Forschungsbericht 2024 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik
Neuer Mechanismus zur Gewebeformung von Tieren
Arbeitsgruppe Carl D. Modes
Einleitung
Eine zentrale Frage der Biologie und Biophysik ist, wie während der Entwicklung von Tieren dreidimensionale Gewebeformen entstehen. In Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster Physik des Lebens (PoL) an der TU Dresden und des Zentrums für Systembiologie Dresden (CSBD) haben wir einen Mechanismus gefunden, durch den Gewebe "programmiert" werden können, um von einem flachen Zustand in eine dreidimensionale Form zu gelangen. Dazu untersuchten wir die Entwicklung der Flügelscheibentasche (wing disc pouch) der Fruchtfliege Drosophila. Sie geht von einer flachen Kuppelform in eine gekrümmte Falte über und entwickelt sich später zum Flügel einer erwachsenen Fliege. Wir haben eine Methode entwickelt, um dreidimensionale Formveränderungen zu messen. Damit konnten wir analysieren, wie sich Zellen während dieses Prozesses verhalten. Mithilfe eines physikalischen Modells, das auf der Form-Programmierung basiert, fanden wir heraus, dass die Bewegungen und Neuanordnungen von Zellen eine Schlüsselrolle bei der Formung des Gewebes spielen. Die in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichte Studie zeigt, dass die Methode der Form-Programmierung ein allgemeines Verfahren sein könnte, um die Bildung von Geweben bei Tieren zu untersuchen.
Die Erforschung der Vielfalt tierischer Gewebeformen
Epithelgewebe sind Schichten eng miteinander verbundener Zellen, welche die Grundstruktur vieler Organe bilden. Indem die Gewebe ihre Form dreidimensional verändern, bilden sie funktionelle Organe. Einige Mechanismen für dreidimensionale Formen wurden bereits erforscht, sie reichen jedoch nicht aus, um die Vielfalt tierischer Gewebeformen zu erklären. Beispielsweise wandelt sich der Flügel der Fruchtfliege während eines Prozesses, der als Flügelscheibenumstülpung bezeichnet wird, von einer einzelnen kuppelförmigen Zellschicht zu einer dreidimensionalen Doppelschicht. Wie die Flügelscheibentasche diese Formveränderung - von einer radialsymmetrischen Kuppel zu einer gekrümmten Faltenform - durchläuft, ist unbekannt.
Um herausfinden, wie die Formveränderung zustande kommt, haben wir uns von „form-programmierbaren“, unbelebten Materialflächen inspirieren lassen. Dünne Hydrogele können sich, wenn sie stimuliert werden, durch innere Spannungen in dreidimensionale Formen verwandeln und die innere Struktur über die gesamte Fläche hinweg kontrolliert verändern, um bestimmte dreidimensionale Formen zu erzeugen. Dieses Konzept hat bereits geholfen zu verstehen, wie Pflanzen wachsen. Tierische Gewebe sind dynamischer: ihre Zellen können ihre Form, Größe und Position verändern. Wie also findet die Gewebeformung tierischer Zellen statt?
Ein physikalisches Modell misst Formveränderungen von Gewebe
Wir wollten wissen, ob die Form-Programmierung geeignet könnte, um die Entwicklung von tierischer Gewebe zu verstehen. Dazu maßen wir die Formveränderungen während der Umstülpung der Drosophila-Flügelscheibe, wenn sich die kuppelförmige Form in eine gekrümmte Faltenform umwandelte. Tatsächlich konnten wir zeigen, dass kollektives, programmiertes Zellverhalten ausreicht, um die Formveränderungen in der Flügelscheibentasche zu bewirken. Die Umgruppierung der Zellen im Gewebe ist die Hauptursache für die Formveränderung; äußere Kräfte aus dem umgebenden Gewebe sind nicht erforderlich. Wenn wir die Zellbewegung hingegen einschränkten, kam es zu Problemen bei der Formung des Gewebes, was zeigt, dass die veränderte Zellanordnung die Hauptursache für die Umstülpung war.
Zwar gab es bereits frühere Modelle für die Form-Programmierbarkeit, doch diese berücksichtigten jeweils nur eine Art von Effekt. Wir entwickelten neue Modelle für die Form-Programmierbarkeit, die jeweils verschiedene Arten des Zellverhaltens beschreiben. Diese Modelle beinhalten erstmals sowohl richtungsunabhängige als auch richtungsabhängige Effekte und verknüpfen beide direkt mit dem Zellverhalten.
Besseres Verständnis der Gewebeformung
Unsere neue Methode hilft uns zu verstehen, wie tierisches Gewebe seine Form und Größe in dreidimensionaler Hinsicht verändert. Unsere Arbeit deutet darauf hin, dass frühe mechanische Signale dazu beitragen, das Verhalten der Zellen zu steuern, was später zu Veränderungen der Gewebeform führt. Die Ergebnisse veranschaulichen Prinzipien, die in größerem Umfang genutzt werden könnten, um andere Prozesse der Gewebeformung besser zu verstehen.












