„Eine ruhige Nacht“

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine pflegt das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) enge Verbindung zu den Kolleginnen und Kollegen am Kharkiv Institute of Physics and Technology (KIPT). Die Solidarität gilt dabei insbesondere dem Team des dortigen Fusionsexperiments Uragan, das auch unter widrigsten Bedingungen weitergeführt wird – mit beeindruckender Professionalität und Engagement.

Ein zentrales Bindeglied zwischen den Institutionen ist Valerii, ein Forscher aus Charkiw, der regelmäßig aus der Ukraine berichtet. Meist sind es kurze Nachrichten – ein „Alles okay!“ genügt oft, um zu signalisieren: Die Unterstützung aus Deutschland kommt an. Und sie bedeutet viel. „Der größte Segen ist zu wissen: Wir sind den Leuten außerhalb der Ukraine nicht egal. Es gibt Menschen, die an uns denken“, schreibt Valerii.

Es waren die Winter – nun schon der dritte in Folge –, der das Team vor große Herausforderungen stellte und die Umstände der Forschung diktierte. Denn ohne funktionierende Heizung drohten die Kühlsysteme des Stellarators Uragan einzufrieren. Im vergangenen Winter mussten alle wasserführenden Systeme aufwendig winterfest gemacht werden, nachdem das Gebäude schwer beschädigt wurde. Im Frühjahr 2025 gelingt es dem Team trotz allem ein Programm zur Wandkonditionierung mit Glimmentladungen auf die Beine zu stellen – möglich wurde dies nur durch den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten.

Der Forschungsalltag findet unter schwierigsten Bedingungen statt. Valerii berichtet von täglichen Bombardierungen in der Region Charkiw – und gleichzeitig von einem neu in Betrieb genommenen Massenspektrometer, für das unter großem Aufwand flüssiger Stickstoff beschafft wurde. Die Arbeit an Uragan geht weiter.

Austausch in Greifswald 

Auch persönliche Begegnungen spielen eine Rolle. Am Campus Greifswald ist Yurii zu Gast. Er nimmt an Experimenten am Fusionsreaktor Wendelstein 7-X teil und steht gleichzeitig mit seinem Team in Charkiw in engem Austausch. Trotz seines Reservistenstatus‘ gelingt es ihm, das Land zu verlassen – keine Selbstverständlichkeit. Die Experimente werden in der Ukraine ausgewertet, und kürzlich erschien eine Publikation im Fachjournal Nuclear Fusion. Yurii wurde zudem vom American Institute of Physics zu einem Webinar eingeladen – ein Zeichen internationaler Anerkennung trotz widriger Umstände.

Ein Foto, das Yurii zeigt, bleibt besonders im Gedächtnis: Sechs Personen blicken ernst in die Kamera, Spuren von Anstrengung im Gesicht, aber auch Mut und Zuversicht. Die Szene erinnert an Bergleute vergangener Generationen – harte Arbeit, Gemeinschaft, Verantwortung füreinander. Müdigkeit ist zu sehen, aber keine Resignation (siehe linkes Bild).

Es geht stets weiter – allen Widrigkeiten zum Trotz 

Die Schäden am Institut in Charkiw nehmen weiter zu. Ein benachbartes Gebäude wurde kürzlich bei einem Angriff getroffen. Fenster und Türen fehlen, Sperrholzplatten ersetzen Glas. .„Die Front ist keine 25 Kilometer entfernt“, sagt Yurii und zeigt auf einen Laptop. Neben den Experimentdaten läuft ein Echtzeit-Feed über die militärische Lage in der Region. Kolleginnen und Kollegen verfolgen, welche Dörfer gerade unter Beschuss stehen. Einer zeigt auf eine Stelle auf der Karte: Dort, sagt er, lag früher sein Garten. Heute ist das Gelände unzugänglich.

Und dennoch: Die Arbeit geht weiter. „Wir sehen in die Zukunft und machen Pläne“, sagt Yurii. „Wir tun, was wir können. Die meisten von uns haben nur einen Wunsch: Dass es bald vorbei ist.“

Der Abendgruß in der Ukraine lautet derzeit oft: „Ich wünsche Dir eine ruhige und stille Nacht.“ – ein Satz, der heute mehr wiegt als je zuvor und wie ein jahreslanger Weihnachtsgruß nachhallt.

Unterstützung für Charkiw

Am Max-Planck-Institut hat sich seit Kriegsbeginn eine private Unterstützungsinitiative gebildet. Über 30 Personen aus der Max-Planck-Gesellschaft und der internationalen Fusionscommunity ermöglichen es, 13 Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine regelmäßig zu unterstützen. Wer helfen möchte oder Interesse an der Gründung eines gemeinnützigen Vereins („Friends of KIPT“) hat, um auch langfristig Unterstützung und Wiederaufbau zu ermöglichen, kann sich bei Andreas Dinklage () melden.

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