Forschungsbericht 2008 - Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der Max-Planck-Gesellschaft

Schwesterchromatid-Kohäsion und Chromosomentrennung während des Zellzyklus

Autoren
Ivanov, Dmitri
Abteilungen

Bindung der Schwesterchromatiden (Dr. Dmitri Ivanov)
Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der MPG, Tübingen

Zusammenfassung
DNA ist in Chromosomen verpackt. Während der Zellteilung muss jede der beiden Tochterzellen einen identischen Chromosomensatz, der die genetische Information trägt, erhalten. Das Fehlen oder zusätzliche Kopien einzelner oder mehrerer Chromosomen können zum Zelltod und zu Krankheiten führen, daher stellen komplexe zelluläre Mechanismen die gleichmäßige Verteilung des genetischen Materials während der Zellteilung sicher. Forscher am Friedrich-Miescher-Laboratorium versuchen zu verstehen, wie die zwei Hälften des Chromosoms zusammengehalten und nachfolgend auf die Tochterzellen verteilt werden.

Die molekulare Basis der Chromosomentrennung

Die gesamte Information, die für Leben und Funktion von Zellen und des gesamten Organismus notwendig ist, befindet sich in der Basenabfolge der Desoxyribonukleinsäure (DNS, englisch: DNA). Diese Information ist auf mehrere DNA-Moleküle verteilt, jedes Molekül stellt also nur einen Teil der Anweisungen für Zellstruktur und Zellverhalten bereit. DNA-Moleküle sind um spezielle Proteine (Histone) gewunden, welche oktamere Nukleosomen bilden. Diese sind wiederum in Chromosomen verpackt. Jedes Chromosom besteht aus zwei identischen DNA-Molekülen, welche parallel zueinander angeordnet und unter dem Mikroskop als so genannte Schwesterchromatiden sichtbar sind. Wenn die Zelle sich teilt, steht sie vor der Herausforderung, alle Bestandteile der genetischen Information gleichmäßig auf die beiden Tochterzellen zu verteilen, sodass jede der beiden Zellen genau eine Kopie jedes einzelnen Chromosoms, nämlich eines der beiden Schwesterchromatiden, erhält.

Die Chromosomen werden durch Mikrotubuli zu den beiden Tochterzellen bewegt. Die Mikrotubuli sind aus Tubulin-Untereinheiten aufgebaut und befinden sich in einem dynamischen Gleichgewicht, welches sowohl Wachstum als auch Verkleinern ermöglicht. Mikrotubuli können auch, vermittelt durch molekulare Motoren, aneinander entlang gleiten. Eine gerichtete Bewegung molekularer Motoren auf den Mikrotubuli und ein dadurch vermittelter Transport verschiedener Frachten ist ebenfalls möglich. Die Mikrotubuli entspringen aus so genannten Zentrosomen oder Spindelpolen. Während der Zellteilung sind es die Spindelpole, die sich als erstes verdoppeln und sich anschließend voneinander fortbewegen. Dieser Vorgang führt zur Ausbildung einer bipolaren Spindel, aufgebaut durch Mikrotubuli, die aus gegenüberliegenden Polen entspringen. Um die Chromosomen gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilen zu können, muss die Zelle sicherstellen, dass die Schwesterchromatiden, die während der Replikation der DNA gebildet wurden, an die Mikrotubuli der gegenüberliegenden Pole angeheftet werden. Sind nämlich beide Schwesterchromatiden an Mikrotubuli desselben Spindelpols angebracht, so bekommt eine der beiden Tochterzellen zwei Kopien der DNA, während die andere Tochterzelle keine Kopie bekommt.

Wie kann die Zelle zwischen identischer Schwester-DNA und nicht verwandten Molekülen, die einen anderen Teil der genetischen Information beinhalten, unterscheiden?

Schwesterchromatiden sind ab dem Moment ihrer Entstehung während der DNA-Replikation bis zur Zellteilung miteinander verbunden. Der Proteinkomplex, der die beiden Schwesterchromatiden zusammenhält, wird Cohesin genannt [1]. Cohesin bildet einen gigantischen Ring um beide DNA-Moleküle herum [2]. Die Mikrotubuli sind ebenfalls über einen Proteinkomplex an den Chromosomen befestigt, dieser wird Kinetochor genannt. Die Kinetochore werden an speziellen Bereichen der Chromosomen, den so genannten Zentromeren, zusammengebaut. Für die Zelle ist es von enormer Bedeutung sicherzustellen, dass jedes Chromosom nur einen Satz von Schwesterkinetochoren zur Anheftung an die Mikrotubuli aufbaut. Die Ausbildung so genannter dizentrischer Chromosomen mit zwei Sätzen von Kinetochoren führt zu einer fehlerhaften Chromosomentrennung und zu Chromosomenbrüchen während der Zellteilung. Die Stellen, an denen die Kinetochore aufgebaut werden, sind durch ein Nukleosom, welches ein spezielles Histon namens CENP-A enthält, gekennzeichnet.

Die Anheftung von Mikrotubuli an die Kinetochore wird durch spezielle Kontrollpunkt-Proteine überwacht. Da die Schwesterchromatiden von Cohesinkomplexen umfasst sind, führt die korrekte bipolare Anheftung der Schwesterkinetochore an gegenüberliegende Spindelpole zu einer Art Tauziehen: Sich verkürzende Mikrotubuli versuchen, die Kinetochore auseinanderzuziehen, während die Cohesinringe dieser durch die Mikrotubuli ausgeübten Kraft widerstehen (Abb. 1). Die daraus resultierende Zugspannung wird durch spezielle „überwachende“ Proteine gemessen. Diese Proteine können falsch angeheftete Mikrotubuli, die keine Spannung erzeugen, wieder ablösen. Die Kinetochore ohne angeheftete Mikrotubuli werden nachfolgend von den Kontrollpunkt-Proteinen erkannt; die Zellteilung wird arretiert und erst wieder freigegeben, wenn alle Chromosomen an Mikrotubuli angeheftet sind. Nachdem alle Schwesterchromatiden an den gegenüberliegenden Spindelpolen angebracht sind, wird der Kontrollpunkt inaktiviert. Dies führt zur Aktivierung einer spezifischen Protease, genannt Separase. Die Separase spaltet eine der Untereinheiten des Cohesinkomplexes, was zur Ablösung des Komplexes von den Chromosomen führt, und die Schwesterchromatiden werden dann gleichzeitig zu den entsprechenden Spindelpolen gezogen, das heißt: In der Mitose folgt nun die Anaphase.

Warum ist die Kenntnis des Mechanismus der Chromosomentrennung wichtig?

Abgesehen von der immensen Bedeutung für die elementare Zellbiologie, ist der Prozess der Chromosomentrennung auch von tief greifender medizinischer Relevanz [3]. Abweichungen in der Anzahl der Chromosomen werden häufig in Krebszellen beobachtet und es wird vermutet, dass diese so genannte Aneuploidie zur Onkogenese beiträgt. Ebenso sind anormale Chromosomenzahlen der Hauptgrund für spontane Fehlgeburten und Geburtsfehler, zum Beispiel für das Down-Syndrom, welches durch eine zusätzliche Kopie des Chromosoms 21 verursacht wird. Mutationen in den Proteinen, welche den Cohesinring bilden, sowie den Proteinen, die für das Beladen der DNA mit dem Cohesinkomplex notwendig sind, führen zum Cornelia-de-Lange-Syndrom, einer häufigen, genetisch bedingten Krankheit, die bei einer von 10000 Lebendgeburten auftritt. Kürzlich wurde entdeckt, dass die Cohesinringe neben ihrer Funktion beim Zusammenhalt der Schwesterchromatiden noch eine Vielzahl anderer Funktionen, von der Reparatur der DNA bis hin zur Transkriptionsregulation, besitzen. Mängel in diesen zusätzlichen Funktionen des Cohesins sind möglicherweise die Krankheitsursache in manchen so genannten Cohesinopathien [3].

Die Forschung an der Knospungs-Hefe hilft, die komplexen zellulären Mechanismen der Chromosomentrennung zu verstehen

Forscher am Friedrich-Miescher-Laboratorium untersuchen die Funktion von Cohesin und den Kinetochoren mit Hilfe des Modellorganismus Saccharomyces cerevisiae, einer Knospungs-Hefe. Diese Hefe bietet als biologisches Modellsystem besondere Vorteile: Kurze Generationszeiten, kostengünstige Wachstumsmedien, die Einfachheit genetischer Experimente sowie das gut charakterisierte Genom machen sie sowohl für biochemische Studien wie auch für genetische screens unverzichtbar. Eine besondere Eigenschaft der Knospungs-Hefe sind ihre kleinen zentromeren Minichromosomen, die den Cohesinkomplex rekrutieren können und die genauso wie ein normales Chromosom an die Spindel angeknüpft werden (Abb. 2). Aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer zirkulären Form können die Minichromosomen mit einer Vielzahl an unterschiedlichen biochemischen Methoden untersucht werden (Abb. 3).

Das Ziel des Cohesin-Projekts ist, zu verstehen, wie der aus Proteinen bestehende Cohesinkomplex auf die DNA geladen wird, wie der Ring beide Schwesterchromatiden zusammenhält und warum der Komplex nicht nur eines der beiden Chromatiden umfasst. Kürzlich wurde entdeckt, dass das Protein, welches für die Herstellung der Schwesterchromatid-Kohäsion verantwortlich ist, eine Acetyltransferase namens Eco1 ist. Genauso wie die Proteine des Cohesinrings liegt auch Eco1 in der Evolution konserviert vor. Mutationen in diesem Protein verursachen im Menschen eine seltene Erbkrankheit, das Robert-Syndrom. Das Enzym Eco1 transferiert eine Acetylgruppe von einem kleinen Molekül (Acetyl-CoA) auf die Seitenkette der Aminosäure Lysin in den Zielproteinen (Abb. 4). Diese Acetylierung des Lysins führt zu einer Veränderung der biochemischen Eigenschaften der Zielproteine. Zum Beispiel vermittelt oder aber verhindert die Acetylierung die Interaktionen mit anderen Proteinen oder beeinflusst die jeweiligen enzymatischen Aktivitäten. Eines der Zielproteine von Eco1 wurde letztes Jahr als eine der Untereinheiten des Cohesinkomplexes identifiziert [5]. Um zusätzliche targets von Eco1 zu finden und deren funktionelle Bedeutung zu charakterisieren, werden weitere Experimente durchgeführt.

Ein weiteres Projekt befasst sich damit, wie die Kinetochore an den Zentrosomen der Hefechromosomen zusammengebaut werden. Knospungs-Hefen haben die kleinsten und einfachsten Kinetochore aller Organismen. Hefekinetochore werden um ein einzelnes CENP-A enthaltendes Nukleosom herum zusammengebaut und an einem einzigen Mikrotubulus befestigt. Die genaue Zusammensetzung und Lokalisierung von CENP-A enthaltenen Nukleosomen wird im Moment erforscht. Die Hauptfrage ist: Was ist die genaue Rolle von CENP-A bei der Herstellung und der Struktur der Kinetochore? Die Antwort wird voraussichtlich die Grundprinzipien der Organisation der Kinetochore enthüllen, da CENP-A ein evolutionär konserviertes Molekül ist. Es findet sich in allen Organismen, von der Knospungs-Hefe, dessen Chromosomen punktartige Zentromere mit weniger als 150 DNA-Basenpaaren enthalten, bis hin zum Menschen, dessen Zentromere sich über 1 Million Basenpaare erstrecken und an 20 bis 30 Mikrotubuli befestigt sind. Es wird vermutet, dass das kleine Kinetochor der Knospungs-Hefe die funktionelle Grundeinheit darstellt, die in komplexeren Kinetochoren höherer Organismen in mehrfacher Ausführung vorliegt.

Originalveröffentlichungen

K. Nasmyth, C. H. Haering:
The structure and function of SMC and kleisin complexes.
Annual Review of Biochemistry 74, 595-648 (2005).
C. H. Haering, A. M. Farcas, P. Arumugam, J. Metson, K. Nasmyth:
The cohesin ring concatenates sister DNA molecules.
Nature 454, 297-301 (2008).
A. J. McNairn, J. L. Gerton:
Cohesinopathies: One ring, many obligations.
Mutation Research 647, 103-111 (2008).
D. Ivanov, K. Nasmyth:
A physical assay for sister chromatid cohesion in vitro.
Molecular Cell 27, 300-310 (2007).
T. R. Ben-Shahar, S. Heeger, C. Lehane, P. East, H. Flynn, M. Skehel, F. Uhlmann:
Eco1-dependent cohesin acetylation during establishment of sister chromatid cohesion.
Science 321, 563-566 (2008).
D. Ivanov, A. Schleiffer, F. Eisenhaber, K. Mechtler, C. H. Haering, K. Nasmyth:
Eco1 is a novel acetyltransferase that can acetylate proteins involved in cohesion.
Current Biology 12, 323-328 (2002).
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