Sprachverwandtschaften bestimmen
Neuer Ansatz zur Erforschung der Abstammungsbeziehungen zwischen Sprachfamilien
Über die Geschichte der Sprachfamilien Amerikas ist nur wenig bekannt. Es gibt zahlreiche Hypothesen zu den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen ihnen, aber nur wenige werden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft akzeptiert. Um eine mögliche gemeinsame Abstammung der im Amazonasgebiet gesprochenen Sprachfamilien Pano und Takana zu untersuchen, hat ein Team von Sprachwissenschaftlern nun einen integrierten Arbeitsablauf entwickelt, der computergestützte und konventionelle Methoden der historischen Linguistik kombiniert. Durch die Analyse hypothetischer Wortschatzvarianten, die Voraussagen zufolge von einer Sprachfamilie in die andere übertragen würden, fanden die Forscherinnen und Forscher deutliche Hinweise auf die gemeinsame Abstammung der beiden.
Ein internationales Team von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern hat einen neuen Ansatz zur Untersuchung der Verwandtschaftsbeziehungen von Sprachfamilien entwickelt, der neue Einblicke in die Geschichte zweier Sprachfamilien aus dem Amazonasgebiet ermöglicht. Die Forschenden des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, der Universität Passau und der Pontificia Universidad Católica del Peru sammelten Daten zur Shipibo-Konibo-Sprache, einer Pano-Sprache, die im peruanischen Amazonasgebiet gesprochen wird.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verwendeten eine neue Computer-Implementierung einer bereits etablierten Methode zur Voraussage von Veränderungen in der Aussprache verwandter Wörter, die auf Ähnlichkeiten in der Aussprache zwischen verschiedenen Sprachfamilien beruht. Mit Hilfe dieser Methode und durch direkten Vergleich mit ihren Voraussagen identifizierte das Team mehr als 20 exakte Entsprechungen in den aufgezeichneten Daten.
Entschlüsselung der Lautmuster
„Wir haben unsere Voraussagen anhand von Aufnahmen mit Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern getestet. Dabei konnten wir die zuvor identifizierten Lautmuster bestätigen und fanden weitere Belege für die Rekonstruktion von drei neuen Lauten (Phonemen) für das Proto-Pano-Takana, den gemeinsamen Vorfahren der Sprachfamilien Pano und Takana“, kommentiert Erstautor Frederic Blum, Doktorand an der Universität Passau und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Die Autoren hoffen, dass ihr neuer Ansatz zur Untersuchung der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Sprachfamilien zu innovativen Hypothesen in der historischen Sprachwissenschaft führen wird, die das Wissen über die Geschichte der menschlichen Sprachen erweitern.
„Diese Studie hat unseren Werkzeugkasten in der computergestützten historischen Linguistik erweitert“, erklärt Johann-Mattis List, Inhaber des Lehrstuhls für Multilinguale Computerlinguistik an der Universität Passau und einer der Koautoren der Studie. „Durch die Anwendung einer formal definierten Methode auf eine Vielzahl von Sprachen aus unterschiedlichen Sprachfamilien sind wir jetzt in der Lage, die Beziehung zwischen zwei Sprachfamilien explizit auf der Grundlage einer bewährten und getesteten Methodik zu untersuchen.“ Die Autoren gehen davon aus, dass dieser innovative Ansatz in Zukunft auch auf andere Sprachfamilien übertragen werden kann und damit neue Konzepte zur Überprüfung von Hypothesen in der historischen Sprachwissenschaft ermöglicht.