Ein Superflare pro Jahrhundert auf der Sonne

Die Sonne sollte zu Ausbrüchen fähig sein, die den bisher stärksten registrierten Flare um das hundertfache übertreffen. Das zeigt eine Analyse von über 50.000 sonnenähnlichen Sternen

Auf Sternen, die der Sonne ähneln, kommt es im Durchschnitt pro Stern etwa einmal alle hundert Jahre zu einem gigantischen Strahlungsausbruch, wie ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung nun herausfand. Diese Einschätzung beruht auf einer neuen Bestandsaufnahme von über 50.000 sonnenähnlichen Sternen mit dem Kepler Weltraumteleskop. Demnach sind Superflares zehn bis hundertmal häufiger als bisher gedacht. Sie setzen mehr Energie frei als Billionen Wasserstoffbomben und sind etwa hundertmal stärker als der bisher heftigste aufgezeichnete Sonnensturm aus dem Jahr 1859, bei dem in weiten Teilen der Welt Telegrafennetzwerke zusammenbrachen. In Baumrinden oder Gletschereis könnte die Antwort auf die Frage verborgen sein, ob die Erde in der Vergangenheit von solch heftigen Ausbrüchen der Sonne getroffen worden ist. 

Die Sonne durchläuft gerade eine Phase maximaler Aktivität, die sich alle elf Jahre wiederholt. So erklären sich auch die starken Sonnenstürme des vergangenen Jahres, die eindrucksvolle Polarlichter selbst in niedrigen Breiten nach sich zogen. Ob die Sonne in der Vergangenheit auch Superflares ins All geschleudert hat, könnten geologische Archive wie etwa das Gletschereis verraten. Wie häufig die Erde von Superflares getroffen wurde, lässt sich diesen indirekten Quellen jedoch nicht entnehmen. Direkte Messungen der Strahlungsmenge, welche die Erde von der Sonne erreicht, gibt es erst seit Beginn des Weltraumzeitalters.

Eine Möglichkeit, zu untersuchen, wie sich unser Stern langfristig verhält, ist es, sich andere Sterne in unserer kosmischen Nachbarschaft anzusehen, die der Sonne stark ähneln. Weltraumteleskope sind geeignet, abertausende Sterne über lange Zeit zu beobachten und aufzeichnen, wie deren Helligkeit schwankt. Superflares setzen innerhalb kurzer Zeit Energiemengen von mehr als Quadrilliarden Joule frei und erscheinen in den Messdaten als kurze, sehr heftige Helligkeitsanstiege im sichtbaren Licht. „Wir können die Sonne selbst nicht über tausende von Jahren beobachten“, erklärt Sami Solanki, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. „Stattdessen können wir aber das Verhalten tausender sonnenähnlicher Sterne über kurze Zeiträume überwachen. Das hilft uns einzuschätzen, wie häufig es zu Superflares kommt“.

Eine Analyse von 56.450 fernen Sonnen

In der aktuellen Studie wertete das Team, zu dem auch Forschende der Universität Graz (Österreich), der Universität von Oulu (Finnland), des Nationalen Astronomischen Observatoriums Japans, der Universität von Colorado Boulder (USA) sowie des Center for Atomic and Alternative Energies Paris Saclay und der Universität von Paris-Cité zählen, die Messdaten von 56450 sonnenähnlichen Sternen aus, die das Nasa-Weltraumteleskop Kepler in der Zeit von 2009 bis 2013 im Visier hatte. „Die Kepler-Daten liefern uns in ihrer Gesamtheit das Zeugnis von 220.000 Jahren stellarer Aktivität“, so Alexander Shapiro von der Universität Graz. 

Entscheidend ist dabei die sorgfältige Auswahl der Sterne. Schließlich sollen sie sich durch besonders enge „Verwandtschaftsbeziehungen“ zur Sonne auszeichnen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ließen deshalb nur solche Sterne zu, deren Oberflächentemperatur und Helligkeit den Werten der Sonne ähneln. Zudem schlossen die Forschenden zahlreiche Fehlerquellen aus wie etwa kosmische Strahlung, vorbeiziehende Asteroiden oder Kometen sowie nicht-sonnenähnliche Sterne, die auf Aufnahmen des Weltraumteleskops rein zufällig in der Nähe eines sonnenähnlichen Kollegen aufblitzen. Dafür wertete das Team die nur wenige Pixel großen Bilder jedes Verdachts-Superflares aus und ließ nur diejenigen gelten, die sich verlässlich einem der ausgewählten Sterne zuordnen ließen. Übrig blieben genau 2889 Superflares auf 2527 der 56.450 betrachteten Sterne. Daraus folgern die Astronominnen und Astronomen, dass ein sonnenähnlicher Stern im Durchschnitt einen Superflare pro Jahrhundert ins All schleudert. 

Überraschend häufig

„Dass sonnenähnliche Sterne so häufig zu gigantischen Strahlungsausbrüchen neigen, hat uns sehr überrascht“, so Valeriy Vasilyev vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Frühere Bestandsaufahmen anderer Forschungsgruppen hatten Zeitabstände von durchschnittlich tausend oder sogar zehntausend Jahren gefunden. Allerdings konnten frühere Studien nicht die genaue Quelle des beobachteten Helligkeitsblitzes bestimmen und mussten sich deshalb auf Sterne beschränken, die auf den Teleskop-Aufnahmen keine zu nahen Nachbarn haben. Die aktuelle Analyse ist daher statistisch präziser als vorherige Studien und zudem empfindlicher was das Signal selbst betrifft.

Zeugnisse auf der Erde 

War die Erde in der Vergangenheit Ziel von Superflares? Diverse Arbeitsgruppen haben sich bereits auf eine Spurensuche begeben. Trifft ein besonders starker Fluss energetischer Teilchen von der Sonne auf die Erdatmosphäre, entsteht eine messbare Menge radioaktiver Atome wie etwa des radioaktiven Kohlenstoff-Isotops C-14. Diese lagern sich in „natürlichen Archiven“ wie etwa in Baumringen und Gletschereis ein. Auch Jahrtausende später lässt sich durch Messungen der C-14-Mengen mit modernen Techniken auf den plötzlichen Einfall hochenergetischer Sonnenteilchen schließen.

Auf diese Weise konnten Forschende innerhalb der vergangenen 12.000 Jahren fünf extreme Teilchenausbrüche der Sonne und drei Kandidaten für solche Ausbrüche identifizieren. Der heftigste dürfte sich im Jahre 775 unserer Zeitrechnung ereignet haben. Allerdings ist es gut möglich, dass es in der Vergangenheit auf der Sonne zu mehr solcher heftigen Teilchenausbrüchen und auch zu mehr Superflares gekommen ist. „Es ist unklar, ob gigantische Strahlungsausbrüche immer mit Teilchenausbrüchen einhergehen und wie beide Phänomene zusammenhängen. Weitere Forschung ist notwendig“, sagt Ilya Usoskin. Der Blick auf die irdischen Zeugnisse vergangener Sonneneruptionen könnte die Häufigkeit von Superflares deshalb unterschätzen.

Katastrophales Weltraumwetter vorhersagen

Da es sich bei der Studie um statistische Durchschnittswerte handelt, die über die Beobachtung anderer sonnenähnlicher Sterne gewonnen wurden, lässt sich nicht vorhersagen, wann sich das nächste Mal ein Superflare auf der Sonne entlädt. Doch die Ergebnisse mahnen zur Vorsicht. „Die neuen Zahlen erinnern eindringlich daran, dass auch extremste Sonnenstürme zum natürlichen Repertoire der Sonne gehören“, so Natalie Krivova vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. Beim Carrington-Ereignis von 1859, einem der heftigsten Sonnenstürme der vergangenen 200 Jahre, brach in weiten Teilen Nordeuropas und Nordamerikas das Telegrafennetzwerk zusammen. Dieses Ereignis war sogar stärker als die Flares, die 2024 über Deutschland Polarlichter verursachten und das GPS-Netz störten, oder die Eruptionen, die im Jahr 2022 vierzig Starlink-Satelliten zum Absturz brachten. 

Als wichtigste Vorbereitung auf starke Sonnenstürme gilt deshalb eine verlässliche und rechtzeitige Vorhersage. Beispielsweise lassen sich Satelliten vorsorglich abschalten. Ab 2031 soll die Esa-Raumsonde Vigil bei solchen Vorhersagen helfen. Von ihrer Beobachtungsposition im All schaut sie von der Seite auf die Sonne und registriert, wenn sich auf unserem Stern ein potenziell gefährliches Weltraumwetter zusammenbraut, noch bevor irdische Teleskope davon mitbekommen. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung entwickelt derzeit das Instrument Polarimetric and Magnetic Imager für die Mission.

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