Schimpansen besitzen Dialekte
Kulturverlust bei Schimpansen durch menschlichen Einfluss belegt
Eine neue Studie über wild lebende Schimpansen (Pan troglodytes verus) im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste zeigt, dass die Gesten, mit denen Schimpansenmännchen aus vier benachbarten Gruppen Weibchen zur Paarung auffordern, unterschiedliche Dialekte widerspiegeln könnten. Eine Geste, die hauptsächlich in einer der Gruppen verwendet wurde, verschwand nach einem Wildereivorfall vor 20 Jahren aus dem Repertoire und wurde in dieser Gesellschaft nicht wieder beobachtet. Dieser Vorfall dokumentiert einen kulturellen Verlust infolge des vom Menschen verursachten Populationsrückgangs, ein Phänomen, das bisher bei Tieren nur selten dokumentiert wurde.

So wie Menschen in verschiedenen Regionen mit unterschiedlichen Akzenten sprechen oder einzigartige Ausdrücke verwenden, haben auch viele Tiere ihre eigenen „Dialekte“. Singvögel wie Spatzen und Finken oder sogar Wale lernen ihre Lieder von anderen, was zu Variationen führt, die für eine Region ebenso einzigartig sind wie lokale Akzente beim Menschen. Bei Primaten, die phylogenetisch näher mit dem Menschen verwandt sind, gibt es jedoch erstaunlich wenige Belege für gemeinschaftsspezifische Dialekte, was ein faszinierendes Gebiet für weitere wissenschaftliche Untersuchungen darstellt.
Forschende des Taï-Schimpansen-Projekts beobachteten die Mitglieder von vier benachbarten wilden Schimpansengruppen jeden Tag von dem Moment an, in dem sie morgens ihre Nester verließen, bis zu dem Moment, in dem sie abends schlafen gingen. „Wir haben vier Arten von kommunikativen Gesten identifiziert, die von Schimpansenmännchen verwendet werden, um Weibchen zur Paarung zu bewegen: „Fersenkick“, „Knöchelklopfen“, „Blattzerreißen“ und „Astschütteln“, erklärt Erstautor Mathieu Malherbe vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und dem Institute of Cognitive Sciences an der University Claude Bernard in Lyon. „Zwischen 2013 und 2024 haben wir Unterschiede in der Häufigkeit dieser kommunikativen Gesten zwischen benachbarten Schimpansengemeinschaften, aber auch zwischen Populationen in ganz Afrika festgestellt", fügt er hinzu.
Langzeitdaten aus 45 Jahren Forschung
Anhand von Langzeitdaten aus 45 Jahren Forschung im Rahmen des Taï-Schimpansenprojekts konnten die Forschenden auch Unterschiede in der Verwendung von Gesten im Laufe der Zeit nachweisen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Fähigkeit der nächsten lebenden Verwandten des Menschen, kulturelle Unterschiede in kommunikativen Signalen zu erzeugen. „Die konstante Verwendung derselben Signalformen für Paarungsaufforderungen innerhalb einer Gemeinschaft, aber unterschiedliche Signalformen zwischen benachbarten Gemeinschaften, die einen regelmäßigen Genfluss durch die Migration von Weibchen erfahren, deutet auf sozial erlernte Dialekte bei Schimpansen hin, ein Beweis, der bisher nur selten erbracht wurde”, sagt Catherine Crockford vom Institute of Cognitive Sciences und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, eine der leitenden Autorinnen der Studie.
„Die Männchen der nördlichen Gruppe, einer der vier Gemeinschaften, haben seit 20 Jahren kein Knöchelklopfen mehr ausgeführt, obwohl vor 2004 alle Männchen der nördlichen Gruppe diese Geste benutzten", erklärt Liran Samuni vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, eine leitende Autorin der Studie. Nach einer Reihe von durch den Menschen verursachten Ereignissen, die zu einem Rückgang der Population führten, wurde das letzte erwachsene Männchen der nördlichen Gruppe von einem Wilderer getötet, so dass es mehrere Jahre lang kein erwachsenes Männchen mehr gab.
Der Verlust des Wettbewerbs zwischen erwachsenen Männchen um Weibchen oder der Verlust aller Vorbilder könnte für den kulturellen Verlust dieser spezifischen Geste der Aufforderung zur Paarung in dieser Gemeinschaft verantwortlich sein. „Diese Entdeckung belegt, dass illegale menschliche Aktivitäten das kulturelle Verhalten von Schimpansen verändert haben“, sagt Roman Wittig vom Institute of Cognitive Sciences und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, ein leitender Autor der Studie. Er fügt hinzu: "Es ist dringend notwendig, die Erhaltung der Schimpansenkultur in die Naturschutzstrategien zu integrieren.” Malherbe fasst zusammen: "Diese Initiative ist nicht nur für das Überleben der Art von entscheidender Bedeutung, sondern auch für das Verständnis unserer eigenen Evolutionsgeschichte.”