Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Mathematik

Statistische Eigenschaften singulär euklidischer Flächen

Autoren
Hamenstädt, U.
Abteilungen

Mathematik
MPI für Mathematik, Bonn

Zusammenfassung
Aus einem Polygon in der Ebenemit zusätzlichen Symmetrien kann man geschlossene Flächen zusammenkleben. Auf dem Raum aller solcher Flächen wirken zwei Flüsse. Statistische Eigenschaften der Flächen unter der so entstehenden Deformationen stehen in enger Beziehung zu statistischen Eigenschaften der Operation der Abbildungsklassengruppe.

Ein Polygon in der euklidischen Ebene \R2 ist eine geordnete Menge von paarweise verschiedenen Punkten xi,...,xk \in \R2 welche wir Ecken nennen.
Die Ecken xi und xi+1 (i xk und x1. Wir fordern, dass zwei nicht benachbarte Kanten keine gemeinsamen Punkte besitzen. Dann berandet das Polygon ein abgeschlossenes ebenes Flächenstück, welches wir mit P bezeichnen und
oft mit dem Polygon identifizieren. Wir sehen zwei Polygone als gleich an, wenn sie durch eine Verschiebung der Ebene ineinander überführt werden können.

Man nehme nun zusätzlich an, dass die Zahl der Ecken gerade ist, etwa 2k≥4, und dass die dann 2k Kanten in k Paare s(2i-1,s2i) so sortiert werden können, dass es für jedes i eine verallgemeinerte Translation Ti der Ebene gibt, welche s2i-1 in s2i überführt. Eine verallgemeinerte Translation ist hierbei entweder eine gewöhnliche Translation x→x+a für ein festes a\in \R2 oder die Zusammensetzung x-→-x+a einer Translation mit der Spiegelung am Nullpunkt. Mit Hilfe der verallgemeinerten Translation Ti kann die Kante s2i-1 mit der Kante s2i verkleben indem wir einen Punkt auf s2i-1 mit seinem Bildpunkt auf s2i identifizieren. Wir erhalten dann aus dem ebenen Flächenstück eine geschlossene Fläche S zusammen mit einer Projektionsabbildung π:P→S. Die Fläche S ist immer ein g-facher Torus für ein g≥1; man nennt eine solche Fläche auch vom Geschlecht g. Die euklidische Metrik auf P induziert eine euklidische Metrik auf der Fläche S, deren einzige singuläre Punkte die Projektionen der Eckpunkte des Polygons sind. Der Gesamtwinkel aller an die Projektion eines Eckpunktes anstoßenden Flächenstücke ist meist von 2π verschieden. Die Bilder der Kanten des Polygons sind Kurven auf der Fläche, die die Fläche markieren. Die horizontalen Linien auf \R2 definiereneine Familie horizontaler Linien auf der Verklebungsfläche. Abbildung 1 zeigt, wie ein Torus aus einem Rechteck entsteht.

Auch einen Doppeltorus können wir aus einem Polygon konstruieren. Abbildung 2 zeigt, wie ein Doppeltorus aus einem L-förmigen Polygon entsteht.

Sei nun P der Raum aller Polygone P\in \R2 mit den oben angegebenen Eigenschaften, für die wir noch fordern, dass die Oberfläche des von P berandeten Flächenstücks genau eins ist. Ist P\in P ein solches Polygon und ist

Formel 0

dann operiert A auf \R2 via

(x,y)→ (ax+by,cx+dy) (ad-bc=1)

und es gilt A(P)\\in P. Die lineare Gruppe SL(2,\R) operiert also auf dem Raum P der Polygone, und für jedes g≥1 erhält diese Operation die Menge P(g)\subset P der Polygone, die zu einer Fläche S vom Geschlecht g verklebt werden. Abbildung 3 zeigt, wie ein Element aus SL(2,\R) einen quadratischen Torus in einen Parallelogrammtorus überführt.

Die Gruppe SL(2,\R) enthält zwei ausgezeichnete zu \R isomorphe Untergruppen. Die erste dieser Untergruppen ist die Gruppe der Diagonalmatrizen

Formel 1

die zweite die Gruppe der oberen Dreiecksmatrizen

Formel 2

mit eins auf der Diagonalen. Diese Gruppen definieren jeweils einen Fluss auf dem Raum der Polygone, den sogenannten Teichmüllerfluss Φt und den sogenannten Horozykelfluss ht. Diese Flüsse ordnen einfach der Zeit t und dem Polygon P die Auswertung der zu dem Parameter t gehörenden Matrix auf dem Polygon P zu.

Manchmal erhält man als Bild eines Polygons P für eine von 0 verschiedene Zeit t≠0 ein Polygon tP (oder htP), welches dieselbe Fläche bestimmt. Dies ist immer dann der Fall, wenn man das Bildpolygon zerschneiden und die dann entstehenden Flächenstücke parallel zu den Achsen verschieben und so neu verkleben kann, dass man das alte Polygon zurückerhält. Die Markierung der Fläche hat sich allerdings geändert. Wir sagen, dass das neue Polygon ΦtP (oder htP) aus dem alten durch Transformation mit einem Element der Abbildungsklassengruppe hervorgegangen ist. Der Modulraum Q(g) der singulären euklidischen Flächen vom Geschlecht g ist dann der Quotient von P(g) unter der Aktion der Abbildungsklassengruppe. Abbildung 4 zeigt ein einfaches Beispiel für diese Situation.

In der Menge P(T1) der Polygone mit genau 4 Ecken ist die Operation der Gruppe SL(2,\R) transitiv: Je zwei solcher Polygone können mit einer Abbildung ineinander überführt werden, die sich aus einer Verschiebung der Ebene \R^2 und einem Element der Gruppe SL(2,\R) zusammensetzt. Einen natürlichen Repräsentanten jedes solchen Polygons P erhält man wie folgt: Zunächst wählt man ein Parallelogramm, welches mittels Seitenverklebung die von P bestimmte Fläche liefert. Die kürzere Kante des Parallelogramms soll dabei die Länge eins haben und im Nullpunkt angeheftet sein (dies renormalisiert allerdings den Flächeninhalt). Dieses Parallelogramm dreht man so um den Nullpunkt, dass nach Drehung die kürzere Kante genau diejenige Strecke ist, die die Punkte (0,0) und (1,0) in \R2 verbindet. Die längere Kante zusammen mit dem Drehwinkel beschreibt die polygonale Fläche eindeutig. In dieser Beschreibung operiert die Gruppe SL(2,\R) auf der oberen Halbebene {z\in \C: Im(z)>0}, die die Endpunkte der längeren Kante enthält, als Gruppe von linearen Bruchtransformationen via

Formel 3

Die hyperelliptische Involution -Id operiert trivial. Die Abbildungsklassengruppe ist genau die Untergruppe SL(2,\Z)< SL(2,\R) der Matrizen mit ganzzahligen Einträgen, und der Modulraum Q(S) kann in natürlicher Weise mit SL(2,\R)/SL(2,\Z) identifiziert werden.

Ein Orbit des Horozykelflusses ist das Bild unter einem Element von SL(2,\R) einer horizontalen Geraden in der oberen Halbebene. Die Orbiten können in zwei Klassen eingeteilt werden. Zum einen gibt es die geschlossenen Orbiten. Zum Beispiel ist die Translation z→z+1, aufgefasst als lineare Bruchtransformation, in der Gruppe SL(2,\Z) enthalten. Eine horizontale Gerade wird also auf einen periodischen Orbit abgebildet. Alle anderen geschlossenen Orbiten sind Bilder solcher Geraden unter Elementen der Gruppe SL(2,\Z).

Furstenberg zeigte für den Raum der Polygone mit 4 Ecken eine besonders bemerkenswerte Eigenschaft: Jeder nichtperiodische Orbit des Horozykelflusses in SL(2,\R)/SL(2,\Z) ist
gleichverteilt. Dies bedeutet, dass für jedes q in SL(2,\R), dessen Orbit unter dem Horozykelfluss nicht geschlossen ist, das Folgende gilt: Für eine offene relativ kompakte Teilmenge U von SL(2,\R)/SL(2,\Z) sei χU die charakteristische Funktion. Wir definieren

Formel 4

Zunächst existiert dieser Grenzwert. Ausserdem kann er leicht berechnet werden: Er stimmt mit dem normalisierten Volumen von U überein. Das Bemerkenswerteste an diesem Resultat ist, dass das Ergebnis unabhängig von der Wahl des Ausgangspunktes ist solange die Bahn des Punktes
nicht periodisch ist. Diese Aussage kann in eine Aussage über die lineare Aktion der Gruppe SL(2,\Z) auf der euklidischen Ebene übersetzt werden: Jedes lokal endliche SL(2,\Z)-invariante und ergodische Maß auf \R2 stimmt entweder bis auf Normierung mit dem gewöhnlichen Volumen überein oder besteht aus Punktmassen auf einem Orbit von Punkten mit rationalen Koordinaten (siehe [1] für genauere Information).

Der Fall des Horozykelflusses einer Fläche von höherem Geschlecht ist etwas komplizierter. Dies liegt an der Möglichkeit von Orbiten mit Mischverhalten: Ein Orbit kann eine geschlossene Kurve auf der Fläche S festhalten, auf der Teilfläche, die man aus S durch Aufschneiden entlang der Kurve enthält, aber ein chaotisches Verhalten zeigen.

Um dieses Problem genauer zu studieren, definiert man eine Sattelverbindung für eine singuläre euklidische Fläche als gerade Strecke, die zwei singuläre Punkte miteinander verbindet. Minsky und Weiss [2] zeigen, dass es zu jeden ε >0 ein Kompaktum K(ε)\subset Q(S)$ mit den folgenden Eigenschaften gibt. Wenn q ein quadratisches Differential ohne horizontale Sattelverbindung ist, dann gilt

Formel 5

Wiederum ist das Bemerkenswerte an dem Ergebnis die Unabhängigkeit des Kompaktums K(ε) von dem Ausgangspunkt.

Vor kurzem wurde dieses Ergebnis benutzt, um ein Analogon des Satzes von Furstenberg für den Modulraum quadratischer Differentiale für Flächen von höherem Geschlecht zu zeigen. Der linearen Aktion von SL(2,\Z) entspricht hierbei die natürliche Aktion der Abbildungsklassengruppe auf dem Raum der Maßlaminationen der Fäche.
Wir zeigen, dass jedes lokal endliche invariante ergodische Maß entweder bis auf Normierung das natürliche Lebesguemaß ist oder dass es eine strikte Teilfläche S* von S gibt so dass das Maß von einem Lebesguemaß auf der Teilfläche induziert wird.

Originalveröffentlichungen

Bekka, M. and M. Mayer
Ergodic theory and topological dynamics of group actions on homogeneous spaces
London Mathematical Society, Lecture Notes 269, Cambridge University Prees, Cambridge 2000
Minsky, Y. and B. Weiss
Nondivergence of horocyclic flows on moduli space
Journal reine und angewandte Mathematik 552, 131 - 177 (2002)
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