Forschungsbericht 2024 - Assoziierte Einrichtung - Ernst Strüngmann Institute (ESI) for Neuroscience
Kartierung des entorhinal-hippocampalen neuronalen Netzwerks
Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler erforschen seit Jahrzehnten die Repräsentation des Raums im Gehirn. Dabei haben sie eine Vielzahl von Zelltypen mit verschiedenen Navigationsmerkmalen entdeckt. Die bekanntesten dieser Zelltypen in Säugetiergehirnen sind zum einen ortsmodulierte Hippocampus-Neuronen, die nur aktiv sind, wenn sich ein Tier an einem bestimmten Ort im Raum befindet, und die man daher als Ortszellen bezeichnet [1]. Zweitens sind es die Neurone des medialen entorhinalen Kortex. Da sie mit einem periodischen Aktivitätsmuster reagieren, wenn sich ein Tier durch seine Umgebung bewegt, werden sie Gitterzellen genannt [2].
Anatomisch wurden diese beiden Hirnregionen (Hippocampus und entorhinaler Kortex) als stark miteinander verbunden beschrieben, so dass es plausibel ist, direkte synaptische Wechselwirkungen zwischen Orts- und Gitterzellen zu erwarten. Trotz umfangreicher anatomischer und funktioneller Experimente sind jedoch die Daten zur genauen Verschaltung zwischen den Zelltypen, ihrer gegenseitigen Beeinflussung und dem Beitrag hemmender Schaltkreise unzureichend und zum Teil sogar widersprüchlich. Der Hauptgrund dafür ist, dass neuronale Schaltkreise bisher nur durch massive Mittelung untersucht werden konnten, und zwar Mittelung über Individuen und Mittelung über viele Neuronen. Die resultierenden Verbindungen repräsentieren also nur eine grobe Karte und verschleiern eine mögliche Spezifität der Verschaltung. Mit einem solchen verschwommenen Bild neuronaler Verschaltung lassen sich mechanistische Modelle der Navigation nicht direkt testen.
Meine Forschungsgruppe hat daher das Ziel, den vollständigen entorhinal-hippocampalen Schaltkreis in einer vorher nicht dagewesenen Auflösung zu erfassen und auf der Ebene der einzelnen Neuronen und ihrer Verbindungen (Synapsen) zu analysieren. Um dies zu erreichen, setzen wir modernste dreidimensionale Elektronenmikroskopie und KI-basierte Analysetechnologie ein. Diese präzise Kartierung aller Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen allen beteiligten Neuronen an ihren chemischen Synapsen, das entorhinal-hippocampale Konnektom, wird es uns erstmals erlauben, lang bestehende Hypothesen über die räumliche Navigation bei Säugetieren zu testen, und manche zu widerlegen.
Da die hochaufgelösten elektronenmikroskopischen Bildgebungsverfahren nur ein begrenztes Volumen erfassen können, konzentrieren wir uns hauptsächlich auf das Gehirn der Etruskerspitzmaus [3]. Das Gehirn dieses kleinsten Landsäugetieres ist etwa siebenmal kleiner als das der Labormaus [4]. Das minimale Volumen, das erforderlich ist, um das entorhinal-hippocampale Netzwerk in der Etruskerspitzmaus zu erfassen, liegt bei 1,5 mm mal 2 mm mal 0,5 - 0,8 mm (etwas weniger als eine Gehirnhälfte). Eine Tiefe von 0,5 - 0,8 mm entspricht etwa 14.300-22.800 kontinuierlich geschnittenen ultradünnen Hirnschnitten mit einer Dicke von jeweils 35 nm. Dies ist eine außergewöhnliche Anzahl aufeinanderfolgender Schnitte, für die die Methodik der Hirnschnittpräparation optimal abgestimmt sein muss. Zum Glück ermöglichen die großen Investitionen in methodische Entwicklungen auf diesem Gebiet die Erfassung solcher kleinsten Volumina.
Da die meisten Verhaltensexperimente zur räumlichen Navigation in Maus und Ratte durchgeführt werden, und auch um unsere Ergebnisse im evolutionären Kontext interpretieren zu können, analysieren wir Teile dieses Schaltkreises Schritt für Schritt in der Labormaus. Wir haben bereits mehrere Datensätze der hippocampalen Struktur aufgenommen, die wir derzeit analysieren. Eine erste Konnektivitätsanalyse der Region CA3 des Hippokampus ergab eine 10-fach höhere Konnektivität zwischen den erregenden Zellen als vorher angenommen [5].
Unser Forschungsprojekt wird also eine detaillierte Schaltkreiskarte des Navigationssystems bei Säugetieren liefern, durch die wir zum ersten Mal in der Lage sein werden, wesentliche Hypothesen über den Aufbau des Navigationssystems in unserem Gehirn auf ihre Gültigkeit zu testen.












