Wie sich der Vorhang zum Urknall lüften ließe

Wie Forschende das Universum kurz nach dessen Entstehung beobachten wollen

Auf den Punkt gebracht

  • Die Anfänge des Universums lassen sich bisher nicht direkt beobachten: Dies verhindert ein dichter Nebel aus Gas und Materie.
  • Signale aus dem sehr jungen Universum: Die Wissenschaftler Leo Stodolsky und Joseph Silk vom Max-Planck-Institut für Physik schlagen Wege vor, wie Forschende dennoch hinter diesen Vorhang der kosmischen Hintergrundstrahlung blicken könnten, auf das Universum direkt nach dem Urknall.
  • Heftige Energieausbrüche und Neutrinos spielen dabei eine wichtige Rolle.

Was geschah in den ersten Augenblicken nach dem Urknall? Wann entstanden die ersten Materieteilchen, wann die fundamentalen Kräfte? Dies sind Fragen, zu denen es viele theoretische Überlegungen gibt, aber keine direkten Beobachtungen. Der Grund: Die ersten 380.000 Jahre des 13,8 Milliarden alten Universums liegen hinter einem undurchdringlichen Vorhang, hinter dem Strahlung und Materie einen eng verwobenen und heißen Brei bildeten. Licht interagierte hier ständig mit frei umherschießenden Materieteilchen, war daher gefangen und verwehrt uns den Blick in die Zeit davor. Das erste Licht, das vom frühen Universum mit einem Alter von nur 380.000 Jahren zeugt, ist die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung (CMB), die 1964 entdeckt wurde. Dieses Licht entstand, als sich etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall das Universum soweit ausgedehnt und abgekühlt hat, dass das Licht nicht länger an die Materieteilchen gekoppelt war: Es durchdringt fortan das gesamte Universum. Und mit dem Weltraum, der sich immer weiter ausgedehnt hat, haben sich auch die Lichtwellen des kosmischen Hintergrunds gestreckt - so weit, dass die Hintergrundstrahlung heute nur noch von Radioobservatorien bei Wellenlängen von Millimetern bis Zentimetern gemessen werden kann.

Licht ist Informationsträger und dieses schwache Radiolicht, das aus allen Richtungen auf die Erde einstrahlt, transportiert die ersten direkten Informationen vom frühen Universum direkt zur Erde. Die Autoren vermuten jedoch, dass es einen Weg gibt, hinter diesen Vorhang zu blicken. In Analogie zu den vielen Supernovae, die heute beobachtet werden, muss es auch in den Anfängen des Kosmos heftige Energieausbrüche gegeben haben: Sei es durch die Entstehung sogenannter „Babyuniversen“ oder durch andere explosionsartige Ereignisse ähnlich dem Urknall, wie zum Beispiel die Entstehung supermassiver primordialer Schwarzer Löcher. Diese Explosionen könnten auch Neutrinos aussenden, das sind Teilchen, die sich früher als das Licht von den Fängen heißer Materie frei machten und wie Licht messbare Informationen zur Erde transportieren könnten. Neutrinos interagieren, anders als Licht, nur schwach mit Materie.

Die Forscher Leo Stodolsky und Joseph Silk vom Max-Planck-Institut für Physik stellen drei mögliche Szenarien vor, wie sich ein noch jüngeres Universum beobachten ließe als bisher. In zwei von drei Szenarien spielen Neutrinos eine Rolle. 

Nachweis über schwache Röntgenstrahlung

Da energiereiche Neutrinos bei allen explosiven astrophysikalischen Szenarien eine Rolle spielen, ist es plausibel, dass sie auch bei Ausbrüchen im frühen Universum entstehen. Wegen ihrer Eigenschaften könnten sie durch den kosmischen Vorhang schlüpfen, würden aber auf ihrem Weg zur Erde einen Großteil ihrer Energie verlieren. Während dieses Prozesses könnten Positronen, also Antimaterie, entstehen.

Das Positron ist das Antiteilchen des Elektrons. Wenn beide aufeinandertreffen, vernichten sie sich gegenseitig und es wird Energie in Form von Photonen, also Lichtteilchen, freigesetzt. Dieses Licht wäre als schwache Röntgenstrahlung bei einer charakteristischen Energie nachweisbar. Möglicherweise wurde eine solche Strahlungsspitze bisher bei Beobachtungen im Röntgenbereich übersehen, da das sehr schwache Signal im Rauschen untergeht. Um es zu erkennen, müssten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihren Messinstrumenten sehr lange und sehr große Datenmengen sammeln.

Ein neuer niedrigenergetischer Neutrino-Hintergrund

Die Autoren gehen noch einer zweiten kosmischen Neutrino-Signatur nach: Ein unerwartet hoher niedrigenergetischer Neutrino-Hintergrund im heutigen Universum. Dieser Strahlungshintergrund wäre sehr ähnlich zum kosmischen Mikrowellenhintergrund, bestünde aber aus Neutrinoteilchen und nicht aus Licht. Der Vorteil eines Neutrinohintergrunds ist, dass dieser tiefer blicken ließe, da Neutrinos früher als Licht von der heißen Ursuppe entkoppelten, sich also seither frei bewegen konnten, ohne nennenswert mit Materieteilchen zu wechselwirken. Im Falle der frühen Ausbrüche könnte man auch mit der direkten Erzeugung stark rotverschobener Neutrinos mit niedriger Energie rechnen. Ihr Ursprung würde sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit entfernen. Das bedeutet, dass die Neutrinos nicht mit ihrer Umgebung interagieren und einfach mit sehr geringer Energie in der Gegenwart ankommen. Im Gegensatz zur weichen Röntgenstrahlung ist noch unklar, wie sie sich nachweisen ließen.

Hot Spots im Mikrowellenhintergrund

Eine dritte Nachweismöglichkeit wäre die Existenz von sehr energiereichen „hot spots“ im kosmischen Mikrowellenhintergrund. Die Karte dieser Strahlung zeigt das Licht aus der Frühzeit, wie es aus allen Richtungen auntrifft. Die Hintergrundstrahlung wird seit Jahrzehnten intensiv beforscht, unter anderem mit der europäischen „Planck“-Mission, an der das Max-Planck-Institut für Astrophysik maßgeblich beteiligt war. Trägt man die Lichtintensität über die verschiedenen enthaltenen Wellenlängen auf, erhält man ein sogenanntes Lichtspektrum: zudem die wohl genaueste Messung eines sogenannten Schwarzkörpers. Zur Erklärung: Alle Objekte mit einer bestimmten Temperatur emittieren Wärmestrahlung, wie etwa ein Heizkörper zu Hause. Die Form des Lichtspektrums bestimmt die Temperatur des Strahlers. So auch beim kosmischen Mikrowellen-Hintergrund: Das Licht zeugt von einer Temperatur des Kosmos von nur 2.7 Kelvin, also 2.7 Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt von etwa -273 Grad Celsius. Die Messungen des mehr als eiskalten Universums sind so genau, dass sich feinste Temperaturschwankungen von hunderten Mikrokelvin (0.0001 Grad Celsius oder Kelvin) um die Mitteltemperatur von etwa 2.7 Kelvin abbilden lassen. Das verleiht der Karte von oben die fleckenhafte Struktur. Da die Temperaturschwankungen sehr gering sind, könnte man auch eine Karte mit ein und der selben Farbe darstellen, die für die Durchschnittstemperatur des Universums stünde. In dieser Karte erhoffen sich Stodolsky und Silk Ausschläge, die nicht durch das bekannte Rauschen um die Mitteltemperatur herum erklärbar wären.

Mit diesen drei theoretischen Hypothesen liefern Leo Stodolsky und Joseph Silk der Forschungsgemeinschaft konkrete Signaturen, nach denen es sich lohnt, mit Teleskopen und Instrumenten zu suchen. 

MPP/MPG

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