Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik

Wettbewerb in der Krankenversicherung

Autoren
Sichert, Markus
Abteilungen

Prof. Dr. Ulrich Becker (Prof. Dr. Ulrich Becker)
MPI Sozialrecht, München

Zusammenfassung
Der Wettbewerb im Gesundheitswesen dient zunehmend als Instrument, um wohlfahrtstaatliche Allokationseffekte zu erzielen. Gleichzeitig unterliegt die den Akteuren zweckgerichtet zugewiesene Autonomie ihrerseits der Regulierung im Dienste der Solidarität. Die neu entstehenden Märkte eigener Art sind Ausdruck und Gegenstand komplexer Steuerungssysteme, die sich rechtsvergleichend und für den kostenträchtigen Krankenhaussektor erkenntnisreich erschließen lassen.

Der Krankenhaussektor ist Ansatzpunkt des Forschungsprojekts „Choice and Competition in Hospital Health Care“, einer als deutsch-amerikanische Zusammenarbeit konzipierten Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht und des Institute of Government and Public Affairs der University of Illinois. Sie soll rechtsvergleichend Erkenntnisse über wettbewerbsorientierte Instrumentarien sowie Funktions- und Steuerungsweisen im Gesundheitswesen in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und den USA liefern.

Die Behandlung in Krankenhäusern verursacht besondere Kosten, in Deutschland wie im obligatorischen System der Schweiz etwa ein Drittel der Leistungsausgaben, in den Niederlanden etwas weniger; die Krankenhauskosten in den USA sind im Jahre 2004 um gut 10 Prozent gestiegen. Der Anteil der im Krankenhaus ambulant erbrachten Leistungen allerdings variiert länderspezifisch erheblich, und das Verhältnis zur übrigen ambulanten Versorgung – einschließlich der jeweils maßgeblichen Finanzierungsstrukturen – ist bei der Frage normativer Anreizfunktionen ebenso zu berücksichtigen wie der Organisationspluralismus und die Vielfalt der Krankenhausträger, die sich wiederum im Zeichen des Wettbewerbs verändern.

Der Krankenhausversorgung wird oftmals eine schwache Ausbildung des Qualitätsmanagements attestiert. Geringe (öffentliche) Investitionsvolumina führen zu Kurzatmigkeit, und Sektorengrenzen zwischen der ambulanten, der stationären Akut- und den Rehabilitationsphasen behindern eine integrierte, die Belange der Patienten ganzheitlich und barrierefrei berücksichtigende Versorgung.

Evidente und allgemeingültige Reformstandards sind rar. Da wiederholte und kaum verfügbare Finanzspritzen keine Heilung versprechen, ist es notwendig, neue Wege zu beschreiten. Der Leitpfad, den es zu erkunden gilt, heißt Wettbewerb. Wettbewerb eröffnet Wahlmöglichkeiten und Gestaltungsoptionen, die gezielt vorgegeben werden, um die Beteiligten zugunsten von Wirtschaftlichkeit und Qualität in der Krankenhausversorgung in Konkurrenz zueinander treten zu lassen.

Normative Steuerung durch Wettbewerb

Normative Steuerung durch wettbewerbsorientierte Anreizfunktionen setzt bei den Akteuren an. Die hier zu konturierenden Marktbeziehungen sind in unterschiedlicher Weise (un-)vollkommen: Es geht um Anreize und Rechte zugunsten der Patienten, gleichsam als Verbraucher das Krankenhaus zu wählen, ferner um ihre Entscheidung für einen Kostenträger, beispielsweise wegen eines im Vertragswettbewerb entwickelten krankenhausspezifischen Versorgungskonzepts. In Vertrags- oder auch Preiswettbewerb stehen die Beziehungen der Kostenträger zu den Krankenhäusern im Vordergrund, und das Verhältnis der Krankenhäuser untereinander korreliert mit der Wahl der Versicherten, die gleichfalls Bezugspunkt konkurrierender Kostenträger sind.

Maßgeblich sind demnach Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des komplexen Beziehungsgefüges, in dem Prämien und Beiträge, Leistungspakete, Vergütungs-, Qualitäts- und Bonusmodelle eine Rolle spielen. Was die Rechts- und Handlungsform anbelangt, kommt es auf den Vertragswettbewerb sowie auf die Wahl der Gesellschafts- und Beteiligungsformen und schließlich auf die Gestaltung der Träger- und Finanzierungsstrukturen an.

Wettbewerb als Instrument und Kontrollgegenstand normativer Steuerung ist nur ein Teilausschnitt eines Geflechts an Steuerungsansätzen, die auch regulierend angelegt sein können. Diese Dualität und Interaktion im Blick zu haben, ist ebenso bedeutsam wie das Bewusstsein für die Unterscheidung zwischen normativer und administrativer Steuerung. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass (Gebiets-)Körperschaften eine Doppelfunktion als Adressat und normgebende Verantwortungsträger haben können, dass korporatistisch verfasste Verbände eine Adressatenstellung innehaben können und Steuerungsziele möglicherweise eine Hierarchie und Pluralität aufweisen.

Zur Konzeption einer analytischen Betrachtung

Um das wirkungsspezifische Potenzial wettbewerbsfördernder normativer Anreiz- und Steuerungsmechanismen zu analysieren und vergleichend zu bewerten, ist es im Ländervergleich erforderlich, die Systembedingungen zu identifizieren, die die Übertragung entsprechender Ansätze in andere Systeme erlauben. So ist hinsichtlich der Möglichkeit der Diversifikation und Preisgestaltung häufig zwischen (nunmehr einheitlicher) Basisversicherung, wenn auch durch private Versicherungsunternehmen (Niederlande), sowie dem Obligatorium (Schweiz) einerseits und den in den genannten Ländern ebenso existenten Märkten der Zusatzversicherungen andererseits zu unterscheiden. Gleichzeitig gilt es, marktförmige Strukturen innerhalb einer gesetzlichen Versicherung oder Pflichtversicherung zu identifizieren und zu prüfen, inwiefern entsprechendes Agieren der Kostenträger diese möglicherweise zu Unternehmen werden lässt.

Daran anknüpfend steht im Zentrum der Problematik funktionsgerechter normativer Strukturen für Wettbewerb im Gesundheitswesen die Frage, ob und in wie weit sich das Wettbewerbsrecht anwenden lässt. Diese Frage stellt sich in allen Ländern und kann in Abhängigkeit der Teilmärkte unterschiedlich beantwortet werden. Dem materiellen Recht folgend kommt es auch zu Problemen der institutionellen Neuordnung im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Aufsichtsbehörden der Kostenträger und den Wettbewerbsbehörden, zugespitzt etwa im Vergleich einer Fusionskontrolle betreffend Zusammenschlüsse der Krankenkassen mit einer solchen der Krankenhäuser.

Als Bewertungsmaßstab des Erfolges normativer Steuerung durch Wettbewerb dienen die diesem in sozialen Versorgungssystemen zugedachten Funktionen, vor allemdie Gewährleistung allgemeiner Gesundheitsversorgung durch Wirtschaftlichkeit und Qualität. Im Lichte der Erkenntnisse zum wohlfahrtsfördernden Steuerungspotenzial wettbewerblicher Instrumente können Aussagen getroffen werden, inwieweit Wettbewerb als echtes Strukturmerkmal im Gesundheitswesen verankert ist oder sein könnte. Es geht also um Vorgaben für Funktionsweisen vor allem auf Mikro-Ebene mit positiven Effekte zugunsten des Makrosystems, entsprechend dem hierzulande bekräftigten Konzept einer „solidarischen Wettbewerbsordnung“.

Die Regulierung des Wettbewerbs verlangt angesichts seiner Wirkungen schließlich die Reflexion, inwieweit sich Wettbewerb im Spannungsverhältnis zur Regulierung insgesamt zu behaupten vermag oder gar zum zentralen Steuerungsansatz der Zukunft avanciert.

Wettbewerb und Regulierung

Wettbewerb und Regulierung sind nicht notwendigerweise als Antinome, und ein Mehr des einen ist nicht zwangsläufig als Weniger des anderen zu begreifen. Beispiel dafür ist der Qualitäts-, Spezialisierungs- und Mengenwettbewerb, der durch Preisregulierung ausgelöst wird. Krankenhausleistungen werden zunehmend einheitlich auf der Basis diagnosebezogener Pauschalen (DRG) vergütet, die in teilweise unterschiedlicher Form in allen zu untersuchenden Ländern bekannt sind. Mit diesen Pauschalen wird in der Regel jedem stationären Behandlungsfall eine Fallgruppe zugeordnet, jede Gruppe in Relation bewertet, mit einem Basisfallwert bemessen und die Vergütungshöhe multiplikatorisch bestimmt. Sind Gruppen und (Fall-)Werte aber landesweit einheitlich definiert, ist ein Preiswettbewerb ausgeschlossen. Preiswettbewerb hingegen ist möglich, wenn wie im B-Segment für 10 Prozent der gelisteten DBC (Diagnose Behandeling Combinatie, den DRG vergleichbar) in den Niederlanden individuelle Vergütungsverhandlungen zulässig sind.

Im Kausalitätsgeflecht der Steuerungsansätze ist das Zusammenspiel zwischen Wettbewerb und Regulierung von besonderer Bedeutung. Soweit es im regulierten Bereich nicht möglich ist, über den Preis zu verhandeln, können Krankenhäuser in einen Wettbewerb zur Steuerung von Versorgungsströmen oder in einen Rationalisierungswettbewerb eintreten. Sie dürfen überdies den Qualitätswettbewerb nicht außer acht lassen, zumal sie unabhängig von inhaltlichen Standards oftmals zur Veröffentlichung von Qualitätsberichten verpflichtet sind. Die dem Patienten mögliche Wahlentscheidung wird so durch (das Streben nach) Beseitigung der Informationsasymmetrie aufgewertet. Auch eine autonome, meist stark regulierte Krankenhausförderung einzelner Gebietskörperschaften beeinflusst verbleibende Wettbewerbsspielräume maßgeblich.

Resümee

Die Krankenhausversorgung wird aktuell und zunehmend im Rahmen gemischt regulativ-wettbewerblicher Konzepte organisiert. Dabei unterliegt das Wettbewerbspotenzial wesentlichen Grenzen – sei es, weil der Wettbewerb reguliert ist, sei es, dass er nicht in echten marktmäßigen Angebots- und Nachfragestrukturen stattfindet. Ungeachtet der parteiautonomen Selbstbindung in Managed-Care-Modellen (Versorgungskonzepten zur integrierten Versorgung durch einen Kostenträger oder Versicherer) wirken Regularien wie die Any Willing Provider Statutes (USA) einem Konzentrationswettbewerb auf Anbieterseite entgegen: Die Managed-Care-Organizations unterliegen einem Kontrahierungszwang (Abschlusszwang) zugunsten aller oder bestimmter Gruppen jener Leistungserbringer, die gewillt sind, die vorherrschenden Vertragsbedingungen zu akzeptieren.

Auf der anderen Seite wächst die zunehmend wettbewerbsorientierte Tätigkeit der Krankenkassen als Sozialversicherungsträger in den traditionell für Unternehmen reservierten Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts hinein. Dabei erweist sich Wettbewerb im System sozialer Sicherung oftmals als ein Wettbewerb um Strukturvorteile in der Regulierung.

Obwohl als Wert in einer freiheitlichen Gesellschaft anerkannt, steht beim Wettbewerb im Gesundheitswesen der instrumentelle Charakter im Vordergrund. Ungeachtet dessen sind Wettbewerb (als Eigenwert) und Solidarität (nicht: Regulierung) nach wie vor nicht vollständig miteinander vereinbar. Die maßgeblichen normativen Strukturen, die es sowohl aktuell als auch in Zukunft weiter zu ergründen gilt, sind ebenso Ausdruck dieses Befundes wie Grund für die konzeptionelle Fest- und Fortschreibung „solidarischer Wettbewerbsordnungen“.

Zur Redakteursansicht