genzel und seinen Mitarbeitern am MPE entdeckt wurde. Der zweitbeste Ort ist Andromeda oder M31, unsere benachbarte Spiralgalaxie, die nur 2,3 Millionen Lichtjahre entfernt liegt. M31 ist in vielerlei Hinsicht ein geringfügig größerer Zwilling der Milchstraße mit ähnlicher Morphologie aber höherer Masse. Außerdem hat M31 einen größeren „Bulge“ und ein vermutlich entsprechend größeres SMSL. Den ersten Hinweis auf ein SMSL in M31 gab es 1988, als einerseits John Kormendy und andererseits Alan Dressler und Douglas Richstone eine zentrale dunkle Masse von etwa 20 bis 80 Millionen Sonnenmassen entdeckten. Dank den neuen Beobachtungen mit dem Hubble Space Telescope (HST) ist man in der Lage (1) die Masse des SMSL von M31 mit verbesserter Genauigkeit zu bestimmen, (2) Alternativen zu Schwarzen Löchern wie Haufen aus Neutronensternen und Weißen Zwergen auszuschließen und (3) das Zentrum von M31 mit seinen ungewöhnlichen und überraschenden Eigenschaften in viel größerem Detail zu studieren.

Die ersten Hinweise auf eine ungewöhnliche Struktur des Kerns von M31 erfolgten bereits 1993, als das HST entdeckte, dass die Galaxie scheinbar einen Doppelhaufen roter Sterne, dessen zwei Kerne etwa fünf Lichtjahre auseinanderliegen, in ihrem Zentrum beherbergt. Dieser Befund war eine Überraschung, da beide Haufen innerhalb von nur wenigen hunderttausend Jahren verschmelzen sollten. Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass M31 ausgerechnet zu einem Zeitpunkt beobachtet wurde, bei dem ein so seltenes Ereignis stattfinden sollte. Dieses Problem wurde 1995 von Scott Tremaine gelöst. Er schlug vor, dass der rote Doppelkern tatsächlich eine exzentrische Scheibe alter Sterne ist, die um ein SMSL rotieren. In diesem Modell ist der hellere Kern weiter vom Schwarzen Loch entfernt und resultiert aus der Tatsache, dass Sterne in sehr elongierten Orbits sich desto langsamer bewegen, je weiter sie sich vom Schwarzen Loch entfernen. Der schwächere Kern befindet sich sehr nahe am Schwarzen Loch und wird erklärt durch eine zum Zentrum hin zunehmende Scheibendichte. Ohne ein SMSL würde dieses Modell nicht funktionieren, da die elongierten Orbits ihre Ausrichtung verlieren würden und der Doppelkern sich innerhalb weniger Millionen Jahre auflösen würde.

In den folgenden Jahren verdichteten sich die Hinweise, dass eine kompakte blaue Lichtquelle fast an der gleichen Position des schwächeren der zwei roten Kerne existiert. Es wurde zuerst vermutet, dass dies vielleicht das blaue Licht einer gasförmigen, heißen Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch sein könnte. Später legten photometrische Studien von Tod Lauer und Kollegen jedoch nahe, dass es sich wahrscheinlich um einen Sternhaufen aus blauen Sternen handelt.

Die blauen, jungen Sterne um das Schwarze Loch von M31

Die neuen Beobachtungen am Institut mit dem Hubble Space Telescope Imaging Spectrograph (STIS) zeigen nun, dass das blaue Licht von etwa 200 heißen A-Typ Sternen (Abb. 1 und 2), die in einem Sternentstehungsausbruch vor „nur“ 200 Millionen Jahren entstanden sind, produziert wird. Die Sterne befinden sich eng gepackt in einer Scheibe mit einem Radius von etwa einem Lichtjahr. Eine sorgfältige Analyse von Bildern, die mit der Widefield and Planetary Camera (WFPC) des HST aufgenommen wurden, zeigt, dass die blaue Scheibe und die exzentrische rote Scheibe, die den roten Doppelkern produziert, von der Erde aus gesehen um den selben Winkel geneigt sind, was eine physikalische Beziehung zwischen den beiden Scheiben nahelegt.

Unsere STIS-Spektroskopie [1] erlaubt es auch, die mittleren Geschwindigkeiten der blauen Sterne zu messen. Sie werden aus der Streckung und Stauchung der von den Sternen emittierten Lichtwellen infolge der Bewegung um das zentrale Schwarze Loch berechnet (Dopplereffekt). Durch die Gravitationsanziehung des Schwarzen Lochs bewegen sich die Sterne sehr schnell: 3,6 Millionen Kilometer pro Stunde (1000 Kilometer pro Sekunde; Abb. 3). Das heisst. sie würden in 40 Sekunden die Erde umrunden und in sechs Minuten den Mond erreichen. Bei einem Radius von einem halben Lichtjahr bewegen sich die Sterne mit etwa 2000 km/s und umlaufen das Schwarze Loch einmal in 500 Jahren. Solche großen Geschwindigkeiten können nur durch die gravitative Anziehung eines supermassereichen Schwarzen Lochs mit einer Masse von 140 Millionen Sonnenmassen hervorgerufen werden. Die Geschwindigkeiten dieser Sterne erlauben somit eine genauere Massenbestimmung für das SMSL. Astrophysikalische Alternativen zu einem SMSL, wie dunkle Haufen aus Weißen Zwergen, Neutronensternen oder Schwarzen Löchern niedriger Masse, können, dank der hervorragenden räumlichen Auflösung des HST, das eine scharfe untere Grenze an die Dichte des SMBHs setzt, ausgeschlossen werden.

Bisher sind kompakte Haufen als Alternativen zu SMSLs nur in zwei Galaxien definitiv ausgeschlossen worden, in NGC 4258 und in unserer Galaxis, der Milchstraße. Aber beide sind spezielle Fälle: NGC 4258 besitzt nahe beim SMSL eine Scheibe aus Wasser-Masern, die mit Radioteleskopen beobachtet werden kann, und unser Galaktisches Zentrum ist so nahe, dass wir die Bahnen einzelner Sterne vermessen können. Andromeda ist die erste Galaxie, in der wir alle astrophysikalischen Alternativen zu einem SMSL mithilfe des HST und denselben Methoden, durch die wir fast alle anderen mutmaßlichen SMSLs in Galaxien gefunden haben, ausschließen können. Die meisten dieser ca. 40 Detektionen wurden mit dem HST durch Messung der mittleren Bewegungen von Sternen nahe der Galaxienzentren gemacht.

Wie war es möglich, dass sich vor 200 Millionen Jahren junge Sterne in so groβer Nähe zu dem SMSL in M31bilden konnten? Die kinematische Struktur der blauen Sternscheibe um das Schwarze Loch von M31 ist vergleichbar mit unserem Planetensystem. Die Bewegung in beiden Systemen wird von dem zentralen Objekt, d.h. der Sonne bzw. dem SMSL, dominiert. Wie können unter diesen Umständen Gas und Staub kollabieren und Sterne bilden? Genauso problematisch ist die Tatsache, dass die blauen Sterne für maximal einige hundert Millionen Jahre leben. Es ist daher unwahrscheinlich, dass in der 12 Milliarden Jahre langen Geschichte von Andromeda eine so relativ kurzlebige Scheibe nur einmal und gerade jetzt entstanden ist. Der Mechanismus, der diese Scheibe aus blauen Sternen geformt hat, funktionierte daher wahrscheinlich auch in der Vergangenheit und könnte erneute Sternentstehung in der Zukunft auslösen.

Die blauen Sterne im Zentrum von Andromeda sind vielleicht nicht so auβergewöhnlich, wie es zunächst erscheint. Unsere Milchstraße besitzt nahe ihres SMSLs auch jüngere Sterne, allerdings nicht in einer so geordneten Scheibe wie in M31. Es ist unwahrscheinlich, dass nur unsere eigene Galaxis und ihre Nachbargalaxie diese seltsame Sternbildungsaktivität aufweisen. Daher ist dieses Bildung von Sternen in unmittelbarer Nähe von SMSLs vielleicht keine Ausnahme sondern möglicherweise sogar die Regel, auch wenn wir noch nicht verstehen, wie es dazu kommt.
R. Bender, J. Kormendy, G. Bower, R. Green,
J. Thomas, A. C. Danks, T. Gull, J.B. Hutchings,
C.L. Joseph, M.E. Kaiser, T. R. Lauer, Ch. H. Nelson, D. Richstone, D. Weistrop, B. Woodgate

Originalveröffentlichungen

R. Bender et. al:
HST STIS Spectroscopy of the triple nucleaus of M31: two nested disk in Keplerian rotation around a supermassive black hole
Astrophysical Journal 631, 280-300 (2005)
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