Jugendkriminalität stark rückläufig
Internationale Überblicksstudie zeigt langfristigen Abwärtstrend in Industrienationen
Auf den Punkt gebracht
- Trend: In vielen Industrieländern ist die Jugendkriminalität in den letzten 20 bis 30 Jahren deutlich zurückgegangen.
- Ursachen: Jugendliche trinken weniger Alkohol, verbringen weniger unkontrollierte Zeit mit Gleichaltrigen und stehen unter engerer Kontrolle der Eltern.
- Ausblick: Welche Folgen die Pandemie auf die Jugendkriminalität haben wird, ist noch nicht ganz klar. Eine mögliche Trendumkehr würde den starken Rückgang der letzten Jahrzehnte jedoch nicht aufheben.
In zahlreichen Industrienationen ist die Jugendkriminalität seit den 1990er Jahren deutlich zurückgegangen. Zu diesem Ergebnis kommen die Kriminologen Dietrich Oberwittler (Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht) und Robert Svensson (Universität Malmö), die die bisherige empirische Forschung zum Thema Jugendkriminalität zusammengefasst und ausgewertet haben. Diese Forschung berücksichtigt sowohl offizielle Kriminalstatistiken als auch Dunkelfeldbefragungen von Jugendlichen. Außerdem benutzten sie die Daten einer seit 2002 laufenden internationalen Schulbefragung zum Gesundheitsverhalten von Jugendlichen in 36 Ländern.
Der Trend ist klar: Seit den 1990er Jahren ist die Jugendkriminalität gesunken. Polizeidaten zeigen das zunächst in den USA, später auch in europäischen Ländern wie Deutschland, der Schweiz, England und Wales. Nach 2015 stabilisiert sich der Trend in vielen untersuchten Ländern. Nicht über alle Delikte hinweg sind die Rückgänge gleichermaßen stark. So gingen beispielsweise Eigentumsdelikte in vielen Ländern stärker zurück als Gewaltdelikte.
Gleichzeitig verringerte sich der Geschlechterunterschied in der Jugendkriminalität. War früher die Kriminalitätsrate bei Jungen höher als bei Mädchen, so hat sich dieser Unterschied in den letzten Jahren verkleinert, weil die Kriminalitätsneigung von Jungen stärker gesunken ist als die der Mädchen.
Aktuell könnte der sinkende Trend der Jugendkriminalität nun einen Punkt erreicht haben, wo er stagniert oder sich sogar umkehrt. Darauf lassen zumindest die neuesten Daten einiger Länder schließen. „Die Daten nach der Pandemie sind noch unvollständig. Wir können uns noch kein abschließendes Bild der vergangenen drei bis fünf Jahre machen“, sagen Oberwittler und Svensson. Aber auch diese eher geringen Anstiege können den starken Rückgang der letzten Jahrzehnte nicht aufheben.
Jugendliche konsumieren weniger Alkohol
Neben den Zahlen haben sich die Wissenschaftler auch mit den Ursachen für den Rückgang der Jugendkriminalität beschäftigt und auch hier Studien – nicht nur aus der kriminologischen Forschung, sondern auch aus benachbarten Disziplinen wie der Psychologie und Suchtforschung – zusammengefasst und analysiert. Kurz gesagt, liegen die Ursachen für den Rückgang der Kriminalität in den veränderten Lebensbedingungen der Jugendlichen. Oder einfacher formuliert: Jugendliche haben Besseres zu tun, als kriminell zu sein. Zugleich sind riskante Verhaltensweisen zurückgegangen, insbesondere der Alkoholkonsum, der als wichtiger Einflussfaktor für Kriminalität gilt.
Die Untersuchungen zeigen auch, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in den vergangenen Jahrzehnten enger geworden sind. Kinder und Jugendliche unterliegen heute einer stärkeren Aufsicht und Kontrolle durch ihre Eltern als noch vor 20 Jahren. Diese Hypothese wird durch Studien in verschiedenen Ländern wie Island, Neuseeland, den Niederlanden, Schweden, England und Wales gestützt. Dabei verbringen moderne Eltern nicht unbedingt mehr physische Zeit mit ihren Kindern. Kontrolle und Beziehungspflege werden auch durch technologische Mittel – etwa durch regulären Kontakt via Smartphone – erreicht.
Zudem ist die Schule zu einer wichtigeren Institution für junge Menschen geworden. Kinder verbringen mehr Zeit in der Schule, und ihnen ist Bildung wichtig(er). Überhaupt verbringen Jugendliche weniger ungeplante Zeit mit Gleichaltrigen. Der Aufstieg der digitalen Medien könnte ein weiterer Faktor sein, der von manchen Forschern auch als Ursache einer zunehmenden Einsamkeit von Jugendlichen angesehen wird. Die empirischen Befunde zu den Auswirkungen der digitalen Medien sind aber noch uneindeutig.
„Viele Fragen zu den jüngsten Entwicklungen können auf der Grundlage der vorhandenen empirischen Belege nicht beantwortet werden“, erklären Oberwittler und Svensson. Welche Konsequenzen die zunehmende Bedeutung von digitalen Medien für die Entwicklung der Jugendkriminalität hat, wird sich erst in weiteren Untersuchungen zeigen.












