Schwarze Löcher verschmelzen mit stark zueinander geneigten Rotationsachsen 

Gravitationswellen-Signale erklären, warum die schwereren schwarzen Löcher der ursächlichen Paare nicht in einer Sternexplosion entstanden

Auf den Punkt gebracht

  • Ungewöhnliche Signale: Zwei außergewöhnliche Gravitationswellen-Ereignisse, die auf zwei Paare verschmelzender schwarzer Löcher zurückgehen, stechen aus den Daten hervor, die eine Kollaboration mit den Detektoren Ligo, Virgo und Kagra im Herbst 2024 aufgezeichnet hat.
  • Ungewöhnliche Eigenschaften der schwarzen Löcher: Das jeweils schwerere schwarze Loch der ursächlichen Doppel-Schwarz-Loch-Systeme rotiert zu schnell und die Rotationsachse ist zu stark gegenüber der gegenseitigen Umlaufbahn geneigt, als zu erwarten wäre, wären die schwarzen Löcher aus explodierten Sternen entstanden.
  • Verschmelzung leichterer schwarzer Löcher: Es deutet alles darauf hin, dass die schweren schwarzen Löcher nicht durch explodierende Sterne entstanden, sondern indem zwei leichtere schwarze Löcher eine Generation zuvor verschmolzen.
  • Rotierende schwarze Löcher verformen sich: Dank der Gravitationswellen-Analyse einer Wissenschaftlerin lässt sich erstmals bestätigen, dass sich schwarze Löcher verformen, wenn sie schnell um die eigene Achse rotieren - eine Vorhersage der allgemeinen Relativitätstheorie.

Ungewöhnliche Signale

Viele Paare schwarze Löcher waren einst Doppelsterne. In diesen Systemen umrundeten sich zwei Sterne, die jeweils schwerer waren als unsere Sonne. Einer nach dem anderen explodierte als Supernova, bis ein System zweiter schwarzer Löcher zurückblieb. Dabei sollten in der Regel langsam rotierende schwarze Löcher entstehen, deren Äquator in der Bahnebene des ehemaligen Doppelsternsystems liegt.

„Die beiden neuen Gravitationswellen-Signale stammen von verschmelzenden Paaren schwarzer Löcher und sind anders als die, die wir normalerweise erwarten und die wir bisher beobachtet haben“, sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam. „In beiden Paaren dreht sich eines der schwarzen Löcher sehr schnell um eine ungewöhnlich ausgerichtete Achse. Das weist auf eine neue Untergruppe schwarzer Löcher hin.“

Die Rekonstruktion der Gravitationswellen, die aus der Verschmelzung hervorgingen, deutet außerdem darauf hin, dass die schwarzen Löcher unterschiedlich schwer sind. Deswegen konnten die Forschenden auch bestimmen, wie schnell sich das jeweils schwerere schwarze Loch drehte und in welche Richtung seine Rotationsachse zeigte. Diese neuen Ergebnisse wurden mit Hilfe der neuesten Wellenformmodelle erzielt, darunter drei, die Forschende am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik entwickelt haben. Diese Modelle sind mathematische „Rezepte“ zur Berechnung der von einem Doppel-Schwarz-Loch-System abgestrahlten Gravitationswellen, in diesem Fall für kreisförmige Umlaufbahnen und beliebige Ausrichtungen der Rotationsachsen der schwarzen Löcher.

Zwei ungewöhnliche Paare schwarzer Löcher

Der Ligo-Detektor in Hanford und der Virgo-Detektor haben GW241011, das erste der beiden Signale, am 11. Oktober 2024 beobachtet. Der Ligo-Detektor in Livingston wurde zu diesem Zeitpunkt gewartet und nahm daher keine wissenschaftlichen Messdaten auf. Die Verschmelzung der beiden schwarzen Löcher, die das Gravitationswellen-Signal verursachte, fand in einer Entfernung von gerade einmal rund 700 Millionen Lichtjahren statt. Damit ist es wahrscheinlich das bislang nächstgelegene Ereignis dieser Art. Deswegen ließ es sich sehr klar beobachten. Nur zwei andere bisher beobachtete Signale sind „lauter“: die vor kurzem veröffentlichten Ereignisse GW230814 und GW250114.

In den klar und deutlich empfangenen Gravitationswellen stecken Informationen über die einzelnen schwarzen Löcher. Die Analyse der Ligo-Virgo-Kagra Daten ergab, dass das größere schwarze Loch etwa 20-mal so schwer ist wie unsere Sonne, während das kleinere schwarze Loch nur etwa sechs Sonnenmassen hat. Diese ungleichmäßige Massenverteilung macht das Paar so besonders, denn die meisten anderen Paare bestehen aus etwa gleich schweren schwarzen Löchern.

Fast genau einen Monat nach dem ersten Ereignis, am 10. November 2024, beobachteten beide Ligo-Instrumente und Virgo das zweite Ereignis GW241110. Es entstand ebenfalls bei einer Verschmelzung zweier schwarzer Löcher, die aber dreimal weiter entfernt stattfand als die vom Signal im Oktober. Das Gravitationswellen-Signal, das in Folge dessen die Erde erreichte, war entsprechend undeutlicher, deutet aber klar auf ein weiteres Paar mit eindeutig unterschiedlich schweren schwarzen Löchern hin: Das eine muss die 17-, das andere die 8-fache Masse der Sonne gehabt haben.

Schwarze Löcher mit stark geneigter Rotationsachse

„Diese beiden Paare schwarzer Löcher gleichen sich auf den ersten Blick wie ein Ei dem anderen. Sieht man genauer hin, zeigen sich jedoch einige auffällige Unterschiede, beispielsweise in ihrer Rotation“, sagt Frank Ohme, Leiter einer unabhängigen Max-Planck-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover.

Ehe die schwarzen Löcher des näher gelegenen Binärsystems verschmolzen, muss das schwerere von beiden am schnellsten rotiert haben. Es drehte sich mit mindestens 70 Prozent der maximal möglichen Geschwindigkeit um die eigene Achse. Diese Achse war außerdem um 20 bis 40 Grad relativ zu der Achse geneigt, um die die beiden schwarzen Löcher kreisten.

„Anders gesagt lag der Äquator des schwereren schwarzen Lochs in dem Doppelsystem, das das Signal GW241011 erzeugt hat, nicht in derselben Ebene wie die Umlaufbahn der beiden schwarzen Löcher“, sagt Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. „Das ähnelt der Neigung der Rotationsachse von Erde oder Mars auf ihren Bahnen um die Sonne, ist für ein schwarzes Loch aber eher ungewöhnlich.“

Das schwerere schwarze Loch im weiter entfernten Binärsystem, das das Gravitationswellen-Signal GW241110 verursacht hat, weicht noch stärker von der Norm ab: Seine Rotationsachse war um mindestens 90 Grad und möglicherweise bis zu 180 Grad relativ zu der Achse geneigt, um die die beiden schwarzen Löcher kreisten. Das bedeutet, dass seine Rotationsachse in der Bahnebene des Doppelsystems lag oder sogar nach unten zeigte. Dies ähnelt den Rotationsachsen der Planeten Uranus und Venus in unserem Sonnensystem.

Wie sind diese ungewöhnlichen Doppelsysteme entstanden?

Wäre das Binärsystem aus einem Doppelsternsystem entstanden, müssten die schwarzen Löcher langsamer rotieren und ihr Äquator müsste jeweils in der Bahnebene des Binärsystems liegen. Es gibt verschiedene Mechanismen, die die Rotationsachsen von schwarzen Löchern unmittelbar vor oder nach ihrer Entstehung verkippen können. Aber keiner von ihnen kann erklären, warum diese schwarzen Löcher so schnell rotieren.

Die Daten lassen sich aber erklären, wenn die schwarzen Löcher, die schlussendlich verschmolzen, ihrerseits nicht aus der Explosion von Sternen hervorgingen, sondern aus jeweils zwei leichteren schwarzen Löchern, die zuvor verschmolzen. Schwarze Löcher der zweiten Generation sollten in der Tat schneller rotieren als die der ersten Generation. Ihre Rotationsachsen können zudem in jede beliebige Richtung zeigen, je nach dem, in welcher Ebene die leichteren schwarzen Löcher sich umkreisten. Zudem sollten schwarze Löcher der zweiten Generation schwerer sein. So ließen sich die massereicheren schwarzen Löcher erklären, die nach ihrer Verschmelzung die Signale GW241011 und GW241110 erzeugten. Diese früheren Kollisionen fanden wahrscheinlich in dicht von Sternen besiedelten Regionen statt, wie in Sternhaufen. Dort könnten die schwarzen Löcher der zweiten Generation leichter auf ein anderes schwarzes Loch treffen, sich umkreisen und dann verschmelzen.

Ein weiterer Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Binärsystems steckt in der Form seiner Umlaufbahn. „Paare schwarzer Löcher, die sich erst später gefunden haben, können etwas elliptischere Umlaufbahnen haben als solche, die aus demselben Doppelstern entstanden sind“, erklärt Lorenzo Pompili, ein ehemaliger Doktorand am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. „Wir haben intensiv nach Anzeichen elliptischer Umlaufbahnen gesucht, aber keine gefunden.“

Schnell rotierende schwarze Löcher sind verformt

Da GW241011 so klar und deutlich beobachtet wurde, lässt es sich gut mit Vorhersagen aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie und Roy Kerrs Lösung für rotierende schwarze Löcher vergleichen. Danach sollten sich schwarze Löcher, die schnell rotieren, ganz leicht verformen. Das wiederum hinterlässt einen charakteristischen Fingerabdruck in den ausgesendeten Gravitationswellen nach einer Verschmelzung zweier solcher rotierender Schwerkraftfallen. Das Team untersuchte GW241011, fand eine hervorragende Übereinstimmung mit Kerrs Lösung und bestätigte Einsteins Vorhersage mit nie zuvor erreichter Genauigkeit. „GW241011 ist das erste Gravitationswellen-Signal, mit dem wir bestätigen konnten, dass sich schwarze Löcher verformen, wenn sie schnell rotieren“, sagt Elise Sänger, Doktorandin am Potsdamer Institut, die den Test der Kerr-Lösung durchführte. 

Weil sich die Massen des ursprünglichen Schwarz-Loch-Paares stark unterscheiden, enthält das Gravitationswellen-Signal das „Summen“ höherer harmonischer Frequenzen, die den Obertönen von Musikinstrumenten ähneln. Dieser Effekt konnte in GW241011 erst zum dritten Mal beobachtet werden. Eine dieser Harmonischen wurde besonders deutlich nachgewiesen und bestätigt eine Vorhersage aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie.

Auf der Suche nach unbekannten Elementarteilchen

Schnell rotierende schwarze Löcher wie die jetzt beobachteten haben eine weitere Anwendung in der Teilchenphysik: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können mit ihnen überprüfen, ob bestimmte, derzeit noch unbekannte, leichte Elementarteilchen existieren und wie massereich diese sind. Diese sogenannten ultraleichte Bosonen gibt es laut einigen Theorien, die über das Standardmodell der Teilchenphysik hinausgehen. Das Standardmodell beschreibt und klassifiziert alle bekannten Elementarteilchen. Wenn es ultraleichte Bosonen gibt, können sie schwarzen Löchern Rotationsenergie entziehen. Wie stark dieser Prozess die Rotation der schwarzen Löcher verlangsamt, hängt von der bisher unbekannten Masse dieser Teilchen ab. Die Beobachtung, dass das schwerere schwarze Loch im Doppelsystem von GW241011 auch Millionen oder Milliarden Jahre nach seiner Entstehung noch schnell rotiert, schließt hohe Massen für diese Teilchen aus.

Derzeit ist unklar, ob die Schwarz-Loch-Paare, die die Gravitationswellensignale GW241011 und GW241110 erzeugten, auch häufig im Universum sind oder ob es sich um spezielle Systeme handelt. Bislang wurden noch nicht alle Daten des gemeinsamen Ligo-Virgo-Kagra Beobachtungslaufs vollständig analysiert und veröffentlicht. Es könnten also noch weitere Überraschungen folgen.

AEI/MPG

 

Hintergrundinformationen

Die LIGO-Virgo-KAGRA-Kollaboration:

LIGO wird von der NSF finanziert und von Caltech und MIT betrieben, die das Projekt konzipiert und aufgebaut haben. Die finanzielle Unterstützung für das Advanced LIGO-Projekt wurde von der NSF geleitet, wobei Deutschland (Max-Planck-Gesellschaft), Großbritannien (Science and Technology Facilities Council) und Australien (Australian Research Council) bedeutende Verpflichtungen und Beiträge zu dem Projekt geleistet haben. Mehr als 1.600 Wissenschaftler*innen aus aller Welt beteiligen sich an diesem Projekt im Rahmen der LIGO Scientific Collaboration, zu der auch die GEO-Kollaboration gehört. Weitere Mitgliedsinstitutionen sind unter https://my.ligo.org/census.php aufgeführt. 

Die Virgo-Kollaboration besteht derzeit aus etwa 880 Mitgliedern aus 152 Institutionen in 17 verschiedenen (hauptsächlich europäischen) Ländern. Das European Gravitational Observatory (EGO) beherbergt den Virgo-Detektor in der Nähe von Pisa in Italien und wird vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Frankreich, dem Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien und dem National Institute for Subatomic Physics (Nikhef) in den Niederlanden finanziert. Weitere Informationen finden Sie auf der Virgo-Website unter https://www.virgo-gw.eu.

KAGRA ist ein Laserinterferometer mit einer Armlänge von 3 km in Kamioka, Gifu, Japan. Das Wirtsinstitut ist das Institute for Cosmic Ray Research (ICRR) der Universität Tokio, und das Projekt wird gemeinsam vom National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) und der High Energy Accelerator Research Organization (KEK) betreut. Die KAGRA-Kooperation besteht aus über 400 Mitgliedern aus 128 Instituten in 17 Ländern/Regionen. Informationen zu KAGRA für die breite Öffentlichkeit finden Sie unter https://gwcenter.icrr.u-tokyo.ac.jp/en/. Ressourcen für Forscher sind unter http://gwwiki.icrr.u-tokyo.ac.jp/JGWwiki/KAGRA verfügbar.

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