Klingt das gut?

Forschende verschiedener Max-Planck-Institute arbeiten daran, die Geheimnisse musikalischer Schönheit zu entschlüsseln

15. September 2025

Auf den Punkt gebracht

  • Musikalische Schönheit zeigt sich in drei emotionalen Mustern: ruhige Ergriffenheit, freudige Erregung und gespannte Erwartung. „Schöne Stellen“ stehen meist im Kontrast zur musikalischen Umgebung und lösen emotionale sowie körperliche Reaktionen aus.
  • Zwillingsstudien zeigen: Etwa 54 Prozent der Unterschiede im Musikerleben – also wie stark Menschen auf Musik emotional, körperlich oder sozial reagieren – gehen auf genetische Einflüsse zurück. 
  • Ob eine Stimme als schön empfunden wird, hängt weniger von messbaren Klangmerkmalen ab als von subjektiver Wahrnehmung.

Text: Julia Meyer-Hermann 

Was haben Stefan Raab und Theodor W. Adorno gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Der eine ist Showmaster, Musikproduzent, ESC-Teilnehmer – ein Mann des Mainstreams. Der andere einer der bedeutendsten Philosophen der Nachkriegszeit, scharfer Kritiker der Kulturindustrie und Mahner gegen gedankenlosen Musikgenuss. Und doch haben sie, jeder auf seine Weise, am selben Rätsel gearbeitet: Welche Musik empfinden Menschen als schön – und warum? Worauf reagieren sie? Ist das eine Frage des Geschmacks? Oder gibt es objektivierbare Muster im Erleben von Musik?

Jedes Jahr beim Eurovision Song Contest lässt sich beobachten, wie Songwriter und Produzenten versuchen, den Geschmack von Millionen zu treffen. Sie tüfteln an Akkorden, Beats, Melodien. Sie rechnen mit Punkten und Quoten. Und doch: Immer wieder liegen Jury und Publikum auseinander, Favoriten fallen durch, Underdogs gewinnen. Der Massengeschmack entzieht sich der Planung – genauso wie das ästhetische Erleben sich scheinbar einer rein rationalen Analyse entzieht.

Lässt sich Schönheit in der Musik vermessen?

Auch Theodor W. Adorno stellte sich diese Frage – allerdings aus kulturkritischer Perspektive. In seinem Radiovortrag „Schöne Stellen“ von 1965 analysierte er ein verbreitetes Verhalten von Hörerinnen und Hörern: Viele Menschen lauschen Musik nicht als zusammenhängender Struktur, sondern warten gezielt auf einzelne Höhepunkte – auf eine Wendung, einen Gänsehautmoment, eine sogenannte schöne Stelle. Für Adorno war diese Erwartungshaltung Ausdruck einer konsumistischen Hörweise, in der Musik auf affektive Reize reduziert wird, statt in ihrer formalen Entwicklung ernst genommen zu werden.
Er war nicht der Erste, der sich über solche Phänomene Gedanken machte. Die Frage, was Menschen als schön empfinden, beschäftigt Philosophie, Kunst und Psychologie seit Jahrhunderten. Schon Immanuel Kant sprach von einem „interesselosen Wohlgefallen“, das den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Für ihn lag musikalische Schönheit nicht einfach in der persönlichen Vorliebe, sondern in der Fähigkeit, überindividuelle ästhetische Urteile zu fällen. Gustav Theodor Fechner, ein Mitbegründer der experimentellen Psychologie, wiederum legte im 19. Jahrhundert den Grundstein für eine empirische Ästhetik, die genau diese Fragen zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung machte. Sein Anliegen: Schönheit nicht nur philosophisch zu deuten, sondern auch erfahrbar und messbar zu machen – durch systematische Befragungen, Reizvergleiche, Reaktionsanalysen.

Neue interdisziplinäre Ansätze, etwa in der Neuroästhetik oder Musikpsychologie, kombinieren subjektive Erlebnisse mit physiologischen Daten und computergestützter Stimmanalyse – nicht um Schönheit zu entzaubern, sondern besser zu verstehen. Am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main erforscht ein Team unter der Leitung der Musikwissenschaftlerin und Institutsdirektorin Melanie Wald-Fuhrmann, was Menschen beim Hören als schön empfinden. In einer quantitativen Studie mit 33 Teilnehmenden ging das Forschungsteam der Frage nach, welche musikalischen Passagen als besonders berührend oder ästhetisch eindrucksvoll erlebt werden – und warum.

Angeregt wurde Wald-Fuhrmann auch durch eben jenen Radiovortrag „Schöne Stellen“ von Adorno. „Er kritisiert zwar die Vorstellung, dass man Musik auf einzelne schöne Stellen reduzieren kann“, sagt sie. „Aber das Interessante ist: Er macht es selbst. Er spielt Passagen ein, analysiert sie, verweilt bei ihnen. Und genau diese Idee fand ich spannend – dass man bestimmte Stellen in einem Werk noch einmal als besonders schön empfindet, nicht nur das Ganze.“ Die Redewendung „schöne Stelle“ hat Wald-Fuhrmann daraufhin auch kulturgeschichtlich zurückverfolgt: „Die Formulierung lässt sich bis ins 18. Jahrhundert nachweisen – nicht nur für Musik, sondern auch für andere Kunstformen wie Romane oder Theaterstücke. Immer dann, wenn es um längere Werke geht, wird nicht nur ein Gesamturteil gefällt, sondern es wird über bestimmte Stellen gesprochen, die besonders berühren oder aufhorchen lassen.“

 In ihrer Studie verzichtete sie bewusst auf eine engere Definition. „In der Alltagssprache ist von schönen Stellen die Rede – also sind wir davon ausgegangen, dass Menschen ein eigenes Verständnis davon haben.“ Ihr Team setzte dabei bewusst auf individuelle Auswahl statt vorgegebener Stücke. Die Teilnehmenden brachten Musikstücke mit, in denen sie persönlich „schöne Stellen“ erlebten – also kurze Passagen, die sie emotional besonders berührten. Darunter fanden sich klassische Werke wie Schuberts Winterreise ebenso wie Musik von Coldplay oder französische Chansons.

Während des gesamten Hörens maßen Sensoren verschiedene physiologische Reaktionen, die nachweislich mit dem emotionalen Erleben zusammenhängen. Im Anschluss berichteten die Teilnehmenden mithilfe von Ratingskalen, wie sie die einzelnen Passagen erlebten – unter den Aspekten Schönheit, Anspannung, Energie, Wohlgefühl, Interesse und Empathie, Lächeln, Weinen oder Gänsehaut. Außerdem beschrieben sie, was manche Stellen für sie besonders machte – etwa ein plötzlicher Dynamikwechsel, ein markanter Akkord oder ein besonders eindringlicher gesanglicher Ausdruck. Diese vielfältigen Einschätzungen bildeten die Grundlage für sogenannte Clusteranalysen. Ziel dieser Auswertung war es, typische Muster im Erleben musikalischer Schönheit zu erkennen: Gibt es wiederkehrende Kombinationen von emotionalen Reaktionen, die sich körperlichen Reaktionsmustern zuordnen lassen? Und wenn ja – wie hängen sie mit musikalischen Merkmalen wie Tempo, Harmonik, Dichte oder Instrumentierung zusammen?

Schönheit im Kontext

Die Analyse ergab, dass sich das subjektive Erleben musikalischer Schönheit in drei Subtypen gliedern ließ: ruhige Ergriffenheit, freudige Erregung und gespannte Erwartung. Diese Subtypen unterschieden sich sowohl in den physiologischen Reaktionen – als auch in den musikalischen Merkmalen. „Oft lässt sich die Schönheit einer Stelle nur nachvollziehen, wenn man sie im Kontext hört – vor allem zu dem, was davor war“, so Wald-Fuhrmann. Erst im Unterschied zur vorangehenden musikalischen Bewegung entfalte sich ihre Wirkung. „Musik ist eine Zeitkunst, und jeder Moment lebt aus dem Bezug zu dem, was davor und danach kommt – das wurde in den Beschreibungen sehr deutlich.“ 

Zwar variierte die ausgewählte Musik stark, doch bestimmte Wirkprinzipien tauchten immer wieder auf. Ganz egal, ob es sich um einen Song von Whitney Houston wie I Will Always Love You handelte oder um eine Arie wie Nessun dorma aus Puccinis Turandot: Plötzliche Dynamikwechsel oder auffällige Akkorde wurden als besonders schön empfunden. Häufig wurden auch Stellen genannt, in denen nach einem längeren instrumentalen Vorspiel erstmals die Stimme einsetzte. Ein weiteres Kriterium für den Musikgenuss ist die Klangfarbe der Stimme. Muss sie glatt und gefällig sein – oder darf sie auch irritieren oder herausfordern? Beim diesjährigen Eurovision Song Contest 2025 gewann JJ mit dem Song Wasted Love für Österreich – ein Countertenor, dessen Stimmfarbe für viele Ohren ungewohnt war. Seine Stimme sorgte für Gesprächsstoff, wurde gefeiert, irritierte, bewegte. Und wirft die Frage auf: Was genau macht eine Stimme schön? Diese Frage stand im Zentrum einer weiteren Studie. Bisher dominierten Studien zur Attraktivität von gesprochenen Stimmen, etwa solche, die zeigen, dass tiefere Stimmlagen bei Männern und höhere bei Frauen  als angenehmer empfunden werden. Dagegen fehlte bislang systematische Forschung zur ästhetischen Wahrnehmung von Singstimmen. Genau hier setzt die Forschung von Camila Bruder an, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main. Gemeinsam mit Senior Researcher Pauline Larrouy-Maestri wollte sie herausfinden, was unsere Vorliebe für bestimmte Gesangsstimmen prägt: der objektiv messbare Klang – oder das, was wir subjektiv darin wahrnehmen? 

Klangfarbe ist nicht alles

Für das Experiment ließen die Forscherinnen 16 professionelle Sängerinnen zwei bekannte Melodien (Don’t Worry Be Happy und Over the Rainbow) insgesamt 96 Mal a cappella einsingen – ohne Text, nur auf dem Vokal „u“. Diese Aufnahmen wurden im Rahmen eines Online-Experiments zunächst 326 US-amerikanischen Teilnehmenden vorgespielt, die angaben, wie sehr ihnen jede Stimme gefiel – auf einer Skala von 1 („gar nicht“) bis 7 („sehr“). Bewertet wurde dabei nicht die gesangliche Leistung im engeren Sinn, sondern das subjektive Gefallen.

In einem zweiten Schritt wurden die Aufnahmen in einem Laborexperiment mit 42 deutschen Personen noch einmal untersucht – diesmal ergänzend zur Online-Bewertung durch eine detaillierte Analyse der akustischen Eigenschaften, etwa Tonhöhenpräzision, Vibrato oder wie gehaucht die Stimme klingt. Gleichzeitig wurde erfasst, wie die Stimmen subjektiv wahrgenommen wurden. Das Ergebnis: Die Vorlieben unterschieden sich stark von Person zu Person. Fast jede Stimme wurde von einigen geliebt, aber von anderen kaum geschätzt. Nur eine Sängerin schnitt bei nahezu allen Befragten gut ab.

Insgesamt zeigte sich: Rund 43 Prozent der Bewertungen ließen sich durch die subjektive Einschätzung stimmlicher Eigenschaften erklären – darunter Begriffe wie „exakt“, „hell“, „dunkel“, „schräg“ oder „übermäßig gehaucht“. Das heißt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschrieben, wie sie den Stimmklang wahrnahmen – unabhängig davon, ob sich diese Eindrücke auch objektiv messen ließen. Tatsächlich spielten objektive Merkmale wie der Frequenzverlauf – also wie exakt eine Sängerin die Tonhöhe hielt – oder die Lautstärke eine weit geringere Rolle. Entscheidend war vor allem, wie jemand eine Stimme interpretierte – nicht, was sie akustisch messbar leistete. Diese Dominanz subjektiver Wahrnehmung spiegelte sich auch in der großen Spannbreite individueller Urteile wider.

 Schönheit lag hier also nicht im Klang, sondern eindeutig im Ohr der Hörenden. Doch wie entsteht dieser persönliche Höreindruck? Warum berühren uns bestimmte Stimmen – oder Musik im Allgemeinen –, während sie bei anderen keinerlei Wirkung entfalten? Ist das alles nur Geschmackssache, eine Frage der kulturellen Bildung oder auch der genetischen Veranlagung?

Lässt sich unterschiedlicher Musikgeschmack genetisch erklären?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine aktuelle Studie zweier Max-Planck-Institute und des Karolinska Instituts in Stockholm. Das Forschungsteam um Giacomo Bignardi, Doktorand am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen, untersuchte gemeinsam mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik, warum Menschen Musik als belohnend erleben – und ob sich diese Unterschiede genetisch erklären lassen.

Dabei ging es nicht um ästhetische Urteile im engeren Sinn, sondern um das Konzept der „Music Reward Sensitivity“ – also darum, wie stark Menschen Musik als belohnend empfinden: Löst sie ein intensives Gefühl aus? Will man sich dazu bewegen? Fühlt man sich dadurch anderen näher? Diese drei Reaktionsweisen – emotional, körperlich und sozial – beschreiben unterschiedliche Arten, wie Musik unser Belohnungssystem im Gehirn ansprechen kann.

 „Wir wollten herausfinden, warum Musik für manche Menschen ein so intensives Erlebnis ist – und für andere kaum eine Rolle spielt“, sagt Giacomo Bignardi. Manche Menschen bekommen bei Musik Gänsehaut, weil ihr Gehirn besonders stark auf emotionale Reize reagiert. Andere spüren einen Bewegungsdrang, weil musikalische Rhythmen bei ihnen besonders leicht motorische Impulse auslösen. Wieder andere erleben Musik als soziale Brücke – sie fühlen sich durch bestimmte Lieder mit anderen Menschen oder Erinnerungen verbunden. „All diese Reaktionen entstehen durch unterschiedliche, teils angeborene Verschaltungen im Gehirn.“ Einige Menschen sprechen auf Musik jedoch kaum an. Wie kommt es dazu? Anhand der Daten von über 9000 Zwillingspaaren aus dem schwedischen „Twin Registry“ hat das internationale Forscherteam untersucht, ob sich bestimmte Reaktionen auf Musik genetisch erklären lassen. Der zentrale Befund: Etwa 54 Prozent der Unterschiede im Musikerleben – also wie stark Menschen auf Musik emotional, körperlich oder sozial reagieren – gehen auf genetische Einflüsse zurück. Nur der Rest lässt sich durch Umwelteinflüsse, Erziehung oder individuelle Erfahrungen erklären. Dabei sprechen die Forschenden von „genetischen Pfaden“, also von Wegen, über die unsere Gene bestimmte Hirnreaktionen beeinflussen können. Diese Pfade betreffen teilweise das Belohnungssystem im Gehirn – also jene Bereiche, die mit positiven Gefühlen und Motivation zu tun haben. „Es gibt also nicht das eine ‚Musikgen‘, sondern sehr viele, die dafür sorgen, dass wir uns darin unterscheiden, wie unser Gehirn auf musikalische Reize reagiert – ob wir eher emotional, körperlich oder sozial darauf ansprechen“, sagt Mitautorin Miriam Mosing vom Institut für empirische Ästhetik.

Das Schönheitserleben von Musik ist nicht beliebig

Gerade weil diese Reaktionen so verschieden ausfallen, könnte das auch erklären, warum die Schönheit von Musik so unterschiedlich erlebt wird: Was die eine Person tief berührt, bleibt für die andere bedeutungslos – nicht aus mangelndem Geschmack, sondern möglicherweise aufgrund genetischer Prädispositionen. Doch was heißt das für unser Verständnis von musikalischer Schönheit? Die Studien von Camila Bruder, Giacomo Bignardi und Melanie Wald-Fuhrmann zeigen: Das Schönheitserleben von Musik ist nicht beliebig – aber auch nicht einheitlich. Emotionale Reaktionen, Bewegung, soziale Resonanz, physiologische Reize und kulturelle Erwartungen greifen ineinander. 
Was jemand als schön empfindet, lässt sich nicht auf ein einziges Merkmal zurückführen – aber vielfach auf bestimmte Muster: Stimmen, die als besonders präzise oder resonant wahrgenommen werden, lösen häufiger positive Reaktionen aus. Bestimmte Hirnareale springen verlässlich an, wenn Musik berührt. Und sogar das Erbgut scheint mitzuentscheiden, ob jemand Musik als bedeutsam erlebt oder nicht. „Wir können die alte Frage, wo die Schönheit liegt - im Objekt, im Ohr oder im Auge des Rezipienten -, durch unsere Befunde neu oder eben differenzierter beantworten“, sagt Melanie Wald-Fuhrmann und betont zugleich: „Es ist nicht so, dass wir mit dieser Forschung das Rezept musikalischer Schönheit finden – und ich bin ehrlich gesagt ganz froh darüber.“

 So wird auch in Zukunft der nächste ESC-Hit, die große Opernarie oder das persönliche Lieblingsstück nicht aus der Berechnung der Komponierenden entstehen. Selbst wenn man heute viel über musikalische Muster, Vorlieben oder emotionale Reaktionen weiß – der Moment, in dem Musik wirklich berührt, entzieht sich letztlich der Kontrolle. Er entsteht irgendwo zwischen Komposition und Hörerlebnis, zwischen Intention und Interpretation. Oder, wie Melanie Wald-Fuhrmann es formuliert: „Schönheit ist ein Erleben – und nicht primär eine Eigenschaft.“
 

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