Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Stuttgart

Nanostrukturierte Oberflächen für biomedizinische Anwendungen

Nanostructured surfaces for biomedical applications

Autoren
Martin, Raquel
Abteilungen

Nanostrukturierte Oberflächen für biomedizinische Anwendungen. (Dr. Raquel Martin)
MPI für Metallforschung, Stuttgart

Zusammenfassung
Die Nachwuchsgruppe von Dr. Raquel Martin entwickelt mithilfe einer bestimmten Nanotechnologie neue medizinische Tests / Instrumente und wird ein Start-up-Unternehmen gründen. Die ersten drei Produkte in der Entwicklung sind ein nicht-invasiver pränataler Test, ein nicht-invasiver Test zum Monitoring von Krebs sowie eine Beschichtung für synthetische Gefäßtransplantate. Die Forschungsaktivitäten der Nachwuchsgruppe werden vom GO-Bio-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Summary
The goal of the project is to found a start-up that will develop and sell health care products whose design is based on a particular nanotechnology. The first three products that we are developing are a non-invasive prenatal test, a non-invasive cancer monitoring test, and a coating for synthetic vascular grafts. The project is funded by the GOBio program, a program from the Federal Ministry of Education and Research of Germany.

GO-Bio-Projekt: Gründung eines Start-up-Unternehmenes

Im Jahr 2006 nahm Dr. Raquel Martin an dem Wettbewerb „GO-Bio Funding competition“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) teil. Dieses Programm fördert Wissenschaftler, damit diese einerseits neue Technologien in den Biowissenschaften entwickeln und andererseits ein Unternehmen aufbauen können (weitere Informationen zum GO-Bio-Programm unter http://www.bmbf.de/de/6868.php).

In der ersten Ausschreibungsrunde 2006 wurde Raquel Martins Antrag als einer von zwölf siegreichen ausgewählt. Beworben hatten sich damals rund 170 junge Wissenschaftler mit Projektanträgen. Die GO-Bio-Finanzierung war dann der Startschuss für Raquel Martins Projekt, das innerhalb der Abteilung für Neue Materialien und Biosysteme am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Metallforschung angesiedelt ist. Seitdem arbeiten sie und ihr Team an der Entwicklung der ersten Produkte des zukünftigen Start-up-Unternehmens.

Um die Übertragung der wissenschaftlichen Ergebnisse vom Labortisch auf die Wirtschaft zu verbessern, unterstützt das GO-Bio-Programm auch bei unternehmerischen Fragen. So profitierte Dr. Martin von Beginn an von einer professionellen Unternehmensberatung. Zusätzlich besuchte sie zwei Jahre lang Wochenendkurse an der deutsch-französischen ESSEC & Mannheim Business School und hat inzwischen einen Master of Business (MBA) erlangt.

Das zukünftige Start-up-Unternehmen wird Gesundheitsprodukte entwickeln und herstellen, deren Design auf einer urheberrechtlich geschützten Nanotechnologie basiert. Dabei handelt es sich um die sogenannte BCML-Technologie (Block Copolymer Micellar Lithography).

Nanotechnologie als wichtiges Instrument zur Herstellung von Gesundheitsprodukten

Biologische Zellen haben Ausmaße bis zu einigen Mikrometern und sie empfangen externe Signale, die räumlich verteilt auf der Nanometer- und Mikrometerskala sind. Beispiele von wahrgenommenen Signalen unserer Zellen sind das 67-nm periodische Muster von Kollagenfasern in Knochen oder der Gradient von Molekülen im Gewebe.

Viele medizinische Instrumente kommen in Kontakt mit den Körperzellen. Dazu gehören beispielsweise Gefäßtransplantate und -stents, Glukosesensoren, Herzschrittmacher etc. Die Entwickler dieser medizinischen Module müssen die Signale kontrollieren können, die sie auf die umgebenden Zellen übertragen. Denn wenn diese nach dem Kontakt unkontrolliert reagieren, kann das die Funktionsfähigkeit des Bauteils mindern oder sogar zu weiteren Operationen, Behinderung oder schlimmstenfalls zum Tod führen.

Um die gewünschten physiologischen Reaktionen ohne die unerwünschten Begleiterscheinungen hervorzurufen, sollten wichtige Parameter eines künstlichen medizinischen Bauteils perfekt bis in den Nanometerbereich kontrolliert werden: Dazu gehören die chemische Zusammensetzung der Oberfläche, sowie strukturelle und mechanische Eigenschaften.

Die BCML-Nanotechnologie

Diese Nanolithografietechnik ermöglicht die Entwicklung von Objekten, deren Oberflächen spezifische und gut kontrollierte Signale zu den umliegenden Zellen senden und dadurch deren Verhalten beeinflussen. Mithilfe dieser Technik werden die Oberflächen der Objekte mit einem periodischen Nanomuster von Metallnanopartikeln beschichtet. So können Biomoleküle an den Metallpartikeln anhaften und erzeugen somit ein Muster aus chemischen Signalen, die gleichmäßig auf der Nanometerskala verteilt sind. Die Biomoleküle können so gewählt werden, dass sie ein bestimmtes Profil von Zelloberflächenrezeptoren aktivieren. Demzufolge lässt sich eine bestimmte Zellfunktion oder ein bestimmter Zelltyp modulieren (Abb. 1).

Die BCML-Technik erzeugt also eine „bioaktive Ummantelung“ mit
(i) einem ausgewählten chemischen Signal, das mit der Oberfläche verbunden ist,
(ii) einem kontrollierten Abstand zwischen den chemischen Signalen auf der Nanometerskala, und

(iii) einer definierten Steifigkeit des Substrats.

Diese drei Parameter sind dafür bekannt, das Zellverhalten zu beeinflussen. Wir variieren diese systematisch auf unseren Substraten, sodass zahlreiche Zellantworten ausgelöst werden können.

Die BCML-Technologie bietet mehrere Vorteile, die sehr wertvoll beim Gestalten von medizinischen Instrumenten sind. Zu den wichtigsten Vorzügen zählt, dass, abhängig vom Design der BCML-Nanostrukturen, sehr bestimmt die Anhaftung eines ganz bestimmten Zelltyps gefördert wird. Außerdem können die Nanostrukturen auf ebenen und auf gewölbten Objekten, auf organischen und anorganischen Materialien gestaltet werden – und das auf kostengünstige Art und auch auf größeren Flächen (bis hin zu einer Größe im Quadratmeterbereich, Abb. 2). Eine solche Kombination von Vorteilen erreicht keine andere bekannte Nanolithografietechnik.

Die Produkte

Im Januar 2009 zählt das Team von Dr. Martin neben ihr einen weiteren Wissenschaftler, drei Doktoranden und einen Techniker. Die Forschungsgruppe entwickelt drei verschiedene Produkte.

1.) Ein nicht-invasiver, vorgeburtlicher Diagnostiktest

Die aktuellen pränatalen Diagnostiktests umfassen zellgenetische Analysen, die das Chromosomenmaterial numerisch und strukturell untersuchen. Dafür ist es nötig, Gewebe des Fötus zu erhalten, das die ganze genetische Information besitzt. Bis jetzt werden die Probenentnahme von fötalem Gewebe nur mittels Fruchtwasserentnahme und Chorionzottenbiopsie vorgenommen. Beides sind invasive Methoden mit großen Nachteilen: Sie erhöhen z. B. das Risiko einer Fehlgeburt. Zudem muss man relativ lang auf das Ergebnis warten. Folglich besteht ein bisher unerfüllter Bedarf an nicht-invasiven, pränatalen Diagnosetechniken, die überzeugend Abnormalitäten bei einem Fötus in einem frühen Stadium der Schwangerschaft identifizieren.

Ein möglicher Ansatz wäre, die intakten Fötuszellen aus dem Mutterblut zu analysieren. Solche neuartigen Tests, die auf zirkulierenden Fötuszellen basieren, könnten die invasiven Methoden wie Fruchtwasseruntersuchung und Chorionzottenbiopsie reduzieren oder sogar überflüssig machen. Jedoch scheitert die Nutzung von Fötuszellen für Diagnosetests bis heute an zwei großen Nachteilen: Der Mangel und die Zerbrechlichkeit der zirkulierenden Fötuszellen. Tatsächlich befinden sich nur geringe Mengen fötaler Zellen im peripheren Blut von schwangeren Frauen: etwa zwei bis sechs fötale Zellen können pro Milliliter Blut der Mutter im zweiten Drittel einer normalen Schwangerschaft nachgewiesen werden. Zusätzlich zu ihrem raren Vorkommen sind diese Zellen zerbrechlich, sehr wahrscheinlich deshalb, weil sie sich von den Genen der Mutter unterscheiden. Dies gefährdet auch ihr Überleben im mütterlichen Blutkreislauf, nachdem sie die Plazenta durchschritten haben.

Aufgrund der Knappheit der fötalen Zellen im Mutterblut wurden bereits viele Methoden zur Anreicherung der Zellen entwickelt; jedoch mangelt es nach wie vor an erwähnenswertem Fortschritt. Dies kann teilweise auf den aggressiven Umgang während der Anreicherungsprozeduren zurückgeführt werden, bei dem viele Fötuszellen verloren gehen. Folglich hat sich kein Pränataldiagnosetest, der auf zirkulierenden Fötalzellen basiert, als klinisch erfolgreich erwiesen.

Das Team um Dr. Martin entwickelt einen neuen medizinischen Test, der eine risikolose, nicht-invasive Pränataldiagnostik ermöglicht. Es korrespondiert mit einem Biosensor, der in die Vene einer schwangeren Frau eingeführt wird und zirkulierende fötale Zellen im peripheren Blut von schwangeren Frauen sucht. Die Oberfläche des Sensors trägt ein regelmäßiges Nanomuster von Goldnanopartikeln. Diese Nanodots sind mit einem Antikörper ummantelt, der die auf der Oberfläche der fötalen Zellen befindlichen Proteine spezifisch binden kann. Anschließend wird der Sensor wieder aus der Vene entfernt und zur Analyse in ein Labor gebracht. Dort werden dann die individuellen Fötalzellen, die am Biosensor anhaften, identifiziert und charakterisiert. Der Test wird mit einer minimalen Zahl an Handlungsschritten durchgeführt und benötigt keine Anreicherung der Blutprobe. So wird verhindert, dass fötale Zellen verloren gehen.

2.) Ein neuartiger, nicht-invasiver Test zur Überwachung von Krebs

Viele neue Studien lassen darauf schließen, dass die Erkennung zirkulierender Tumorzellen (CTCs) im peripheren Blut der Patienten große Potenziale birgt. So dient sie als wichtiges Werkzeug für die Krebsprognose, als Diagnose für eine minimale Resterkrankung, sie hilft bei der Beurteilung der Tumorsensibilität gegenüber Antikrebsmedikamenten und unterstützt die persönliche Antikrebstherapie. Der Nachweis der zirkulierenden Tumorzellen könnte auch bei frühen Diagnosen von invasiven Krebsarten helfen. Denn manche Studien haben gezeigt, dass die CTCs schon im frühen Stadium der Tumorbildung im peripheren Blut zirkulieren.

Verschiedene Methoden sind entwickelt worden, um die CTCs zu isolieren und zu identifizieren. Sie basieren alle auf der Anreicherung von Blutzellen, die vom Patienten entnommen werden. Jedoch erzielen diese Methoden weniger Menge an CTC als gewünscht oder lediglich eine sehr schlechte Reinheit. Die technische Herausforderung der CTC-Erkennung besteht in der Schwierigkeit, die äußerst raren Tumorzellen zu finden – in einem Milliliter Blut sind nur wenige CTCs zusammen mit Milliarden anderer Zellen – und diese von Nicht-Tumorzellen, Leukozyten und Epithelzellen (Deckgewebszellen) zu unterscheiden. Ein weiteres großes Hindernis beim Erkennen von CTCs ist ihre Zerbrechlichkeit. Dies zeigt sich schon innerhalb von 24 Stunden nach der Blutabnahme: CTCs werden durch die Blutspeicherung mit konservierenden Wirkstoffen und die verschiedenen Behandlungsschritten und Übertragungen zerbrechlich. Dies kann plötzlichen Zelltod, Zellverlust oder Kontamination hervorrufen – mit entsprechend dramatischem Effekt auf das Prüfverfahren, besonders wenn man mit einer geringen Zahl an Proben arbeitet.

Das Team um Dr. Martin entwickelt einen neuartigen CTC-Erkennungstest, der über eine höhere Spezifität und Sensibilität als die existierenden Methoden verfügt. Dieser Krebstest wird technisch dem vorher beschriebenen Pränataltest ähnlich sein. Er beinhaltet die Einführung eines Biosensors in die Vene eines Patienten, der die CTCs im peripheren Blut herausfischt. Die Oberfläche des Sensors enthält ebenfalls ein reguläres Nanomuster von Goldpartikeln. Hier sind sie mit einem Antikörper ummantelt, der sich spezifisch an Proteine auf der Oberfläche der CTCs binden kann. So können die CTCs auf dem Biosensor haften. Nach dem Entfernen aus der Vene wird der Biosensor zur Analyse in ein Labor gebracht, wo die einzelnen CTCs identifiziert und charakterisiert werden.

3.) Eine Ummantelung für synthetische Gefäßtransplantate

Körpereigene Gefäße bleiben der Standard für Transplantationen an den Herzkranzgefäßen. Jedoch haben etwa ein Drittel der Patienten keine passenden Venen für Transplantationen infolge von bereits existierenden Gefäßerkrankungen, Entfernung von Krampfadern oder früheren Venenprozeduren. Wenn passende körpereigene (autogenetische) Gefäße fehlen, greifen Chirurgen zu prothetischen Kunststoff-Materialien wie expandiertes Polytetrafluoroethylen (ePTFE), Polyurethan (PU) oder Polyethylen-Terephthalate (Darcon). Diese synthetischen Röhren ersetzen oder überbrücken Teile eines Blutgefäßes – hauptsächlich Arterien – und funktionieren ähnlich wie natürliche Blutgefäße. Jedoch sind diese künstlichen Implantate anfällig für Thrombosen oder Blutgerinnsel, Verschlüsse und Infektionen, bedingt durch Protein- und Zellabsorptionen und Bildung von Gerinnseln. Als Folge müssen einige dieser künstlichen Gefäße bereits einige Monate nach der Implantation ersetzt werden. Das Problem besteht vor allem für kleine Gefäße mit einem Durchmesser von weniger als sechs Millimetern.

Ein Hauptgrund für das schlechte Ergebnis der künstlichen Gefäße mit geringem Durchmesser ist das fehlende Wachstum von Gewebezellen auf der Oberfläche der Gefäße. Es ist bekannt, dass ein mit Gewebe bedecktes Inneres der Gefäßröhren eine Schlüsselrolle dabei spielt, den Verschluss zu verhindern. Folglich haben bereits verschiedene Firmen und Forschungseinrichtungen daran gearbeitet, synthetische Gefäße mit veränderten Oberflächen dahin gehend zu entwickeln, diese Bedeckung mit Gewebezellen zu fördern. Bis jetzt gab es jedoch keine zufriedenstellenden Ansätze.

Das Team um Dr. Martin entwickelt Ummantelungen für ePTFE- und PU-Gefäße, die das Ergebnis der Transplantation verbessern. Diese umgebende Schicht ähnelt einer regulären Ordnung von Goldnanopartikeln, die die konkave Oberfläche von synthetischen Transplantaten überzieht. Die Goldpartikel können mit einem aktiven Biomolekül oder Wirkstoff funktionalisiert werden. Dies kann das gewollte Zellverhalten, wie Anhaftung und die Vermehrung der Gewebezellen, auslösen.

Perspektiven

Das Start-up-Unternehmen soll während der zweiten Hälfte des Jahres 2009 gegründet werden. Dr. Martin bewirbt sich derzeit um eine zweite Finanzierungsphase durch das GO-Bio-Programm. Diese Anschlussfinanzierung wäre das notwendige finanzielle Polster für die Neugründung. Parallel versucht Raquel Martin, private Investoren für ihr Projekt zu gewinnen.

Zur Redakteursansicht