Manche Frösche mögen’s heiß
Verschiedene Arten von Krallenfröschen können dank kleiner molekularer Anpassungen unterschiedliche Klimazonen bewohnen
Die Arten des afrikanischen Krallenfrosches sind entwicklungsgeschichtlich eng miteinander verwandt, dennoch bewohnen sie unterschiedliche Klimazonen des Kontinents. Für die wechselwarmen Amphibien ist das eine Herausforderung, weil sie schlechter auf Veränderungen der Umgebungstemperatur reagieren können als zum Beispiel wir gleichwarmen Menschen. Kleine Unterschiede in einem Protein ihres Zellskeletts ermöglichen es den Froscharten, jeweils unterschiedliche Temperaturzonen zu besiedeln. Das haben Forschende am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin herausgefunden. Ihre Ergebnisse zeigen, wie minimale molekulare Veränderungen zu weitreichenden ökologischen Anpassungen führen können.
Eigentlich sind sie sich recht ähnlich. Die drei Krallenfroscharten Xenopus borealis, laevis und tropicalis stehen sich entwicklungsgeschichtlich ungefähr so nahe wie Pferd und Esel. Doch wenn es um ihre Komforttemperatur geht, unterscheiden sich die Froscharten deutlich. Für die wechselwarmen Tiere ist das keine Kleinigkeit. Amphibien können ihre Körpertemperatur nicht selbst regulieren und sind daher auf eine passende Umgebungstemperatur angewiesen, anders als gleichwarme Tiere, wie zum Beispiel wir Menschen.
Xenopus tropicalis bevorzugt warme Temperaturen über 25 Grad Celsius, während Xenopus borealis sich bei 21 Grad Celsius am wohlsten fühlt. Xenopus laevis mag es dagegen mit 19 Grad Celsius vergleichsweise kühl. Zum Vergleich: Verändert sich die Körpertemperatur von uns Menschen um sechs Grad Celsius, bekommen wir entweder hohes Fieber oder eine Unterkühlung. Beides Zustände, die wir nicht lange überleben.
Wie haben sich also die Froscharten trotz ihrer nahen Verwandtschaft an so unterschiedliche Temperaturen angepasst? Dieser Frage ist die Biochemikerin Simone Reber mit ihrem Team nachgegangen. Sie haben gezeigt, dass ein Schlüssel für die Anpassung in Proteinen des Zellskeletts liegt, den sogenannten Tubulinen. Bei den untersuchten Froscharten konnten die Forschenden kleine Unterschiede in diesen Proteinen entdecken und nachweisen, dass diese entscheidend für die Anpassung des Zellskeletts an die Umgebungstemperatur sind.
Die Stützpfeiler der Zelle sind temperaturempfindlich
Rebers Forschungsgruppe ist am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und der Berliner Hochschule für Technik angesiedelt und auf die Erforschung von Tubulinen spezialisiert. Tubuline gibt es in jedem Lebewesen. Sie sind die Grundbausteine der Mikrotubuli, röhrenförmige Strukturen, die den Zellen wie ein Stützpfeiler Form und Festigkeit geben. „Wir wussten, dass Mikrotubuli empfindlich auf Temperaturänderungen reagieren und damit einen Flaschenhals für die Temperaturanpassung des gesamten Organismus darstellen“, erklärt Simone Reber: „Deshalb wollten wir herausfinden, wie sich die Tubuline in evolutionär kurzer Zeit an die Temperaturpräferenzen der drei Krallenfroscharten angepasst haben.“
Zunächst überprüften die Forschenden dafür, wie sich die Mikrotubuli der drei Froscharten bei verschiedenen Temperaturen verhalten. Dazu isolierten sie Tubuline der Froscharten und stellten daraus Mikrotubuli her, um diese ohne äußere Einflüsse anderer Zellkomponenten zu untersuchen. Bei Temperaturen von 18 Grad Celsius waren die Mikrotubuli von Xenopus tropicalis schon nicht mehr in der Lage zu wachsen, während die Mikrotubuli des kältegewohnten Xenopus laevis keine Probleme hatten.
Minimaler Unterschied mit großem Effekt
Mit diesem Wissen verglichen die Forschenden die Aminosäuren der Krallenfrosch-Tubuline. Proteine sind lange Aminosäureketten, deren Abfolge ihre Form und Funktion bestimmen. „Wir konnten zeigen, dass sich die Tubuline der Krallenfroscharten in nur 19 von fast 1000 Aminosäuren unterscheiden“, so Reber: „Der Schlüssel für die Temperaturanpassung der Tubuline musste also in diesen wenigen Aminosäuren liegen“. Der Einfluss der verschiedenen Aminosäuren auf die Struktur der Tubuline und damit der Mikrotubuli ließ sich aus der Sequenz allein jedoch nicht ableiten.
In Zusammenarbeit mit Carolyn Moores von der Birkbeck Universität London, hat das Team daher die Struktur der Tubuline mithilfe von Cryo-Elektronenmikroskopie entschlüsselt. Bei dieser Technik werden Proteine auf -150 Grad Celsius heruntergekühlt, wodurch sie ohne langwierige Vorbereitung den energiereichen Elektronenstrahl überstehen, der schließlich ein hochaufgelöstes Bild der Proteine widergibt. Die Forschenden konnten die Tubuline so in ihrem natürlichen Zustand untersuchen und dreidimensionale Strukturmodelle der Mikrotubuli herstellen.
Mehr Flexibilität gibt dem Zellskelett Halt bei kalten Temperaturen
Mit diesen Modellen und den Ergebnissen der Mikrotubuliversuche hat das Team von Simone Reber gezeigt, dass die betroffenen Aminosäuren die Stärke der Querverstrebungen der Mikrotubuli beeinflussen. Die röhrenförmigen Mikrotubuli bestehen aus langen Strängen einzelner Tubuline, die parallel verbunden sind. Bei niedrigen Temperaturen werden die Mikrotubuli steifer, wodurch sie schneller zusammenbrechen. Schwache seitliche Verbindungen machen die Mikrotubuli flexibler und damit auch bei Kälte stabil. Das erlaubt der Krallenfroschart Xenopus laevis eine Anpassung an vergleichsweise kühle 19 Grad Celsius.
„Wir waren beeindruckt, dass eine kleine Veränderung in der Aminosäuresequenz so weitreichende Auswirkungen hat“, sagt Simone Reber: „Ein Unterschied im Nanometerbereich ermöglicht es den Krallenfroscharten, so unterschiedliche Lebensräume zu besiedeln.“ Diese Erkenntnis ist nicht nur für das Verständnis des Zellskeletts wichtig, sondern auch im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels. Denn die Umgebungstemperatur wirkt sich bei Krallenfröschen auf zellulärer Ebene aus und damit direkter als zum Beispiel Wassermangel oder ein verändertes Nahrungsangebot.
Tierexperimentelle Forschung mit Krallenfröschen
Die Untersuchung der Krallenfroschtubuline für die vorliegende Studie wurden an Krallenfroschlaich durchgeführt. Durch eine Hormoninjektion lassen Forschende die Frösche kontrolliert Eier legen, die dann in Experimenten genutzt werden. An den Fröschen selbst wurden keine weiteren Versuche durchgeführt.
Krallenfrösche wurden auch als Apothekerfrösche bezeichnet, da sie bis in die 1960er-Jahre als Schwangerschaftstest dienten: die Frösche reagieren auf das Schwangerschaftshormon hCG im Urin innerhalb von 18 Stunden indem sie Eier legen. Krallenfrösche wie Xenopus laevis werden seit den 1920er-Jahren in der biomedizinischen Forschung eingesetzt. Mit Xenopus wurde unter anderem gezeigt, dass Zellen sich durch den Tausch des Zellkerns reprogrammieren lassen – eine Entdeckung für die im Jahr 2012 der Nobelpreis verliehen wurde.