Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie

Globale Beobachtung und Modellierung der Vegetation und biogeochemischer Kreisläufe

Autoren
Reichstein, Markus
Abteilungen

Biogeochemische Model-Daten Integration (Dr. Markus Reichstein)
MPI für Biogeochemie, Jena

Zusammenfassung
Wie reagieren Biosphäre und biogeochemische Kreisläufe auf Klimaschwankungen? Welches sind die Hauptprozesse in der Vegetation und im Boden, die dabei eine Rolle spielen? Wie können durch globale Beobachtungssysteme bessere diagnostische Fähigkeiten bezüglich des Erdsystems erlangt werden? Mit diesen und verwandten Fragen beschäftigt sich die Arbeitgruppe Biogeochemische Modell-Daten-Integration am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena mit einem integrativen Forschungsansatz.

Einleitung

Spätestens seit den Arbeiten von James Locklock zur Gaia-Hypothese ist klar, dass die Erde als Gesamtsystem beobachtet, analysiert und verstanden werden muss. In der heutigen öffentlichen Debatte zu globalen Klimaveränderungen werden der Treibhauseffekt durch CO2 und der damit verbundene Temperaturanstieg in den Vordergrund gestellt. Bereits der natürliche Aspekt der globalen Veränderungen ist jedoch deutlich komplexer, sodass eine Vielfalt von Prozessen und Faktoren zu berücksichtigen ist, insbesondere Wechselwirkungen zwischen Kohlenstoff-, Wasser- und Nährstoffkreisläufen und zwischen Vegetations- und Bodenprozessen. In diesem Zusammenhang ist es eine große Herausforderung, Beobachtungen in einem Modellierungsansatz zu integrieren (Abb. 1), die bei sehr unterschiedlicher raum-zeitlicher Auflösung von der Mikrometer- und Sekunden- bis zur globalen und mindestens Jahrhundert-Skala reichen. Typische Datenquellen sind zum einen Laborprozessstudien, in denen untersucht wird, wie die Blattphotosynthese oder die mikrobielle Atmung auf Umweltfaktoren reagieren, zum anderen Beobachtungen auf Ökosystemebene, wie z.B. Gasaustauschmessungen oder Baumringuntersuchungen und räumlich global operierende Beobachtungssysteme wie Fernerkundung und Abflusszeitreihen von Flüssen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Verbindung von empirischer und theoretischer Modellierung (Abb. 1).

Globales Netzwerk von Ökosystem CO2- und H2O- Flussmessungen (FLUXNET)

Die so genannte Eddy-Kovarianzmethode ist in den vergangenen Jahren ein zentraler Bestandteil der globalen Ökosystembeobachtung geworden. Bei dieser Methode wird in der Luftschicht über einem Ökosystem zehn bis zwanzigmal pro Sekunde die CO2- und H2O-Konzentration und gleichzeitig die vertikale Windgeschwindigkeit gemessen, woraus der Austausch der beiden Gase zwischen Ökosystem und Atmosphäre abgeleitet werden kann. Ein großer Vorteil dieser Technik ist, dass Systembeobachtungen mit minimaler Störung durchgeführt werden können, vergleichbar mit minimal-invasiven Techniken in der Medizin. So können kontinuierliche Beobachtungen über viele Jahre durchgeführt werden. Man erhält auf diese Weise Datensätze, die Information über Tagesgänge, Jahresgänge und längerfristige Variabilität des Kohlenstoffkreislaufs in Ökosystemen beinhalten. Durch die Anwendung der Methode in einem global verteilten Netzwerk (Abb. 2) können zusätzlich räumliche Fragestellungen zum generellen Einfluss des Klimas auf die Ökosystemproduktivität beantwortet werden. Mithilfe von Satellitendaten können diese Zusammenhänge auf größere Gebiete, z.B. Kontinente, hochskaliert werden und so die Rolle der Ökosysteme für den globalen Kohlenstoffkreislauf und die Klimasensitivität von Ökosystemen analysiert werden. Dies soll anhand zweier Studien im Folgenden erläutert werden.

Beispielstudie 1:
In einer Analyse innerhalb des CarboEurope-IP-Projekts (www.carboeurope.org) wurde die Ökosystemproduktivität entlang kontinentaler Temperatur- und Niederschlagsgradienten analysiert. Dabei wurde ausgenutzt, dass die Nettokohlenstoffbilanz auf Ökosystemebene in Bruttoprimärproduktion (durch Photosynthese der Vegetation) und Ökosystematmung (Atmung der autotrophen Pflanzen und heterotrophen Mikroorganismen) aufgeteilt werden kann. Wie zu erwarten ist, kann die Temperatur als wesentlicher limitierender Faktor der Ökosystemproduktivität in nördlichen Ökosystemen identifiziert werden (Abb. 3). Überraschend ist allerdings, dass bei ca. zwei Dritteln der Standorte die Wasserverfügbarkeit der entscheidende limitierende Faktor ist, d.h. bei den Standorten, die südlich von 52°N (das entspricht etwa dem Breitengrad von Berlin). Sowohl die Bruttoprimärproduktion als auch die Ökosystematmung hängen dort stark mit dem Index der Wasserverfügbarkeit (index of water availability, IWA) zusammen. Die Nettokohlenstoffbilanz ist statistisch mit keinem der beiden Klimafaktoren direkt verbunden, aber es zeigt sich, dass die Variation der Nettokohlenstoffbilanz deutlich mit der Bruttoprimärproduktion korreliert ist, ein Hinweis für die Wichtigkeit der Vegetation für den Kohlenstoffkreislauf. Insgesamt scheint also der terrestrische Kohlenstoffkreis stark von der Wasserverfügbarkeit abhängig zu sein, d.h. für zukünftige Projektionen der Reaktion der Ökosysteme auf Klimaänderungen sind insbesondere veränderte Niederschlagsverteilungen zu berücksichtigen.

Beispielstudie 2:
Ein weitere wichtige Fragestellung, die mit einer integrierten Analyse von Flussdaten, Fernerkundung und Modellen bearbeitet werden konnte, war die Quantifizierung des Effekts von extremen Witterungsverläufen auf ökosystemare biogeochemische Kreisläufe. Der Jahrhundertsommer 2003, der oft auch als Hitzewelle 2003 bezeichnet wurde, stellte dafür ein natürliches Experiment dar. In einer breit angelegten Studie wurden im Sinne von Abbildung 1 verschiedene Datenströme analysiert: Mit der Eddy-Kovarianztechnik wurde in 14 Wald- und Grasslandökosystemen der Kohlendioxidaustausch zwischen Ökosystem und Atmosphäre beobachtet und zusätzlich der Zustand der Vegetation anhand von Satellitendaten und Erntestatistiken analysiert. Anschließend wurden diese Daten in Simulationsmodellen im Computer zusammengeführt, um den Einfluss des Klimas auf die Biosphäre zu erforschen. Das Hauptergebnis ist eindeutig und unabhängig vom Modellierungsansatz (Abb. 4): Lange Trockenheit und Hitzetemperaturen von teils über 40 Grad Celsius haben das Vegetationswachstum 2003 um rund 30 Prozent sinken lassen – nach unserer Kenntnis ein beispielloser Vorgang im letzten Jahrhundert. Damit wurden die Ökosysteme eine anomale Kohlenstoffquelle von 0,5 Pg Kohlenstoff (1 Pg = 1015 g), was die normale Kohlenstoffsenkenfunktion von 4 bis 5 Jahren zunichte macht (cf. Ciais et al. [2]). Auch hier zeigten die Analysen, dass für die Reaktion der Biosphäre die Trockenheit und weniger die in der Öffentlichkeit wahrgenommene Hitze an sich verantwortlich war. Aus methodischer Sicht ist es erfreulich, festzustellen, dass mit der Weiterentwicklung der Observationssysteme and deren integrierter Analyse die Möglichkeiten, Effekte von Klima auf die Biosphäre zu diagnostizieren und zu verstehen, deutlich verbessert wurden.

Ausblick

Mit den neu vorhandenen FLUXNET-Daten, die in Zusammenarbeit mit italienischen Kollegen (D. Papale) weltweit harmonisiert worden sind, können vergleichbare Analysen auf globaler Ebene durchgeführt werden. Weiterhin ist deutlich, das insbesondere Bodenprozesse eine wichtige Rolle spielen. Da diese mit Fernerkundung nur schwer oder gar nicht beobachtbar sind, wird hier stärker in die prozessorientierte Modellierung investiert werden.

Literaturhinweise
[1] Reichstein, M., D. Papale, R. Valentini, M. Aubinet, C. Bernhofer, A. Knohl, T. Laurila, A. Lindroth, E. Moors, K. Pilegaard, and G. Seufert:
Determinants of terrestrial ecosystem carbon balance inferred from European eddy covariance flux sites.
Geophysical Research Letters 34, L01402, doi: 10.1029/2006GL027880 (2007).

[2] Ciais, P., M. Reichstein, N. Viovy, A. Granier, J. Ogée, V. Allard, M. Aubinet, N. Buchmann, C. Bernhofer, A. Carrara, F. Chevallier, N. De Noblet, A. D. Friend, P. Friedlingstein, T. Grünwald, B. Heinesch, P. Keronen, A. Knohl, G. Krinner, D. Loustau, G. Manca, G. Matteucci, F. Miglietta, J. M. Ourcival, K. Pilegaard, S. Rambal, G. Seufert, J. F. Soussana, M. J. Sanz, E.-D. Schulze, T. Vesala, and R. Valentini:

Europe-wide reduction in primary productivity caused by the heat and drought in 2003.

Nature 437, 529-533 (2005).

[3] Reichstein, M., P. Ciais, D. Papale, R. Valentini, S. Running, N. Viovy, W. Cramer, A. Granier, J. Ogée, V. Allard, M. Aubinet, C. Bernhofer, N. Buchmann, A. Carrara, T. Grünwald, M. Heimann, B. Heinesch, A. Knohl, W. Kutsch, D. Loustau, G. Manca, G. Matteucci, F. Miglietta, J. M. Ourcival, K. Pilegaard, J. Pumpanen, S. Rambal, S. Schaphoff, G. Seufert, J.-F. Soussana, M.-J. Sanz, T. Vesala, and M. Zhao:

Reduction of ecosystem productivity and respiration during the European summer 2003 climate anomaly: a joint flux tower, remote sensing and modelling analysis.

Global Change Biology 13, 634-651 (2007).

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