Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie

Angeborene Immunität bei akuten entzündlichen Darmerkrankungen

Autoren
Zychlinsky, Arturo
Abteilungen

Zelluläre Mikrobiologie (Zychlinsky) (Prof. Dr. Arturo Zychlinsky)
MPI für Infektionsbiologie, Berlin

Zusammenfassung
Bakterien der Gattung Shigella gehören zu den verbreitesten Verursachern entzündlicher Darmerkrankungen und sind Auslöser der Bakterienruhr (Dysenterie, Shigellose), einer schweren, blutigen Durchfallerkrankung, die insbesondere in Entwicklungsländern und Gebieten mit krisenbedingt schlechter Wasserversorgung zu einem hohen Krankenstand und Sterblichkeit führt. Mit weltweit jährlich ca. 165 Millionen Shigellose-Fällen und mindestens 1,1 Millionen Todesfällen, vor allem bei Kindern, ist sie ein gesundheitspolitisch ernst zu nehmendes Problem. Die meisten infizierten Menschen überleben eine Infektion, denn die durch Shigella ausgelöste Entzündungsreaktion ist durch eine hohe Konzentration so genannter Neutrophile gekennzeichnet. Neutrophile sind, ebenso wie Makrophagen, ein zellulärer Anteil des angeborenen Immunsystems und in der Lage, Shigellen mit hoher Effizienz abzutöten. Wie von unserer Arbeitsgruppe vor kurzem entdeckt wurde, können Neutrophile überraschenderweise Bakterien auch außerhalb der Zelle bekämpfen, indem sie eine netzartige Struktur produzieren (Neutrophil Extracellular Traps, NETs). In diesem Netz werden die Bakterien gefangen und abgetötet.

Krankheitsverlauf

Shigellen werden über den fäkal-oralen Weg übertragen. Bereits zehn bis einhundert Bakterien reichen bei klinischen Versuchen aus, um eine Erkrankung zu verursachen. Damit ist Shigella ein äußerst virulenter Krankheitserreger. Die meisten Infektionen werden durch Shigella flexneri verursacht. Allerdings sind Infektionen mit der eher seltenen Art Shigella dysenteriae nicht zu unterschätzen, da sie als einzige das Shiga-Toxin sezernieren und zu verheerenden Epidemien führen können.

S. flexneri dringt zunächst in das Dickdarmepithel ein. Von dort gelangen die Bakterien in die Lymphoid-Follikel und treten in Kontakt mit den Gewebsmakrophagen (Abb. 1). Die Shigellen werden von den Makrophagen aufgenommen und lösen innerhalb kurzer Zeit deren Zelltod aus (Makrophagen-Apoptose). Wenige Stunden nach Infektion löst S. flexneri eine akute Entzündung aus. Diese Entzündung beschädigt die Schleimhaut des Dickdarms und führt zu einer Verschlimmerung der Krankheit. Bei schwerem Krankheitsverlauf führt die Dysenterie zu Austrocknung und schließlich zum Tod des Erkrankten. Bei abgeschwächtem Krankheitsverlauf oder entsprechender medizinischer Versorgung kann die Entzündungsreaktion jedoch zu einem Abklingen der Infektion führen. Auf diese Weise wird bei der Shigellose, wie bei vielen anderen Infektionskrankheiten, durch die Entzündung zunächst ein weit reichender Schaden verursacht, die Entzündungsantwort führt letztendlich aber zu einer Auflösung der Infektion.

Eindringen der Bakterien und Auflösung der Shigella-Infektion

Die Fähigkeit der Shigellen, in Zellen einzudringen und zytotoxisch zu wirken, ist auf einem 220 Kilobasenpaare umfassenden Plasmid kodiert. Stämme, die dieses Plasmid nicht besitzen, sind nicht virulent. Die Virulenzgene wurden auf einem 31 Kilobasenpaar Bereich des Virulenzplasmids lokalisiert – diese genetischen Merkmale sind wichtig für das Eindringen von Shigella in den Makrophagen, das Entweichen aus dem Phagosom und das Auslösen der Makrophagen-Apoptose.

Obwohl Shigella über verschiedene solcher Virulenzstrategien verfügt, überleben die meisten infizierten Menschen eine Infektion. Die durch Shigellen ausgelöste Entzündungsreaktion ist durch eine hohe Konzentration von Neutrophilen gekennzeichnet. Ebenso wie Makrophagen sind Neutrophile ein zellulärer Anteil des angeborenen Immunsystems. Da die Makrophagen im Laufe der Shigella-Infektion abgetötet werden, kommt den Neutrophilen bei der Auflösung der Infektion eine wichtige Funktion zu, da sie in der Lage sind, Shigellen mit hoher Effizienz abzutöten.

Neutrophile fangen und töten Bakterien in Netzen

Wie von unserer Arbeitsgruppe erst vor kurzem entdeckt wurde, können Neutrophile überraschenderweise Bakterien auch außerhalb der Zelle bekämpfen, indem sie eine netzartige Struktur produzieren (Neutrophil Extracellular Traps, NETs). In diesem Netz werden die Bakterien gefangen und abgetötet (Abb. 2). NETs sind unter dem Raster-Elektronenmikroskop als feine Fasern zu erkennen. An den Fasern kleben globuläre Partikel, über die sich die Fasern zu komplexen Strukturen verbinden. Ein wesentlicher Bestandteil der NETs ist Chromatin. Den größten Teil der im Chromatin enthaltenen Proteine machen Histone aus, die für die geordnete Struktur der DNA zuständig sind, darüber hinaus aber auch sehr wirksame bakterizide Eigenschaften aufweisen.

Interessanterweise enthalten die NETs auch Proteine aus den Granula der Neutrophilen. Hierbei handelt es sich unter anderem um dieselben anti-mikrobiellen Peptide, die auch der Entwaffnung der Bakterien im Vorfeld dienen. In Zusammenarbeit mit Yvette Weinrauch von der New York University konnten wir zeigen, dass NETs nicht nur Shigellen, sondern auch Salmonellen und Staphylokokken mit hoher Effizienz abtöten können. NETs wurden nicht nur in experimentellen Zellkulturen, sondern auch in von Bakterienruhr befallenen Gewebsproben und in Biopsiemateral von Patienten mit Blinddarm Entzündungen nachgewiesen.

Zukünftig wird sich die Arbeitsgruppe auf die Aufklärung der molekularen Struktur der NETs und die detaillierte Funktionsanalyse konzentrieren.

Originalveröffentlichungen

Urban, C. F., U. Reichard, V. Brinkmann, and A. Zychlinsky:
Neutrophil extracellular traps capture and kill Candida albicans yeast and hyphal forms.
Cellular Microbiology 8, 668-676 (2006).
Brinkmann, V., U. Reichard, C. Goosmann, B. Fauler, Y. Uhlemann, D. S. Weiss, Y. Weinrauch, and A. Zychlinsky:
Neutrophil extracellular traps kill bacteria.
Science 303, 1532-1535 (2004).
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