Forschungsbericht 2006 - Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der Max-Planck-Gesellschaft

Erkennung und Korrektur von Fehlern bei der Zellteilung

Autoren
Hauf, Silke
Abteilungen

Molekulare Mechanismen der Chromosomensegregation (Dr. Silke Hauf)
Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der MPG, Tübingen

Zusammenfassung
Wenn Zellen sich teilen, wird die Erbinformation verdoppelt und während der Teilung gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt. Fehler bei der Verteilung der Erbinformation können zum Zelltod führen oder zu maligner Entartung beitragen. Am Friedrich-Miescher-Laboratorium wird mithilfe von Hefen untersucht, wie Zellen die extrem niedrige Fehlerrate bei der Verteilung der Erbinformation sicherstellen.

Die Verteilung der Chromosomen während der Zellteilung

Während der Zellteilung wird die Erbinformation auf die beiden entstehenden Tochterzellen verteilt. Dazu werden die DNA-Stränge in Chromosomen verpackt, die jeweils aus zwei Schwesterchromatiden bestehen. Die beiden Schwesterchromatiden sind genetisch identisch. Die Verteilung der Schwesterchromatiden auf die Tochterzellen erfolgt mithilfe der mitotischen Spindel (Abb. 1). Die Spindel besteht aus langen Protein-Polymeren, den Mikrotubuli, und einer Reihe von Hilfsproteinen, die unter anderem die Dynamik dieser Mikrotubuli regulieren. Mikrotubuli haben zwei verschiedene Enden, ein weniger dynamisches Minus- und ein dynamischeres Plus-Ende. Mit den Minus-Enden sind die Mikrotubuli der Spindel an den beiden Spindelpolen verankert, während die Plus-Enden in Kontakt mit den Chromosomen treten. Die Chromosomen werden derart an die Mikrotubuli angeheftet, dass die beiden Schwesterchromatiden mit entgegengesetzten Spindelpolen verbunden sind. Die eigentliche Zellteilung wird initiiert, indem die Verbindung der Schwesterchromatiden aufgelöst wird, sodass sie zu den Spindelpolen gezogen werden können [1-3].

Der Hauptkontaktpunkt zwischen den Mikrotubuli und den Chromosomen sind die Kinetochore. Dies sind hochkomplexe Gebilde aus mehr als 50 verschiedenen Proteinen. Diese Komplexität rührt daher, dass Kinetochore nicht nur die Anheftungsstelle darstellen, sondern selbst aktiv in den Prozess der Anheftung eingreifen. Bemerkenswert ist außerdem, dass selbst Mikrotubuli, die an Kinetochore gebunden sind, weiterhin dynamisch sind, d.h. wachsen und schrumpfen können. Die Anheftung muss diese Flexibilität erlauben und dennoch ausreichend stabil bleiben.

Kontrolle der Anaphase durch einen Checkpoint

Da die initialen Kontakte zwischen Mikrotubuli und Kinetochoren zufällig erfolgen, kann es zu fehlerhafter Chromosomen-Anheftung kommen (Abb. 2) [4]. In fast allen sich teilenden Zellen treten solche Fehler auf, sie werden jedoch korrigiert, bevor die Zelle in der Anaphase die Schwesterchromatiden auf die Tochterzellen verteilt.

Kinasen der so genannten Aurora Familie sind unerlässlich für diese Fehlerkorrektur. Menschliche Zellen haben mehrere Aurora-Kinasen (Aurora-A, -B und -C genannt), von denen Aurora-B für diesen Prozess von Bedeutung ist [5]. In den für die Forschung bedeutsamen Hefen (Bäckerhefe und Spalthefe) findet man hingegen nur eine Aurora-Kinase, die benötigt wird, um fehlerhafte Anheftung der Chromosomen zu korrigieren (Abb. 3). Die Korrektur des Fehlers allein reicht aber noch nicht aus, um die korrekte Verteilung der Schwesterchromatiden zu gewährleisten. Es muss gleichzeitig sichergestellt sein, dass die Zelle die Anaphase nicht einleitet, solange noch Fehler präsent sind (Abb. 2). Man nennt diesen Kontrollmechanismus einen Checkpoint. Auch an diesem Checkpoint sind Aurora(-B)-Kinasen beteiligt. Zellen, in denen Aurora inhibiert wurde, gehen daher in die Anaphase über, selbst wenn Anheftungsfehler nicht korrigiert wurden (Abb. 3 C).

Die Funktion von Aurora(-B)-Kinasen während der Zellteilung

Die Forscher am Friedrich-Miescher-Laboratorium interessieren sich nun dafür, wie die Aurora-Kinase die Korrektur von Chromosomen-Anheftungsfehlern bewirkt und dabei gleichzeitig die Anaphase inhibiert (Abb. 4). Gearbeitet wird mit Spalthefe (Schizosaccharomyces pombe), einem ungefährlichen, einzelligen Pilz, der ursprünglich aus afrikanischem Bier isoliert wurde. Diese Hefen lassen sich exzellent genetisch manipulieren und bieten eine Vielzahl technischer Möglichkeiten. Da Zellteilung für das Überleben von Organismen von essenzieller Bedeutung ist, haben sich viele der beteiligten Moleküle und Prozesse über Jahrmillionen hinweg nur wenig verändert. Man kann daher annehmen, dass sich Ergebnisse aus der Spalthefe auf den Menschen übertragen lassen können.

Der Wirkmechanismus der Aurora-Kinasen wurde bereits in einer Reihe von Organismen untersucht, und auch dabei zeigte sich, dass die grundlegenden Prinzipien dieselben sind. Aurora(-B)-Kinasen finden sich in der frühen Mitose in allen Organismen an Chromosomen gebunden, und zwar genau in der Region, die zwischen den Kinetochoren der beiden Schwesterchromatiden liegt. Aurora(-B) scheint die Anheftung der Chromosomen zu korrigieren, indem Proteine an der Schnittstelle zwischen Kinetochor und Mikrotubuli phosphoryliert werden und so deren Verbindung beeinflusst wird (Abb. 4). Keines der bislang bekannten Zielmoleküle reicht allerdings aus, um den Wirkmechanismus der Kinase zu erklären.

Die Forscher am Friedrich-Miescher-Laboratorium konnten dem Repertoire der Kinase vor kurzem ein weiteres Substrat hinzufügen. Sie fanden, dass ein Mikrotubuli-bindendes Molekül der Kinesin-Familie von Aurora phosphoryliert und dadurch in seiner Funktion gehemmt wird. Dieses Kinesin ist an den Plus-Enden der Mikrotubuli und damit am Kinetochor angereichert, wo es die Dynamik der Mikrotubuli reguliert. Die Aktivität des Moleküls ist notwendig, um die Anaphase einzuleiten. Die Phosphorylierung durch Aurora führt über die Hemmung der Aktivität zu einer Inhibierung der Anaphase.

In der Zukunft werden sich die Wissenschaftler darauf konzentrieren, systematisch nach weiteren Substraten der Aurora-Kinase zu suchen. Darüber hinaus wollen sie verstehen, wie die Kinase selbst reguliert ist. Aurora scheint nur auf Chromosomen aktiv zu sein, die fehlangeheftet sind, während nach korrekter Anheftung ihre Aktivität inhibiert ist. Über diese Regulation ist sehr wenig bekannt, und die Forscher am Friedrich-Miescher-Laboratorium wollen sich der Lösung mithilfe genetischer screens nähern.

Medizinische Implikationen

Fehler bei der Chromosomenverteilung können fatale Folgen haben und – unter anderem – zum Zelltod oder zu maligner Entartung führen. Treten solche Fehler während der Keimzellbildung auf, ist eine mögliche Konsequenz, dass der durch Fusion zweier Keimzellen entstehende Embryo nicht alle oder zu viele Chromosomen besitzt. In den meisten Fällen führt dies zum Tod des Embryo, und solche Fehler sind der häufigste Grund für Fehlgeburten während der frühen Schwangerschaft [6]. Bei einem Zuviel mancher Chromosomen kann sich der Embryo zwar entwickeln, aber die Fehlfunktion der einzelnen Zellen führt zu einem klinischen Krankheitsbild. Ein bekanntes Beispiel ist das Down-Syndrom, das durch eine zusätzliche Kopie von Chromosom 21 ausgelöst wird. Das Aufklären der grundlegenden Vorgänge bei der Verteilung der Chromosomen wird dazu beitragen, zu verstehen, wie es zu solchen Fehlern kommen kann.

Aurora-Kinasen spielen eine zentrale Rolle im Verhindern von Fehlern bei der Chromosomenverteilung. Sowohl die Inhibierung dieser Kinasen als auch deren Überfunktion führen zu Fehlern in der Zellteilung. Es wurde gezeigt, dass in einer Reihe menschlicher Tumoren Aurora-Kinasen überaktiv sind. In einem Experiment reichte sogar die vermehrte Aktivität einer Aurora-Kinase aus, die Zellen tumorös entarten zu lassen. Dies lässt vermuten, dass Tumorwachstum durch eine Überaktivität von Aurora-Kinasen gefördert werden kann. Im Einklang damit konnte in der Tat gezeigt werden, dass chemische Inhibitoren der Aurora-Kinasen das Tumorwachstum eindämmen können. Solche Substanzen werden daher inzwischen klinischen Tests unterzogen [7]. Die am Friedrich-Miescher-Laboratorium durchgeführten Arbeiten werden helfen, die Wirkungen (und Nebenwirkungen) dieser Substanzen zu verstehen.

Originalveröffentlichungen

Hauf, S.; Roitinger, E.; Koch, B.; Dittrich, C. M.; Mechtler, K.; Peters, J. M.
Dissociation of cohesin from chromosome arms and loss of arm cohesion during early mitosis depends on phosphorylation of SA2.
Public Library of Science (PloS) Biol 3, e69 (2005)
Hauf, S.; Waizenegger, I. C.; Peters, J. M.
Cohesin cleavage by separase required for anaphase and cytokinesis in human cells.
Science 293, 1320-1323 (2001)
Nasmyth, K.
Segregating sister genomes: the molecular biology of chromosome separation.
Science 297, 559-565 (2002)
Hauf, S.; Watanabe, Y.
Kinetochore orientation in mitosis and meiosis.
Cell 119, 317-327 (2004)
Hauf, S.; Cole, R. W.; LaTerra, S.; Zimmer, C.; Schnapp, G.; Walter, R.; Heckel, A.; van Meel, J.; Rieder, C. L.; Peters, J.-M.
The small molecule Hesperadin reveals a role for Aurora B in correcting kinetochore-microtubule attachment and in maintaining the spindle assembly checkpoint.
Journal of Cell Biology 161, 281-294 (2003)
Hassold, T.; Hunt, P.
To err (meiotically) is human: the genesis of human aneuploidy.
Nature Reviews Genetics 2, 280-291 (2001)
Keen, N.; Taylor, S.
Aurora-kinase inhibitors as anticancer agents.
Nature Reviews Cancer 4, 927-936 (2004)
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