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7. Januar 2025

Ein Wischen nach rechts, ein Wischen nach links – nie zuvor schien es bei der Suche nach einer Partnerschaft mehr Möglichkeiten zu geben als heute, zumindest wenn man den Versprechen von Dating-Apps glaubt. Doch wie frei ist die Partnerwahl tatsächlich? Und auch die Entscheidung, ob und wann Paare Kinder bekommen? Das untersuchen Julia Leesch und Nicole Hiekel am Max-Planck-Institut für demografische Forschung.

Es ist eine unmögliche Liebe: Als Rose und Jack sich auf dem Deck der Titanic zum ersten Mal über den Weg laufen, wissen vor allem die Zuschauer, was die beiden trennt. Sie, eine gebildete junge Frau aus der gehobenen amerikanischen Gesellschaft. Er, ein mittelloser Spieler und Künstler irgendwo aus dem Mittleren Westen. Gemeinsamkeiten? Fehlanzeige. Trotz dieser Unterschiede entzündet sich zwischen den beiden eine Liebe, die Klassenschranken überwindet – aber in James Camerons Filmklassiker von 1997 doch in einer Tragödie endet.

Die Literatur- und Filmgeschichte ist reich an Liebesbeziehungen über Standesgrenzen hinweg, die tragisch enden. Im Roman Sturmhöhe der viktorianischen Schriftstellerin Emily Brontë etwa führt die Liebe der wohlhabenden Catherine zum Stallburschen Heathcliff in eine Katastrophe. Und in Friedrich Schillers Kabale und Liebe scheitert die Beziehung zwischen Ferdinand, einem Adeligen, und Louise, Tochter eines Stadtmusikanten, an deren bürgerlicher Herkunft. Hätten Rose und Jack also trotz großer Liebe keine Chance gehabt? In der damaligen Gesellschaft – die Titanic sank 1912 – wäre es für die beiden tatsächlich schwierig geworden: Auf der Suche nach einer Beziehung blieb Menschen kaum Wahlfreiheit. Außerhalb des eigenen sozioökonomischen Standes waren romantische Verbindungen kaum möglich – genauso unwahrscheinlich ist, dass Jack und Rose gemeinsam alt geworden wären.

Doch wie sieht das Ganze heute aus? Hätten die beiden in unserer heutigen Gesellschaft eine höhere Chance auf das gemeinsame Glück? Reiner Zufall ist es auch heute nicht, mit wem Menschen eine Beziehung eingehen: „Es gibt klar erkennbare Faktoren, nach denen Personen Partnerschaften eingehen“, erklärt Julia Leesch, die sich am Max-Planck-Institut für demografische Forschung unter anderem mit der Frage beschäftigt, welche Muster bei der Partnerwahl zu beobachten sind. Ganz frei in der Entscheidung, so eine zentrale Erkenntnis, sind wir in dieser Hinsicht nämlich nicht: „Wir sind abhängig davon, welchen Menschen wir überhaupt begegnen. Außerdem ist entscheidend, welche eigenen Präferenzen wir mitbringen und von welchen Personen unser Interesse letztlich erwidert wird. Das schränkt die Wahlfreiheit schon einmal bedeutend ein“, sagt Leesch.

Bedingte Wahlfreiheit

Und das, obwohl Dating heute auf den ersten Blick so frei und grenzenlos erscheint wie nie zuvor. Dank Dating-Portalen wie Hinge, Tinder und anderen ploppen potenzielle Partnerinnen und Partner nicht nur zu Tausenden auf den Smartphone-Bildschirmen auf, sondern der nächste potenzielle Partner scheint auch rund um die Uhr verfügbar – und das gefällt: Rund die Hälfte der 25- bis 34-Jährigen haben laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov schon einmal Dating-Apps genutzt. Bei den 45- bis 54-Jährigen sind es noch 30 Prozent. Eine Studie der Universität Wien zeigt zudem, dass Dating-Apps den meisten Nutzenden das Gefühl geben, jederzeit viele potenzielle Partnerinnen und Partner zur Auswahl zu haben. Doch frei von der Marktsituation, eigenen Präferenzen und vor allem davon, ob diese auch wechselseitig bestehen, sei man auch online nicht, erklärt Leesch. Denn auch wenn der Pool an potenziellen Partnerinnen und Partnern durch die virtuellen Plattformen erweitert werde, können doch auch hier nicht alle ihrer Wunschvorstellung beliebig folgen. „Forschende haben das Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern untersucht und etwa entdeckt, dass Männer mit zunehmendem Alter bevorzugt jüngere Frauen anschreiben. In der Realität gibt es aber vergleichsweise wenige Beziehungen mit großem Altersunterschied zwischen den Partnern. Eine vermeintlich größere Auswahl führt in Sachen Partnerwahl daher nicht unbedingt ans Ziel“, so Leesch.

Welche Kriterien dabei eine besonders wichtige Rolle spielen, untersucht eine groß angelegte Studie eines Forschungsteams um die US-amerikanische Wissenschaftlerin Tanya Horwitz. Das Team wertete 199 Studien aus und gewann so Erkenntnisse darüber, wie wichtig bestimmte Faktoren für die Partnerwahl waren. Yayouk Willems, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, hat die Ergebnisse dieser Studie zusammengefasst. Diese machen deutlich: Ob wir uns eine Beziehung mit einem anderen Menschen vorstellen können, entscheiden nicht etwa Ausstrahlung, Humor oder die schönen Augen des Gegenübers – wie James Cameron das bei Jack und Rose inszenierte. Die größten Gemeinsamkeiten zeigten die untersuchten Paare vielmehr bei relativ unromantischen Faktoren. Ganz oben stehen dabei das IQ- und Bildungslevel sowie das Trink- und Rauchverhalten der anderen Person.

„Auf Persönlichkeitsmerkmale wie die Frage, ob jemand eher introvertiert oder extrovertiert ist, kommt es anscheinend weitaus weniger an“, führt Willems aus. Auch sie war zwar auf den ersten Blick überrascht, doch inzwischen hält sie diese Ergebnisse für nachvollziehbar: „Es könnte daran liegen“, so Willems, „dass Menschen viel stärker darauf achten, wie man in einer Beziehung gemeinsam Zeit verbringt und für welche Werte die andere Person steht. Unterschiede bei den Charakterzügen scheinen Paare eher ausgleichen zu können.“

Auch die zweite zentrale Erkenntnis der Studie legt nahe, dass die Liebesgeschichte von Jack und Rose in der heutigen Zeit vermutlich kein gutes Ende nehmen würde: Denn dass Gegensätze sich anziehen, scheint bei der Partnerwahl ein Mythos zu sein. Die überwältigende Mehrheit der untersuchten Paare zeige vielmehr eine große Bandbreite an Gemeinsamkeiten. „Paare, die wirklich grundlegend unterschiedlich sind, gab es hier kaum“, sagt Willems. Vor allem was den sozialen Status angeht, und das ist auch nicht überraschend: „Menschen agieren in ihrem sozialen Umfeld und suchen hier nach Personen, die ihnen ähnlich sind.“ Wie beispielsweise Bildung die Wahl der Partnerin oder des Partners beeinflusst, hat Julia Leesch untersucht. „Bildung ist auch ein Indikator für Dinge wie Einkommen, Werte oder Lifestyle und umfasst daher mehr als nur die Frage nach dem Bildungsabschluss. Das macht diesen Faktor besonders interessant.“ Sie hat irische Zensusdaten zu rund 100 000 jungen Frauen im Alter zwischen 25 und 34, die in einer Partnerschaft leben, ausgewertet. Dabei zeigte sich: Gleich und gleich gesellt sich gern. Im Jahr 2016 hatten etwa 60 Prozent der von Leesch analysierten Frauen einen Partner mit demselben Bildungsstand – Experten sprechen von Bildungshomogamie.

Ist das reiner Zufall? „Vermutlich nicht“, sagt Leesch. Kombinierten die Forschenden rein zufällig Personen aus dem Datensatz zu fiktiven Paaren, hatten nur noch 40 Prozent denselben Bildungsstand. Der Trend zur Bildungshomogamie lasse sich heute in vielen europäischen Ländern nachweisen. Dies sei vor allem durch die Bildungsexpansion , also die wachsende Zahl von Personen mit höheren Bildungsabschlüssen, zu erklären, so Julia Leesch. „Es spielt eine große Rolle, wer bei der Partnerwahl überhaupt zur Verfügung steht. Wenn viele Menschen das gleiche Bildungslevel haben, wird es auch viele Paare geben, bei denen beide den gleichen Bildungsgrad haben.“

Bildung und Kinderwunsch

Dass die Ähnlichkeit von Bildungsgraden innerhalb von Beziehungen eine ganz wesentliche Rolle spielt, ist bekannt. „Die Forschung zeigt: In der Vergangenheit war es so, dass Ehen, in denen die Frau eine höhere Bildung besaß als der Mann, ein größeres Scheidungsrisiko hatten“, so Julia Leesch. „Das könnte daran liegen, dass diese Verteilung früher nicht den gängigen Geschlechternormen entsprach, was solche Beziehungen möglicherweise belastete.“ Hätten also Jack und Rose das Schiffsunglück beide überlebt und geheiratet, wäre die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung wohl sehr hoch gewesen. Zumindest wären auf das Filmpaar zahlreiche sehr große Herausforderungen zugekommen. Denn die Bildung prägt auch weitere Entscheidungen über den Lebensweg massiv, zum Beispiel die Entscheidung, ob und wann ein Paar Kinder bekommt.

Wie die Partnerschaft weitere Lebensentscheidungen beeinflusst, untersucht Nicole Hiekel, die am Max-Planck-Institut für demografische Forschung die Gruppe „Geschlechterungleichheiten und Fertilität“ leitet. Der Faktor Bildung spiele beispielsweise in Sachen Kinderwunsch eine tragende Rolle: „Hochgebildete wollen in der Regel später Kinder als Niedriggebildete, auch weil ein Studium den meisten als nicht mit einer Familiengründung kompatibel erscheint und sie erst in höherem Alter in den Arbeitsmarkt einsteigen“, so Hiekel. Hierfür seien auch sich wandelnde gesellschaftliche Rahmenbedingungen verantwortlich. Denn vor allem für Frauen hat sich die Bedeutung von Partnerschaft, Kind und Familie grundlegend verändert. „In der Vergangenheit waren Frauen meistens von ihren Ehemännern finanziell abhängig, und aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen hinsichtlich der Geschlechterrollen konnten sie daran auch wenig ändern.“ Die Bildungsexpansion und die starke Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen haben dazu geführt, dass sie heute in Partnerschaften finanziell unabhängiger sind. Frauen legen heute mehr in die Waagschale – und auch für Männer ist es heute wichtiger, dass die Partnerin zum Haushaltseinkommen beiträgt. In diesem Punkt sehen wir eine Angleichung der Geschlechter“, resümiert Nicole Hiekel.

Die wachsende finanzielle Unabhängigkeit beeinflusst nicht nur die Partnerwahl, sondern auch die Entscheidung, eine Beziehung zu beenden: Für die meisten Menschen ist eine Partnerschaft heute viel mehr als eine Versorgungsgemeinschaft. „Die Bedeutung der Beziehung für die persönliche Entfaltung ist wichtiger geworden“, stellt Hiekel fest. Das verändert auch die Erwartungen an eine erfolgreiche Beziehung. Fühle ich mich meinem Partner nah? Spüre ich Wertschätzung? Insbesondere der Wunsch nach emotionaler Intimität hat heute einen deutlich höheren Stellenwert. Bleibt diese Erwartung unerfüllt, stehen die Zeichen für den Bestand einer Beziehung schlechter als in früheren Zeiten.

Ende der Versorgungsgemeinschaft

Mit diesem Wertewandel geht für Singles eine neue Freiheit einher: „Viele Menschen haben heute stärker das Gefühl, dass die eigene Identität mehrere Dimensionen hat. Partner- und Elternschaft sind klar noch immer Teile davon. Es haben sich aber gesellschaftlich alternative Räume aufgetan, in denen Menschen sich verwirklichen können, zum Beispiel in Hobbys oder Freundschaften“, erklärt Hiekel. Dennoch bleibe eine ernsthafte und stabile Beziehung für die meisten ein zentrales Lebensziel: „Für viele hat die Vorstellung, emotionale Nähe zu einer Person zu finden, immer noch einen hohen Stellenwert. Und auch dahinter steht heute eine Art von Selbstverwirklichung, die Menschen in der Vergangenheit nicht selbstverständlich zugestanden wurde.“

Diese Selbstverwirklichung wiederum führt zu einer weiteren Form der Freiheit: Beziehungsmodelle diversifizieren sich, werden neu ausgehandelt und individuell gestaltet – von polyamoren Beziehungen, bei denen die Beteiligten gleichwertige Liebesbeziehungen mit mehreren Menschen führen, über gleichgeschlechtliche und offene Modelle, in denen Personen es einander gegenseitig erlauben, außerhalb der Beziehung Sex mit weiteren Personen zu haben. „Hier entsteht eine große Freiheit, weil der institutionelle Rahmen nicht mehr so gegeben ist und Partnerschaften stärker auf Aushandlungsprozessen beruhen“, so die Demografin Hiekel. Das führe zu Veränderungen: „Studien zeigen, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen in der Regel gleichberechtigter organisiert sind, gerade was die Verteilung bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Sorgearbeit betrifft.“ Das deute darauf hin, dass die typische Aufteilung von Aufgaben zwischen Männern und Frauen in heterosexuellen Beziehungen oftmals gar nicht darauf abziele, für alle das Beste rauszuholen – also den Nutzen zu maximieren. Vielmehr scheinen diese Partnerschaften immer noch stark von tradierten Rollenbildern geprägt zu sein, so Hiekel. „Es könnte auch sein, dass weniger konventionelle Lebensformen den Menschen mehr Raum geben, sich selbst zu definieren“, führt die Forscherin weiter aus. Ähnliches beobachte man auch bei heterosexuellen Paaren, die unverheiratet zusammenleben. „Dass diese Form der Beziehung vor dem Gesetz nicht anerkannt ist, führt unter anderem dazu, dass die Paare weniger stark dazu neigen, ihre Einkommen zusammenzuführen.

Gleichzeitig schafft der neu gewonnene Gestaltungsspielraum aber auch neue Herausforderungen: „Eine Partnerschaft jenseits hergebrachter Normen und Praktiken auszuhandeln, sei es hinsichtlich sexueller Monogamie, einer geschlechtsunabhängigen Arbeitsteilung oder der Grenzziehung zwischen gemeinsamem und eigenem Eigentum, erfordert Ressourcen, allen voran Kommunikationsfähigkeit. Das ist anspruchsvoll, und da sind Menschen nicht mit den gleichen Kompetenzen ausgestattet“, so Nicole Hiekel. „Freiheit heißt auch, dass jede und jeder eine große Verantwortung übernimmt, die eigene Beziehung nachhaltig zu gestalten.“ Und mal abgesehen davon, dass Beziehungsmodelle und Partnerschaften heute in mancher Hinsicht anspruchsvoller und komplexer geworden sind als zu Zeiten von Rose und Jack: Auch in der heutigen Zeit hätte es die Liebe der beiden nicht ganz leicht.

Auf den Punkt gebracht

Die Partnerwahl wird oft als frei wahrgenommen, doch sie wird stärker von Gemeinsamkeiten wie einem ähnlichen Bildungsniveau und Lebensstil beeinflusst als von romantischen Vorstellungen.

Paare mit höherem Bildungsabschluss bekommen später Kinder als solche mit niedrigem Bildungsabschluss.

Durch die Bildungsexpansion und die damit verbundene finanzielle Unabhängigkeit beider Partner hat emotionale Intimität in der Partnerschaft vor allem für Frauen an Bedeutung gewonnen. Damit einhergehend stellen moderne Partnerschaften höhere Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit.

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