Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

Irren ist menschlich – Fehlerverarbeitung und mehr

Autoren
Klein, Tilmann A.; Jocham, Gerhard; Ullsperger, Markus
Abteilungen

Kognitive Neurologie (Dr. Markus Ullsperger)
MPI für neurologische Forschung, Köln

Zusammenfassung
Tagtäglich setzen Menschen in ihrem Verhalten Mechanismen der Handlungsüberwachung und Handlungskontrolle ein. In der Regel passiert dies unbemerkt und ohne großen Aufwand. Kommt es zu einer Ergebnisabweichung, das heißt, ist das Ergebnis einer Handlung anders als erwartet, so muss das Gehirn Mittel und Wege bereitstellen, diese Abweichung zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Das Spektrum der möglichen Abweichungen ist dabei so vielfältig wie das menschliche Dasein; ähnlich komplex sind auch die Faktoren, die das Funktionieren der Handlungsüberwachung beeinflussen können.

Einleitung

Ein Mensch, der beim Versuch, einen Anruf auf dem Handy entgegenzunehmen, auf die falsche Taste kommt und das Gespräch versehentlich abweist, und ein Affe, der anstatt eines erwarteten Bananenstücks gar nichts bekommt, sind mit einem ähnlichen Phänomen konfrontiert. In beiden Fällen weicht das Ergebnis der Handlung von dem ab, was der jeweilige Handelnde eigentlich in der Situation erwartet hat. Mensch und Affe erleben einen so genannten Fehler in der Belohnungsvorhersage.

Aspekte menschlicher Handlungskontrolle und Handlungsregulation

Tierexperimentelle Forschung in den späten neunziger Jahren [1] hat gezeigt, dass Nervenzellen im Mittelhirn auf den Fehler in der Belohnungsvorhersage reagieren. Sie feuern mehr, das heißt sind aktiver, wenn das Ergebnis einer Handlung besser ist als erwartet, und weniger aktiv, wenn das Ergebnis einer Handlung schlechter ist als angenommen. Studien am Menschen haben ergeben, dass vor allem ein Areal im posterioren frontomedianen Cortex (pFMC) aktiv ist, wenn Menschen Fehler begehen [2]. Wie jedoch „bemerkt“ der pFMC, dass Zellen im Mittelhirn als Antwort auf einen unerwarteten Handlungsausgang ihr Feuerverhalten verändern? Eine mögliche Lösung hierfür bietet der Neurotransmitter Dopamin [3], ein Botenstoff, der von bestimmten Neuronen des Mittelhirns produziert wird. Verändern diese Zellen ihr Feuerverhalten, so verändert sich analog dazu auch die Dopaminkonzentration – vor allem in den Zielgebieten dieser dopaminergen Neurone, also im frontalen Cortex und den Basalganglien. Es liegt also nahe, dass eben jene Veränderung in der Dopaminkonzentration nach einem Fehler dazu führt, dass die Aktivität im pFMC ansteigt.

Was jedoch ist das Besondere am pFMC und welche Folgen hat dessen Aktivität? Der pFMC ist aufgrund seines anatomischen Aufbaus prädestiniert für eine Schlüsselrolle in der Handlungsüberwachung. Dort kommt es zu einer Interaktion von motivationalen, motorischen und höheren kognitiven Prozessen [4]. Diese Interaktion ermöglicht es, einen Fehler als solchen zu erkennen, seine Bedeutung zu beurteilen und das Verhalten entsprechend anzupassen. Der pFMC alleine kann den komplexen Prozess der Handlungsüberwachung nicht leisten. Vielmehr ist er ein Partner in einem Netzwerk zusammenwirkender Hirnstrukturen und Neurotransmittersysteme.

Ist Fehlererkennung reiner Selbstzweck oder wird die dort gewonnene Information für die Zukunft genutzt? Handlungsüberwachung dient der Optimierung von Verhalten, das heißt Informationen, die im Überwachungsprozess gewonnen werden, müssen in das zukünftige Verhalten integriert werden. So soll ein wünschenswertes Handlungsergebnis in der Zukunft wieder hergestellt werden oder ein unerwünschtes Handlungsergebnis in der Zukunft vermieden werden. Das Repertoire an möglichen Verhaltensanpassungen ist dabei sehr vielfältig – es reicht von kurzlebigen Korrekturantworten über mittelfristige Strategieanpassungen („Ich sollte in Zukunft vorsichtiger handeln...“) bis hin zu langfristigen Lernleistungen, zum Beispiel sich in bestimmten Situationen anders zu verhalten.

Ein komplexes System wie die Handlungsüberwachung – bestehend aus unterschiedlichen Akteuren – bietet vielfältige Einflussmöglichkeiten, welche den Prozess der Handlungsüberwachung in die eine oder andere Richtung beeinflussen können.

Wiegen alle Fehler gleich schwer?

Eine Frage die sich direkt stellt, ist die Frage nach der Situation, in der ein Fehler auftreten kann. Instruiert man beispielsweise eine Versuchsperson, eine Aufgabe möglichst genau zu bearbeiten, so hat ein Fehler eine größere Bedeutung für die Person (und führt auch zu einer stärkeren Reaktion des Handlungsüberwachungssystems) als wenn man die Person bittet, eine Aufgabe möglichst schnell zu bearbeiten, auch auf Kosten der Genauigkeit [5]. Ähnliche Einflüsse lassen sich beobachten, wenn man die zu bearbeitende Aufgabe unterschiedlich leicht oder schwer gestaltet. So zeigte sich in einer Studie, die mittels Elektroenzephalographie (EEG) die Aktivität des Handlungsüberwachungssystems untersuchte, dass die Amplitude einer fehlerbezogenen Komponente im EEG von dem Konflikt abhing, der durch das "Reizmaterial" der Aufgabe erzeugt wurde (Abb. 1).

In ähnlicher Hinsicht konnte kürzlich gezeigt werden, dass auch die Informationsumgebung, innerhalb derer sich ein Fehler ereignet, für die Aktivität des Handlungsüberwachungssystems relevant ist. Ereignet sich ein Fehler in einer sehr variablen Umgebung, in der sich Fehler und korrekte Antworten häufig abwechseln, so hat der individuelle Fehler einen geringeren Einfluss auf das Gehirn (Abb. 2) als in einer stabilen Umgebung, in der ein Fehler ein sehr seltenes Ereignis ist. Wechseln sich Handlungsergebnisse häufig ab, ist eine Integration von mehreren Handlungsergebnissen nötig, um ein Gesamtbild des Handlungsausgangs zu erzeugen.

Werden alle Fehler in gleicher Weise verarbeitet?

Das Umfeld, in dem sich ein Fehler ereignet, beziehungsweise die Komplexität des zu bearbeitenden Reizmaterials entscheiden also mit darüber, wie stark das Gehirn auf einen Fehler reagiert. Ein weiterer wesentlicher Faktor, der mit darüber entscheidet, wie stark das Gehirn auf einen Fehler reagiert bzw. wie gut das Gehirn den Fehler nutzen kann, um das zukünftige Verhalten zu optimieren, ist die funktionelle Architektur des Gehirns an sich. Die Aktivität des Handlungsüberwachungssystems wird auch durch das „System“ bestimmt, innerhalb dessen sich die Handlungsüberwachung abspielt. Mögliche Veränderungen an Strukturen und Systemen der Fehlerdetektion und Fehlerverarbeitung sind dabei sehr vielgestaltig. Sie reichen von strukturellen Veränderungen an beteiligten Hirnarealen, beispielsweise nach einem Schlaganfall [6], über Veränderungen an Neurotransmittersystemen – wie sie sich im Zuge neurodegenerativer Erkrankungen ergeben können (z. B. Morbus Parkinson) – bis hin zu Einflüssen, die sich aus der individuellen Variation in der genetischen Ausstattung eines Menschen ergeben. Geht man von einer zentralen Rolle des Dopamins in der Handlungsüberwachung aus, erscheint es folgerichtig anzunehmen, dass Veränderungen im Dopaminkreislauf des Gehirns zu korrespondierenden Veränderungen in der Fehlerverarbeitung führen.

Veränderungen des dopaminergen Systems ergeben sich auch aus genetischen Variationen, die Menschen in verschiedenem Ausmaß aufweisen können. Bis zu 0,5 Prozent des menschlichen Genoms können zwischen Individuen variieren (aufgrund von Einzelnukleotidpolymorphismen, das heißt Austausch einzelner Basen, und Kopienzahl-Varianten). In der Folge kann es also zu genetisch bedingten Veränderungen innerhalb zentraler Komponenten des Handlungsüberwachungssystems kommen. Anhand dieser können gesunde Versuchspersonen in genetisch definierte Gruppen aufgeteilt werden: Es werden Versuchsteilnehmer, bei denen die Systeme, die der Handlungsüberwachung zugrunde liegen, nicht genetisch verändert sind (A1-Gruppe), verglichen mit Versuchsteilnehmern, die eine genetische Variation in einer zentralen Funktion der Handlungsüberwachung aufweisen (A1+Gruppe; reduzierte Dopamin-D2-Rezeptordichte). In zwei Studien hierzu zeigte sich, dass eine genetisch determinierte Veränderung im Dopaminkreislauf des Gehirns dazu führt, dass Menschen Fehler anders verarbeiten beziehungsweise sich die Anpassungsleistung im Verhalten nach einem Fehler zwischen den genetischen Gruppen (A1- und A1+; Abb. 3 und 4) unterscheidet [7, 8].

Schlussfolgerung

Die Handlungsüberwachung ist eine komplexe Fähigkeit, die es dem Menschen erlaubt, in einer sich ständig verändernden Umwelt erfolgreich zu agieren. Komplexe Fähigkeiten erfordern häufig auch komplexe Systeme. Verschiedene Areale des Gehirns im Zusammenspiel mit Systemen der chemischen Reizleitung orchestrieren das, was als anpassungsfähiges menschliches Verhalten in Experimenten sichtbar gemacht werden kann. Mit der Komplexität eines Systems steigen natürlich auch die Einflussmöglichkeiten auf eben jenes: So spielt das Umfeld, in dem ein Fehler passiert, das Reizmaterial, welches fehlerhaft bearbeitet wurde oder die Motivation der Versuchsperson eine große Rolle in der Verarbeitung eines Fehlers. Zusätzliche Varianz ergibt sich aus individuellen Besonderheiten: Menschen unterscheiden sich in der Feinabstimmung ihres Handlungsüberwachungssystems. Ursache hierfür kann neben pathologischen Prozessen auch die genetische Ausstattung eines Menschen sein.
Die selbständige Nachwuchsgruppe "Kognitive Neurologie" am Max-Planck-Institut für neurologische Forschung untersucht die der Handlungsüberwachung zugrunde liegenden neuronalen Prozesse, ihre Modulation und ihre Beeinträchtigung durch neurologische und psychiatrische Erkrankungen.

Originalveröffentlichungen

W. Schultz, P. Dayan, P. R. Montague:
A neural substrate of prediction and reward?
Science 275, 1593-1599 (1997).
K. R. Ridderinkhof, M. Ullsperger, E. A. Crone, S. Nieuwenhuis:
The role of the medial frontal cortex in cognitive control.
Science 306, 443-447 (2004).
G. Jocham, M. Ullsperger:
Neuropharmacology of performance monitoring.
Neuroscience and Biobehavioral Reviews 33, 48-60 (2009).
T. Paus:
Primate anterior cingulate cortex: where motor control, drive and cognition interface.
Nature Reviews Neuroscience 2, 417-424 (2001).
M. Ullsperger, F. Szymanowski:
ERP Correlates of error relevance.
Errors, conflicts, and the brain. Current opinions on performance monitoring. (Ullsperger M, Falkenstein M, eds) pp 171-184 (2004) Leipzig, MPI for Human Cognitive and Brain Sciences.
M. Ullsperger, D. Y. von Cramon, N. G. Müller:
Interactions of focal cortical lesions with error processing: evidence from event-related brain potentials.
Neuropsychology 16, 548-561 (2002).
G. Jocham, T. A. Klein, J. Neumann, D. Y. von Cramon, M. Reuter. M. Ullsperger:
Dopamine DRD2 polymorphism alters reversal learning and associated neural activity.
Journal of Neuroscience 29(12), 3695-3704 (2009).
T. A. Klein, J. Neumann, M. Reuter, J. Hennig, D. Y. von Cramon, M. Ullsperger:
Genetically determined differences in learning from errors.
Science 318, 1642-1645 (2007).
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