Schizophrenie geht ins Auge
Schizophrenie-Gene verringern Kommunikationsfähigkeit von Nervenzellen im Auge
Forschende haben herausgefunden, dass Risikogene für Schizophrenie die Funktion mancher Nervenzellen in der Netzhaut des Auges beeinflussen. Die Gene scheinen die Kommunikationsfähigkeit der Zellen untereinander zu beeinträchtigen. Das könnte auch im Gehirn von Schizophrenie-Patientinnen und Patienten der Fall sein.

Die Netzhaut ist entwicklungsbiologisch ein Teil des Gehirns. Gehirnerkrankungen lassen sich daher manchmal auch in diesem leicht zugänglichen Gehirnteil untersuchen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie haben unter der Leitung von Florian Raabe schon in einer früheren Studie Veränderungen in der Netzhaut von Schizophrenie-Patientinnen und-Patienten entdeckt. Diese nahmen mit erhöhtem genetischem Risiko zu. Die Forschenden vermuteten daher, dass Netzhautveränderungen auch durch die Krankheitsmechanismen der Schizophrenie verursacht werden und nicht nur durch häufige Begleiterkrankungen wie Adipositas oder Diabetes.
Wenn das der Fall ist, könnten Netzhautveränderungen Einblicke in die biologischen Mechanismen der Erkrankung geben. Neben der Schizophrenie wurden Netzhautveränderungen auch bei Patienten mit bipolarer Störung, Depression, Multipler Sklerose, Alzheimer, Parkinson und Schlaganfall beobachtet. Raabe und Erstautor Emanuel Boudriot (Max-Planck-Institut für Psychiatrie und Ludwig-Maximilians-Universität München) haben nun Ergebnisse aus großen, bereits publizierten Studien, genutzt, um Daten zu Risikogenen neuropsychiatrischer Erkrankungen mit RNA-Sequenzierungsdaten aus der Netzhaut zu kombinieren. Das zeigte, welche Risikogene der oben genannten Erkrankungen mit verschiedenen Netzhautzellen assoziiert sind.
Bei zwei Erkrankungen zeigten die Daten einen deutlichen Zusammenhang: Erstens waren Risikogene für die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose mit Immunzellen der Netzhaut assoziiert. Zweitens standen Risikogene für Schizophrenie in Verbindung mit einer bestimmten Klasse von Nervenzellen in der Netzhaut, den Amakrinzellen. Diese sind an Prozessen in den Synapsen beteiligt und bestimmen unter anderem die Fähigkeit der Zellen, miteinander zu kommunizieren.
Dünnere Schicht aus Synapsen
Um diese Erkenntnisse von der zellulären auf die strukturelle Ebene zu übertragen, arbeiteten die Forschenden mit der Arbeitsgruppe von Philipp Homan an der Universität Zürich zusammen. Außerdem nutzten sie die Ergebnisse einer britischen Biobankstudie, in der umfangreiche Daten von über 36.000 gesunden ProbandInnen gesammelt worden waren. Die Daten zeigten: Je höher das genetische Risiko der Probandinnen und Probanden für Schizophrenie, desto dünner war die synaptische Schicht der Amakrinzellen.
In der Netzhaut von Schizophrenie-Patienten ist also die Kommunikation zwischen Nervenzellen beeinträchtigt. „Die Entdeckung deutet darauf hin, dass sich Prozesse der Netzhaut und des Gehirns sehr ähnlich sind. Dies würde die Netzhaut zu einem hervorragenden Ort für die Untersuchung neuronaler Erkrankungen machen, da wir die Netzhaut von Patienten mit einer viel höheren Auflösung untersuchen können als das Gehirn“, erklärt Raabe. Biologische Mechanismen psychiatrischer Erkrankungen zu verstehen, soll Forschenden helfen, wirksamere und individuellere Behandlungen zu entwickeln.