Nervenfasern für Sprache beim Schimpansen entdeckt
Die Architektur für komplexe Kommunikation existierte bereits beim gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen

Auf den Punkt gebracht
- Sprachliche Verbindung: Forscher haben im Gehirn von Schimpansen eine neuronale Verbindung entdeckt, die mit Sprache in Zusammenhang steht und bisher als einzigartig für den Menschen galt.
- Fasciculus arcuatus: Der Fasciculus arcuatus verbindet Sprachareale im Gehirn; diese Verbindung besteht auch bei Schimpansen, ist jedoch schwächer ausgeprägt als beim Menschen.
- Evolutionäre Erkenntnis: Die Studie legt nahe, dass die Architektur für komplexe Kommunikation bereits vor etwa sieben Millionen Jahren bei den gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen vorhanden war.
Der Fasciculus arcuatus verbindet beim Menschen die Sprachareale und weist nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Schimpansen eine Verbindung zum mittleren Schläfenlappen auf. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die für Sprache entscheidende neuronale Architektur beim Menschen nicht völlig neu entstanden ist“, erklärt Erstautor Yannick Becker. „Sie hat sich wahrscheinlich aus einer evolutionär älteren, bereits vorhandenen Struktur weiterentwickelt. Die Verbindung ist bei Schimpansen viel schwächer ausgeprägt als beim Menschen und erlaubt möglicherweise deshalb nicht die komplexe menschliche Sprache.“
Für ihre Studie konnten die Forschenden auch Gehirne von wildlebenden Schimpansen aus dem Urwald, die auf natürliche Weise gestorben waren, mit hochauflösender Magnetresonanztomografie untersuchen. „Mit bisher unerreichter Präzision konnten wir so den detaillierten Verlauf der Nervenfasern zwischen den verschiedenen Hirnarealen sichtbar machen“, beschreibt Alfred Anwander, Letztautor der Studie, die Methode. Dabei zeigte sich, dass in allen der zwanzig untersuchten Schimpansen-Gehirnen eine solche Nervenfaserbündel-Verbindung zum mittleren Schläfenlappen nachweisbar war – ein Merkmal, das bislang als ausschließlich menschlich galt.
Alte evolutionäre Wurzeln

Wie die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben, ist es wahrscheinlich, dass diese neuronale Architektur, die eine komplexe Kommunikation unterstützt, bereits beim letzten gemeinsamen Vorfahren der Menschen und der Schimpansen vor sieben Millionen Jahren vorhanden war und die Evolution der Sprache beim Menschen erst ermöglichte. Da das Gehirn des gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen aber nicht erhalten ist, kann die evolutionäre Entwicklung der Grundlage unserer Sprache also nur im Vergleich mit unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, aufgeklärt werden.
„Bisher ging man davon aus, dass die anatomischen Strukturen der Sprache erst beim Menschen entstanden sind. Unsere Ergebnisse verändern nun das Verständnis der evolutionären Entwicklung von Sprache und Kognition insgesamt“, erklärt Angela D. Friederici, Mitautorin der Studie und Direktorin der Abteilung Neuropsychologie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften.
„In unserem internationalen Konsortium mit Partnern aus afrikanischen Wildreservaten und Auffangstationen sowie europäischen Zoos können wir künftig die zur Lebenszeit erhobenen Verhaltensdaten von Menschenaffen mit den von uns gesammelten Gehirndaten verknüpfen“, betont Yannick Becker. Auf diese Weise können die neuronalen Grundlagen der kognitiven Fähigkeiten von Menschenaffen genauer erforscht werden.