Forschungsbericht 2024 - Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme
Altermagnetismus
Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden
Die vertrauten Anziehungskräfte, die einen Magneten am Kühlschrank haften lassen, entstehen mikroskopisch betrachtet durch Elektronen, die selbst winzige Magnetnadeln sind. Diese „Minimagnete“ entstehen durch den quantenmechanischen Spin der Elektronen. Die Quantenmechanik erlaubt dabei grundsätzlich zwei Ausrichtungen dieser Spins: parallel oder antiparallel. In dieser polarisierten Form tragen sie kollektiv zum von außen messbaren Magnetismus bei. Zwei Arten des Magnetismus sind traditionell bekannt: die Ferromagnete sind seit dem Alterturm bekannt, Antiferromagnete hingegen erst seit dem frühen 20. Jahrhundert.

In Ferromagneten sind die atomaren Spins überwiegend in dieselbe Richtung ausgerichtet (Abb. 1a, linke Felder). Das führt zu Strömen, in denen die Spins der Elektronen nahezu gleich ausgerichtet sind, sogenannte spinpolarisierte elektrische Ströme. Ferromagnete sind deshalb etwa für Speichermedien von großem Interesse.
In Antiferromagneten hingegen sind die Spins benachbarter Atome antiparallel ausgerichtet, sodass sich ihre Beiträge gegenseitig aufheben – sie kompensieren sich. Ein spinpolarisierter Strom entsteht dabei nicht. Daher fehlen in typischen Antiferromagneten viele nützliche Effekte, die bei Ferromagneten beobachtet werden. Ein Beispiel ist der sogenannte anomale Hall-Effekt: Wird eine elektrische Spannung längs einer Probe angelegt, so entsteht quer dazu ein verlustfreier Transversalstrom.
Theoretische Vorhersage des Altermagnetismus
Vor etwa einem Jahrzehnt begannen wir systematisch mit der Erforschung magnetischer Materialien. Bis 2018 konnten wir theoretisch einen großen anomalen Hall-Effekt in kollinearen, kompensierten Magneten vorhersagen – ein überraschendes Ergebnis für solche Systeme [1,2]. In Abbildung 1b ist ein Beispiel eines solchen Magneten dargestellt, zusammen mit dem durch eine Kurve (cyan) markierten Transversalstrom.
Später gelang uns mithilfe von Spin-Symmetrie-Überlegungen der Nachweis, dass diese unkonventionellen kompensierten Magnete, die den anomalen Hall-Effekt zeigen, einer grundlegend neuen und deutlich umfassenderen Klasse des Magnetismus angehören – dem sogenannten Altermagnetismus [3].
Im Gegensatz zu klassischen Ferro- und Antiferromagneten weisen altermagnetische Materialien eine besondere spinalternierende Ordnung auf, die sich in einem antiferromagnetischen Hintergrundgitter ergibt. Dabei bleibt das Gitter insgesamt kompensiert, besitzt jedoch eine identische alternierende Spinverteilung im Gitter (Abb. 1a, rechte Seite). Diese Eigenschaft führte zur Einführung des Begriffs Altermagnetismus – abgeleitet vom lateinischen alter für „der andere“.
Altermagnete (einen realistischen Kristall zeigen wir in Abb. 1b) verletzen nicht nur – wie Ferromagnete – die Zeitumkehrsymmetrie, sondern zusätzlich auch bestimmte Rotationssymmetrien des Kristallgitters. Dies führt zur Ausbildung transversal spinpolarisierter Ströme (Abb. 1a, rechts), die als eine Art „Spin-Aufteiler (Splitter)“ fungieren.
Experimentelle Beobachtung des Altermagnetismus
Durch Symmetrieanalyse und quantenmechanische Ab-initio-Berechnungen [3] identifizierten wir eine signifikante altermagnetische Spin-Aufspaltung im Halbleiter MnTe (Abb. 2a, b). Diese Spin-Aufspaltung lässt sich in der Bandstruktur messen – einer Landkarte der Elektronenenergie in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit (genauer gesagt: vom Wellenvektor).

Unsere Schweizer Kollegen vom Paul Scherrer Institut in Villigen führten dort Synchrotron-Experimente an MnTe durch, die von unserer Theorie geleitet wurden. Die resultierenden Photoemissionsspektren, die Anfang dieses Jahres veröffentlicht wurden (Abb. 2c) [4], stimmten bemerkenswert gut mit unseren Vorhersagen überein. Sie bestätigten sowohl die Brechung der Zeitumkehrsymmetrie als auch eine große, quadratisch dispersive Bandaufspaltung.
Vor Kurzem nutzten unsere Kollegen von der University of Nottingham in Großbritannien unsere Vorhersage [1], um altermagnetische Ordnung auch in Direktraum im Nanomaßstab in MnTe abzubilden [5]. Sie zeigt das Vorhandensein mikrometergroßer altermagnetischer Domänen und dass diese Domänen mit relativ schwachen Magnetfeldern und Nanostrukturierungstechniken stabilisiert und manipuliert werden können.
Die schnelle experimentelle Bestätigung des Altermagnetismus, geleitet durch Spin-Symmetrien, hat sowohl innerhalb als auch außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft Aufmerksamkeit erregt. Dazu führten auch die neuen Perspektiven einer technologischen Anwendung. Das Fachblatt Science zum Beispiel wählte Altermagnetismus unter die Top 10 der wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres 2024.
Wir haben auch zudem über 200 altermagnetische Materialkandidaten identifiziert, von denen viele kritische Temperaturen oberhalb Raumtemperatur haben und aus häufig vorkommenden, nachhaltigen Elementen bestehen. Dies eröffnet spannende Forschungsfelder in der Nanoelektronik, Supraleitung und in topologischen Phasen der Materie. Unsere Fortschritte könnten zu ultraschnellen, hochskalierbaren und stromsparenden Geräten führen. Diese könnten dazu beitragen, den ständig wachsenden Energiebedarf der globalen IT-Infrastruktur in einer Ära der künstlichen Intelligenz zu reduzieren.
Literaturhinweise
DOI: 10.1126/sciadv.aaz8809.
DOI: 10.1073/pnas.2108924118
DOI: 10.1103/PhysRevX.12.031042
DOI: 10.1038/s41586-023-06907-7
DOI: 10.1038/s41586-024-08234-x