Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Ein Ozean von Symbiosen, von ungeahnter Tiefe

Autoren
Aspetsberger, Fanni; Dubilier, Nicole
Abteilungen

Arbeitsgruppe Symbiose (Dr. Nicole Dubilier)
MPI für marine Mikrobiologie, Bremen

Zusammenfassung
Die Arbeitsgruppe Symbiose beschäftigt sich mit dem Zuammenschluss von Bakterien und Eukaryoten in chemosynthetischen Lebensräumen, beispielsweise sulfidreichen Küstensedimenten sowie heißen und kalten Quellen in der Tiefsee. Drei Ziele stehen dabei im Zentrum: das Aufdecken der Artenvielfalt und Verbreitung der mikrobiellen Symbiosen, ein Verständnis der Stoffwechselwege, mit deren Hilfe die Symbionten Energie aus der Umwelt ziehen und an ihren Wirtsorganismus weitergeben, und eine Entschlüsselung der Evolution der Symbiose und der Anpassungen, die zu ihrem ökologischen Erfolg führten.

Einleitung

Symbiose: "Das fortwährende und innige Zusammenleben ungleichnamiger Organismen". (Anton de Bary, in: "Die Erscheinung der Symbiose", 1879.)

Vor mehr als 300 Jahren beobachtete der niederländische Naturkundler Antonie van Leeuwenhoek Mikroorganismen, die auf seinen Zähnen lebten – und beschrieb damit erstmals eine Symbiose. Vor etwa 30 Jahren wurden an heißen Tiefseequellen des Galapagosgrabens Symbiosen zwischen Röhrenwürmern und Bakterien entdeckt. Zum ersten Mal fanden Forscher dort eine hochproduktive Lebensgemeinschaft, die ihre Energie nicht durch Photosynthese mit Sonnenlicht, sondern durch Chemosynthese, also chemische Umsetzungsprozesse, bezieht. Die Energieressourcen für die Primärproduktion an Hydrothermalquellen sind reduzierte Verbindungen wie Methan und der nach faulen Eiern riechende Schwefelwasserstoff. Erstaunlicherweise bedurfte es erst der Forschung an den schwer zugänglichen Tiefseequellen, um Wissenschaftler auf die Spur chemosynthetischer Symbiosen auch in weniger abgelegenen Regionen zu locken. Heute ist bekannt, dass solche Symbiosen in einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume auftreten, wo hunderte Wirts- und Symbiontengruppen zusammenwirken [1].

An hydrothermalen Quellen wie denen des Galapagosgrabens, wo heißes, mineralreiches Wasser aus dem Erdinneren strömt, machen symbiontische Organismen den Großteil der Biomasse aus. An anderer Stelle erreichen die Symbiosen weniger eindrucksvolle Gestalt, sind aber ebenso vielfältig und erfolgreich. Auf den Meeresboden gesunkene Walkadaver etwa bilden einen beliebten Lebensraum für chemosynthetische Gemeinschaften, ebenso Holzreste und Schiffswracks. Doch chemosynthetische Symbiosen sind nicht immer in unzugänglichen Tiefen versteckt, es gibt sie auch direkt vor unserer Haustür. Die Arbeitsgruppe Symbiose erforscht diese Lebensgemeinschaften beispielsweise vor der Küste der Mittelmeerinsel Elba.

Darmlos, wenigborstig und einfallsreich

Mit einer Gruppe von Wirtsorganismen beschäftigen sich Nicole Dubilier und ihre Kollegen besonders intensiv: den darmlosen Oligochaeten (auf Deutsch: Wenigborster, Abb. 1), entfernten Verwandten des Regenwurms. Heute sind mehr als 80 verschiedene Arten identifiziert und viele weitere sind noch nicht wissenschaftlich beschrieben. Die größte Artenvielfalt darmloser Oligochaeten findet man in Sedimenten tropischer Korallenriffe und in subtropischen Sandböden, aber auch im Meeresboden in 300 Meter Wassertiefe vor der Küste Perus wurden sie gefunden.

Diese unscheinbaren weißen Würmer haben keinen Mund, keinen Darm und keine Nephridien, also Exkretionsorgane, die eine ähnliche Funktion haben wie Nieren bei Säugetieren. Während die Reduktion des Verdauungssystems als Anpassung an das Zusammenleben mit symbiontischen Bakterien auch von anderen Tieren bekannt ist, bilden die darmlosen Oligochaeten die einzige bekannte Wirtsgruppe, die auch ihre Exkretionssysteme reduziert hat. Das bedeutet für den Wurm, dass alle Prozesse, die mit Nahrungsaufnahme und „Abfallentsorgung“ zu tun haben, von seinen Symbionten erledigt werden müssen.

Ursprünglich wurde angenommen, dass sich die darmlosen Oligochaeten durch diffusive Aufnahme organischer Substanzen aus dem sie umgebenden Meerwasser ernähren. Dazu passte auch die lange, dünne Körperform der Würmer, die maximale Aufnahmeraten erlaubt. Doch eine genaue Untersuchung der Morphologie dieser Tiere brachte ganz andere Ergebnisse: In ihrer Haut fand sich eine dicke Schicht von sulfidoxidierenden Bakterien. Die symbiontischen Schwefelbakterien benutzen Schwefelwasserstoff als Energiequelle, um CO2 in organischen Verbindungen zu fixieren. Diese werden von den Würmern aufgenommen und ihrerseits als Nahrung verwendet.

Lange Zeit nahm man an, dass darmlose Oligochaeten nur in Gegenwart reduzierter Schwefelkomponenten, die als Energiequellen dienen, überleben könnten. Ein Mangel dieser Elektronenspender würde demnach zum Tod der Bakterien und in der Folge auch ihrer Wirtsorganismen führen. Die Entdeckung der Würmer vor der Insel Elba zeigte aber, dass diese Tiere auch in Sedimenten mit sehr geringen Sulfidkonzentrationen im nanomolaren Bereich vorkommen können. Wie können sie überleben? Die Bremer Forscher entdeckten, dass die Würmer neben ihren bekannten symbiontischen Sulfidoxidierern auch neuartige sulfatreduzierende Symbionten beherbergen können [2, 3]. Wie funktioniert diese ungewöhnliche Partnerschaft im Einzelnen (Abb. 2)?

Die sulfatreduzierenden Bakterien produzieren Sulfid (Schwefelwasserstoff), der von den eng benachbarten sulfidoxidierenden Bakterien aufgenommen wird. Diese verwandeln den Schwefelwasserstoff in oxidierte Schwefelverbindungen wie zum Beispiel Sulfat. Die oxidierten Schwefelverbindungen wiederum werden von den sulfatreduzierenden Symbionten aufgenommen und in reduzierte Schwefelverbindungen wie Sulfid umgewandelt. So entsteht ein zyklischer oder syntropher Schwefelkreislauf, der auf den ersten Blick wie ein „Perpetuum mobile“ wirkt. Tatsächlich aber müssen die sulfatreduzierenden Bakterien zuerst Energie von außen – in Form von organischen Kohlenstoffverbindungen - aufnehmen, damit der Wurm wachsen kann.

Heute ist bekannt, dass die darmlosen Oligochaeten unter ihrer Haut bis zu sechs verschiedene Bakterienarten beherbergen, die ihnen sowohl die Nahrungsaufnahme als auch die Entgiftung des Körpers abnehmen (Abb. 3). Damit zeigen sie die höchste Symbiontenvielfalt unter allen bekannten chemosynthetischen Symbiosen [4]. Und auch an Masse mangelt es nicht: Ein durchschnittlicher Wurm beherbergt mindestens eine Million Bakterienzellen, was etwa einem Viertel des Wurmvolumens entspricht.

Die Vorteile der Vielfalt

Ebenso vielfältig wie ihre Phylogenie sind auch die Stoffwechselwege, die die Symbionten benutzen, um Ressourcen miteinander und mit ihrem Wirt zu teilen und auszutauschen. Bislang ist es nicht gelungen, chemosynthetische Symbionten zu isolieren oder zu kultivieren. Fortschritte in der Sequenzierung, die Analyse der Genome von komplexen mikrobiellen Gemeinschaften und die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Edward Rubin vom Joint Genome Institute (USA) ermöglichten den Bremer Forschern vor kurzem die Rekonstruktion des Metabolismus der Symbionten des darmlosen Oligochaeten Olavius algarvensis [6]. Durch diese Untersuchungen konnten Dubilier und ihre Kollegen eine Reihe von Hypothesen entwickeln, die die vermeintliche Redundanz der Symbionten erklärten.

Bislang wurde angenommen, dass das Beherbergen mehrerer Arten von Symbionten zu einem Konkurrenzkampf unter diesen um Ressourcen und Raum führen würde, was wiederum zum Nachteil des Wirts wäre. Die metagenomischen Analysen zeigten, dass nicht nur die beiden sulfidoxidierenden, sondern auch die zwei sulfatreduzierenden Symbionten chemoautotroph wachsen können. Der Wurm hat sich also ein regelrechtes endosymbiotisches Kraftwerk angelegt. An der Zersetzung der für das Wirtstier giftigen Stoffwechselendprodukte Harnstoff und Ammonium sind auch alle Symbionten beteiligt und tragen damit zum Recycling des wertvollen gebundenen Stickstoffs bei. Eine Erklärung für die funktionelle Redundanz der beiden sulfidoxidierenden Symbionten fand sich beim Entschlüsseln der Gene, die für Energiegewinn und Atmung benötigt werden. Der größere Sulfidoxidierer (hellgrün dargestellt in Abb. 2) kann elementaren Schwefel speichern und diesen mit Sauerstoff oxidieren. Der kleinere Sulfidoxidierer (dunkelgrün dargestellt in Abb. 2) kann keinen Schwefel speichern, dafür kann er aber Nitrat zur Veratmung von reduzierten Schwefelverbindungen verwenden. Der Wirt hat also dadurch einen Vorteil, dass er in sich zwei Spezialisten trägt, die mit unterschiedlichen Werkzeugen die gleiche Aufgabe erfüllen.

Der Wurm wandert in den Küstensedimenten vor Elba zwischen den oberen sauerstoffhaltigen und den unteren sauerstofffreien Schichten auf und ab. Wenn der Wurm sich in den oberen Sedimentschichten aufhält, in denen kein Sulfid vorkommt, kann der größere Sulfidoxidierer aus seinem gespeicherten Schwefel Energie durch dessen Oxidation mit Sauerstoff gewinnen. In den tieferen Sedimentschichten kann der kleinere Sulfidoxidierer Sulfid als Energiequelle verwenden, das nur unter anoxischen Bedingungen von den symbiontischen Sulfatreduzierern produziert werden kann. Der Elektronenakzeptor ist dann Nitrat, das in den tieferen anoxischen Sedimentschichten vorkommt. So wird der Wurm, je nach dem, wo er sich im Sediment aufhält, optimal von seinen symbiontischen Bakterien mit Energie versorgt.

Wie geht es weiter?

Die Hypothesen, die die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Symbiose aus der metagenomischen Analyse der Symbiontengenome entwickelt haben, überprüfen sie jetzt mithilfe metatranskriptomischer und metaproteomischer Analysen. Diese Untersuchungen können über das genetische Potenzial hinaus Auskunft geben, welche Enzyme dem jeweiligen Organismus tatsächlich zur Verfügung stehen und welche Stoffwechselwege von dem Konsortium wirklich beschritten werden. Überraschenderweise entdeckten die Forscher bei der gerade begonnenen Proteomanalyse (in Zusammenarbeit mit Thomas Schweder und Michael Hecker von der Universität Greifswald sowie Nathan Verberkmoes vom Oak Ridge National Laboratory, USA) einen zusätzlichen Weg zur autotrophen CO2-Fixierung, der nicht eindeutig aus dem Metagenom erkennbar war.

Zusammen mit anderen neuen Ergebnissen aus der Proteomanalyse entdeckten die Bremer Symbioseforscher eine Reihe bislang verborgen gebliebener Stoffwechselwege in den Symbionten, die aufzeigen, wie es zum ökologischen und evolutionären Erfolg dieser Assoziation kommen konnte. In Verbindung mit physiologischen Versuchen und der seit kurzem am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie etablierten NanoSIMS-Technik werden Dubilier und ihre Kollegen ein tieferes Verständnis für das Zusammenspiel der Symbionten mit dem Wirtsorganismus und ihrer Umwelt ebenso wie für den metabolischen und genetischen Austausch innerhalb der bakteriellen Gemeinschaft bekommen.

Originalveröffentlichungen

A. Blazejak, C. Erséus, R. Amann, N. Dubilier:
Coexistence of bacterial sulfide-oxidizers, sulfate-reducers, and spirochetes in a gutless worm (Oligochaeta) from the Peru margin.
Applied and Environmental Microbiology 71, 1553-1561 (2005).
N. Dubilier, C. Mülders, T. Ferdelman, D. de Beer, A. Hentschke, M. Klein, M. Wagner, C. Erséus, F. Thiermann, J. Krieger, O. Giere, R. Amann:
Endosymbiotic sulfate-reducing and sulfide-oxidizing bacteria in a gutless marine worm (Oligochaeta, Annelida).
Nature 411, 298-302 (2001).
N. Dubilier, A. Blazejak, C. Ruehland:
Symbioses between bacteria and gutless marine oligochaetes.
In: J. Overmann (Hrsg.): Molecular Basis of Symbiosis. Springer Verlag, New York, S. 251-275 (2006).
N. Dubilier, C. Bergin, C. Lott:
Symbiotic diversity in marine animals: the art of harnessing chemosynthesis.
Nature Reviews Microbiology 6, 725-740 (2008).
C. Ruehland, A. Blazejak, C. Lott, A. Loy, C. Erséus, N. Dubilier:
Multiple bacterial symbionts in two species of co-occurring gutless marine worms from Mediterranean sea grass sediments.
Environmental Microbiology 10, 3404-3416 (2008).
T. Woyke, H. Teeling, N. N. Ivanova, M. Richter, M. Hunteman, F. O. Gloeckner, D. B. offelli, K. W. Barry, H. J. Shapiro, M. Mussmann, C. Bergin, C. Ruehland, R. Amann, I. J. Anderson, E. Szeto, N. C. Kyrpides, V. M. Markowitz, E. M. Rubin, N. Dubilier:
Symbiosis insights through metagenomic analysis of a microbial consortium.
Nature 443, 950-955 (2006).
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