Forschungsbericht 2024 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Stuttgart
Künstliche Muskeln ermöglichen Roboterbein das Laufen und Springen
Seit bald 70 Jahren tüfteln Erfinder und Forschende an der Entwicklung von Robotern. Die meisten Maschinen, die heute in Fabriken und anderswo stehen, haben eines gemeinsam: Sie werden von Motoren angetrieben – eine über 200 Jahre alte Technologie. Selbst moderne Laufroboter können ihre Arme und Beine nur bewegen, weil ein Motor sie antreibt. Deshalb fehlt den Maschinen meist die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit, die wir von Lebewesen kennen. Sie wirken oft staksig und unnatürlich.
Am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Kooperation mit dem Soft Robotics Labor der ETH Zürich verfolgen wir einen völlig neuen Ansatz. Wir haben ein Roboterbein entwickelt, das auf künstlichen, elektrohydraulisch betriebenen Muskeln basiert [1]. Wir können die Kraft dieser Muskeln direkt über die angelegte elektrische Spannung bestimmen, was es uns erlaubt, die Verkürzung der Muskeln zu überwachen. Das Bein kommt daher nicht nur energieeffizienter voran als ein herkömmliches Roboterbein. Unser Bein erkennt dank der Längenbestimmung selbstständig Hindernisse und reagiert entsprechend – und das alles ohne komplexe Sensorsysteme. Das Bein kann sich dem Untergrund anpassen, ohne viel Rechenleistung zu erfordern.
Elektrisch geladen wie bei einem Luftballon
Wie bei Mensch und Tier ist unser Roboterbein mit einem Streck- und einem Beugemuskel ausgestattet. So sind kontrollierte Bewegungen in beide Richtungen möglich. Diese elektrohydraulischen Muskeln, die wir Forschenden HASELs nennen [2], sind über künstliche Sehnen am Beinskelett – bei Menschen und Tieren wäre es der Knochen – befestigt (Abb. 1 rechts).

HASELs sind mit Öl gefüllte Kunststoffbeutel, das Kürzel steht für „Hydraulically Amplified Self-healing ELectrostatic actuators“. Die Hälfte der Beuteloberfläche ist beidseitig mit einer schwarzen Elektrode, also einem leitfähigen Material, beschichtet. Sobald wir Spannung an die Elektroden anlegen, ziehen diese sich aufgrund statischer Elektrizität gegenseitig an. So wie bei einem Luftballon, den ich an meinen Haaren reibe, sie bleiben aufgrund der gleichen statischen Elektrizität am Ballon haften.
Zurück zum ölgefüllten Beutel: Erhöht man die Spannung, ziehen sich die Elektroden auf dem Beutel immer weiter zusammen und schieben somit das Öl auf eine Seite – der Beutel wird kürzer und dicker. Wird diese Kontraktion bei angelegter Spannung blockiert, erzeugt der Beutel eine Kraft ähnlich wie ein tierischer Muskel, der sich verkürzt und verdickt [3]. Wir befestigen mehrere solcher ölgefüllten Beutel aneinander, diese kontrahieren gemeinsam, wie die Muskelfasern eines tierischen Muskels: Wenn sich ein Muskel unseres Beins verkürzt, verlängert sich sein Gegenspieler (Abb. 3). Ein Computercode steuert automatisch, welche Aktuatoren sich zusammenziehen und welche sich verlängern.
Effizienter als Elektromotoren
Bei unserer Forschung war uns die Energieeffizienz des Roboterbeins sehr wichtig. Wir wollten herkömmliche Roboterbeine, die von Elektromotoren angetriebenen werden, in den Schatten stellen. Wir untersuchten also, wie viel Energie unnötig in Wärme umgewandelt wird. Auf dem Infrarotbild (Abb. 1) sieht man schnell, dass das Motorbein viel mehr Energie verbraucht, wenn es zum Beispiel in einer gebeugten Position gehalten werden muss. Im Gegensatz dazu bleibt die Temperatur des elektrohydraulisch angetriebenen Beins gleich.
Das liegt daran, dass der künstliche Muskel elektrostatisch ist. Das ist wie bei dem Beispiel mit dem Ballon und den Haaren. Die Haare bleiben ziemlich lange am Ballon haften, ohne dass wir Energie „nachliefern“ müssen. Elektrische Motoren hingegen benötigen dauerhaft Strom, da sie nur so das für ihre Aktivierung notwendige Magnetfeld aufrechterhalten können. Als Folge heizen diese Motoren auf. So wird nicht der Großteil der eingespeisten Energie für die Bewegungs- oder Krafterzeugung verwendet, sondern geht dem System durch Wärmeenergie verloren. Dagegen bleibt unser System auf Raumtemperatur und nutzt daher die Energie besser.
Und dann ist da noch die Sprungfähigkeit unseres Roboterbeins. Beeindruckend, wie es sein eigenes Gewicht explosionsartig hochkatapultieren kann!
Anpassungsfähige Fortbewegung über unebenes Terrain
Wir konnten auch zeigen, dass unser Roboterbein sehr anpassungsfähig ist. Das ist äußerst wichtig für das Forschungsgebiet der Soft Robotik. Nur wenn der Bewegungsapparat genügend Elastizität aufweist, kann er sich agil an das jeweilige Terrain anpassen. Während ein Sensor dem Elektromotor eines herkömmlichen Laufroboters ständig mitteilen muss, in welchem Winkel sich das Roboterbein befindet, passen sich die künstlichen Muskeln unseres Roboterbeins an die jeweilige Umgebung an, obwohl sie immer die gleichen zwei Eingangssignale – eines für die Beugung und eines für die Streckung des Gelenks – erhalten.
Die Anpassungsfähigkeit an das Terrain ist ein zentraler Aspekt. Wenn eine Person in die Luft springt und landet, muss sie sich nicht erst überlegen, ob sie ihre Knie im 90°- oder im 70°-Winkel beugen muss. Dasselbe Prinzip gilt für unser Roboterbein: Ist der Untergrund weich, tritt das Bein mit einem anderen Gelenkwinkel auf als bei hartem Untergrund.
Junge Technologie verspricht viele neue Möglichkeiten

Wahrscheinlich werden elektrohydraulische Aktuatoren niemals in schweren Maschinen auf Baustellen zum Einsatz kommen. Bei Anwendungen wie zum Beispiel Roboterhänden, bei denen die Bewegung sehr individuell und adaptiv sein muss, könnten künstliche Muskeln jedoch klare Vorteile bieten [4]. Wir geben zu, unsere Entwicklung ist im Vergleich zu Laufrobotern mit Elektromotoren noch limitiert [5]. Derzeit ist das Bein an einer Stange befestigt, hüpft im Kreis und kann sich noch nicht frei bewegen (Abb. 2).
Zukünftige Forschungsarbeiten sollen diese Einschränkungen jedoch beiseiteräumen. Vierbeinige oder humanoide Roboter könnten also eines Tages, sofern sie batteriebetrieben sind, auf künstlichen Muskeln basieren und ihre Umgebung viel wendiger und agiler erkunden als bisher.