Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Astronomie

Dynamik, Staub und junge Sterne – Modellrechnungen zur Verschmelzung von Galaxien

Autoren
Somerville, Rachel
Abteilungen

Galaxien und Kosmologie (Prof. Dr. Hans-Walter Rix)
MPI für Astronomie, Heidelberg

Zusammenfassung
Wenn Galaxien nahe aneinander vorbeifliegen oder zusammenstoßen, treten gewaltige Gezeitenkräfte auf, die Staub und Gas in den Galaxien verwirbeln und komprimieren. Dies führt zu einem starken Anstieg der Sternentstehung. Mit Computersimulationen wurde gezeigt wie sich die Sternentstehungsrate während eines Verschmelzungsvorgangs verhält. und eine analytische Formel abgeleitet, mit der sich die Staubabsorption vorhersagen lässt.

Während Sterne in der Milchstraße praktisch nie miteinander zusammenstoßen, ereignen sich Galaxienkollisionen im Vergleich dazu recht häufig. In der Tat sind sie ein zentraler Mechanismus der Galaxienentwicklung. Das bekannteste Beispiel für zwei verschmelzende Galaxien sind die 63 Millionen Lichtjahre entfernten NGC 4038 und NGC 4039, die zusammen als Antennen-Galaxie bezeichnet werden (Abb. 1). In der Kollisionszone wirbeln riesige Staubwolken durcheinander. An vielen Stellen hat der Zusammenstoß dazu geführt, dass sich die Wolken verdichten und in ihnen neue Sterne entstehen. In wechselwirkenden Galaxien dieser Art steigt die Sternentstehungsrate im Mittel auf 30 bis 50 Sonnenmassen pro Jahr, kurzzeitig kann die Rate sogar noch höher liegen.

In diesen „Starburst-Galaxien“ dominieren die massereichsten und leuchtkräftigsten Sterne die Strahlung im Ultraviolett Bereich (UV) und im Blauen, doch gleichzeitig absorbieren Staubwolken einen Großteil des Lichtes. Die Regionen intensivster Sternentstehung sind deshalb gar nicht zu sehen. Sie erwärmen aber den Staub, der im Infraroten leuchtet. Diese Galaxien erscheinen dann als ultraleuchtkräfige Infrarotgalaxien (ULIRG) mit Gesamtleuchtkräften von mehr als 1012 Sonnenleuchtkräften. Bei sehr weit entfernten Galaxien ist das Emissionsmaximum so weit zu größeren Wellenlängen hin verschoben, dass sie im Submillimeter- und Millimeterbereich sehr hell erscheinen.

Hohe Sternentstehungsraten sind demnach immer mit dem Vorhandensein dichter Staubwolken verbunden. In zahlreichen Modellsimulationen haben Theoretiker versucht, diesen Effekt zu berücksichtigen, um die Beobachtungen interpretieren zu können oder Computersimulationen zur Galaxienentwicklung zu unterstützen. Doch alle bisherigen Versuche gaben die Verhältnisse (Verteilung der Wolken, Hydrodynamik u.a.) nur unzureichend wieder und waren nicht sehr praktikabel.

Die jetzt entstandene Arbeit behandelt das Verschmelzen unterschiedlicher Galaxientypen. Sie berücksichtigt erstmals die Hydrodynamik und erfasst den Strahlungstransport vollständig. Bei der Kollision setzt Sternentstehung in Gebieten ein, in denen die Gasdichte einen bestimmten Wert überschritten hat. Ein wesentlicher Unterschied zu bisherigen Arbeiten besteht zudem darin, dass hier der Feedback-Mechanismus von Supernovae mit aufgenommen wurde. Darüber hinaus wurde berücksichtig, dass Supernovae die Häufigkeit chemischer Elemente (die „Metallizität“) verändern. Ziel war es, Zusammenhänge herzustellen zwischen dem Anteil der Energie, den der Staub absorbiert, und physikalischen Größen wie Leuchtkraft, Metallizität und Masse der simulierten Galaxien.

Die Simulationen umfassten sieben unterschiedliche Galaxienmodelle: drei Scheibengalaxien mit unterschiedlicher Masse und Metallizität, sowie vier Galaxien, deren Eigenschaften typischen Galaxien entsprechen, wie sie im Sloan Digital Sky Survey Verfahren (SDSS) gefunden wurden. Letztere verteilen sich auf einen größeren Massenbereich als die Spiralgalaxien und enthalten weniger Gas als diese. Insgesamt überdeckten die Galaxienmodelle zwei Größenordnungen in der baryonischen Masse (Sterne plus Gas und Staub), drei im Gasgehalt und vier in der Metallizität. Für die einzelnen Computerläufe wurden identische Paare der sieben Galaxientypen auf eine parabolische Umlaufbahn umeinander gesetzt, wobei eine der beiden Scheibenebenen in der Umlaufebene lag und die andere um 30 Grad dagegen geneigt war. Acht weitere Simulationen mit Sbc-Galaxien dienten dazu, Variationen in der Galaxienorientierung und der Bahn zu testen.

Während des Wechselwirkungsvorgangs wurde bei 50 Zeitschritten die Verteilung von Sternen, Gas und Staub ermittelt und als Input für eine detaillierte Berechnung des Strahlungstransports eingegeben. Das Ergebnis waren Bilder der Galaxien bei 22 Wellenlängen im Bereich zwischen 21 nm und 5 µm und bei elf unterschiedlichen Blickwinkeln. Berücksichtigt wurde hierbei die Absorption von Sternlicht durch Staubwolken und seine Wiederausstrahlung im Infraroten. Als entscheidende Größe für das Erscheinungsbild der Galaxie erwies sich indes nicht die Absorption des Staubes, sondern die gesamte Lichtabschwächung. Sie ist definiert als der Anteil, um den der Staub die Gesamtleuchtkraft der Sterne verringert. Neben der Absorption ist dabei auch die Streuung an Staub entscheidend.

Abbildung 2 zeigt exemplarisch die Entwicklung der Sternentstehungsrate bei der Wechselwirkung von zwei Sbc-Galaxien in Aufsicht auf die Bahnebene. Die kleinen Bilder verdeutlichen die Verteilung des Gases in unterschiedlichen Stadien. Gezeitenkräfte wirbeln das Gas auf und führen beim ersten nahen Vorbeiflug zu einer hohen Sternentstehungsrate. Während sich die beiden Galaxien voneinander entfernen, strömt Gas in die beiden Zentralgebiete, wodurch dort die Sternentstehung weiter angefacht wird. Diese bleibt auch hoch, während die beiden Galaxien umkehren und in einem Bogen erneut aufeinander zufliegen. Beim letztendlichen Verschmelzen der beiden Galaxienkerne treten einige starke Starbursts auf. Nachdem die beiden Galaxien vereint sind, ebbt die Sternentstehungsrate im Verlaufe von etwa einer Milliarde Jahren ab.

Die gesamte Phase erhöhter Sternentstehung zieht sich demnach über zwei Milliarden Jahre hin. In dieser Zeit erhöht sich die bolometrische Leuchtkraft um fast eine Größenordnung. Allerdings bleibt die von den jungen Sternen erzeugte UV- und Blau-Helligkeit bei gegebenem Blickwinkel nahezu unverändert, weil der Staubanteil wächst und somit das Sternenlicht zunehmend abschwächt (Abb. 3). Diese Strahlung entweicht bevorzugt senkrecht zur Scheibenebene, sodass die Galaxie in Aufsicht bis doppelt so hell erscheint als in Schrägsicht. Das Resultat der Vereinigung zweier Scheibengalaxien ist eine sphäroidale oder elliptische Galaxie, bei der die Helligkeit im UV und im Blauen nicht mehr so stark vom Blickwinkel abhängt.

Wie eingangs erwähnt, wurde die Helligkeit für 22 Wellenlängen berechnet. Insgesamt ergaben sich deshalb für 25 Simulationsläufe mit den unterschiedlichen Galaxientypen und 50 Zeitschritten mehr als 100 000 Bilder und 10 000 Spektren. Abbildung 4 und 5 zeigen dies erneut an dem Beispiel zweier verschmelzender Sbc-Galaxien. Abbildung 5 verdeutlicht die abschwächende Wirkung des Staubes. Grundsätzlich ist ersichtlich, dass diese mit ansteigender Sternentstehungsrate und Gesamtleuchtkraft zunimmt. Dies hatten auch bereits Beobachtungen nahegelegt.

In einem zweiten Schritt entwickelte das Theoretikerteam eine einfache analytische Formel, mit der sich die Abschwächung der Sternstrahlung durch Staub berechnen lässt, wenn Leuchtkraft, Masse und Metallizität der Galaxie bekannt sind. Abbildung 6 zeigt die Werte der analytischen Lösung im Vergleich zu denen der Simulationsläufe. Die geringe Streuung ist ersichtlich und lässt die Gleichung als verhältnismäßig gute Beschreibung erscheinen. Die Vorhersagegenauigkeit hängt jedoch vom Blickwinkel ab. Gemittelt über alle Richtungen beträgt die mittlere Ungenauigkeit 4 %, entlang einer speziellen Sichtlinie schwankt sie, abhängig von der Wellenlänge, zwischen 6 und 12 %. Die gefundene Relation scheint nicht nur für wechselwirkende, sondern auch für einzelne Galaxien zu gelten.

Die geringe Streuung der Daten im Vergleich zur analytischen Lösung zeigt, dass diese in kosmologischen Modellen der Entstehung und Entwicklung von Galaxien verwendet werden kann. Anders als bisherige Modelle, welche die Wirkung von Staub berücksichtigen, liefert diese Lösung in selbstkonsistenter Weise Informationen über den Grad der Staubabschwächung und seine Abhängigkeit von astrophysikalischen Größen einer Galaxie.

Diese Ergebnisse geben Hoffnung, einem realistischen Modell wechselwirkender Galaxien einen bedeutenden Schritt näher gekommen zu sein. Insbesondere sind solche Rechnungen die Grundlage für die Bestimmung der tatsächlichen Verschmelzungsrate von Galaxien. Um diese Rate auf der Basis fluss- und helligkeitsbegrenzter Stichproben zu messen, muss man wissen, um welchen Faktor Galaxien während dieser Phase heller oder schwächer werden. Die Simulationen können auch zur Kalibration statistischer Untersuchungen zur Identifikation wechselwirkender Galaxien in echten Beobachtungen verwendet werden.

Es mussten jedoch einige Effekte unberücksichtigt bleiben, die in naher Zukunft mit einbezogen werden sollen. So erfassen die Modelle zwar aufgrund der Hydrodynamik die großräumige Staubstruktur in der Galaxie, aber Strukturen auf der Größenskala einzelner Sternentstehungsgebiete liegen noch jenseits des rechnerischen Auflösungsvermögens. Darüber hinaus sollen künftig Gasausflüsse aus der Galaxie, welche beispielsweise die Anreicherung mit schweren Elementen verringern, mit einbezogen werden. Und schließlich muss auch die Wirkung eines aktiven galaktischen Kerns, der ein supermassereiches Schwarzes Loch enthält, berücksichtigt werden.

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