Sozialer Einfluss bestimmt Haltungen zugunsten von FGMC, nicht Normen
Analyse sozialer Netzwerke in Arsi-Oromo-Gemeinden liefert Erkenntnisse für neue Strategien zur Abschaffung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGMC)

Auf den Punkt gebracht
- Verbreitung durch sozialen Einfluss: In ländlichen Gebieten Äthiopiens verbreiten sich positive Einstellungen zur weiblichen Genitalverstümmelung (FGMC) eher durch sozialen Einfluss und alltägliche soziale Kontakte als durch weit verbreitete Normen oder selektive Beratungsnetzwerke.
- Unterschiedliche Einstellungen erfordern einen maßgeschneiderten Ansatz: Daten von über 5.000 erwachsenen Arsi Oromo zeigen, dass die meisten Menschen in ihrer Gemeinschaft nur wenig Unterstützung für FGMC erwarten. Interventionsstrategien sollten diese Meinungsvielfalt und Netzwerkstruktur berücksichtigen.
- Überdenken der Interventionsstrategien: Die Ergebnisse stellen den traditionellen Ansatz infrage, FGMC durch öffentliche Erklärungen zu beseitigen. Stattdessen werden Interventionen gefordert, die sich mit den subtilen Wegen befassen, auf denen Einstellungen geteilt und verbreitet werden.
Eine neue Studie von Forschenden der University of Bristol, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der Addis Ababa University, der University of Groningen und der University of Montpellier, die unter agro-pastoralen Gemeinschaften der Arsi Oromo in ländlichen Gebieten Äthiopiens durchgeführt wurde, gibt Aufschluss darüber, warum die weibliche Genitalverstümmelung/Beschneidung (FGMC) in einigen Teilen des Landes trotz gesetzlicher Verbote und abnehmender gesellschaftlicher Unterstützung weiterhin praktiziert wird. Die Analyse basiert auf Umfragen und Daten aus sozialen Netzwerken von 5.163 Erwachsenen in neun Kebele-Zonen und deckt die verborgenen Dynamiken auf, die eine positive Einstellung gegenüber FGMC aufrechterhalten.
Sarah Myers, Erstautorin der Studie und Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sowie an der University of Bristol in Großbritannien, erklärt: „Wir haben festgestellt, dass eine positive Einstellung gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung (FGMC) überraschend selten ist und offenbar nicht durch die weit verbreitete Überzeugung gestützt wird, dass die Mehrheit diese Praxis befürwortet. Stattdessen verbreiten sich diese Einstellungen vor allem über alltägliche soziale Interaktionen wie Gespräche, Netzwerke des Respekts und praktische Unterstützung – beispielsweise in Form von Geldleihen – und weniger über gemeinsame religiöse oder auf die Ehe ausgerichtete Beratungsnetzwerke. Das Forschungsteam ermittelte vier Arten sozialer Beziehungen und fand heraus, dass der Einfluss sowohl von Familienmitgliedern als auch von anderen Personen ausgehen kann.“
Tägliche Interaktionen prägen Haltungen
Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass die meisten Befragten – unabhängig von ihrer eigenen Haltung zu weiblicher Genitalverstümmelung/Beschneidung – der Meinung sind, dass nur wenige oder gar keine ihrer Nachbarn diese Praxis gutheißen. Selbst diejenigen, die FGMC befürworten, sehen sich in der Regel als Teil einer kleinen Minderheit. Mhairi Gibson, Professorin an der University of Bristol, erklärt: „Dies untergräbt gängige Theorien, nach denen FGMC eine tief verwurzelte soziale Norm ist, und stellt die Wirksamkeit von Maßnahmen in Frage, die von einer einheitlichen Unterstützung durch die Gemeinschaft ausgehen oder sich auf öffentliche Bekenntnisse zur gemeinsamen Abschaffung dieser Praxis stützen.“
Die Auswirkungen auf die Politik und die Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sind tiefgreifend. Herkömmliche Kampagnen, die darauf abzielen, gesamtgesellschaftliche Wendepunkte herbeizuführen oder öffentliche Abkehrzeremonien zu veranstalten, sind in Gebieten mit vielfältigen Haltungen und einem über die gängigen sozialen Netzwerke verteilten sozialen Einfluss möglicherweise weniger wirksam. Die Forschenden empfehlen daher Strategien, die Frauen und Mädchen durch bessere Bildungs- und Berufschancen stärken, sowie den kostengünstigen Einsatz von „Edutainment“, beispielsweise in Form von Radio- oder Fernsehserien, um die Wahrnehmung großflächig zu verändern. Das Autorenteam warnt jedoch: „Es gibt keine einheitliche Lösung. Erfolgreiche Maßnahmen müssen sich an den lokalen Gegebenheiten und den spezifischen Wegen orientieren, über die sich Einstellungen verbreiten.“
Da FGMC weltweit immer noch mehr als 200 Millionen Frauen und Mädchen betrifft, ist es von entscheidender Bedeutung, die vielschichtigen sozialen Prozesse zu verstehen, die dabei eine Rolle spielen. Nur so können wir das Ziel der Vereinten Nationen erreichen, diese Praxis bis 2030 zu beenden. Durch die Infragestellung lang gehegter Annahmen und die Förderung evidenzbasierter, kontextsensitiver Maßnahmen gibt diese Studie Gemeinschaften, die sich für die Abschaffung von FGMC einsetzen, neue Hoffnung.