Forschungsbericht 2024 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Einfache Diagnostik für Volkskrankheiten
Simple diagnostics for common diseases
Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching
Etwa 9 % der Erwachsenen in Deutschland dürften dem Robert-Koch-Institut (RKI) zufolge an der Zuckerkrankheit leiden, genauer gesagt an einem Typ-2-Diabetes, der vor allem bei Menschen über 40 auftritt. Doch nur bei gut 7 % wurde die Erkrankung auch diagnostiziert. Etwa 1,3 Millionen Menschen wissen also nicht, dass sie eine Diabetes-Erkrankung haben, was ihr Risiko unter anderem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöht. Noch mehr Menschen in Deutschland ist nicht bekannt, dass sie an Bluthochdruck leiden und damit ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt tragen. Im Jahr 2014/15 wussten nach einer Studie des RKI gut 30 % der Erwachsenen, also etwa 22 Millionen Menschen, dass sie an der Erkrankung leiden. Doch rund fünf Millionen Personen leiden an unerkanntem Bluthochdruck. Routinemäßige Screenings der Bevölkerung könnten demnach Millionen Menschen vor den Folgen von Diabetes oder Bluthochdruck bewahren. Unsere neue Methode würde solche bevölkerungsweiten Untersuchungen künftig erheblich vereinfachen.
In Zusammenarbeit mit Forscherinnen und Forschern der Ludwig-Maximilians-Universität und den Helmholtz Zentrum Münchens haben wir im Labor für Attosekundenphysik am Max-Planck-Institut in Garching eine Methode entwickelt, um die biochemischen Veränderungen im Blutplasma, die mit den verschiedenen Krankheiten einhergehen, über eine Messung mit einem Infrarotlicht nachzuweisen (Abb. 1) [1]. Denn Moleküle, die für eine Krankheit typisch sind – sogenannte Biomarker – verändern das Infrarotspektrum des Blutplasmas auf charakteristische Weise [2]. Daraus ergeben sich molekulare Fingerabdrücke der Erkrankungen sowie ihrer unterschiedlichen Kombinationen, und zwar mit einer einzigen Messung für Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte und Prädiabetes.
Um die Veränderungen im Gesundheitszustand eines Menschen identifizieren zu können, trainierte das Team einen Algorithmus des maschinellen Lernens darauf, die entsprechenden Infrarot-Fingerabdrücke zu erkennen [3]. So können sie auch das metabolische Syndrom beziehungsweise dessen Vorstufe diagnostizieren. Das metabolische Syndrom umfasst mehrere Veränderungen des Gesundheitszustands, von denen eine Person mindestens drei aufweisen muss: Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, einen erniedrigten HDL-Cholesterinspiegel, eine erhöhte Menge an Bauchfett und eine Insulinresistenz, die auf einen sich entwickelnden Diabetes hinweist. Menschen mit dem metabolischen Syndrom haben ein erhöhtes Risiko, etwa an Herzkreislauferkrankungen und Darm- oder Leberkrebs zu erkranken.
Diagnostik mit hoher Genauigkeit
In einer Studie mit rund 5200 Blutproben von knapp 3200 Probandinnen und Probanden haben wir untersucht, wie zuverlässig unsere Methode die verschiedenen Krankheiten nachweisen kann. Zu diesem Zweck analysierten wir Blutplasma der Teilnehmenden nicht nur mit Infrarotlicht, sondern die Teilnehmenden auch mit der aktuellen Standarddiagnostik für jede der Krankheiten, um dann die Ergebnisse zu vergleichen. Diese zeigten, dass sich ein Typ-2-Diabetes und erhöhte Blutfettwerte anhand des Infrarot-Fingerabdrucks mit rund 95-prozentiger Genauigkeit identifizieren lassen. Das metabolische Syndrom erkannte die Methode mit fast 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Für Bluthochdruck und Prädiabetes liegt die Sensitivität immerhin bei gut 75 %. Für die medizinische Praxis sollte diese Quote möglichst über 75 % liegen.
Insgesamt nahmen gut 3000 Menschen an der Studie teil. Von ihnen untersuchten wir zwei Proben jeweils im Abstand von sechs bis sieben Jahren. Mehr als 200 von den Probandinnen und Probanden entwickelten in der Zwischenzeit ein metabolisches Syndrom. Das konnten wir nutzen, um unseren Algorithmus darauf zu trainieren, anhand einer Blutprobe das Aufkommen des metabolischen Syndroms in den darauffolgenden sechseinhalb Jahren vorherzusagen. Tatsächlich gelang dies dem Algorithmus mit einer Trefferquote von 77 %. Veröffentlicht haben wir die Ergebnisse dann in der Fachzeitschrift Cell Reports Medicine.
Ein Infrarotfingerabdruck der Gesundheit
Aus medizinischer Sicht ist dazu noch ein weiteres Ergebnis der aktuellen Studie relevant: Unser Algorithmus erkennt anhand einer einzigen Infrarotmessung auch, ob eine Person eine der von uns untersuchten Erkrankungen nicht hat, also in dieser Hinsicht gesund ist. Viele herkömmliche diagnostische Methoden erzielen hier oft falsche Ergebnisse, weil die Werte, die auf eine Krankheit hindeuten, häufig auf Messungen einzelner Moleküle oder einzelner Biomarker basieren. In einer früheren Studie hatte unser Team bereits zeigen können, dass sich Lungen-, Brust-, Prostata- und Blasenkrebs mit ihrem jeweiligen Infrarot-Fingerabdruck und maschinellem Lernen genauso treffsicher [4], aber einfacher und kostengünstiger nachweisen lassen als mit herkömmlichen Diagnostiken.
Damit unsere Methode den Weg in die klinische Anwendung findet, sind einerseits noch weitere Studien unabhängiger Forschungsgruppen erforderlich. Andererseits braucht es auch einen Industriepartner, der ein praxistaugliches Gerät entwickelt und nach den strengen Kriterien für Medizinprodukte zertifizieren lässt. Wir sind aber überzeugt, dass wir die Diagnose vieler Krankheiten mit einem Infrarot-Fingerabdruck deutlich vereinfachen können. In der Medizin gibt es großes Interesse an einfachen Diagnostiken für umfassende Screenings. Jetzt muss sich unsere Methode nur noch im Gesundheitswesen etablieren.












