Neurale Stammzellen außerhalb des Gehirns
Die Identifizierung peripherer neuraler Stammzellen könnte die Behandlung von Parkinson und Rückenmarksverletzungen verändern

Auf den Punkt gebracht
- Periphere neurale Stammzellen: Forschende haben in der Lunge von Mäusen einen neuen Typ neuraler Stammzellen entdeckt. Diese Zellen besitzen ähnliche Eigenschaften wie die bekannten neuralen Stammzellen im Gehirn, einschließlich Selbstverjüngung und Differenzierungsfähigkeit.
- Überraschende Erkenntnis: Die Identifizierung dieser Zellen stellt die langjährige Annahme in Frage, dass nur im Gehirn und Rückenmark neuralen Stammzellen existieren.
- Neue Ansätze für die regenerative Medizin: Die Gewinnung peripherer neuraler Stammzellen könnte praktikabler sein als die Entnahme aus dem zentralen Nervensystem. Wenn es periphere neurale Stammzellen auch beim Menschen gibt, könnten diese möglicherweise für die Behandlung von Krankheiten wie Parkinson, Rückenmarksverletzungen und anderen neurodegenerativen Störungen eingesetzt werden.
Ein Forscherteam aus mehr als zehn Labors in Europa, Asien und Nordamerika hat Zellen aus dem peripheren Nervensystem der Maus untersucht, die als periphere neurale Stammzellen bezeichnet werden. Die Zellen kommen in unterschiedlichen Geweben wie Lunge und Schwanz vor. Sie teilen wichtige molekulare und funktionelle Merkmale mit den neuralen Stammzellen des Gehirns. Periphere neurale Stammzellen weisen die gleiche Zellmorphologie, Selbsterneuerungs- und Differenzierungskapazität wie die neuralen Stammzellen des Gehirns auf. Sie exprimieren mehrere spezifische Marker und weisen genomweite transkriptionelle und epigenetische Profile auf, die mit denen von neuralen Stammzellen im Gehirn übereinstimmen. Darüber hinaus können sich viele periphere neurale Stammzellen, die aus dem Neuralrohr auswandern, während der embryonalen und postnatalen Entwicklung in reife Neuronen und in begrenztem Umfang zu Gliazellen differenzieren.
Die Entdeckung dieser Zellen eröffnet nicht nur neue Einblicke in die Entwicklung des Nervensystems von Säugetieren. Ihre Existenz stellt auch eine langjährige Hypothese der Neurowissenschaften in Frage und eröffnet, da sie in der Petrischale in beträchtlichen Mengen vermehrt werden können, neue Möglichkeiten für die regenerative Medizin. Außerdem ist die Gewinnung von neuralen Stammzellen aus dem Gehirn keine bevorzugte Methode. Dagegen scheint die Gewinnung von neuralen Stammzellen aus anderen Organen oder Geweben ein gangbarer und praktikabler Ansatz zu sein. „Dies war das am längsten laufende Projekt in meiner Laufbahn. Ursprünglich wollten wir Experimente wiederholen, nämlich die Induktion pluripotenter Stammzellen durch einen niedrigen pH-Wert. Wie anderen Labors auch ist uns dies nicht gelungen. Aber glücklicherweise waren unsere Versuche nicht vergeblich: Wir haben bisher unentdeckte periphere neurale Stammzellen gefunden. Damit haben wir das lange Zeit vertretene Dogma in Frage gestellt, dass neurale Stammzellen außerhalb des zentralen Nervensystems nicht existieren”, erklärt Hans Schöler, der Hauptautor der Studie.
Dong Han, der leitende Forscher der Studie, der die meisten der Experimente in dieser Arbeit als Mitglied von Schölers Labor durchführte, betonte die möglichen Auswirkungen dieses Ergebnisses: „Wenn diese Zellen beim Menschen existieren und sich unbegrenzt vermehren lassen, wie es bei Mäusen der Fall ist, könnten sie ein enormes therapeutisches Potenzial haben. Dies ist besonders aufregend, weil zugängliche periphere neurale Stammzellen einen neuen Weg für die neurale Reparatur und Regeneration eröffnen könnten, der viele der Probleme umgeht, die mit der Gewinnung von Stammzellen aus dem zentralen Nervensystem verbunden sind."
Hohe Plastizität des Nervensystems
Die Entdeckung von peripheren neuralen Stammzellen außerhalb des Zentralnervensystems deutet auf eine bisher nicht erkannte Ebene der zellulären Plastizität innerhalb des Nervensystems hin. Im Gegensatz zu den aus der Neuralleiste stammenden Stammzellen, die nur eine begrenzte Selbsterneuerungskapazität haben, ähneln periphere neurale Stammzellen den aus dem Gehirn stammenden neuralen Stammzellen sehr und zeigen die Fähigkeit, die Neurogenese über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.
Hans Schöler betonte die entscheidende Rolle der interdisziplinären Zusammenarbeit, durch die diese Entdeckung erst möglich wurde: „Wir haben viele Labors mit unterschiedlichen Fachgebieten einbezogen, um sicherzustellen, dass diese Studie wasserdicht ist. Die Kombination aus genetischer Abstammungsanalyse, Einzelzellanalyse und funktionellen Tests in vivo liefert überzeugende Beweise dafür, dass diese peripheren neuralen Stammzellen ein echter und bisher unerkannter Bestandteil des Nervensystems von Säugetieren sind.”
Mögliche Auswirkungen auf die Medizin
Die Fähigkeit, periphere neurale Stammzellen nutzbar zu machen, könnte weitreichende Auswirkungen auf die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen und auf Strategien zur Reparatur von Nervenzellen haben. Wenn solche Zellen beim Menschen vorkommen, könnten sie eine leicht zugängliche Quelle für neurale Stammzellen darstellen, die in Zukunft für die Behandlung von Krankheiten wie Parkinson, Rückenmarksverletzungen und anderen neurodegenerativen Störungen eingesetzt werden könnten. Künftige Studien werden darauf abzielen, die Existenz von peripheren neuralen Stammzellen beim Menschen festzustellen und ihr volles therapeutisches Potenzial erforschen. Die Ergebnisse ebnen somit den Weg für die weitere Erforschung der Rolle dieser Zellen in der menschlichen Biologie und ihrer möglichen Anwendung bei der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen und in regenerativen Therapien.