Warten auf den großen Fang

Marwa Kavelaars vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ist für drei Wochen ins winterliche Skandinavien gereist. Sie untersucht menschliches Entscheidungsverhalten und erzählt von ihrer Arbeit mit finnischen Eisfischerinnen und -fischern.

Schon als Kind war ich gern draußen. Obwohl ich in der Stadt aufgewachsen bin, habe ich oft Tiere beobachtet, ob es nun kleine Insekten auf dem Spielplatz waren oder Vögel im Park. Auch später bin ich meiner Neugier gefolgt und habe in meiner Doktorarbeit das Verhalten von Seevögeln bei der Nahrungssuche erforscht. Mit kleinen GPS-Trackern habe ich ihre Bewegungsmuster aufgezeichnet. In meinem Postdoc-Projekt verfolge ich einen ganz ähnlichen Ansatz, nur dass es diesmal um menschliche Nahrungssuche geht, genauer gesagt: um das Eisfischen.

Eisfischen ist in Finnland eine beliebte Outdoor-Aktivität, bei der sich Entspannung, Geselligkeit und Naturgenuss verbinden lassen. Häufig geht es dabei auch um Wettbewerb. Unser Team unter der Leitung von Ralf Kurvers organisiert seit einigen Jahren gemeinsam mit Raine Kortet von der Universität Ostfinnland eigens Wettkämpfe, um Forschungsdaten zu sammeln. Wir mussten das ursprüngliche Wettbewerbssetting lediglich ein wenig anpassen, um daraus ein kontrolliertes Experiment zu machen. Das Spannende daran ist, dass wir auf diese Weise menschliches Verhalten in der realen Welt studieren können anstatt im Labor oder online. Bei unseren Wettbewerben können sich die Eisfischerinnen und -fischer frei in ihrer natürlichen Umgebung bewegen, während wir ihre Bewegungen mithilfe von GPS-Smartwatches und Kopfkameras verfolgen. So wissen wir jederzeit, wohin sie gehen und was sie machen. Unser Ziel dabei ist es, zu verstehen, wie sie verschiedene Informationen kombinieren, um Entscheidungen zu treffen.

Als Erstes müssen sie entscheiden, wo sie ein Loch ins Eis bohren und ihre Leine auswerfen. Mit dem Handbohrer, den sie benutzen, ist das harte Arbeit, denn das Eis ist bis zu einen Meter dick. Sobald das geschafft ist, brauchen sie einerseits Geduld, andererseits sollten sie aber nicht zu viel Zeit an einer unergiebigen Stelle vergeuden. Die zweite Entscheidung ist also, wie lange sie an einem Ort bleiben. Uns interessiert auch, welche Rolle dabei soziale Informationen spielen. Aus diesem Grund haben wir die Leute entweder allein oder zu mehreren losgeschickt, um zu untersuchen, ob sie, je nach sozialem Kontext, unterschiedliche Entscheidungen treffen.

Unser Team vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung war international, wir waren Forschende aus den Niederlanden, aus Frankreich und Deutschland. Zu viert haben wir in einer kleinen Hütte an einem See in der Gegend von Joensuu gewohnt, ganz im Osten Finnlands. Diese Hütte lag inmitten einer traumhaften Winterlandschaft, umgeben von Wäldern. Für die Wettbewerbe sind wir jeden Tag an einen anderen See gefahren. Am frühen Morgen trafen wir uns dort mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und statteten sie mit den Smartwatches und den Kopfkameras aus. Dann ging es los.

Die Stimmung bei den Wettkämpfen war sehr entspannt. Nachmittags gab es am Seeufer meistens einen Stand mit Hotdogs, Kaffee und heißer Schokolade. Bei Temperaturen von minus zehn Grad konnte man das gut gebrauchen. Viele der Eisfischerinnen und -fischer kennen einander schon seit Jahrzehnten, und ich habe es sehr genossen, diese eingeschworene Gemeinschaft eine Zeit lang zu begleiten. Obwohl wir nicht dieselbe Sprache sprechen, entwickelten wir nach und nach ein Gefühl der Vertrautheit. Anfangs fanden die Eisfischerinnen und -fischer es vielleicht noch komisch, dass wir den weiten Weg von Berlin auf uns nehmen, um diese Wettbewerbe zu organisieren. Sie haben aber ihren Spaß daran und machen jedes Jahr wieder mit.

Wenn die Eisfischerinnen und -fischer nachmittags zurückkamen, wogen wir ihren Fang. Nach der Bekanntgabe der Gewinner, die ein Preisgeld erhalten, machten wir uns auf den Weg zurück zur Hütte. Dort mussten wir zunächst einmal alle Daten von den Smartwatches und Kameras auf den Rechner laden. Bei der Menge an Daten dauerte das immer mehrere Stunden. In der Zwischenzeit hat jemand von uns gekocht, während wir alles für den nächsten Tag vorbereiteten. Nach dem Abendessen wurde dann oft noch Holz aus der Garage geholt, und wir machten in der Sauna gleich neben der Hütte ein Feuer. So konnten wir uns nach einem langen Tag in der Kälte so richtig aufwärmen und beim Duft von Fichtennadeln entspannen.

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