Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Attosekundenphysik: Erste Anwendungen einer jungen Disziplin

Attosecond Physics: first applications of a new research field

Autoren
Krausz, Ferenc; Kienberger, Reinhard
Abteilungen
Zusammenfassung
Wenige Jahre nach der Erzeugung der ersten Attosekunden-Einzelpulse von extrem ultraviolettem Licht können diese Pulse heute routinemäßig erzeugt werden. Erste Anwendungen sind Untersuchungen von Licht und Materie, bei denen ultraschnelle Vorgänge zeitlich aufgelöst werden. Die erste direkte Messung des elektrischen Feldes eines Lichtpulses verdeutlicht das Potenzial der Attosekundenphysik ebenso wie die zeitaufgelöste Untersuchung des Photoionisationsprozesses in Gasen oder an Festkörperoberflächen.
Summary
Only a few years after the first generation of single isolated attosecond pulses of extreme ultraviolet light, these pulses can be produced routinely. First applications are investigations of light and matter in which ultrafast processes are being time-resolved. The direct measurement of the electric field of an ultrashort light pulse as well as the time-resolved observation of a photoionization process in a gas or on a solid surfce show the potential of attosecond physics.

In den vergangen zehn Jahren haben Forscher mit der so genannten „Anrege-Abfrage-Technik“ (auf Englisch: pump-probe-technique) fundamentale Erkenntnisse über extrem schnelle Vorgänge wie das Formen und Auflösen chemischer Bindungen in Molekülen gewonnen (Femtochemie). Bei diesem Verfahren wird zunächst mit einem ultrakurzen Lichtpuls ein atomarer Prozess in Gang gesetzt. Die sich daraus ergebenden Veränderungen der atomaren (oder molekularen) Zustände werden mithilfe weiterer Lichtpulse ermittelt, die im Abstand von fest definierten Zeitverzögerungen auf das Objekt treffen. Die Erzeugung von einzelnen Lichtpulsen mit einer Dauer von weniger als einer Femtosekunde (1 fs = 10-15 s) gepaart mit einem perfekt synchronisierten Femtosekundenpuls hat diese Technik in die bisher unerreichten Zeitskala der Attosekunden (1 as = 10-18 s) gebracht, auf der sich eine Vielzahl atomarer und inneratomarer Prozesse abspielen. Bei der Aussendung von sichtbarem oder ultraviolettem Licht aus angeregten Atomen bewegen sich beispielsweise die Elektronen innerhalb der Atome auf dieser Zeitskala. Es ist zu erwarten, dass man mit der neuen Attosekundenmesstechnik diese Bewegung, aber auch Übergänge von Elektronen zwischen unterschiedlichen Quantenzuständen sowie deren Wechselwirkung in Atomen, Molekülen und Festkörpern erstmals in Echtzeit beobachten kann.

Erzeugung von einzelnen Attosekundenpulsen

Die Erzeugung von Sub-Femtosekunden- oder Attosekundenpulse basiert darauf, Harmonische, also Oberschwingungen des elektrischen Feldes eines ultrakurzen Lichtpulses in Atomen (oder Molekülen) zu generieren. Das Licht eines Laserpulses wird dabei so stark gebündelt, dass Intensitäten von 1014 W / cm2 entstehen (Abb. 1). Ein einfaches, aber erstaunlich leistungsfähiges semiklassisches Modell beschreibt die Erzeugung hoher Harmonischer als Resultat eines 3-Stufenprozesses: Zunächst wird ein relativ schwach gebundenes Elektron des Atoms (oder Moleküls) durch so genannte „Tunnelionisation“ im Laserfeld freigesetzt (siehe auch weiter unten). Da das elektrische Feld im Lichtpuls oszilliert, wird das Elektron zunächst vom Mutter-Ion wegbewegt und anschließend bei geeigneter Startbedingung wieder zurück beschleunigt. Fällt es dabei in den Ausgangs- bzw. Grundzustand zurück (man spricht hier auch von Rekombination), dann wird die im Laserfeld gewonnene Energie in Form sehr energiereicher Photonen in extrem Ultraviolettem oder weichem Röntgen-Bereich freigesetzt. Dieser Vorgang passiert periodisch zu jedem Halbzyklus des Laserfeldes. Es entsteht also in der Regel ein Pulszug von Attosekundenblitzen, die nur etwas mehr als eine Femtosekunde voneinander getrennt sind. Mit solchen Pulsen gestaltet sich die Untersuchung von ultraschnellen Prozessen in einem mikroskopischen System allerdings schwierig, da die Auswirkung eines einzelnen Pulses nicht herausgefiltert werden kann. Man erhält vielmehr nur das schwer zu interpretierende Ergebnis multipler Anregung oder Abfrage.

Wie gelingt es also, einzelne Attoskundenpulse zu erzeugen? Bei entsprechend kurzer Dauer der Laserpulse beginnt die genaue Form der Lichtwelle, das heißt, der zeitliche Verlauf des elektrischen Feldes in Bezug auf die Pulsspitze eine Rolle zu spielen: Wenn das Maximum des oszillierenden elektrischen Feldes mit der Pulsspitze zusammenfällt, kommt es nach diesem ausgeprägten Maximum zur einmaligen Emission der Röntgen-Photonen mit der höchsten Energie. Durch das Herausfiltern dieser höchstenergetischen Strahlung – hierfür werden Spiegel verwendet, die von Prof. Ulf Kleineberg an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Prof. Ulrich Heinzman an der Universität Bielefeld hergestellt werden – kann man aus der Emission einzelne Attosekundenpulse isolieren. Da Messdaten in der Regel über viele Laserschüsse akkumuliert werden müssen, und die Erzeugung eines einzelnen Attosekundenpulses nur die oben beschriebene Wellenform garantiert, leuchtet es ein, dass alle Laserpulse mit identischer Wellenform eingestrahlt werden müssen. Diese Licht-Wellenform-Kontrolle konnte unserer Gruppe unter Anwendung der mittlerweile nobelpreisgekrönten Frequenzkamm-Methode von Prof. Theodor Hänsch in Zusammenarbeit mit seiner Gruppe verwirklichen.

Mitte des Jahres demonstrierte eine Gruppe von Wissenschaftlern um Mauro Nisoli am italienischen Forschungsinstitut Politecnico Milano eine ausgeklügelte Methode, bei der ein zeitliches Fenster für die Emission von hochenergetischen Photonen mittels zeitlicher Manipulation der Polarisation des Laserfeldes, welche für den Prozess der Harmonischenerzeugung essentiell ist, realisiert wird. Die damit erreichte Photonenenergie liegt jedoch deutlich unter jener, die man mit oben erläuterter Methode erzielt. Somit ist das Labor für Attosekunden- und Hochfeldphysik (LAP) am MPQ nach wie vor die weltweit einzige Gruppe, die über hochenergetische Attosekundenpulse verfügt und entsprechende Anwendungen durchführen kann. Im LAP können mittlerweile an mehreren Anlagen und Versuchsstrecken (Beamlines, siehe Abb. 2) Einzel-Attosekundenpulse routinemäßig erzeugt werden.

Anrege-Abfrage-Experimente

Wie bei der Erläuterung des Erzeugungsprozesses bereits angedeutet, erfolgt die Emission des Attosekundenblitzes immer zum selben Zeitpunkt in Bezug auf das erzeugende Laserfeld, mit anderen Worten: Der Attosekundenpuls und die Schwingungen des elektrischen Feldes des Laserpulses sind perfekt synchronisiert. Mit einer entsprechenden mechanischen Einrichtung lassen sich beliebige Verzögerungen mit einer Genauigkeit von bis zu 10 Attosekunden realisieren. Die Voraussetzungen für die Anrege-Abfrage-Technik sind also intrinsisch gegeben, anders als gewöhnlich jedoch nicht durch zwei gleichartige Pulse, sondern durch einen Attosekundenpuls und das ihn erzeugende elektrische Laserfeld.

Die darauf basierende so genannte Attosekunden-Streak-Kamera, die zunächst für die Charakterisierung der Attosekundenpulse verwendet wurde, kann generell für die Untersuchung aller mikroskopischer Anregungs- und Relaxationsprozesse angewandt werden, bei denen Elektronen emittiert werden. Sie wird daher auch als Atomarer Transienten Recorder (ATR) bezeichnet. Ausgenutzt wird die Tatsache, dass die von einem Attosekundenpuls oder einem atomaren Prozess (etwa Auger-Prozess) freigesetzten Elektronen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vom elektrischen Feld des Lasers einen unterschiedlichen, zusätzlichen „Kick“ bekommen. Sie werden also bei verschiedenen Verzögerungszeiten mehr oder weniger stark beschleunigt bzw. abgebremst, was sich in ihrer Energieverteilung niederschlägt. Diese wird vom ATR ermittelt.

Bereits vor über 170 Jahren hat Charles Wheatstone mit einem rotierenden Spiegel auf einem Schirm ein so genanntes Schlierenbild erzeugt: Je länger der Lichtpuls war, desto breiter wurde der beleuchtete Bereich am Schirm. Das Verfahren der Attosekunden-Streak-Kamera arbeitet sehr ähnlich. Das Licht wird jedoch zunächst in Elektronen umgewandelt, und es wird nicht deren Richtung, sondern ihre Energie geändert.

Die erste Anwendung dieser Technik (abgesehen von der vollständigen Charakterisierung der Attosekundenpulse) war die Auflösung der „hyperschnellen“ Oszillationen des Laserpulses selbst. Stellt man die Verzögerung der Attosekundepulse so ein, dass sie nach und nach „über den Laserpuls wandern“, so werden die von ihnen erzeugten Photoelektronen entsprechend den Oszillationen des elektrischen Feldes des Laserpulses abwechselnd beschleunigt oder abgebremst. Die kinetische Energie der Photoelektronen folgt dem elektrischen Feld (eigentlich dem Vektorpotenzial, das nichts anderes als das zeitliche Integral über das elektrische Feld ist). Das so erzeugte Bild (Abb. 3) ist die erste direkte Messung einer Lichtwelle und ziert bereits die Umschläge mehrerer Lehrbücher.

Zeitliche Auflösung des Tunnelionisationsprozesses

Abhängig von der Intensität des Laserpulses, der mit Materie interagiert, kann der resultierende Ionisationsprozess entweder im „Multi-Photonen“- oder im so genannten „Tunnelregime“ liegen. Im ersteren Fall, bei relativ niedriger Laserintensität, bedarf es vieler Photonen, um die für den Austritt eines Elektrons nötige Energie bereitzustellen. Die Anzahl der emittierten Elektronen folgt dabei der Intensität des Laserpulses, die Dauer der Elektronen-Emission ist daher vergleichbar mit der Laser-Pulsdauer. Bei höheren Lichtintensitäten tritt ein quanten-mechanischer Prozess, das „Tunneln“ in Kraft. Das Elektron ist an den Atomkern mit einem Potenzial gebunden, das die Form eines Topfes hat. Dessen Wände sind für das Elektron im Normalfall undurchdringlich und unüberwindbar. Das elektrische Feld des Lasers kann diese Barriere nun so verbiegen, dass sich dem Elektron eine Wand nur noch endlicher Dicke ent-gegenstellt. Während man zur Überwindung einer Wand – wie man aus der persönlichen Erfahrung mit klassischer Mechanik weiß - zunächst die Energie aufwenden muss, die zum Erreichen der Oberkante der Wand vonnöten ist, kann ein Elektron nach quantenmechanischen Gesetzen diese Potenzialwand auch mit weniger Energie unter bestimmten Bedingungen „durchtunneln“ und sich vom Atomkern loslösen.

Nur in einer kurzen Zeitspanne rund um die Maxima und Minima des elektrischen Feldes im Laserpuls reicht die Feldstärke aus, die ursprünglich unüberwindbare Potenzialbarriere zu verbiegen, nur in diesen kurzen Zeitspannen kann also eine Ionisation stattfinden. Wie in Abbildung 4 zu sehen, wächst der Ionisationsgrad eines Mediums mit der Zeit treppenförmig an, wobei die nächste Stufe jeweils bei einem neuen Extremum des elektrischen Feldes auftritt.

Zur Vorbereitung der Tunnelionisation wurden zunächst Gasatome mit einem Attosekundenpuls ionisiert. Dabei kann es vorkommen, dass das aus dem Atom entfernte Elektron nicht die gesamte Photonenenergie als kinetische Energie erhält, sondern dass ein weiteres Elektron in diesem Atom auf einen energetisch höher liegenden Zustand gelangt (shake-up). Die Feldstärke des synchronisierten Laserpulses ist hoch genug, um so ein bereits energetisch angeregtes Elektron zum „Tunneln“ zu bewegen. Je nach zeitlicher Lage des Attosekundenpulses in Bezug auf die Feldmaxima des Laserpulses stehen also diese schwach gebundenen Elektronen für die Ionisation zur Verfügung oder nicht. Variiert man die Verzögerungszeit des Attosekundenpulses über den ganzen Laserpuls, kann man über den Nachweis der doppelt ionisierten Atome die Tunnelionisationsrate messen. Aus der Anstiegsdauer der Stufenkurve lässt sich so eine obere Grenze für die Gesamtdauer von „shake-up“- und Tunnel-Prozess von 400 Attosekunden abschätzen.

Attosekundendynamik an Oberflächen

Während die ersten Messungen und Anwendungen von Attosekundenpulsen mit Materie in der Gasphase durchgeführt wurden, gelangen kürzlich auch Experimente an den Oberflächen von Festkörpern. Aus mehreren Gründen, z.B. wegen der Zerstörung der Oberflächen durch die Lichtpulse oder der Problematik von Eindringtiefen, sind Festkörper schwierigere Untersuchungsobjekte als Gase. Dennoch wurde die oben beschriebene Streaking-Methode auch hier erfolgreich angewendet. So konnte mit der Attosekunden-Anrege-Abfrage-Technik gemessen werden, dass zwischen der Emission von Elektronen aus dem Leitungsband bzw. aus tiefer gelegenen Bändern in Wolfram eine Zeit von etwa 100 Attosekunden vergeht. Dieses zukunftsweisende Ergebnis zeigt, dass viele noch ungelöste Fragen der Elektronendynamik in Festkörpern mithilfe der Attosekundenphysik geklärt werden können.

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