Magnetfeld der Sonne im Ausnahmezustand

Erster Blick einer Raumsonde auf den Südpol der Sonne zeigt, wie sich das Sonnenmagnetfeld umpolt, während sie sich im Aktivitätsmaximum befindet

Auf den Punkt gebracht

  • Sonnenaktivität: Die Raumsonde Solar Orbiter hat im März 2025 erstmals die Pole der Sonne beobachtet und zwar während ihres Aktivitätsmaximums. 

  • Zyklische Veränderungen: Die Sonnenaktivität folgt einem etwa elfjährigen Zyklus, in dem sich das Magnetfeld der Sonne umpolt und intensivere Strahlungs- und Teilchenausbrüche auftreten.

  • Forschungsinteresse: Die Pole der Sonne sind für Forschende von besonderem Interesse, da sie entscheidende Hinweise auf den Aktivitätszyklus der Sonne liefern könnten.

So gut wie alle Raumsonden, die die Sonne aus dem Weltall erforschen, blicken aus der Ekliptik auf unseren Stern. Diese Ebene ist diejenige, in der die Planeten um die Sonne kreisen, und sie ist leicht gegen den Sonnenäquator geneigt. Der Winkel von etwa sieben Grad reicht jedoch nicht aus, um einen klaren Blick auf die Pole unseres Sterns zu ermöglichen. Sonnenteleskope auf der Erde haben naturgemäß dieselbe eingeschränkte Perspektive. Allein Ulysses, eine gemeinsame Mission der europäischen und amerikanischen Weltraumagenturen Esa und Nasa, überflog in den Jahren zwischen 1990 und 2009 mehrfach die Sonnenpole, allerdings aus deutlich größerem Abstand als Solar Orbiter und ohne bildgebende Instrumente an Bord. Für Forschende sind die Pole der Sonne von besonderem Interesse, da die Vorgänge dort eine entscheidende Rolle im Aktivitätszyklus der Sonne spielen könnten.

Die „innere Uhr“ der Sonne

Die Sonne unterliegt einem etwa elfjährigen Rhythmus. Ungefähr alle elf Jahre durchläuft sie ihr Aktivitätsmaximum und zeigt dann, wie in den vergangenen Monaten, ein besonders hohes Maß an Aktivität. In dieser Zeit kommt es häufig zu heftigen Strahlungs- und Teilchenausbrüchen, die in den Jahren 2024 und 2025 eindrucksvolle Polarlichter ausgelöst haben, die selbst in Mittel- und Südeuropa sichtbar waren. Zudem zeigen sich auf der sichtbaren Oberfläche der Sonne in dieser Zeit viele dunkle Sonnenflecken, Gebiete mit besonders hoher Magnetfeldstärke. Zwischen den Aktivitätsmaxima kommt die Sonne zur Ruhe: Eruptionen treten kaum auf, und Sonnenflecken bleiben oftmals über mehrere Monate hinweg vollständig aus. Die Grundlage des Sonnenzyklus, die innere Uhr unseres Sterns, ist noch nicht vollständig verstanden. Forschende vermuten, dass das entscheidende Puzzlestück zu einem tieferen Verständnis an den Polen zu finden ist. Dieses Puzzlestück zu identifizieren, ist eines der wichtigsten Missionsziele von Solar Orbiter.

Zu diesem Zweck nutzte der Sonnenspäher den Schwung vom Vorbeiflug an der Venus am 18. Februar 2025, um die Ekliptik zu verlassen. Etwa einen Monat später, am 22. März, blickte die Sonde erstmals aus einem Winkel von 17 Grad auf die Sonne. „Wir wussten nicht genau, was wir von diesen ersten Beobachtungen erwarten sollten. Die Pole der Sonne sind buchstäblich terra incognita“, sagt Sami Solanki, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen und Leiter des Teams um Solar Orbiters Instrument Polarimetric and Helioseismic Imager.

Ein Blick auf Oberfläche, Magnetfeld und Korona

Die Aufnahmen entstanden am 16. und 17. März 2025, wenige Tage vor Erreichen der höchsten Auslenkung aus der Ekliptik, aus einem Winkel von 15 Grad. Neben dem Polarimetric and Helioseismic Imager (PHI) erfassten auch die Instrumente Extreme-Ultraviolet Imager (EUI) und Spectral Imaging of the Coronal Environment (Spice) einzigartige Aufnahmen. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung hat Teilinstrumente und Hardware-Komponenten zu EUI und Spice beigetragen; das Doppelteleskop des Polarimetric and Helioseismic Imagers wurde unter Leitung des Max-Planck-Instituts entwickelt. Während dieses Instrument das sichtbare Licht der Sonne einfängt und so die Oberfläche der Sonne und ihr Magnetfeld abbildet, analysieren EUI und Spice die höherliegenden Schichten der Sonne bis zur heißen Sonnenkorona. Die Aufnahmen dieser Instrumente können dazu beitragen, zu verstehen, wie es der Sonne gelingt, die Teilchen des Sonnenwindes ins All zu schleudern.

Der Polarimetric and Helioseismic Imager zeigt das Magnetfeld am Südpol im Ausnahmezustand. Generell ist das Magnetfeld der Sonne deutlich komplexer aufgebaut als das der Erde. Viele kleine, veränderliche und hochkomplexe magnetische Strukturen, die im Zusammenhang mit Sonnenflecken oder an den Polen auftreten, erzeugen das großräumige, globale Magnetfeld der Sonne. Während eines großen Teils des Sonnenzyklus, in dem die Sonne nicht besonders aktiv ist, ähnelt es dem eines Stabmagneten, wobei die Pole der Sonne in etwa den magnetischen Polen entsprechen. Das globale Magnetfeld polt sich während des Aktivitätsmaximums der Sonne, also etwa alle elf Jahre, um. In der Übergangszeit zwischen den geordneten Zuständen eines magnetischen Dipols, wickelt sich das Sonnenmagnetfeld durch die Rotation der Sonne auf, als hätte man ein Goldfischglas umgerührt. Dabei entsteht ein chaotisches Magnetfeld, bei dem sich Feldlinien teils überkreuzen. Die Folge sind magnetische Kurzschlüsse und Strahlungsausbrüche. Die kleinen magnetischen Strukturen an den Polen spielen in dieser Übergangszeit eine wichtige Rolle.

Sonnenmagnetfeld im Umsturz

Forschende erwarten also, dass sich das Magnetfeld an den Polen im Verlauf des Sonnenzyklus stark verändert. Während im Aktivitätsminimum vornehmlich eine magnetische Polarität vorherrscht, sollte das Magnetfeld im Maximum deutlich komplexer sein. Dies bestätigen die aktuellen Messungen. Am Südpol zeigen die Aufnahmen des Polarimetric and Helioseismic Imagers ein unübersichtliches Nebeneinander kleiner Gebiete unterschiedlicher Polarität.

„Solar Orbiter hat seine neue Beobachtungsposition genau zur richtigen Zeit eingenommen“, sagt Johann Hirzberger, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und Operations Scientist des Instruments. „Der Polarimetric and Helioseismic Imager konnte das Magnetfeld am Südpol in einem Schlüsselmoment abbilden“. Das Team ist nun gespannt darauf, in den nächsten Monaten und Jahren zu verfolgen, wie sich das polare Magnetfeld umstrukturiert. Aktuelle Prognosen deuten darauf hin, dass die Aktivität der Sonne bis dahin auf insgesamt hohem Niveau leicht abnimmt. Bis Ende 2026 wird Solar Orbiter den Nord- und Südpol der Sonne noch dreimal aus einem Winkel von 17 Grad betrachten können. Ein weiterer Venus-Vorbeiflug am 24. Dezember 2026 wird die Bahn der Sonde weiter neigen, sodass ein Winkel von 23 Grad erreicht wird. Dies wird die Sicht auf die Pole weiter verbessern.

BK/BEU


Hintergrundinformationen und FAQ

Wie verändert sich die Sonnenaktivität?

Die Sonne verändert ihre Aktivität durchschnittlich in einem 11-Jahres Zyklus. Auf ein Maximum folgt in 9 bis 13 Jahren ein weiteres Maximum. Ein Maß für eine erhöhte Sonnenaktivität sind dabei die Sonnenflecken: Zählt man sie und trägt die Anzahl über die Zeit auf, ergibt sich ein ganz ähnlicher, zyklischer Verlauf wie bei der Strahlungsintensität der Sonne.

Was ist die Ursache für den 11-Jahres Zyklus?

Der Zyklus hat direkt etwas mit dem sich ständig verändernden Magnetfeld der Sonne zu tun. Dieses hat, ähnlich wie die Erde, eine dipolartige Struktur und entsteht durch die Ströme des heißen Plasmas, die im Inneren der Sonne auf und absteigen und sich wie ein Dynamo mit der Rotation der Sonne im Kreis drehen. Alle 9 bis 13 Jahre polt sich dieses Feld vollständig um. 

Warum sich das Magnetfeld umpolt, ist nicht abschließend geklärt. Plausibel aber erscheint dieses Szenario: Die geladenen Teilchen im Sonnenplasma und das Magnetfeld der Sonne können sich nicht gegeneinander bewegen. „Das Plasma ist im Magnetfeld eingefroren“, so beschreibt es Sami Solanki. Die Sonne ist kein starrer Körper, sondern ein Gasball, der durch seine eigene Schwerkraft zusammenhält. Hier rotiert der Äquator schneller um die Sonnenachse als die Polregionen. „Diese differentielle Rotation führt dazu, dass sich das ursprünglich dipolartige Magnetfeld aufgewickelt“, so Solanki weiter. Das Magnetfeld der Sonne verwandelt sich so in fünf bis sechs Jahren von einem Dipol in ein sogenanntes toroidal-dominiertes Magnetfeld. Beim weiteren Umschwenken hin zu einem Dipolfeld umgekehrter Polarität, könnte laut Solanki die Corioliskraft eine Rolle spielen.

Das Aktivitätsmaximum der Sonne fällt genau in den Zeitraum, in dem sich ihr Magnetfeld aufwickelt. Diese Umbruchphase ist gezeichnet durch turbulente Feldkomponenten und sich dynamisch überlagernde Feldlinien. Wenn sich diese einschnüren, entstehen magnetische Kurzschlüsse. Dabei wird so viel Energie freigesetzt, dass das Plasma mit samt des abgeschnürten Magnetfelds ins Weltall spratzt.

Verändert sich auch die Wärmeeinstrahlung der Sonne im 11-Jahres Zyklus?

Ja, aber nur wenig im Vergleich zur menschengemachten Erderhitzung. Ohne das wärmende Licht der Sonne, wäre es auf der Erde mit etwa -19 Grad Celsius sehr kalt. Der natürliche Treibhauseffekt speichert dabei insbesondere den wärmenden Infrarotanteil des Sonnenspektrums unter der Glocke der Atmosphäre. Der von der Internationalen Astronomischen Union festgelegte Richtwert für die pro Quadratmeter eingebrachte Sonnenleistung beträgt aktuell 1361 Watt pro Quadratmeter. Auch dieser Wert unterliegt dem 11-Jahres-Zyklus. Er schwankt aber nur um etwa ein Watt pro Quadratmeter zwischen maximaler und minimaler Sonnenaktivität. Unter dem Strich heizt sich die Erde dadurch weder dauerhaft auf noch kühlt sie sich dauerhaft ab.

Dem gegenüber steht der menschengemachte Treibhauseffekt, hervorgerufen etwa durch CO2 oder Methan (CH4). Alle menschengemachten Treibhausgase zusammen heizen die Erde um ganze drei Watt pro Quadratmeter auf. Und da die Treibhausgase nicht rückläufig sind (im Gegenteil), bedeutet das eine kontinuierliche Aufheizung. Die 11-Jahres Schwankung der Sonnenaktivität spielt bei der Klimaerwärmung also keine Rolle. Bemerkenswert ist die kurze Zeitskala innerhalb der die Energiebilanz der Erde durch den Menschen verändert wurde.

Über die Mission

Die Raumsonde Solar Orbiter, ein gemeinsames Projekt der europäischen Weltraumagentur Esa und der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, startete im Februar 2020 ins All. Seitdem steuert die Sonde auf langgestreckten Ellipsen um die Sonne und erreicht etwa zweimal im Jahr ihren sonnennächsten Punkt. In diesem Punkt beträgt der Abstand zwischen Solar Orbiter und unserem Stern etwa 42 Millionen Kilometer. Das ist etwas weniger als ein Drittel des Abstandes zwischen Erde und Sonne. In den vergangenen Jahren sind aus dieser Position einzigartige Messungen und hochauflösende Aufnahmen, unter anderem der Sonnenkorona, entstanden. In etwa zwei Jahren soll sich die Flugbahn der Sonde weiter gegen die Ekliptik neigen und bis zum Ende der Mission schließlich einen Winkel von 33 Grad erreichen.

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